Militärforschung
  Angriff auf Atombomberbasen
 

Ukrainischer Angriff auf russische Atombomberflotte

Gerhard Piper

6. Dezember 2022

Zum ersten Mal in der Militärgeschichte wurden zwei Luftstützpunkte der russischen/sowjetischen Atombomberflotte angegriffen. Mehrere Soldaten kamen ums Leben, mindestens drei Flugzeuge wurden beschädigt.

Am Montag, den 5. Dezember 2022, griffen die ukrainische Streitkräfte mit Marschflugkörpern zwei Luftbasen in Russland an. Es handelte sich um die Militärbasen Djagiljewo und Engels-2. Dazu erklärte das russische Verteidigungsministerium in Moskau:

„Am Morgen des 5. Dezember hat das Kiewer Regime versucht, mit reaktiven Drohnen aus sowjetischer Produktion die Militärflugplätze Djagiljewo im Gebiet Rjasan und Engels im Gebiet Sarow zu attackieren, um russische Langstreckenflugzeuge außer Gefecht zu setzten.“ (1)

Djagiljewo bei Rjasan: Der Fliegerhorst (frühere Nr. 6954) liegt ungefähr 570 km nordöstlich von der Ukraine entfernt. Es handelt sich um eine Basis der Atombomber der russischen Fernfliegerflotte (Dalnjaja awiazija - DA). Bei dem Luftangriff auf Djagiljewo wurde ein Tanklaster mit Kerosin auf dem Rollfeld getroffen. Bei dessen Explosion starben drei Soldaten des technischen Personals und vier bis fünf Soldaten wurden verletzt. Nach Angaben des ukrainischen Nachrichtenportals „Kyiv Independent“ wurde auch ein Bomber beschädigt. (2)

In Djagiljewo befindet sich das 43. Ausbildungszentrum (43-y Tsentr boyevoy podgotovki i pereuchivaniya lyotnogo sostava dalney aviatsii - 43 TsBP PLS DA) mit Langstreckenbomber Tupolew Tu-95MS und Mittelstrecken-Schwenkflügelbombern vom Typ Tupolew Tu-22M3 (NATO-ACCS-Code: BACKFIRE). Hinzu kommen mehrere Tankflugzeuge vom Typ Iljuschin Il-78 Midas. Aufgrund der Größe der Bomber und Tanker können diese nicht in verbunkerten AU-Sheltern (Arotschnoe Ukrütije, dt.: Bogendeckung), sondern bestenfalls in Wartungshallen abgestellt werden.

Engels-2 bei Saratow: Der Fliegerhorst liegt ungefähr 700 km östlich von der Ukraine entfernt. Der Luftangriff wurde mit mindestens zwei Drohnen durchgeführt. Dabei wurden zwei Bomber/Aufklärer vom Typ Tupolew Tu-95 – nach Angaben der russischen Propaganda – an der Außenhaut „leicht“ beschädigt. (3) Von dem Luftangriff auf den Fliegerhorst Engels gibt es den Videomitschnitt einer Überwachungskamera, der zwei Explosionen kurz hintereinander zeigt. (4)

Der Fliegerhorst Engels-2 (frühere Nr. des Fliegerhorstes: 6950) ist eine weitere Basis der Atombomber. Er verfügt über eine 3.500 m lange Startbahn. Hier ist die 22. Schwere Fernfliegerdivision (22-ya Tyazhelaya bombardirovochnaya aviatsionnaya diviziya – 22-ya GvTBAD) stationiert. Das 121. Garde Schwere Bomberregiment (121-y GvTBAP) verfügt über eine Staffel mit rund ein Dutzend Tupolew Tu-95MS16 (NATO-ACCS-Code: BEAR-H16) und eine Staffel mit allen vorhandenen, sechzehn 16 Tu-160 (NATO-ACCS-Code: BLACKJACK). Zumindest früher war hier das 184. Garde Schweres Bomberregiment (184-y Gvardeyskiy Tjascholy Bombardirowoschtschny Awiazionny Polk - 184-y GvTBAP) mit Tu-22M (disloziert. Hinzu kommen mehrere Tankflugzeuge. Außerdem befindet sich südlich des Fliegerhorstes ein großes Atombombenlager „sklad osobykh boyepripasov“ (wörtlich: spezielles Munitionsdepot) für Atombomben TN-1000, TN-1200, etc. und nukleare Luft-Boden-Flugkörper (Kh-55M/Kh-55SM [NATO-Code: AS-15A/B KENT-A/B]) mit einem Sprengkopf von 200 KT, Kh-102 [NATO-Code: AS-23B KODIAK-B] mit 250 KT, etc.). (5)

Bei den Angriffen wurden mindestens drei bis vier Marschflugkörper eingesetzt. Deren Typenbezeichnung wurde nicht angegeben, aber aufgrund der vorliegenden Informationen soll es sich um sowjetische Modelle handeln, demnach sind die Flugkörper mindestens dreißig Jahre alt. Sie haben eine Reichweite von mindestens 700 km und werden z. T. durch Laser ins Ziel gelenkt und sind daher sehr zielgenau. Bei mindestens einem der beiden Angriffe war eine ukrainische Spezialeinheit vor Ort, um den Angriff zu unterstützen. Vermutlich handelte es sich um eine Spezialeinheit zur Zielfeldbeleuchtung, die das Zielobjekt durch einen Laserstrahl markierte.

Nach dem ukrainischen Angriff sollen vom Fliegerhorst Engels über ein Dutzend Bomber zu einem Vergeltungsschlag gestartet sein. Russische Blogger forderten einen atomaren Vergeltungsschlag, dieser sei nach der geltenden russischen Nuklearstrategie gerechtfertigt. (6)

Auf 6. Dezember 2022 folgte ein ukrainischer Vergeltungsschlag gegen den russischen Flughafen bei Kursk. Dabei wurde ein Öltanklager getroffen.

Schlussfolgerungen

Zwar setzte die russische Luftwaffe die Bomber im Ukrainekrieg wiederholt als Trägerflugzeuge für Luftangriffe mit konventionellen Luft-Boden-Flugkörper ein, so dass ein ukrainischer Vergeltungsschlag gegen die Bomberbasen absehbar war, dennoch ist die ukrainische Attacke aus mehreren Gründen bemerkenswert:

1. Zum ersten Mal wurde eine Basis der russischen Atomstreitkräfte angegriffen. Dies hatte es bisher nie gegeben.

2. Der Angriff zeigte, dass die ukrainischen Spezialeinheiten tief im feindlichen Hinterland operieren können.

3. Der Angriff zeigte, dass die ukrainischen Luftstreitkräfte mit ihren Marschflugkörpern tief im feindlichen Hinterland operieren können.

4. Der Angriff zeigte, dass die russische Luftverteidigung nicht in der Lage war, die Marschflugkörper abzuschießen, obwohl z. B. der Fliegerhorst Engels durch das 511. Flugabwehrraketenregiment mit FlaRak S-300PS geschützt wird. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die ukrainischen Flugkörper aus sowjetischer Produktion stammen.

Vermutlich wird die russische Militärführung ihre Atombomber von den beiden angegriffenen Fliegerbasen zurückziehen, was sich „negativ“ auf die russischen Luftangriffe gegen die ukrainische Zivilbevölkerung auswirken wird.

Quellen:

(1) https://www.fr.de/politik/russland-ukraine-krieg-kiew-putin-drohnen-angriff-soldaten-tot-news-ticker-zr-91955285.html

(2) https://www.fr.de/politik/russland-ukraine-krieg-kiew-putin-drohnen-angriff-soldaten-tot-news-ticker-zr-91955285.html

(3) https://www.focus.de/politik/ausland/stimmen-zum-ukraine-krieg-video-zeigt-gepard-panzer-in-der-ukraine-im-einsatz-gegen-marschflugkoerper_id_57275780.html

(4) www.nytimes.com/live/2022/12705/world/russia-ukraine-war-news

(5) https://www.google.com/maps/@51.4236,46.26,2253m/data=!3m1!1e3

(6) https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-update-am-6-dezember-angriffe-auf-flugplaetze-versetzen-russische-militaerblogger-in-rage_id_72885571.html