Militärforschung
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BRD-Territorialverteidigung: Operationsplan Deutschland

28. Januar 2024

Gerhard Piper

In der deutschen Tagesspresse kursieren z. Zt. Meldungen, die Bundeswehr würde einen neuen Plan zur militärischen Verteidigung der Bundesrepublik im Kriegsfall entwickeln. Dies ist eine Falschmeldung. Beim „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU) handelt es sich nicht um den militärischen Operationsplan der NATO zur Verteidigung der Bundesrepublik, sondern „nur“ um den Einsatzplan für das deutsche Territorialheer und die zivilen Rettungsvereine.

Ende des Kalten Krieges

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 leitete das Ende des „Kalten Krieges“ ein. Ein Jahr später, am 21. November 1990, unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs von 34 Staaten auf einem Sondergipfel der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) die „Charta von Paris für ein neues Europa“. Damit wurde der „Kalte Krieg“ offiziell beendet und die Staatsform der „Demokratie“ als einzig legitime Regierungsform anerkannt, indem die Regierungen ihren Völkern die Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zusicherten:

„Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, dass sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker und die Kraft der Ideen der Schlussakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an.“

Die beiden Präsidenten der „Supermächte“, George Herbert Walker Bush und sein russischer Kompagnon Boris Nikolajewitsch Jelzin, versicherten sich bei ihrem Treffen in Camp David (USA) am 2. Februar 1992 noch einmal, dass der „Kalte Krieg“ tatsächlich zu Ende gegangen sei.

Sein Ende war charakterisiert durch drei Entwicklungen, die jede für sich ein historisches Ausmaß besaßen. Diese Entwicklungen liefen damals zeitgleich aber nicht gleichzeitig ab: die deutsche Wiedervereinigung, die Auflösung des Warschauer Paktes und der Zerfall der UdSSR. Da keiner der damaligen politischen Akteure für irgendeine dieser Entwicklungen einen Schubladenplan hatte, waren diese völlig überfordert und so liefen die Prozesse mehr oder weniger erratisch ab.

Der Warschauer Pakt löste sich am 1. Juli 1991 auf seiner Gipfelkonferenz in Prag auf. Die Sowjetunion zerfiel am 8. Dezember 1991 als die politischen Führer der damaligen Sowjetrepubliken Russland, Belarus und Ukraine mit den „Belowescher Vereinbarungen“ (Belovezhskiye soglasheniya) in Wiskuli feststellten, dass „die UdSSR als völkerrechtliches Subjekt sowie als geopolitische Realität (…) ihre Existenz beendet“ habe. Zugleich wurde der Vertrag zur Schaffung der UdSSR von 1922 außer Kraft gesetzt.

Demgegenüber breiteten sich die North Atlantic Treaty Organisation (NATO) und die Europäische Union (EU) nach Osteuropa aus, um die Staaten in Osteuropa politisch und ökonomisch zu stabilisieren. Zwar hatte der damalige US-Außenminister James Baker den Sowjets zugesagt, die NATO würde „no inch“ nach Osten vordringen, aber diese Ankündigung blieb ein bestenfalls loses Versprechen, wenn nicht gar eine grobe Täuschung. Mit ihrer Empörung über das Vordringen der NATO konnten sich die Sowjets darüber hinwegtrösten, dass all die „Bruderstaaten“, die sie 1945 in blutigen Kämpfen „befreit“ hatten, sich so schnell von ihrer angeblichen Schutzmacht freisagten.

Immerhin begann mit dem Ende des „Kalten Krieges“ eine Phase größerer Sicherheit, von der beide Seiten profitierten. Für die Bundesrepublik hieß dies ein exorbitanter Zuwachs an militärischer Sicherheit, zumal es der NATO während des „Kalten Krieges“ nie gelang, ein Verteidigungskonzept für die BRD zu entwickeln, das nicht mit der Vernichtung der Bevölkerung durch eigene oder feindliche Truppen geendet hätte. Als die BRD am 6. Mai 1955 der NATO beitrat, sah die Kriegsplanung der Allianz vor, dass die Abwehrschlachten gegen einen sowjetischen Angriff erst auf Höhe der Hauptverteidigungslinie Ijssel-Rhein aufgenommen werden sollten, so dass neunzig Prozent des deutschen Territoriums aufgegeben werden sollten. Ab 1963 verschob man die Hauptverteidigungslinie nach Osten auf die Linie Weser-Lech und 1969 wurde dann die sogenannte „Vorneverteidigung“ offiziell deklariert, die eine Verteidigung ab der deutsch-deutschen Grenze vorsah. Allerdings standen dafür in der Norddeutschen Tiefebene nicht die notwendigen NATO-Truppen in ausreichender Stärke zur Verfügung. Die konventionelle Kriegsphase sollte ungefähr eine Woche dauern, danach hätte man Atomwaffen eingesetzt.

So erklärte ein Oberst der Bundeswehr, der Ende der siebziger Jahre bei der NATO eingesetzt war: „Fünfmal habe ich ein Planspiel mitgemacht. Fünfmal wurde die Bundesrepublik verteidigt, und fünfmal wurde sie zerstört.“ (1) Und Brigadegeneral Albert Schnez hatte die NATO-Kriegspläne zur Nuklearkriegsplanung im August 1960 als „ein Golgatha des deutschen Volkes“ eingestuft. (2) Sobald die Schwelle zum Atomwaffeneinsatz überschritten wird, so 1962 der damalige Abteilungsleiter Operations and Intelligence im NATO-Hauptquartier Generalmajor Wolf Graf von Baudissin, „kommt der Augenblick, wo jede Kriegführung aufhört, von da an herrscht Friedhofsruhe“. (3)

Mit dem Ende des „Kalten Krieges“ waren diese apokalyptischen Perspektiven passé. Entsprechend wurde die Personalstärke der Bundeswehr von einem Höchststand im Jahr 1987 in Höhe von 495.000 Soldaten auf rund 180.000 Soldaten reduziert, obwohl der Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 12. September 1990 noch eine Truppenstärke im Umfang von 360.000 Mann erlaubte. So wurde aus der Bundeswehr eine Horde aus Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst. Die Zahl der deutschen Kampfpanzer sank von 5.000 Stück auf 300 Exemplare, das Atomwaffenarsenal in der BRD wurde von ca. 5.500 Exemplaren auf 10 bis 20 Wasserstoffbomben B61 reduziert, das Chemiewaffenarsenal wurde vollständig beseitigt. Zur Zeit reicht der konventionelle Munitionsvorrat der Bundeswehr für zwei Tage Piffpaffpuff.

Für die NATO selbst hatte das Ende des „Kalten Krieges“ weitreichende Folgen, da dieses Militärbündnis nur bedingt als System kollektiver Sicherheit taugt. Zwar erfüllte sich die Forderung nach ihrer Selbstauflösung nicht, immerhin geriet das Bündnis in eine tiefe Legitimationskrise. Gegen wen sollte sich die Allianz noch verteidigen, da sie nur von „Freunden“ umgeben war?

Zur Verteidigung gegen die Sowjetunion als potentiellen Aggressor hatte die NATO dreißig Jahre lang Verteidigungspläne entwickelt. Zunächst die „Emergency Defense Plans“ (EDP) und ab Ende der sechziger Jahre die „General Defense Plans“ (GDP). Dabei gab es nicht nur einen GDP für das gesamte NATO-Gebiet, sondern hunderte sich ergänzende Planungen, das für jede Armeegruppe, jedes Korps, jede Division und Brigade ein eigener Plan entwickelt und alle zwei bis drei Jahre aktualisiert werden musste. Außerdem wurden die GDPs ergänzt durch den europäischen „Nuclear Operations Plan“ (NOP) und den strategischen „Single Integrated Operations Plan“ (SIOP). Der letzte GDP-Plan des „Kalten Krieges“ (vermutlich „GDP 1/87“ oder Nachfolgeplan), wurde vom damaligen NATO-Oberbefehlshaber, US-General John Rogers Galvin, am 1. Oktober 1990 außer Kraft gesetzt.

Seit dem 1. Juli 2022 amtiert US-General Christopher G. Cavoli als NATO-Befehlshaber in Europa (Supreme Allied Commander Europe – SACEUR). Sein Hauptquartier ist das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) in Casteau (Belgien). (4)

Für die Ausarbeitung der konventionellen Kriegspläne des SACEUR ist die SHAPE-Operationsabteilung zuständig. Seit Juni 2022 amtiert der US-Generalmajor Matthew J. Van Wangenen als „Deputy Chief of Staff, Operations (J2/J3/J36)“ (DCOS OPS). Das SHAPE Operation Centre (SHOC oder SOC) mit seiner Operations Division (OPS DIV) und der Emergency Action Unit (EAU) befindet/befand sich im Gebäude H. im nördlichen Innenhof des Hauptgebäude 101 der „SHAPE Restricted Area“. Zu diesem Hochsicherheitsbereich hat nur ein kleiner Teil der Stabs-Mitarbeiter Zugang. Im Gegensatz zur NATO-Zentrale in Brüssel, wo sich zeitweise gleich ein halbes Dutzend Stasi-Spione rumtrieben, gilt das militärische Hauptquartier in Casteau als relativ sicher.

Allerdings beschränkte sich die Tätigkeit der Operationsabteilung – soweit bekannt - in den letzten dreißig Jahren darauf, Operationspläne für die „out-of-area“-Einsätze in ex-Jugoslawien, Afghanistan, etc. zu entwickeln. Für mehr als dreißig Jahre blieb die NATO ein Verteidigungsbündnis ohne eigenen, konventionellen Verteidigungsplan.

Außerdem ist die Operations and Planning Division (O&P) des International Military Staff (IMS) in der NATO-Zentrale in Brüssel an der Ausarbeitung der Kriegspläne beteiligt. Auf der Webseite der NATO werden ihre Funktionen heutzutage wie folgt beschrieben:

„The Operations and Planning (O&P) Division closely monitors NATO operations, manages all Advance Plans, follows exercises and training, and provides advice on all related ongoing and unfolding military operations. It also follows the implementation of decisions taken by the MC with regard to NATO operations. The Division’s core activities are: NATO and NATO-led current and unfolding military operations; advance plans and crisis management procedures / arrangements; NATO Education, Training, Exercises and Evaluation (ETEE) events and/or systems; NATO military responsibilities in the fields of Hybrid Warfare, Maritime Warfare, Air Defence, Ballistic Missile Defence, Air Traffic Management, Electronic Warfare, Information Operations as well as Meteorological and Oceanographic (METOC) services.“ (5)

Anders als die konventionelle Kriegsplanung wurden die Atomkriegspläne in den letzten Jahrzehnten fortlaufend modernisiert und aktualisiert. Die Atomkriegsplanung des NATO-Befehlshabers SACEUR obliegt der „Nuclear Concepts and Nuclear Policy Sections“ der „Special Weapons Branch“ der „Policy Division“ des Stabs von SHAPE. Durch die erhebliche Reduzierung des US-Atomwaffenarsenals in Europa waren hier Anpassungen nötig.

Für die strategische Atomkriegsplan des US-Strategic Command (STRATCOM) ist allein das „US Joint Functional Component Command for Global Strike“ (JFCC-GS) auf der Offutt AFB in Omaha (USA) zuständig. Dieser Stab ist ausschließlich mit 430 amerikanischen Offizieren besetzt. Allerdings unterhält die NATO ein Verbindungsbüro, das zumindest früher als „SAC Zulu“ (SAC Z) bezeichnet wurde. Es dient(e) der Angleichung des NOP der NATO mit dem SIOP/OPLAN des SAC bzw. STRATCOM, um Überschneidungen bei der atomaren Zielplanung zu vermeiden. Die Atomkriegsplaner sprechen diesbezüglich von der „deconfliction“. Seit 1963 sind auch Offiziere der Bundeswehr daran beteiligt.

Die Atomkriegspläne des STRATCOM werden i. d. R. jedes Jahr im Oktober überarbeitet und aktualisiert. Die letzte bekanntgewordene Version heißt „OPLAN 8010-17“ und stammt aus dem Jahr 2017.

Neue NATO-Planungen

Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 bedeutete das Ende vom „Ende des Kalten Krieges“ und leitete somit eine Zeitenwende in der europäischen Sicherheitspolitik ein. Die jahrelange Appeasementpolitik der NATO-Staaten gegenüber Russland trotz dessen Aggressionen in der Ukraine, Tschetschenien, Abchasien, Süd-Ossetien, Georgien, Berg-Karabach, etc. endete – erwartungsgemäß – mit ihrem völligen Bankrott. Jahrelang hatten die betroffenen Völker unter der russischen Aggression zu leiden, ohne dass dies die NATO politisch mobilisiert hätte. Erst mit der zweiten russischen Aggression gegen die Ukraine zeitigte dieser Überfall erstmals auch spürbare Folgen für die verwöhnte Bevölkerung in den korrupten NATO-Staaten: Inflation, Rezession, Energiekrise, Migrationsströme und Kriegsangst. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte dies in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 zurecht die „Zeitenwende“, allerdings blieb unbekannt, ob er selbst deren Dimension vollumfänglich verstand.

Auf die veränderte Lage reagierte die NATO auf verschiedene Weise: Beim NATO-Gipfel in Madrid (28. bis 30. Juni 2022) wurde ein neues „Strategisches Konzept“ verabschiedet, außerdem beschloss man Aufrüstungsmaßnahmen und Änderungen der Streitkräftestruktur mit entsprechenden Truppenverlegungen. Gegenüber der versöhnlicheren Tendenz früherer Gipfelerklärungen wird in dem neuen „Strategischen Konzept“ klar festgestellt:

„Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat den Frieden zunichtegemacht und unser Sicherheitsumfeld schwerwiegend verändert. Ihr brutaler und rechtswidriger Einmarsch, ihre wiederholten Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und ihre abscheulichen Angriffe und Gräueltaten haben unsägliches Leid und entsetzliche Verwüstung verursacht. Eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich. In dem Verhalten Moskaus zeigt sich ein Muster aggressiven Vorgehens Russlands gegen seine Nachbarn und die breitere transatlantische Gemeinschaft. Wir stehen darüber hinaus der anhaltenden Bedrohung des Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen und Ausprägungen gegenüber. Tiefgreifende Instabilität, wachsender strategischer Wettbewerb und fortschreitender Autoritarismus stellen die Interessen und Werte des Bündnisses infrage. (…)

Die NATO wird drei Kernaufgaben – Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und -bewältigung sowie kooperative Sicherheit – weiter erfüllen. Diese ergänzen sich gegenseitig, um so die kollektive Verteidigung und Sicherheit aller Verbündeten zu gewährleisten. (…)

Die Russische Föderation ist die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum. Sie versucht, über Zwang, Subversion, Aggression und Annexion Einflussbereiche zu schaffen und unmittelbare Kontrolle zu erlangen. Sie setzt konventionelle, Cyber- und hybride Mittel gegen uns und unsere Partner ein. Ihr Zwang ausübendes militärisches Dispositiv, ihre Rhetorik und ihre erwiesene Bereitschaft, Gewalt zur Verfolgung politischer Ziele einzusetzen, untergraben die regelbasierte internationale Ordnung. Die Russische Föderation modernisiert ihre nuklearen Kräfte und baut ihre neuartigen und disruptiven doppeleinsatzfähigen Trägersysteme aus, während sie gleichzeitig nukleare Maßnahmen andeutet, um Zwang auszuüben. Sie will Länder östlich und südlich von uns destabilisieren. Im Hohen Norden stellt ihre Fähigkeit, die Verstärkung von Verbündeten und die Freiheit der Schifffahrt im Nordatlantik zu stören, eine strategische Herausforderung für das Bündnis dar. Der militärische Kräfteaufwuchs Moskaus, auch im Ostsee-, Schwarzmeer- und Mittelmeerraum, in Verbindung mit dessen militärischer Integration mit Belarus stellt unsere Sicherheit und Interessen infrage.

Die NATO sucht keine Konfrontation und stellt für die Russische Föderation keine Bedrohung dar. Wir werden weiterhin geschlossen und verantwortungsvoll auf Bedrohungen und feindliche Handlungen Russlands reagieren. Wir werden Abschreckung und Verteidigung für alle Verbündeten deutlich stärken, unsere Resilienz gegenüber russischen Zwangsmaßnahmen erhöhen und unsere Partner dabei unterstützen, böswillige Einmischung und Aggression abzuwehren. Angesichts ihrer feindseligen Politik und Handlungen können wir die Russische Föderation nicht als unseren Partner betrachten.“ (6)

Die aktuelle Bedrohungslage schätzte Verteidigungsminister Boris Pistorius am 26. Januar 2024 in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung so ein:

„Aktuell sehe ich keine Gefahr für einen Angriff Russlands auf das NATO-Gebiet oder einen NATO-Partner. Das ist aber eine Momentaufnahme. Keiner weiß, wie und ob das hält. (…) Ich weiß von Drohungen von Putin nichts. Sie würden mich auch nicht sonderlich erschrecken, ehrlich gesagt, weil er dauernd droht.“ (7)

Am selben Tag zitierte ihn der „Spiegel“ mit den Worten: „Die Bedrohungslage verschärft sich.“ (8)

Im Abnutzungskrieg gegen die Ukraine hat der russische Potentat Wladimir Putin seine Soldaten verheizt und die Militärausrüstung „heiß abgerüstet“, so dass er in den kommenden Jahren seine Armee erst neu aufbauen müsste, um wieder handlungsfähig sein zu können. Allerdings darf man dabei nicht den Ausbau des russischen Atomarsenals durch neue Mittelstreckensysteme übersehen. So hat der Marschflugkörper 9M729 Iskander-K (NATO-Code: SS-C-8 SCREWDRIVER) eine Reichweite von 480 km (offizielle russische Angabe) bis 1.500 km (NATO-Schätzung) und kann – wie die Basisversion 9K720 - möglicherweise auch atomar bestückt werden. (9) Selbst wenn die Abwehrraketen MIM-104F Patriot PAC-3 (MSE) ab 2025 durch deutsche IRIS-T SLM und das israelische Raketenabwehrsystem Arrow-3 (Iron Dome) ergänzt werden, lassen sich damit nicht alle Raketenangriffe abwehren. Droht hier eine NATO-Nachrüstung 2.0?

Deutsches Territorialkommando

Am 1. Oktober 2022 stellte die Bundeswehr ein neues Kommando zur Heimatverteidigung auf, das sogenannte „Territoriale Führungskommando“ (TerrFüKdoBw, seltener TFK) mit Sitz in Berlin. Kommandeur des TerrFüKdoBw ist seit dem 1. April 2023 Generalleutnant André Bodemann, der in Personalunion zugleich als „Nationaler Territorialer Befehlshaber“ agiert. Im Laufe seiner militärischen Karriere bekleidete er verschiedene Dienstposten bei Zentralen Militärischen Dienststellen und Stäben, so diente er 2011/12 beim Joint Force Command der NATO in Brunssum (Niederlande). Sein letztes Feldkommando war die Panzerbrigade 12 in Amberg (2014-2016), außerdem sammelte er im Kosovo (2003) und in Afghanistan (2016/17) Kriegserfahrungen. Stellvertretender Kommandeur ist Generalmajor Andreas Henne, als Stabschef fungiert Brigadegeneral Tilo Maedler. Das Hauptquartier des Kommandos befindet sich in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin-Wedding (Kurt Schuhmacher-Damm 41). Hier betreibt das Kommando rund-um-die-Uhr seine Operationszentrale (OPZ). In der Kaserne ist auch das Wachbataillon der Bundeswehr stationiert. In Kriegszeiten soll die Bundesregierung – mangels Bunkern – in die Kaserne verlegt werden.

Zu den Aufgaben des Territorialkommandos gehören laut „Wikipedia“:     
-
Die Operative Führung nationaler Kräfte im Rahmen des Heimatschutzes, einschließlich der Amts- und Katastrophenhilfe sowie der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit   
- Sicherstellung der nationalen Führungsfähigkeit  
- Bündelung dieser Aufgaben mit kurzen Wegen zur Bundesregierung, den Ländern und anderen relevanten Akteuren        
- Bereitstellung von Kräften, um in besonderen Situationen schnell den Aufbau eines nationalen Krisenstabes für die Bundesregierung sicherzustellen     
- 365 Tage im Jahr rund um die Uhr operativ führungsfähig (Kommandozentrale)           
- Nationale Verlegungen gemäß der Planung der NATO im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung sowie Host Nation Support. (10)

Das Territoriale Führungskommando gliedert sich in 16 Landeskommandos, die auf die 16 Bundesländer verteilt sind und als militärische Ansprechpartner für die Landesregierungen dienen. Es umfasst 23 Dienststellen wie das Multinationale Kommando Operative Führung (MN KdoOpFü) in Ulm (Wilhelmsburg-Kaserne, Stuttgarter Str. 199), das Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm (ebenfalls Wilhelmsburg-Kaserne) und das Multinational Civil-Military Cooperation Command (MN CIMIC Cmd) in Nienburg-Langendamm (Clausewitz-Kaserne, Am Rehhagen 10). Es gliedert sich in das Wachbataillon (Berlin), Feldjäger, Heimatschutzkräfte, ABC-Abwehrkräfte und Versorgungseinheiten.

Die früheren Heimatschutzregimenter wurden zwecks Verkleinerung der Bundeswehr im Rahmen der Heeresstruktur IV Anfang der neunziger Jahre aufgelöst. Diese relativ leicht bewaffneten Infanterieeinheiten sollen nun wieder aufgestellt werden. So sollen bis 2027 sechs Heimatschutzregimenter (HSchRgt) mit 42 Heimatschutzkompanien (HSchKp) in einer Gesamtstärke von 6.000 Mann aufgebaut werden. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Verbände:

- Heimatschutzregiment 1 ist in München (Dachauerstraße 128) oder Roth disloziert. Es umfasst insgesamt 700 Soldaten, die auf eine Stabs-, sechs bis sieben Heimatschutzkompanien und eine Unterstützungskompanie (UstgKp) verteilt werden. Seine Kompanien sind in Bogen, Dillingen, Kümmersbruck, Murnau, Nürnberg, Roth, Volkach und Wildflecken (UstgKp) disloziert. Das Heimatschutzregiment 1 wurde ab 2021 aufgebaut.

- Heimatschutzregiment 2 ist im westfälischen Münster-Handorf (Lützow-Kaserne, Manfred-von-Richthofen-Str. 8 ) stationiert. Seine drei Heimatschutzkompanien sind auf folgende Standorte verteilt: Ahlen (Westfalen-Kaserne), Düsseldorf und Unna.

- Heimatschutzregiment 3 wurde am 10. Oktober 2023 in Nienburg an der Weser (Clausewitz-Kaserne) in Dienst gestellt. Drei seiner Kompanien befinden sich ebenfalls in Nienburg, weitere Kompanien sind in Hannover, Holzminden, Lüneburg und Wittmund disloziert.

- Am 1. Oktober 2024 folgt das Heimatschutzregiment 4 in Alt-Duvenstedt in Schleswig-Holstein. Ihm werden vier Kompanien unterstellt: Eutin (Schleswig-Holstein), Hamburg, Husum (Schleswig-Holstein) und Parow (Mecklenburg-Vorpommern).

- Am 1. Oktober 2024 folgt ebenfalls das Heimatschutzregiment 5 in Wiesbaden (Moltkering 9). Dieses Regiment wird zehn Kompanien umfassen. Die Stabs-, Versorgungs- und Unterstützungskompanien werden zunächst in Ohrdruf (Thüringen) untergebracht, da in Hessen bisher keine geeignete Liegenschaft bereitsteht.

- Zuletzt soll im kommenden Jahr das Heimatschutzregiment 6 in Berlin aufgestellt werden. (11)

Zur Ausstattung des Territorialheeres gehören Einsatzfahrzeuge vom Typ Mungo und Spürpanzer Fuchs.

Operationsplan Deutschland

Die Bundeswehr begann im März 2023 mit der Entwicklung eines neuen Operationsplans zur Territorialverteidigung. Der sogenannte „Operationsplan Deutschland“ ist ein Konvolut aus mehreren hundert Seiten. Ein erster Entwurf soll bis März 2024 fertiggestellt sein und wird dann fortlaufend fortgeschrieben. Der Plan selbst wurde unter Leitung von Kapitän zur See Frank Fähnrich, Leiter der Stabsabteilung Joint 5 Operationen und Weiterentwicklung (J 5) ausgearbeitet. Er erklärte: „Es wird auch künftig immer wieder Anpassungsbedarfe geben, weil sich Rahmenbedingungen oder auch Bedrohungsszenarien ändern, Änderungen, auf die es zu reagieren gilt.“ (12)

Der Plan dient einerseits der Unterstützung der nationalen Verteidigungsanstrengungen, andererseits regelt er Leistungen, die die Bundesrepublik gemäß ihren Bündnisverpflichtungen gegenüber der NATO zu erfüllen hat. In seinen bekanntgewordenen Grundzügen folgt der Plan der gängigen Bedrohungsperzeption der Szenarien hybrider Kriegsführung; hingegen unterliegt die Detailplanung strenger Geheimhaltung. So müssen die zahllosen Truppenbewegungen festgelegt und aufeinander abgestimmt werden und die entsprechenden Marschkredite ausgestellt werden: Wer darf wann auf welchen Wegen von West nach Ost vormarschieren. Diesbezüglich muss der „Operationsplan Deutschland“ mit den aktuellen Operationsplänen des SHAPE abgeglichen werden.

Die Bundeswehrplanung geht von folgenden Bedrohungsszenarien aus:

1. Feindliche Desinformationskampagnen, um den Kriegswillen der Gegenseite zu manipulieren. Adressat der Propagandakampagne ist mal die Bundesregierung in Berlin, mal die deutsche Bevölkerung.

2. Angriffe im Cyber- und Informationsraum (CIR), die zukünftig noch durch den Einsatz „künstlicher Intelligenz“ ausgeweitet werden. Angesichts der bekannten Defizite im IT-Bereich ist dies eine enorme Herausforderung.

Oberst Andreas Schreiber, Abteilungsleiter im Führungskommando für militärisches Nachrichtenwesen und Sicherheit meinte dazu:

„Diese Dinge werden in Zukunft viel, viel besser werden. Sie werden viel, viel schneller werden und sie werden mit einer Kadenz auf uns einprasseln, dass uns noch Hören und Sehen vergehen wird.“ Dies habe „das Potenzial, um einen Staat in die Knie zu zwingen, ohne überhaupt nur über den Einsatz eines einzigen bewaffneten Soldaten oder Panzers nachdenken zu müssen, es gleichzeitig aber jederzeit zu können“. (13)

3. Verstärkung der gegnerischen Aufklärungsanstrengungen in Friedenszeiten.

4. Angriffe auf die Kritische Infrastruktur (KRITIS), dazu gehören u. a. Straßen, Brücken, Häfen, Unternehmen zur Energieversorgung (Öl, Gas, Benzin, Strom). Sie könnten durch feindliche Sabotagekommandos angegriffen werden, um die Truppenverlegungen und die Logistik der NATO zu stören. Nicht zuletzt gehören zur Kritischen Infrastruktur auch die Kommunikations- und Aufklärungssatelliten im Weltraum. Als Angreifer kommen die russischen Spetsnaz oder Partisanen, wie z. B. eine mögliche Nachfolgeorganisation für die „Gruppe Ralf Forster“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, in Frage. Dazu berichtete Dr. Hubertus Knabe, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen:

„Ehemalige westdeutsche Kommunisten berichteten zu Beginn des Jahres 1990, daß die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in der Bundesrepublik (und vermutlich auch die Sozialistische Einheitspartei Westberlin [SEW] daselbst, G. P.) eine geheime Militärorganisation (MO) mit mehreren hundert Mitgliedern unterhalten habe, die im Krisenfällen als „Partisanenarmee“ Sabotageakte verüben sollte – augenscheinlich die vom MfS erwähnten „patriotischen Kräfte“. Diese Kämpfer seien in der DDR von Spezialeinheiten des MfS und der NVA in mehrwöchigen Kursen für einen Untergrundeinsatz ausgebildet worden, darunter ein Postbeamter, gegen dessen Entlassung aus dem Staatsdienst in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik etliche „Komitees gegen Berufsverbote“ gekämpft hatten. Wie der Spiegel 1990 berichtete, seien die Angehörigen dieser konspirativen Organisation für die „Befreiung festgesetzter Genossen“, für „Sabotageakte gegen Züge und Fernmeldeeinrichtungen“ sowie für „Anschläge auf ausgesuchte Personen“ vorgesehen gewesen. (…)

In den ersten fünf Jahren fand die Ausbildung der Militärorganisation in Ungarn und Polen statt. Mitte der siebziger Jahre wurde die Ausbildungsarbeit auf das Gebiet der DDR verlagert. Die Leitung der Militärorganisation war in einer Villa in Berlin-Grünau untergebracht. Die westdeutschen Teilnehmer an den Lehrgängen wurden militärisch ausgebildet und in Fragen der Konspiration geschult. Die Mitglieder der Militärorganisation waren in Gruppen eingeteilt, die sich zum Üben konspirativ in der Bundesrepublik treffen konnten.“ (14)

Zu den Aufgaben der Heimatschutzkräfte gehört traditionell die Unterstützung befreundeter ausländischer Truppenverbände im Rahmen des Wartime Host Nations Support (WHNS). In Ergänzung zum NATO-Truppenstatut waren entsprechende Abkommen mit den USA (15. April 1982) und dem Vereinigten Königreich (13. Dezember 1983) abgeschlossen worden. Allerdings wurde die frühere „British Army of the Rhine“ (BAOR) bis zum Jahr 2020 fast vollständig ins Vereinigte Königreich zurückverlegt, so dass heutzutage ihre Verbände (1st ArmDiv, 3rd ArmDiv und 2nd InfDiv) erst über den Ärmelkanal herangeführt werden müssten. Hinzu kommt die Unterstützung für bilaterale Verbände wie das deutsch-niederländische Korps in Münster oder die deutsch-französische Brigade in Müllheim. Dabei geht es um Transportbegleitung, Versorgung mit Treibstoff und Verpflegung, Organisation von Rasträumen (Convoy Support Center - CSC), Wach- und Sicherungsaufgaben durch die Soldaten und Reservisten des TerrFüKdoBw. Auch hier ist eine Abstimmung mit den Operationsplänen des SHAPE notwendig.

Außerdem koordiniert das TerrFüKdoBw zur Zeit die Waffen-, Munitions- und Materiallieferungen an die Ukraine und die Ausbildung ukrainischer Soldaten in der BRD im Rahmen der European Union Military Assistance Mission Ukraine (EUMAMUA). Hinzu kommen spezielle Aufgaben, die das TerrFüKdoBw von Zeit zu Zeit übernimmt. So half das Kommando 2020 bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Zuletzt unterstützte das Kommando Ende 2023 die Rettungskräfte bei der Bewältigung der Flugkatastrophe in Niedersachsen und anderen Bundesländern.

Aufgrund der Ost-Verschiebung der militärgeografischen Gegebenheiten rechnet man heute nicht mehr mit einem Vorstoß einer russischen Panzerarmee durch die norddeutsche Tiefebene. An klassischen militärischen Angriffen seien Luftlandeunternehmen gegnerischer Fallschirmeinheiten im eigenen Hinterland zur Durchführung von Sonderunternehmen oder amphibische Anlandungen zur Bildung eines Brückenkopfes an der Küste weiterhin möglich. Allerdings gibt es ein prinzipielles Problem: Angesichts der modernen „hybriden Kriegführung“ ist eine klare Unterscheidung zwischen „Krieg“ und „Spannungsfall“ und „Frieden“ nicht immer möglich. Die bisher als unumstößlich geglaubten Regelungen greifen nicht mehr.

Immerhin: Während des „Kalten Krieges“ war die BRD der Frontstaat und das Hauptgefechtsfeld in Mitteleuropa. Heute ist die BRD nurmehr „rear area“ im Hinterland der NATO. Dementsprechend gehen die Planer davon aus, dass ein Großteil des Feldheeres zur direkten Landesverteidigung gar nicht zur Verfügung stehen wird, sondern im Vorfeld an der Ostgrenze des Bündnisses zur Abwehr eines Angriffes auf die Territorien der Bündnispartner im Baltikum und/oder eingesetzt werden wird. Auf deutschem Territorium käme vielmehr das Territorialheer zum Einsatz, dass in Friedenszeiten vor allem aus gekaderten Geräteeinheiten besteht.

Dem Einsatz der Territorialverteidigungskräfte im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LVBV) liegt das Konzept der gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Gesamtverteidigung zugrunde. Demnach ist die „Verteidigung“ nicht nur auf die militärische Verteidigung im engeren Sinne beschränkt, sondern umfasst darüber hinaus auch die Zivilverteidigung. Militärische und zivile Verteidigung ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. Die Militärs sprechen hier von der Civil-Military-Cooperation (CIMIC). Bessere Vernetzung soll hier Synergieeffekte frei machen, ein altes Versprechen, das schon früher nicht gestimmt hat.

Im Bereich der CIMIC ist die Bundeswehr auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit den 16 Bundesländern angewiesen. Während die Zivilverteidigung in Kriegszeiten Aufgabe des Bundes ist, sind für den Katastrophenschutz in Kriegs- und Friedenszeiten gemäß der föderalen Struktur der BRD die Bundesländer zuständig.

Träger der Zivilverteidigung sind die sogenannten „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS). Dazu gehören das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn-Lengsdorf, die Bundespolizei, die Länderpolizeien, die Feuerwehren, das Technische Hilfswerk (THW), sowie die verschiedenen Rettungsorganisationen (u. a. Deutsches Rotes Kreuz [DRK], Arbeiter-Samariter-Bund [ASB], Malteser Hilfsdienst [MHD] und Deutsche Lebensrettungsgesellschaft [DLRG]). Darüber hinaus sieht die Bundeswehrplanung vor, dass im Rahmen der Notstandsverordnungen zivile Unternehmen (Bau-, Transport- und Logistikfirmen, etc.) mit ihrem Personal und ihrer Technik in die Landesverteidigung eingeplant werden. Dazu will die Bundesmehr mit den Firmenleitungen entsprechende Vorhalteverträge abschließen.

Allerdings kranken sowohl der Katastrophen- als auch der Zivilschutz an einem Mangel an Personal, an dessen qualifizierter Ausbildung und an der Überalterung der technischen Gerätschaften. Während es in Zeiten des „Kalten Krieges“ noch für drei Prozent der Bevölkerung öffentliche Atomschutzbunker gab, sind in der BRD heutzutage nur noch 579 öffentliche Schutzräume mit insgesamt 477.000 Plätzen (= 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) vorhanden, vorausgesetzt, diese sind noch funktionsfähig. Der Präsident des BBK, Ralph Tiesler, machte deutlich, dass sich jeder um sein eigenes Überleben selbst kümmern soll: „Schutzräume in der verbleibenden Zeit zu bauen, ist nicht mehr machbar und auch nicht zielführend.“ (15) Nicht zuletzt zeigte die Handhabung der Flugkatastrophe vom 14. Juli 2021 im Ahrtal mit 134 Toten, dass den Landes- und Kommunalpolitikern von CDU, SPD und Grüne das Schicksal der „einfachen Leute“ „am Arsch“ vorbeigeht. (16)

Maßnahmen der Zivilverteidigung und des Katastrophenschutzes werden im Rahmen der zivilen „Länder- und Ressortübergreifenden Krisenmanagementübung“ (LÜKEX) seit November 2004 i. d. R. alle zwei Jahre erprobt. Militärisches Gegenstück zu LÜKEX ist die NATO-Übungsserie JOINT COOPERATION, die 2009 initiiert wurde.

Generalleutnant Bodemann verkündete am 25. Januar, was bzgl. praktischer Operationsplanung sowieso selbstverständlich sein sollte: „Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführbar ist, also nicht ein Hirngespinst, ein Gedankenkonzept, sondern tatsächlich etwas Handfestes, was am Ende auch funktionieren kann.“ (17)

Experten bezweifeln, dass ein Planungszeitraum von einem Jahr hinreichend ist, um bis März 2024 einen substantiellen Operationsplan aufzustellen. So erklärte Oberst d. Res. Burkhard Meißner vom „German Institute for Defence and Strategic Studies“ (GIDS) in Hamburg: „Ich halte es für völlig unrealistisch, bis März so einen Plan in endgültiger Form haben zu wollen. (…) Die Mentalität der Bundeswehr macht mir am meisten Sorgen. Polemisch gesagt ist die Bundeswehr gerade keine Armee, sondern eine Selbstverwaltungseinheit. Dass lässt sich nicht so schnell beheben.“ (18) Anscheinend funktionieren in Deutschland nicht einmal mehr die Notfallpläne.

Symposium

Die ersten Meldungen zum laufenden Planungsvorhaben wurden im November 2023 an die Presse lanciert. Seit dem 24. Januar 2024 nutzte die Bundeswehr das Symposium „Deutschland Gemeinsam Verteidigen“ in Berlin, um die neue Planung erstmals in groben Zügen der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen. An der Veranstaltung nahmen 300 Personen teil. Zum Podium gehörten die Ministerialdirektorin Dr. Jessica Däbritz, seit Februar 2002 Leiterin der Abteilung KM (Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz) im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), (19) Armin Schuster (CDU, Innenminister von Sachsen), der Politologe Prof. Dr. Carlo Masala von der Bundeswehruniversität in Neubiberg bei München und Rudolf Römer vom Deutschen Feuerwehrverband (DFV). Zur fragilen Rechtslage meinte Masala: „Das Grundgesetz kennt Frieden, Spannung und Verteidigung. Das Grundgesetz kennt nicht Hybrid.“ Schuster ergänzte zum aktuellen Bedrohungsszenario: „Ich verstehe unter Hybrid die Dreifaltigkeit eines geplanten Angriffs: Desinformationskampagne, parallel kapitale Cyberangriffe und dazu parallel analoge Terroranschläge.“ Er beklagte, dass für die militärische Verteidigung Unsummen ausgegeben werden, während für den Zivilschutz kaum etwas übrigbleibt. Dazu berichtete die Bundeswehr auf ihrer Webseite:

„Ein Diskussionsschwerpunkt lag bei hybriden Bedrohungen. Als solche werden verschiedene Formen der Einflussnahme durch fremde Staaten bezeichnet: Desinformationskampagnen, Cyberangriffe auf Behörden und Unternehmen, Spionage, der Diebstahl von geistigem Eigentum, versuchte Einflussnahmen auf Wirtschaft, Politik und Wahlen sowie die Sabotage kritischer Infrastrukturen. Nahezu alle Teilnehmenden waren sich einig, dass Deutschland schon jetzt – in Friedenszeiten – massiv von derartigen Aktionen betroffen ist.

Besondere Herausforderung sei es, die einzelnen Angriffe an unterschiedlichen Orten gegebenenfalls als zusammenhängende Aktion zu begreifen und mögliche Verursacher zu identifizieren. Denn hybriden Bedrohungen könne wirksam nur gemeinsam begegnet werden – gegebenenfalls bereits vor Eintritt eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls. In Institutionen und Unternehmen, aber auch in der Gesellschaft gelte es, ein Verständnis für derartige Bedrohungen zu entwickeln und die eigene Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, zu stärken.“ (20)

Und an anderer Stelle:

„Das dreitägige Treffen stellte den Beginn einer konkreten inhaltlichen Abstimmung auf der Ebene der Bundesländer in Bezug auf lagebild- und führungsfähigkeitsbezogene Parameter, die gegenseitige Leistungserbringung sowie hinsichtlich der Schutzbedarfe lebens- und verteidigungswichtiger Strukturen dar.“ (21)

Kosten

Mit den Veröffentlichungen zum „Operationsplan Deutschland“ eröffnet die Bundeswehr eine Debatte über die Wehrlasten und ihre Verteilung. Die Bundeswehr wurde in den letzten vierzig Jahren unter den christlich-demokratischen Bundeskanzlern Helmut Josef Michael Kohl und Angela Dorothea Merkel und ihren schwachsinnigen Verteidigungsministern kaputtgespart. Gleichzeitig wurden Milliarden für rammdösige Auslandseinsätze verplempert, weil die versnobte Generalität in den Auslandseinsätzen die Möglichkeit sah, die Bundeswehr aus dem Gammeldienst in Kasernen heraus zu holen und zu einer einsatzbereiten Truppe zu verwandeln. Das Gegenteil war der Fall. Nun fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), man müsse die Bundeswehr wieder „kriegstüchtig“ machen. Andererseits behauptete er: „Wir sind verteidigungsfähig. Aber natürlich haben wir zu wenig von allem!“

Angesichts dieser widersprüchlichen, aber offenen Worte hat sich so mancher pro-russische Sozialdemokrat oder kommunistische Linke echauffiert, als wäre es eine Alternative, die Bundeswehr „bedingt abwehrbereit“ zu lassen. So mag der „Operationsplan Deutschland“ der Bundeswehr seine Schwächen, Tücken und Belastungen haben, aber er ist allemal besser als der jeweilige „Operationsplan Deutschland“ der „Partei die Linke“, des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“, der „Alternative für Deutschland“ oder der „Reichsbürger“. Auf die „Friedensbewegung“ sollte sich niemand verlassen, durch den Einfluss der pro-russischen Linke ist die Bewegung mittlerweile zu sehr desavouiert. Dies ist nicht die Schuld der Linken, sondern der kirchlichen Kreise und der Unorganisierten, die diese Korrumpierung naiv jahrelang zugelassen haben.

In den kommenden Jahren beträgt der Finanzbedarf, um die Bundeswehr einsatzbereit zu machen, mehrere hundert Milliarden Euro. Angesichts der klammen Staatskasse, dem Niedergang der deutschen Infrastruktur, dem steigenden Sozialbedarf, dem Kostendruck im Gesundheitswesen, den unabwendbaren Aufwendungen zum Klimaschutz und der notwendigen Ukrainehilfe ist noch völlig unklar, woher das Geld kommen soll. Spätestens ab 2028 klafft eine riesige Finanzlücke im Bundeshaushalt, die auch durch irgendwelche Buchungstricks nicht mehr kaschiert werden kann. Dies gilt umso mehr, als für das BBK und das THW Finanzkürzungen angekündigt sind. Auch innerhalb der NATO ist die Frage der Lastenteilung ein Dauerproblem, zumal verschiedene Mitgliedsstaaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. Dabei stellt Bundesverteidigungsminister Pistorius klar: „Mehr Geld für Verteidigung bedeutet im Zweifel weniger Geld für andere Politikfelder.“ So hat die Ampel-Regierung beschlossen, dass der jährliche Militäretat „EP 14“ in den kommenden Jahren auf rund 60 Milliarden plus x steigen soll. Während Pistorius davon ausgeht, dass die Russen vier bis fünf Jahre brauchen, um ihre Streitkräfte neu aufzubauen, geht Oberst d. Res. Burkhard Meißner davon aus, dass es rund dreißig Jahre dauern wird, bis aus der Bundeswehr wieder eine einsatzfähige Armee wird. In jedem Fall kommt auf die Bevölkerung und die Wirtschaft in der BRD eine enorme Belastung zu, nur der Beutewert der BRD ist noch höher.

Dabei ist die Finanzfrage noch nicht einmal das größte Problem. Innerhalb der NATO pflegen Franzosen, Spanier, Italiener, Slowaken, Ungarn und Türken eine klammheimliche Sympathie mit dem autoritären Regime in Russland, die die Allianz paralysiert und auf Dauer einer Zerreißprobe aussetzt. Sollte Donald John Trump im November 2024 zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt werden, droht er damit, die US-Truppen aus Europa abzuziehen, wie es die Truman-Regierung schon in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre mal angedacht hatte. Schon während seiner ersten Amtszeit, hatte Trump aus Frust über den Verlauf und die Ergebnisse des NATO-Gipfels in Brüssel am 11./12. Juli 2018 spontan überlegt, die USA sollten aus der Allianz austreten. Erst im letzten Moment wurde sein Nationaler Sicherheitsberater John Robert Bolton darauf aufmerksam und konnte Trump davon abhalten. (22) Dazu befand Oberst Meißner: „Es gibt immer noch die Vorstellung, dass Deutschland sich im Kriegsfall verteidigen lässt. Aber unsere Nachbarn können uns nicht verteidigen und die USA wollen es vielleicht bald nicht mehr.“ (23)

Das erste Opfer des wilden Trumpismus könnte die Ukraine werden. Während die Ukrainer sich aufopferungsvoll gegen die russische Übermacht stemmen, werden sie von den Zynikern in Washington und Brüssel hingehalten, in dem diese ihnen die notwendigen Waffen verweigern, um die Russen zurückzuschlagen. Das Ergebnis ist das Ausbluten der ukrainischen Streitkräfte und eine weitgehende Zerstörung der Städte und Gemeinden. So wurde die Ukraine zum Bauernopfer in der neuen Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland. Sollte die Ukraine diesen Krieg verlieren, wären die sicherheitspolitischen Folgen für Europa unabsehbar.

Bleibt das Sicherheitsrisiko der Atommacht Russland: Zwar hat das Land unter dem Gangsterpräsidenten und seiner mafiösen Kamarilla nur eine düstere Zukunftsperspektive, aber eine politische Alternative ist nirgendwo erkennbar. Seit über hundert Jahren, seit der Gründung der Kommunistischen Internationale (Komintern) am 2. Januar 1919, gehen die Russen den Europäern gehörig auf den Sack, und es ist noch völlig unklar, wie dem „Iwan“ Einhalt geboten werden kann und soll.

Quellen:

(1) Zit. n.: Theiler, Olaf: Die Entfernung der Wirklichkeit von den Strukturen. Die Bedrohungslage der NATO und ihre Wahrnehmung in der westdeutschen Bevölkerung 1985 bis 1990, in: Nägler, Frank: Die Bundeswehr 1955 bis 2005 – Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), München, 2007, S. 356

(2) Zit. n.: Thoß, Bruno Bündnisintegration und nationale Verteidigungsinteressen. Der Aufbau der Bundeswehr im Spannungsfeld zwischen nuklearer Abschreckung und konventioneller Verteidigung (1955 bis 1968), in: Nägler, Frank: Die Bundeswehr 1955 bis 2005 – Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), München, 2007, S. 30

(3) Gablik, Axel F., Oberregierungsrat: „Eine Strategie kann nicht zeitlos sein“. Flexible Response und WINTEX, in: Nägler, Frank: Die Bundeswehr 1955 bis 2005 – Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), München, 2007, S. 315f

(4) https://shape.nato.int/page8251027

(5) https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_64557.htm?

(6) https://nato.diplo.de/nato-de/01-NATOStatements/-/2539668

(7) https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/verteidigungsminister-exklusiv-in-bild-pistorius-spricht-ueber-das-taurus-geheim-86905088.bild.html

(8) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-was-nach-dem-sondervermoegen-kommt-die-ampel-hat-keinen-plan-a-78156dc1-6631-48d4-9cb6-0a02082c71ee

(9) https://de.wikipedia.org/wiki/9K720#Iskander-K:_Marschflugk%C3%B6rper

(10) https://de.wikipedia.org/wiki/Territoriales_F%C3%BChrungskommando_der_Bundeswehr

(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Heimatschutzregiment

(12) https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/territoriales-fuehrungskommando-der-bundeswehr/aktuelles/operationsplan-deutschland-5703688

(13) https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigung-neuer-verteidigungsplan-fuer-deutschland-kommt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240125-99-742091

(14) Knabe, Hubertus: West-Arbeit des MfS – Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“, Berlin, 1999, S. 261

(15) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100330748/verteidigungsplan-fuer-deutschland-der-plan-fuer-einen-angriff-von-russland.html

(16) https://taz.de/Flut-Untersuchungsausschuss/!5840660/

(17) https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigung-neuer-verteidigungsplan-fuer-deutschland-kommt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240125-99-742091

(18) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100329482/verteidigungsplan-fuer-deutschland-mentalitaet-der-bundeswehr-macht-sorgen-.html

(19) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/ministerium/organigramm-bmi.pdf;jsessionid=A25B0C3A388CDB357BD472B9FD47A1C4.live862?__blob=publicationFile&v=71

(20) https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/territoriales-fuehrungskommando-der-bundeswehr/aktuelles/symposium-deutschland-gemeinsam-verteidigen-5731912

(21) https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/territoriales-fuehrungskommando-der-bundeswehr/aktuelles/operationsplan-deutschland-5703688

(22) https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_91774330/ex-berater-bolton-trump-waere-wohl-aus-der-nato-ausgetreten.html

(23) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100329482/verteidigungsplan-fuer-deutschland-mentalitaet-der-bundeswehr-macht-sorgen-.html