Militärforschung
  Russische Kampfagenten festgenommen
 

 

BRD: Zwei russische Kampfagenten verhaftet

21. April 2024

Gerhard Piper

Der neue Generalbundesanwalt Jens Rommel hat am 17. April im Raum Bayreuth die beiden russischen Agenten Dieter S. und Alexander J. verhaftet. Sie sollen amerikanische Militäranlagen ausgespäht und Sabotageanschläge gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und die militärische Infrastruktur der Bundesrepublik geplant haben. Es droht eine Ausweitung der russischen unkonventionellen Kriegführung innerhalb deren hybrider Kriegsführung. Da die Todesstrafe abgeschafft wurde, droht den Delinquenten nur eine milde Bestrafung.

Ausdehnung der hybriden Kriegsführung

Im Rahmen ihrer hybriden Kriegsführung versucht die russische Führung in Moskau seit Jahren und Jahrzehnten die NATO-Staaten im Inneren zu destabilisieren und insbesondere deren Ukrainepolitik zu unterminieren. Neben klassischer Spionage, Cyberangriffen und Desinformationskampagnen gehört dazu auch die Anwerbung und Unterstützung von Politikern, die sich als Angehörige der „Friedensbewegung“ ausgeben. Sie fordern die sofortige und vollständige Einstellung von westlichen Waffenexporten an die Ukraine und favorisieren demgegenüber bilaterale Verhandlungen zwischen beiden Kriegsparteien, obwohl hierfür jegliche Voraussetzungen und Perspektiven fehlen. So soll die Fähigkeit des angegriffenen Landes zum Widerstand ausgehöhlt werden, damit den russischen Truppen endlich die Eroberung des Landes gelingen mag, mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheit der NATO-Staaten. Hier paart sich Hochverrat mit pazifistischer Attitüde. Bisher war die russische Propagandakampagne zur Verhinderung der Waffenlieferungen nicht erfolgreich, so dass die russische Regierung nun militantere Formen der unkonventionellen Kriegführung vorbereitet. Dies ist ein gefährliches Vorgehen knapp unterhalb der Schwelle zu einem militärischen Angriff, auch eine formelle Kriegserklärung fehlt.

Schon der frühere KGB-Offizier und Verteidigungsminister Sergej Borissowitsch Iwanow (Amtszeit: 2001 bis 2005) reklamierte ein Angriffsrecht: „Russland hat das Recht, präventiv gegen feindliche Stützpunkte im Ausland vorzugehen. (…) Bei diesen Präventivschlägen ist nur der Einsatz nuklearer Waffen ausgeschlossen.“

Heutige Grundlage für diese aggressive Vorgehensweise ist die sogenannte „Gerassimow Doktrin“. Ende Januar 2013 hielt der russische Generalstabschef Armeegeneral Walerij Wassiljewitsch Gerassimow vor dem Auditorium der Militärakademie eine Grundsatzrede über „Grundlegende Tendenzen der Entwicklung der Formen und Methoden des Einsatzes der Streitkräfte – die aktuellen Aufgaben zur Vervollkommnung der Militärwissenschaft“. In seinem Vortrag führte Gerassimow aus:

„The very “rules of war” have changed. The role of nonmilitary means of achieving political and strategic goals has grown, and, in many cases, they have exceeded the power of force of weapons in their effectiveness. The focus of applied methods of conflict has altered in the direction of the broad use of political, economic, informational, humanitarian, and other nonmilitary measures—applied in coordination with the protest potential of the population. All this is supplemented by military means of a concealed character, including carrying out actions of informational conflict and the actions of special operations forces. The open use of forces—often under the guise of peacekeeping and crisis regulation—is resorted to only at a certain stage, primarily for the achievement of final success in the conflict. (…)

Asymmetrical actions have come into widespread use, enabling the nullification of an enemy’s advantages in armed conflict. Among such actions are the use of special operations forces and internal opposition to create a permanently operating front through the entire territory of the enemy state, as well as informational actions, devices, and means that are constantly being perfected.“ (1)

Was bisher bekannt ist

Am 17. April hat der Generalbundesanwalt (GBA) zwei deutsch-russische Staatsbürger durch das Mobile Einsatzkommando der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes verhaften lassen. Die Ermittlungen leitet vorerst die „Abteilung ZS“. Dieter S. (39 Jahre) wurde an seinem Wohnort Heinersreuth festgenommen, Alexander J. (37 Jahre) wurde an seinem Arbeitsplatz im Industriegebiet von Bayreuth festgesetzt. In einer Presseerklärung des GBA in Karlsruhe hieß es zur Festnahme der beiden Kampfagenten (russ.: agent-boyevik):

„Dieter S. steht in Kontakt zu einer Person, die an einen russischen Geheimdienst angebunden ist. Mit dieser Person tauschte sich der Beschuldigte jedenfalls seit Oktober 2023 über mögliche Sabotageaktionen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Aktionen sollten insbesondere dazu dienen, die aus Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren. Vor diesem Hintergrund erklärte sich der Beschuldigte gegenüber seinem Gesprächspartner bereit, Sprengstoff- und Brandanschläge vor allem auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte in Deutschland zu begehen. Zur Vorbereitung sammelte Dieter S. Informationen über potentielle Anschlagsziele, darunter auch Einrichtungen der US-Streitkräfte. Alexander J. half ihm spätestens ab März 2024. Einige der ins Visier genommenen Objekte kundschaftete Dieter S. vor Ort aus, wobei er Fotos und Videos, etwa von Militärtransporten und -gütern, anfertigte. Die gesammelten Informationen übermittelte er an seinen Gesprächspartner. (…)

Nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt besteht der dringende Verdacht, dass Dieter S. zwischen Dezember 2014 und September 2016 in der Ostukraine als Kämpfer einer bewaffneten Einheit der „Volksrepublik Donezk“ („VRD“) tätig war und in diesem Zusammenhang über eine Schusswaffe verfügte. Bei der VRD handelt es sich um eine pro-russische Vereinigung, die ab Frühjahr 2014 die Kontrolle über den ukrainischen Verwaltungsbezirk Donezk mit dem Ziel der Loslösung von der Ukraine beanspruchte und sich intensive Auseinandersetzungen mit den ukrainischen Streitkräften lieferte. Dabei setzte die Vereinigung immer wieder auch Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ein.“ (2)

Weitere Angaben zu den persönlichen Hintergründen der beiden Tatverdächtigen wurden nicht gemacht. Dieser S. steht – gemäß seinen Einlassungen auf „Facebook“ – der AfD nahe, so teilte er deren Werbesprüche. Nach Darstellung des GBA unterhält Dieter S. schon seit zehn Jahren Verbindungen zu russischen Staatssicherheitsorganen und ihren Frontorganisationen. Ob Dieter S. an Kriegsverbrechen in der Ukraine beteiligt war, wurde nicht bekannt. Auch gibt es bisher keine Informationen darüber, ob er zwischen September 2016 und April 2024 irgendwelche Tätigkeiten für die russischen Geheimdienste in der BRD ausgeführt hat oder ob er erst im Oktober 2023 reaktiviert wurde. Über seinen Führungsoffizier heißt es lediglich, es handele sich um „eine Person, die an einen russischen Geheimdienst angebunden ist“. Möglicherweise handelt es sich um einen Mitarbeiter der Russischen Botschaft in Berlin oder des Generalkonsulats in Bonn mit Diplomatenstatus. Vermutlich handelt es sich um einen Agenten des russischen Militärgeheimdienstes Glawnoje Uprawlenije (GU, vormals GRU). Innerhalb des GU ist die „Erste Hauptverwaltung“ mir ihren fünf Abteilungen für Europa und die „Siebte Hauptverwaltung“ mit ihren sechs Abteilungen für die Bearbeitung der NATO zuständig. Hinzu kommt die „Achte Hauptverwaltung“, die die Podrazdeleniye spetsial'nogo naznacheniya (Spetsnaz) und andere Sondereinheiten anleitet.

Da sich Dieter S. 22 Monate an einer nicht-genannten Miliz in der sogenannten Donezkaja Narodnaja Respublika (DNR, dt.: Volksrepublik Donetzk - VRD) beteiligte, ist davon auszugehen, dass er über eine umfassende militärische Kampfausbildung verfügt. In welchem Umfang er im Umgang mit Sprengstoff und dem Bau von improvisierten Sprengkörpern oder Brandwaffen trainiert wurde, ist nicht bekannt. Nicht bekannt ist auch, wieviele Deutsche innerhalb der Miliz tätig waren und ob Dieter S. nach seiner Rückkehr nach Deutschland noch die alten Kontakte aufrechterhielt, um möglicherweise eine Kampfzelle zu gründen.

Alexander J. unterstützte erst seit März, also erst seit einem Monat, seinen Kompagnon. Er kam 2001 mit seinen Eltern nach Deutschland. Alexander J. hat drei Kinder, er wohnt seit 2020 wieder bei seinen Eltern. Alexander J. machte eine Berufsausbildung im Bereich Logistik. Vor Jahren liefen gegen ihn polizeiliche Ermittlungen wegen Drogenschmuggels, das Verfahren wurde später eingestellt.

Es wurde nicht bekannt, seit wann und wie Dieter S. ins Visier der Sicherheitsbehörden in der BRD geriet. Unklar ist auch, ob die deutsche Spionageabwehr durch eigene Aktivitäten auf die beiden Agenten aufmerksam wurde oder ob die deutschen Sicherheitsbehörden durch einen Hinweis eines amerikanischen Geheimdienstes informiert wurden. Jedenfalls ist innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die „Abteilung 4 Cyber- und Spionageabwehr“ zuständig, das Landesamt für Verfassungsschutz in München (BayLfV) unterhält die „Abteilung 5“, die u. a. für Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz zuständig ist. Beim Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) in Köln liegt die Spionageabwehr in den Händen der „Abteilung 5“, außerdem betreibt der MAD in Amberg (Bayern) die „MAD-Stelle 62“.

Es heißt, dass Dieter S. den Truppenübungsplatz Grafenwöhr ausgespäht, fotofiert und gefilmt hat. Für Luftaufnahmen setzte er Drohnen ein. Dabei wurde er offensichtlich durch Wachpersonal beobachtet. Somit könnte der Hinweis auf die kriminellen Aktivitäten auch von der amerikanischen Defense Intelligence Agency (DIA) stammen. Zur DIA gehören u. a. das „Defense Combating Terrorism Center“ und die Auswertungszentrale „Europe/Eurasia Center“.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Zahl der Ausspähungen von Bundeswehranlagen erheblich zugenommen. Allein im Jahr 2023 wurden 446 Meldungen gemacht. Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst rechnen mit weiteren „Schläfern“, die bisher noch nicht erkannt wurden. Daher gibt es keine Einschätzung darüber, wieviele Kampfgruppen (russ.: agenturnaya boyevaya gruppa oder diversionnaya razvedyvatelnaya set) aufgebaut wurden bzw. werden. Dazu fertigte das BfV eine Studie mit dem Titel „Einbindung russischer Dienste in Sabotagemaßnahmen“ an. Bisher spricht man vom obligatorischen „abstrakten Risiko“. In diesem Zusammenhang ist es bedenklich, dass ein gewisser Olaf S. im vergangenen Februar den russischen Wympel-Killer „Wadim Sokolow“ Wadim Nikolajewitsch Krassikow im Austausch für Alexej Anatoljewitsch Nawalny freilassen wollte. (3)

Ausspähungsobjekte Grafenwöhr

Dieter S. war als „Objektaufklärer“ gegen den Truppenübungsplatz Grafenwöhr eingesetzt. Dieser Militärkomplex umfasst eine Gesamtfläche von 23.400 Hektar und soll noch erweitert werden. Er hat aktuell eine Ausdehnung von maximal 25 x 14 Kilometern. Er wird heutzutage vom 7th Army Training Command (7th ATC) der U.S. Army genutzt und ist der größte U.S.-Truppenübungsplatz in Europa. Die U.S.-Soldaten sind in den Tower Barracks und der Netzaberg Housing Area untergebracht. Das Übungsgelände trägt die Bezeichnung „Grafenwoehr Training Area“ (GTA). Zum Truppenübungsplatz zählen zahlreiche Schießanlagen und zwei Fliegerhorste:

„GTA encompasses 233 km2 with over 113km of tank trails and over 241km of secondary roads. The training area boasts 44 digitally connected computerized ranges—the most in the U.S Army. We have 43 artillery position areas, 24 mortar firing points, 2 airfields, 3 surveyed drop zones, 3 demolition areas and 2 dig sites for engineer training, plus 2 main impacts areas and 3 impact areas associated with specific ranges.“ (4)

Seit rund zehn Jahren bildet die U.S. Army in Grafenwöhr aus, ohne dass die Bundesregierung zu Anfang – vertragswidrig - davon unterrichtet wurde. Bisher haben weit über 12.000 ukrainische Soldaten an den Lehrgängen der Joint Multinational Training Group-Ukraine (JMTG-U) teilgenommen. Die Ukrainer sind im „Camp Kasserine“ untergebracht, die Ausbildung findet im „Camp Kherson“ statt. Die Ausbilder kommen insbesondere von der U.S. Army National Guard (ANG), möglicherweise auch von der CIA. Zum Ausbildungsprogramm zählen u. a. der Einsatz von Drohnen, Haubitzen, Raketenwerfern (?) sowie Schützenpanzern M2 Bradley und Stryker. Seit dem 26. Mai 2023 gehört auch das Training mit dem Kampfpanzer M1A1 Abrams dazu. Rund 30 Kampfpanzer stehen dafür zur Verfügung. Die Ausbilder kommen vom 1st Battalion, 37th Armored Regiment, das eigentlich in Fort Bliss (Texas) disloziert ist. Ein Teil der Ausbildung findet auch beim Joint Multinational Readiness Center (JMRC) auf dem benachbarten Truppenübungsplatz Hohenfels statt. Weitere Ausbildungsstätten für ukrainische Soldaten befinden sich in Wildflecken und Idar-Oberstein.

Ausspähung von Militärtransporten

Außerdem soll Dieter S. Militärtransporte ausgespäht haben. Dabei könnte es sich um Waffenlieferungen an die Ukraine oder Manövermärsche im Rahmen der NATO-Übung STEADFAST DEFENDER 2024 (STDE24) gehandelt haben. Die Großübung findet seit dem 22. Januar 2024 statt und dauert noch bis zum 31. Mai 2024. Insgesamt sollen rund 90.000 Soldaten aus 32 Nationen an den Übungen teilnehmen.

Mit ihren Waffenlieferungen unterstützt die NATO die ukrainischen Streitkräfte in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Aggressoren. Gleichzeitig instrumentalisiert die NATO die Ukraine für ihren Kampf gegen Russland, ohne dass die NATO selbst als Kriegspartei auftritt. Außerdem bestimmt die NATO durch ihre Auswahl der gelieferten Systeme, dass die Ukraine das russische Territorium nicht über den Grenzbereich hinaus angreifen kann. Ein Krieg gegen Russland, der nur auf eigenem Territorium ausgetragen wird, ist aber nicht zu gewinnen. Außerdem wird durch die Kampfhandlungen das eigene Land nach und nach zerstört. Während die Ukraine keine Wahl hat, als sich auf dieses Prozedere einzulassen, wird die Verlogenheit der NATO nur noch durch ihren Zynismus übertroffen. Sollte Russland den Ukrainekrieg gewinnen, wäre das fatal für die europäische Sicherheit, sollte Russland den Krieg verlieren, wäre dies eine Belastung für die Einheit des russischen Vielvölkerstaates.

Sonstige Anschlagsziele

Möglicherweise hatte Dieter S. nach sechs Monaten seine Ausspähaktivitäten abgeschlossen und wollte nun in eine aktive Kampfphase eintreten, wozu er sich mit Alexander J. zusammen tat. Beide stammen aus dem Kreis Bayreuth und waren möglicherweise schon längere Zeit miteinander bekannt.

Über die Art der Anschlagsziele machte der Generalbundesanwalt nur allgemeine Angaben: Kasernen, militärische Infrastruktur, Rüstungsbetriebe und Truppentransporte. So ist Bayern, insbesondere der Großraum München, ein Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie. In Bayreuth selbst ist die „Autounique GmbH“ ansässig, die allerdings „nur“ Pkw-Sonderfahrzeuge mit Panzerung baut.

Geplant waren Sprengstoff- und Brandanschläge und der ein oder andere Hinterhalt (russ.: zasada). In diesem Zusammenhang sei an die bisher nicht aufgeklärte Sprengung der Ostsee-Pipelines Nord Stream 1/2 am 26. September 2022 erinnert, die zeigte, welche Dimensionen eine einzelne Sabotagehandlung annehmen kann. (5)

Russische Desinformatsiya

Angesichts dieses drohenden Staatsterrorismus bestellte die Bundesaußenministerin Annalena Bearbock (Grüne) den russischen Botschafter Sergej Jurjewitsch Netschajew ins Auswärtige Amt ein. Anlässlich der inkriminierten Vorgänge, die man auch als russische Vorbereitungen für einen Krieg gegen die BRD missverstehen könnte, gab diese Kanaille folgende Pressemitteilung heraus und drohte:

„Wir betrachten die genannte Demarche als eine unverhohlene Provokation, die darauf abzielt, die in Deutschland ohnehin grassierende Spionomanie weiter anzuheizen, das Niveau der Russenfeindlichkeit in die Höhe zu treiben, die deutsch-russischen Beziehungen weiter zu zerstören und den von der Bundesregierung eingeschlagenen Kurs der uneingeschränkten Militarisierung und des Vollpumpens der Ukraine mit Waffen und militärischer Ausrüstung zu rechtfertigen.

Wir weisen die absurden und ungeschickten Versuche zurück, die Beteiligung russischer Geheimdienste an angeblichen Plänen eines Angriffs auf Militäreinrichtungen in Deutschland, u.a. amerikanische Militärstützpunkte, zu offenbaren. (…)

Wir haben deutlich gemacht, dass jegliche unfreundliche Handlungen gegenüber Russland nicht ohne Konsequenzen bleiben werden. (6)

Des Weiteren sprach die Botschaft davon, dass „zwei deutsche Staatsbürger (…), die angeblich auch die russische Staatsangehörigkeit besitzen“ festgenommen worden seien, und forderte „uns unverzüglichen konsularischen Zugang zu den Festgenommenen zu gewähren, falls sie tatsächlich russische Staatsbürger sind“.

Auch Polen betroffen

Nicht nur die Bundesrepublik wurde von den russischen Geheimdiensten ins Visier genommen. Im Jahr 2023 nahmen die polnischen Sicherheitsbehörden ein GU-Spionagenetzwerk aus. Mehrere Personen waren angeworben worden, um entlang der Bahngleise, auf denen Militärtransporte in die Ukraine liefen, Überwachungskameras zu installieren. Geplant waren Bombenanschläge, um die Züge zum Entgleisen zu bringen.

In Polen wurde jetzt ein weiterer Kampfagent festgenommen. Es handelt sich um Pawel K.. Er soll den Flughafen Rzeszów-Jasionka in Südpolen ausgespäht haben. Auf dem Flugstützpunkt ist die VIP-Transportmaschine des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi geparkt. Es wird vermutet, dass der russische Geheimdienst hier erneut ein Attentat auf Selenskyi plant. Außerdem dient der Fliegerhorst als Drehscheibe für westliche Waffensysteme, die danach auf dem Landweg in die Ukraine geschafft werden. (7)

Hintergrund: GU-Sondereinheiten

Im Jahr 2010 wurden die Spetsnaz vorübergehend der Führung durch den GU/GRU entzogen und den Heeresstreitkräften unterstellt. Ihr Führungskommando war/ist das Kommando für Spezialeinheiten (Komandovanie Sil Spetsial´nykh Operatsiy – KSSO oder KSO) (Militäreinheit 99450) in der Spezialeinsatzzentrale (Tsentr spetsial'nykh operatsiy) „Kubinka-2“ (Militäreinheit 28337). Das Kommando wurde nach einer längeren Aufbauphase im März 2013 offiziell gegründet. Außerdem gibt es ein Zentrum für besondere Aufgaben (Tsentr spetsial'nogo naznacheniya) in Senesch nordwestlich von Moskau. Gegenwärtig gibt es neun landgestützte Spetsnaz-Brigaden und vier maritime Spetsnaz-Einheiten. Seit der russischen Annektion der Krim im Jahr 2014 werden die Spetsnaz-Angehörigen in der russischen Propaganda als „Vézhlivyye lyúdi“ bezeichnet, was eigentlich „höfliche Menschen“ bedeutet, aber im Deutschen i. d. R. mit „grüne Männchen“ wiedergegeben wird.

Aus diesen militärischen Spezialeinheiten rekrutierte sich das Sondereinsatzkommando des Militärgeheimdienstes für unkonventionelle Kriegsführung gegenüber den NATO-Staaten. Es handelt sich um die GU-Einheit mit der Feldpostnummer 29155, die auch unter der Tarnbezeichnung „Tsentr podgotovki Spetsalistov rasvedki“ bekannt ist. Sie wurde ursprünglich 1963 gegründet und im Jahr 2008 reorganisiert. Ihre Existenz wurde erst 2019 einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das Hauptquartier der Einheit befindet sich auf dem 161st Special Purpose Specialist Training Center (161 Center) im Osten von Moskau. Diese Einheit ist für ihre zahlreichen Mordanschläge, Sabotageaktionen und „aktive Maßnahmen“ (heutige Bezeichnung: „Einflussoperationen“) berüchtigt.

Die Einheit wurde bis vor wenigen Jahren von „Andrey Overyanov“ alias Generalmajor Andrej Wladimirowitsch Awerjanow geleitet. Generalmajor Awerjanow wurde 1967 in Turkmenistan geboren. Er absolvierte die Tashkent Military School (TVOKU) in Usbekistan. In den neunziger Jahren war er in Samara und in Krasnodar stationiert. Er wohnt in einem Vorort von Moskau und reist nur äußerst selten ins europäische Operationsgebiet. Mittlerweile ist er zum Stellvertretenden Direktor der GU aufgestiegen. Er soll gegenwärtig die Reform des Geheimdienstes vorantreiben, um zukünftig solche „Pannen“ wie bei den Mordversuchen an Oberst a. D. Sergej Wiktorowitsch Skripal und Alexej Anatoljewitsch Nawalny zu verhindern, für die er selbst verantwortlich war. Nach dem putschistischen Treiben der Gruppa Wagnera musste diese „gesäubert“ und reintegriert werden. Außerdem leitet Awerjanow die GU-Operationen im Krieg gegen die Ukraine und wird dabei seit Mai 2022 durch den Vizegeneralstabschef und Stellvertretenden GU-Direktor Generalleutnant Wladimir Alexejew unterstützt. (8)

Das Geheimdienstkommando hatte 2008 ca. 60 Mitarbeiter. Zu ihren Agenten zählen folgende Personen: Sergey Avdeenko, Albert Awerjanow, „Andrey Overyanov“ alias Generalmajor Andrej Wladimirowitsch Awerjanow, Victor Boyarkin, „Rustam Dzhamalov“ alias Generalmajor Rustam Dzhafarov, „Nikolay Kononikhin“ alias Oberstleutnant Nikolay Ezhov, „Georgy Gorshkov“ alias Oberst Egor Aleksandrovich Gordienko, „Alexei Nikitin“ alias Alexey (oder Evgeniy) Kalinin, Oberst Alexey Kapinos, „Danil Stepanov“ alias Danil Kapralov, „Alexander Danilin“ alias Alexander Kovalchuk, „Sergey Victorovitch Pavlov“ alias Oberstleutnant Sergey Lyutenkov, Hauptmann Alexey Makeev, Oberst Victor Maltsev, „Alexander Petrov“ alias „Nicolai Popa“ alias Oberst Alexander Mischkin, „Vladimir Popov“ alias Major Vladimir Nikolaevich Moiseev, „Aleksei Kalinin“ alias Aleksei Nikitin, Roman Puntus (?), „Sergei Ryzhikov“ alias Oberstleutnant Sergey Romanov, „Sergey Fedotov“ alias Generalmajor Denis Vyacheslavovich Sergeev, „Eduard Shirokov“ alias Eduard Shishmakov, „Ivan Lebedev“ alias Oberst Ivan Terentyev (Stellvertretender Kommandeur), Alexey Tolstopyatenko, „Ruslan Boshirov“ alias „Ruslan Tabrov“ alias Oberst Anatolij Tschepipa (andere Schreibweise: Anatoliy Vladimirovich Chepiga) und „Nikolay Kononikhin“ alias Oberstleutnant Nicolay Yezhov. (9)

Zum Umfang der aktuellen Reformmaßnahmen berichteten Jack Watling, Oleksandr V. Danylyuk und Nick Reynolds vom britischen Royal United Institut (RUSI) in London unter Berufung auf ukrainische Geheimdienstinformationen:

„To carry on rebuilding its capacity for unconventional warfare, Averyanov established the Service for Special Activities. This now comprises three entities: Unit 29155, now given a Guards designation; the newly established Unit 54654; and a headquarters and planning department for coordinating the Service for Special Activities. The 161 Centre is now organised into one headquarters unit, three training units, an operational planning unit, three operational units, a financial unit also responsible for managing support infrastructure, and a supply unit. In total, the centre appears to employ 147 instructors who also serve as operatives.

Security procedures at the 161 Centre have changed. Personnel no longer carry personal or service mobile phones to the site, relying instead on a controlled group of wired telephones.“ (10)

Das Kommando verübte u. a. die Mordversuche an Emilian Gebrev (2015 in Bulgarien) und Sergej Wiktorowitsch Skripal (2018 in Salisbury) Allerdings sprachen die Agenten nicht schnöde von „Mord“, lieber redeten sie über die Erledigung „nasser Angelegenheiten“ („mokryye dela“ oder „mokroye delo“), weil bei den meisten Attentaten Blut floss. Heute lautet der entsprechende Euphemismus „militärische Ausbildung“ („voyennaya podgotovka“). Mal wurden die Attentate durch Einzeltäter (agent-boyevik) durchgeführt, mal kamen vier- bis fünfköpfige Mordkommandos (agenturno-boyevaya gruppa) zum Einsatz.

Darüber hinaus wurde die Einheit in Pressemeldungen für alle möglichen russischen Interventionen in West- und Osteuropa in den letzten Jahren verantwortlich gemacht: gescheiterter Putschversuch gegen die pro-NATO-Regierung von Milo Đukanović in Montenegro im Jahr 2016, eine Destabilisierungskampagnen in Moldawien im Mai 2022 und im Februar 2023, die Unterstützung der katalanischen Separationsbewegung unter Carles Puigdemont im Oktober 2017. Außerdem soll das Kommando mehrere Sabotageaktionen gegen Militärdepots in Tschechien (u. a. „Sklad číslo 16“ westlich von Vlachovice-Vrbětice am 16. Oktober 2014, Munitionsdepot Sklad číslo 12 bei Vlachovice-Vrbětice am 3. Dezember 2014), sieben Anschläge in Bulgarien (u. a. Munitionslager in Ivanovo am 9. Juli 2000, Munitionslager in Gorniu Lom im Jahr 2007, Munitionsdepot Chelopechene am 3. Juli 2008, Depot Lovnidol im November 2011, Munitionslager in Gorni Lom am 1. Oktober 2014, etc.), Albanien (Munitionslager in Vorë-Gërdec am 15. März 2008) und elf Depots in  der Ukraine (u. a. Munitionsdepot in Balaklia am 23. März 2017) durchgeführt haben. (11)

Am 1. Juli 2020 beschuldigte der U.S. National Intelligence Council in einem Bericht die Einheit, sie habe für die Ermordung amerikanischer GIs in Afghanistan den dschihadistischen Taliban ein Kopfgeld gezahlt. Der Vorwurf wurde von der russischen Seite und den Taliban zurückgewiesen. (12) Zuletzt wurde die Einheit auch für das sogenannte „Havanna Syndrom“, die Erkrankung von U.S.-Botschaftsangehörigen in Folge des vermuteten Beschusses mit Mikrowellen, verantwortlich gemacht. Ein entsprechender Vorfall soll sich im November 2014 auch in Frankfurt ereignet haben. (13)

Der frühere GRU-Major „Viktor Suworow“ alias Wladimir Bogdanowitsch Resun beschrieb die Aufgaben der verdeckten Kriegführung 1995 folgendermaßen:

„Der GRU kam es in erster Linie darauf an, Energie- und Transporteinrichtungen, Elektrizitätswerke, Stromleitungen, Öl- und Gasleitungen, Brücken, Tunnel und Eisenbahneinrichtungen unbrauchbar zu machen. Wichtig waren auch Sabotageakte, die den Widerstandswillen der Bevölkerung möglichst großer Gebiete schwächten, zum Beispiel das Sprengen eines großen Staudamms oder das Anzünden von Tanklagern. Die Speznas-Saboteure bildeten das sogenannte schlafende Agentennetz, das im Frieden nicht arbeitete und erst mit Ausbruch der Feindseligkeiten tätig wurde.“

Mittlerweile mussten die russischen Auslandsnachrichtendienste ihre Methoden zur Rekrutierung neuer Agenten und Spione umstellen, wie das Autorenteam des RUSI in  seinem Bericht „The Threat from Russia´s Unconventional Warfare Beyond Ukraine, 2022-24“ berichtet:

„The GRU are also reorganising the basis on which they endeavour to build support networks in target countries. During the period when many countries sought business in Russia, the use of dual Russian nationals and business people provided an effective means of legalisation for illegals. However, the growth of Western sanctions has placed greater scrutiny on these individuals so that they are an existing but diminished vector.

At present, a major effort appears to be targeting foreign students studying at Russian universities. The 161 Centre has a budget allocated to pay the stipends of students from the Balkans, Africa and other regions where there remain exchanges with Russian educational institutions. These stipends subsidise study and living costs and are apparently used as a vehicle for recruitment. Since these individuals are often from the elites of the target countries concerned, they are in themselves valuable sources of intelligence. (…)

Another important vector in the regeneration of a support apparatus is the Russian exile community. Some of those who fled Russian mobilisation in September 2022 oppose the war in Ukraine. However, many others are loyal to the Russian state, albeit not to the extent that they were willing to be mobilised, and the flow of people provided cover for special service personnel to enter third countries. Participation in Russian opposition media and other activities provides surface-level ‘ethical washing’ and thereafter creates a pathway to legalisation, since these individuals can then claim asylum. At the same time, it becomes possible for them to collect on other elements of the diaspora. More importantly, these individuals can be financed to gain influence within the community and to acquire assets that become useful for supporting unconventional operations. The usual method is for these individuals to receive money for selling a property – fictitious or otherwise – in a third country and then to use the money from the sale to engage in business interactions with other Russian entities where the costs are inflated in order to move money to the individual.“ (14)

Noch ist unklar, in welchem Umfang die russischen Nachrichtendienste islamistische Terrororganisationen für ihre Planungen einspannen werden. Wiederholt zog der russische Inlandsgeheimdienste FSB bei Terroranschlägen in Russland im Hintergrund die Fäden, so bei den Hochhausanschlägen im August/September 1999 (15) und beim „tschetschenischen“ Angriff auf das Dubrowka-Theater in Moskau am 23. Oktober 2002. (16)

Neue Clearingstellen der russischen Nachrichtendienste

Nach den zahlreichen Morden an russischen Oppositionellen im In- und Ausland und dem russischen Überfall auf die Ukraine haben die Regierungen der NATO-Staaten als Sanktionsmaßnahme hunderte Agenten der russischen Geheimdienste FSB, FSO, G(R)U und SWR in den letzten Jahren ausgewiesen. Durch diesen Aderlass wurden diese Nachrichtendienste schwer geschädigt: Spione mussten abgeschaltet, ND-Operationen eingestellt, die gesamte Infrastruktur umgestellt werden. Statt auf die Führungsoffiziere an den russischen Botschaften mit Tarnung als Diplomaten (diplomaticheskoye prikrytiye) rekurrieren zu können, werden nun verstärkt Reisekader (marshrutnik) eingesetzt. Darüber hinaus wurden die Ausbildung, Legendierung, Führung und Logistik der Agenten sowie die Kontrolle der Geheimdienste angepasst.

Im Jahr 2022 wurde innerhalb der russischen Präsidialverwaltung (Administrazija Presidenta Rossii) das „Komitee für speziellen Einfluss“ unter Leitung von Sergei Wladilenowitsch Kirijenko, Erster Stellvertretender Stabschef im Kreml und früherer Atomminister, aufgestellt. Es soll die verdeckten Operationen unkonventioneller Kriegführung im Ausland überwachen und bewerten.

Außerdem wurde beim Nationalen Sicherheitsrat (Sojwet besopasnosti - Sowbez) unter Leitung des früheren KGB-Agenten Nikolai Platonowitsch Patruschew ein weiteres Kontrollkomitee eingerichtet.

Während auf der operativen Ebene innerhalb der Nachrichtendienste kein schriftlicher „Schließbefehl“ existiert, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass auf der obersten Ebene Entscheidungen zumindest verklausuliert fixiert werden.

Abwehrmaßnahmen

Im neuen „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU) versucht das „Territoriale Führungskommando“ (TerrFüKdoBw) der Bundeswehr mit Sitz in Berlin eine Abwehr gegen solche Angriffe unkonventioneller Kriegführung aufzubauen. (17) Angesichts der Tatsache, dass die pro-russischen Parteien (Die Linke, Bündnis Sahra Wagenknecht, Alternative für Deutschland) mittlerweile sogar über eine satte Präsenz im Deutschen Bundestag verfügen, keine leichte Aufgabe. Ein Verbot dieser Parteien kommt – mit Rücksicht auf die „Ossis“ – aus Gründen einer vermeintlichen Staatsräson derzeit nicht in Frage. Allerdings haben die westdeutschen Geheimdienste dem aggressiven Auftreten der russischen Nachrichtendienste peinlich wenig entgegenzusetzen.

Die amerikanische Dienststelle für „Force Protection & Antiterrorism“ ist in Grafenwöhr im Verwaltungsgebäude Nr. 500 untergebracht. Außerdem ist in Grafenwöhr ein Teil der 527th Military Police Company disloziert.

Unklar ist, ob die U.S.-Streitkräfte die Alarmbereitschaft in ihren Kasernen und Depot erhöht haben. Zur Einschätzung der Gefährdung der eigenen Truppenteile durch Terroristen oder gegnerische Truppen haben die U.S.-Streitkräfte den Alarmkatalog Force protection condition (FPCON, vormals: Threat Condition – THREATCON) eingeführt. Der Katalog kennt fünf Gefahrenstufen:

FPCON NORMAL: A general global threat of possible terrorist activity exists and warrants a routine security posture.

FPCON ALPHA: There is an increased general threat of possible terrorist activity against personnel or facilities, and the nature and extent of the threat are unpredictable.

Eine Unterstufe ist FPCON ALPHA+, dabei werden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt.

FPCON BRAVO: An increased or more predictable threat of terrorists activity exists.

FPCON CHARLIE: An incident occurs or intelligence is received indicating some form of terrorist action or targeting against personnel or facilities likely.

FPCON DELTA: It applies to the immediate area where a terrorist attack has occured or when intelligence has been received that terrorist action against a specific location or person is imminent. (18)

Rückblick: Kalter Krieg

Die Vorbereitungen für Aktionen der unkonventionellen Kriegsführung in Friedenszeiten waren recht umfangreich: Angriffe auf die Kritische Infrastruktur (KRITIS), dazu gehören u. a. Straßen, Brücken, Häfen, Unternehmen zur Energieversorgung (Öl, Gas, Benzin, Strom). Allerdings hinterlassen solche Maßnahmen in Friedenszeiten kaum Spuren, daher konnte bisher nur wenig über die früheren Operationspläne eruiert werden. Gelegentlich packten Überläufer aus oder durch Zufall wurden in Wäldern Geheimdepots der GRU bzw. des KGB mit Waffen, Munition, Sprengstoff, Geld und speziellen Funkgeräten durch Pilzsammler oder Waldarbeiter aufgedeckt. Allerdings ist beim Öffnen der Koffer Vorsicht geboten, sie sind z. T. mit einer Sprengfalle bzw. Selbstzerstörungsmechanismus gesichert. (19)

Immerhin konnte man durch die Auflösung der DDR einen genaueren Einblick in die Planungen gewinnen. Zunächst war die „Abteilung 15“ der Nationalen Volksarmee (Leiter: Oberstleutnant Ernst Haberland) für die Planung der Untergrundkriegführung gegen die BRD zuständig, im Jahr 1962 übernahm das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) diese Aufgabe. Hier war zunächst die „Arbeitsgruppe des Ministers Aufgabenbereich Sonderfragen“ (AGM/S), die zunächst von Heinz Stöcker geleitet wurde, für solch delikate Aufgaben zuständig. Am 1. April 1988 ging die AGM/S in der „(Haupt-)Abteilung XXIII“ (Leiter: Oberst Horst Frank) mit insgesamt 878 Mitarbeitern auf. Sie hatte ihre Zentrale in Berlin-Hohenschönhausen (Ferdinand-Schultze-Straße). In Friedenszeiten diente sie der Terrorismusabwehr, im Kriegsfall („Tag X“) hatte sie „spezifische Kampfaufgaben“ zu erledigen. Dazu verfügte das MfS über „Zentrale Spezifische Kräfte“ (ZSK). Die Hauptabteilung gliederte sich u. a. in die „Abteilung 2“ (Leiter: Oberstleutnant Gerald Rabis) und die „Abteilung 9“ (Leiter: Major Klaus-Peter Meinel). Jede Abteilung verfügte über jeweils vier Kampfgruppen mit insgesamt 114 Planstellen. Die Hauptabteilung arbeitete mit Kommunisten, Linksextremisten, Rechtsextremisten und internationalen Terrorgruppen im potentiellen Operationsgebiet gleichermaßen zusammen bzw. bearbeitete diese. Dies wird – aus strafrechtlichen und politischen Gründen – von ehemaligen Stasi-Agenten konsequent bestritten, aber das sichergestellte Geheimdienstmaterial ist erdrückend. (20)

Zur Durchführung ihrer Sabotageplanungen rekurrierte das MfS auf eine militärische Untergrundorganisation innerhalb der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die „Gruppe Ralf Forster“. Dazu berichtete Dr. Hubertus Knabe, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen:

„Ehemalige westdeutsche Kommunisten berichteten zu Beginn des Jahres 1990, daß die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in der Bundesrepublik (und vermutlich auch die Sozialistische Einheitspartei Westberlin [SEW] daselbst, G. P.) eine geheime Militärorganisation (MO) mit mehreren hundert Mitgliedern unterhalten habe, die im Krisenfällen als „Partisanenarmee“ Sabotageakte verüben sollte – augenscheinlich die vom MfS erwähnten „patriotischen Kräfte“. Diese Kämpfer seien in der DDR von Spezialeinheiten des MfS und der NVA in mehrwöchigen Kursen für einen Untergrundeinsatz ausgebildet worden, darunter ein Postbeamter, gegen dessen Entlassung aus dem Staatsdienst in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik etliche „Komitees gegen Berufsverbote“ gekämpft hatten. Wie der Spiegel 1990 berichtete, seien die Angehörigen dieser konspirativen Organisation für die „Befreiung festgesetzter Genossen“, für „Sabotageakte gegen Züge und Fernmeldeeinrichtungen“ sowie für „Anschläge auf ausgesuchte Personen“ vorgesehen gewesen. (…)

In den ersten fünf Jahren fand die Ausbildung der Militärorganisation in Ungarn und Polen statt. Mitte der siebziger Jahre wurde die Ausbildungsarbeit auf das Gebiet der DDR verlagert. Die Leitung der Militärorganisation war in einer Villa in Berlin-Grünau untergebracht. Die westdeutschen Teilnehmer an den Lehrgängen wurden militärisch ausgebildet und in Fragen der Konspiration geschult. Die Mitglieder der Militärorganisation waren in Gruppen eingeteilt, die sich zum Üben konspirativ in der Bundesrepublik treffen konnten.“ (21)

Quellen:

(1) https://www.armyupress.army.mil/Portals/7/military-review/Archives/English/
MilitaryReview_20160228_art008.pdf

(2) https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/          
DE/2024/Pressemitteilung-vom-18-04-2024.html?nn=478184

(3) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nawalny-austausch-100.html

(4) https://www.7atc.army.mil/GTA/

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_die_Nord-Stream-Pipelines

(6) https://germany.mid.ru/de/aktuelles/pressemitteilungen/           
kommentar_der_russisckhen_botschaft_in_deutschland/

(7) https://www.spiegel.de/ausland/moeglicher-anschlag-auf-wolodymyr 
-selenskyj-polen-nimmt-mutmasslichen-russischen-spion-fest-a-901        
da5ef-9ea9-4947-91d5-d796ee9c2451

(8) https://www.derwesten.de/politik/ukraine-krieg-putin-russland-geheimdienst- 
fsb-gru-kgb-id235335905.html

(9) https://en.wikipedia.org/wiki/Unit_29155

(10) https://static.rusi.org/SR-Russian-Unconventional-Weapons-final-web.pdf

(11) https://www.milfors.de/Sabotage-an-NATO_MunDepots.htm

(12) www.nytimes.com/2020/06/26/us/politics/russia-afghanistan-bounties.html?
action=click&module=Top%20Stories&pgtype=Homepage

(13) https://theins.ru/en/politics/270425

(14) https://static.rusi.org/SR-Russian-Unconventional-Weapons-final-web.pdf

(15) https://de.wikipedia.org/wiki/Sprengstoffanschl%C3%A4ge_auf_      
Wohnh%C3%A4user_in_Russland

(16) https://de.wikipedia.org/wiki/Geiselnahme_im_Moskauer_Dubrowka-Theater

(17) https://www.milfors.de/Operationsplan-Deutschland.htm

(18) https://en.wikipedia.org/wiki/Force_protection_condition

(19) https://www.welt.de/print-welt/article565753/Ein-Relikt-aus-dem-      
Kalten-Krieg-als-Gefahr-fuer-Spaziergaenger.html

(20) Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (Hg.): Anatomie der Staatssicherheit – Geschichte – Strukturen – Methoden, MfS-Handbuch, Die Hauptabteilung XXII: „Terrorabwehr“, Berlin, August 1995

(21) Knabe, Hubertus: West-Arbeit des MfS – Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“, Berlin, 1999, S. 261


Nachtrag (22. April 2024)

Nicht nur in der Bundesrepublik und Polen greift der russische Geheimdienst militärische Objekte an, um die Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterbinden. Auch die USA und das Vereinigte Königreich melden „mysteriöse“ Vorfälle in Munitionsfabriken:

Am 15. April 2024 brach in der Scranton Army Ammunition Plant (SCAAP) in Scranton (US) ein Feuer aus.    
(https://mil.in.ua/en/news/a-fire-broke-out-at-an-ammunition-plant-in-the-united-states/)

Das Unternehmen gehört zum U.S. Army Joint Munitions Command (JMC) und stellt u.a. 155-mm-Artilleriegranaten der Typen M107 und M795 her. Das Unternehmen gab zum Brand folgende Erklärung ab:

„Um ca. 15.20 Uhr heute reagierten die Einsatzkräfte auf ein Feuer im Gebäude der Wärmebehandlung in der Scranton Army Ammunition Plant. In dem Werk wurde auch Munition für die Ukraine hergestellt. Das Feuer wurde gelöscht, es gab keine Verletzten und alle Mitarbeiter sind wohlauf. Die Brandursache ist derzeit noch unbekannt. Wir bewerten derzeit den Schaden, um mögliche Auswirkungen auf die Anlagen oder die Produktion zu ermitteln.“
(https://www.fr.de/politik/sabotage-putin-russland-spionage-zwei-nato-staaten-usa-grossbritannien-mysterioes-vorfall-93023684.html)

Zwei Tage später, am 17. April, kam es zu einem Brand in der BAE Systems Glascoed facility in Monmouthshire. Es handelt sich um die einzige Fabrik in Großbritannien zur Herstellung von 155-mm-Artilleriegranaten. Nach Firmenangaben ist die Ursache des Feuers ungeklärt, es gab keine Verletzten, die Produktion wurde nicht beeinträchtig.          
(https://www.bbc.com/news/uk-wales-68836649)

Es wurde bisher nicht bekannt, ob sich auch in weiteren NATO-Staaten (Schweden, Finnland, etc.) ähnliche, ungeklärte Vorfälle ereignet haben.

Anscheinend trifft die russische Regierung konkretere Vorbereitungen für einen potentiellen Angriff auf das NATO-Gebiet, ohne dass der Zeitpunkt des Kriegsbeginns schon ausgemacht wäre. In diesem Zusammenhang spricht das Institute for the Study of War (ISW) in Washington von einem „zukünftigen großangelegten konventionellen Konflikt mit der NATO“. So werden die russischen Truppenteile entlang der Landgrenze zu Finnland erheblich ausgebaut, der Militärbezirk Sankt Petersburg entsprechend aufgerüstet. Mehrere neue amphibische Brigaden werden aufgestellt, eine neue Raketenbrigade mit Iskander-M in Karelia aufgebaut. Die Rede ist auch von der Bildung einer neuen Panzerdivision.         
(https://www.fr.de/politik/moskau-ukraine-krieg-russland-kreml-wladimir-putin-nato-konflikt-baltikum-experten-zr-93023942.html)

Die russische Militärführung plant einen Ausbau ihres Personalbestandes von derzeit 1,1 Millionen Soldaten auf 1,5 Millionen Mann innerhalb der nächsten zwei Jahre, dazu sollen ein Dutzend Brigaden zu Divisionen aufgewertet werden. Gegenwärtig ist gegenüber Norwegen und Finnland im Norden das 14. Armeekorps disloziert, weiter südlich gegenüber Finnland das 44. Armeekorps in Petrozavodsk. An der Grenze zum Baltikum befindet sich die 6. Armee und dahinter weiter östlich die 2. Panzerarmee. Hinzu kommt das 11. Armeekorps in der Enklave Kaliningrad. Für den Krieg gegen die Ukraine machen sich das 3. und 40. Armeekorps sowie und die 18. und 25. Armee bereit.

Nachtrag (27. April 2024)

Am Montag, den 22. April 2024, hat New Scotland Yard im Vereinigten Königreich fünf Männer im Alter zwischen 20 und 60 Jahren festgenommen. Sie stehen im Verdacht, im Auftrag des russischen Geheimdienstes GRU bzw. der Gruppa Wagnera mehrere Sabotageanschläge verübt bzw. geplant zu haben. Ziel waren Unternehmen, die mit der Ukraine Handel treiben: das Logistikunternehmen „Oddisey LTD“ und „Meest UK LTD“. Beide Unternehmen werden von dem Ukrainer Mikhail Boikov geführt.

Drei Saboteure (Dylan Earl [20 Jahre] aus Elmesthorpe in Leicestershire, Paul English [60] aus London-Roehampton und Nii Mensah [21] aus London-Thornton Heath) sollen am 20. März 2024 das Warenlager „Cromwell Industrial Estate“ im Londoner Stadtteil Leyton (Staffa Road) in Brand gesteckt haben. Sechzig Feuerwehrleute mussten eingesetzt werden, um den Brand nach viereinhalb Stunden zu löschen.      
(https://twitter.com/LondonFire/status/1770624576583582082?ref_src=twsrc%5Etfw)

Ein weiterer Terrorist ist Jack Reeves (22) aus London-Croydon, der gegen Bezahlung ebenfalls einen Brandanschlag verüben wollte. Bei dem fünften Spion handelt es sich um Dmitrijus Paulauska (22) aus London-Croydon.      
(https://www.heraldscotland.com/news/national/24281339.briton-accused-orchestrating-london-arson-attacks-behalf-wagner-group/)

Der britische Außenminister David Cameron erklärte dazu:

“While we must let the judicial process run its course, I am deeply concerned by allegations of British nationals carrying out criminal activity on UK soil to benefit the Russian state.

We will use the full weight of the criminal justice system to hold anyone found guilty of crimes linked to foreign interference to account.”      
(https://www.scmp.com/news/world/europe/article/3260572/uk-man-ties-wagner-group-charged-russia-backed-arson-plot-ukraine-linked-targets-london)

Nach Angaben von Dominic Murphy, Leiter des Counter Terrorism Command der Metropolitan Police in London, soll in der vorliegenden Strafsache erstmals das neue National Security Act von Dezember 2023 zur Anwendung kommen. Außerdem basiert die Anklage des Crown Prosecution Service (CPS) auf dem Terrorism Act aus dem Jahr 2000 und dem Criminal Damage Act von 1971. Der Prozess beginnt am 10. Mai vor dem Central Criminal Court in Old Bailey.