Militärforschung
  Ukraine-Krieg 2.0 - 44. Update
 

Ukraine-Krieg 2.0 – Update 44 vom 10. April (D+44)

Gerhard Piper

Lageentwicklung:

Die russische Opposition um den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny setzt auf einen Umsturz in Moskau durch interne Konflikte im inneren Zirkel von Staatspräsident Wladimir Putin. Das sei inzwischen „das wahrscheinlichste Szenario“, sagte der langjährige Stabschef Nawalnys, Leonid Wolkow. In Kreisen der politischen und ökonomischen Elite in Moskau gebe es eine enorme Unruhe. Putins militärische Pläne hätten sich als irreal entpuppt, zugleich erleide Russland realen Schaden durch die Wirtschaftssanktionen: „Diese beiden Faktoren addieren sich zu einem Druck auf Putin, der ihn früher oder später das Amt kosten wird, da bin ich sehr zuversichtlich. (…) Wenn Putin weg ist, wird dieses System nicht an irgendjemanden vererbt. (…) Es wird zusammenbrechen.“ (https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-sonntag-125.html)

Kriegsverbrechen:

- Butscha:

Am Freitag haben ukrainische Forensiker damit begonnen, systematisch das Massengrab im Vorort Butscha auszuheben und die Todesart sowie Identitäten der dort Verscharrten festzustellen. Zunächst hatten lokale Behörden die Zahl der Leichname auf etwa 70 geschätzt. Inzwischen rechnet man damit, auf etwa 150 Begrabene zu stoßen. Viele Menschen, die Angehörige verloren haben, begleiten die Arbeiten, um womöglich deren Tod zu bestätigen.

Laut Serhiy Kaplychnyy, einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung, verweigerten die russischen Soldaten während der Besatzung zunächst die Erlaubnis, Tote zu begraben: „Sie sagten uns, es sei noch kalt genug und darum nicht nötig. (…) Dann begannen die Hunde, an den Leichen zu fressen. Schließlich konnten wir die Russen überzeugen, dass ein Begräbnis aus hygienischen Gründen notwendig sei.“ (https://www.n-tv.de/politik/12-33-Papst-ruft-zu-Waffenruhe-an-Ostern-auf--article23143824.html)

In diesem Zusammenhang scheint wichtig zu sein, dass die 76. Fallschirmjägerdivision, deren 234 Garde Fallschirmjägerregiment an dem Massaker in Butscha beteiligt war, erste Zerfallssymptome zeigt:

„A Russian Telegram channel reporting on Pskov, the home of the elite 76th Guards Airborne Division, noted on April 7 that a growing number of paratroopers are refusing to fight. It claimed that many paratroopers have submitted resignation papers, which commanders are refusing to accept. Some soldiers’ families have reportedly appealed to Russian courts to force the Russian military to accept the resignations. The channel claimed on April 6 that 60 paratroopers had refused to fight and were dismissed.“ (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-april-9)

Truppenaufmarsch:

Das „Institute for the Study of War“ (ISW) in Washington hält die Ernennung von Armeegeneral Alexander Dwornikow zum Oberbefehlshaber für überfällig und militärisch nachvollziehbar:

„General Alexander Dvornikov the single overall commander of operations in Ukraine.[23] At least two and possibly three officers had previously commanded separate axes, with Dvornikov responsible for the south and east while Western Military District Commander General Alexander Zhuravlyov commanded the north. Eastern Military District Commander Colonel General Alexander Chaiko may have commanded the troops drawn from his military district who attacked down the west bank of the Dnipro River, although we have no confirmation of that hypothesis. The lack of a single overall commander clearly hindered the cooperation of Russian forces operating along various invasion axes. The designation of Dvornikov as the overall commander makes sense now given that the announced Russian main efforts are almost all in his area of responsibility.“ (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-april-9)

Allerdings meint das „ISW“, dass durch diese Personalie nicht das Problem gelöst wird, dass das russische Konzept der taktischen Bataillonsgruppen zu unflexibel für den Personalersatz sei:

„The Russian armed forces likely have few or no full-strength units in reserve to deploy to fight in Ukraine because of a flawed mobilization scheme that cannot be fixed in the course of a short war. The Russians did not deploy full regiments and brigades to invade Ukraine—with few exceptions as we have previously noted. They instead drew individual battalions from many different regiments and brigades across their entire force. We have identified elements of almost every single brigade or regiment in the Russian Army, Airborne Troops, and Naval Infantry involved in fighting in Ukraine already. The decision to form composite organizations drawn from individual battalions thrown together into ad hoc formations degraded the performance of those units, (…).

Oleksiy Arestovich, chief advisor to Ukrainian President Volodymyr Zelensky, claimed on April 9 that the Ukrainian military has destroyed 20 BTGs and rendered 40 more combat ineffective. We cannot track individual BTG effectiveness that precisely, but this estimate that approximately one-third of the 180 BTGs Russia has available in and around Ukraine are combat ineffective is consistent with what we have observed.“ (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-april-9)

Der britische Militärgeheimdienst teilt mit, Russland versucht, die zunehmenden Verluste seiner Invasionstruppen durch Soldaten auszugleichen, die seit 2012 aus dem Militärdienst entlassen wurden. Dazu gehöre auch der Versuch, Rekruten aus der von Russland gestützten und international nicht anerkannten Region Transnistrien im Osten der Republik Moldau zu rekrutieren. (https://www.n-tv.de/politik/10-58-Luhansker-Gouverneur-Es-steht-die-Hoelle-bevor--article23143824.html)

Gefechte:

Kiew-Umgebung:

- Dmytriwka:

Am Samstag wurde in Dmytriwka, im Stadtteil Busowa, ein Massengrab mit Dutzenden toten Zivilisten entdeckt worden. Das Grab sei erst am Samstag im Dorf Busowa entdeckt worden, sagt Taras Didytsch, der Vorsteher der Gemeinde Dmytriwka westlich von Kiew. Die Leichen hätten in einem Graben in der Nähe einer Tankstelle gelegen. Es handelt sich um mehrere Dutzend Tote. Der Ortsteil Busowa (ca. 1.600 Einwohner) stand wochenlang unter russischer Besatzung. (https://www.reuters.com/world/europe/ukraine-calls-more-sanctions-weapons-stop-russias-catastrophe-2022-04-10/)

- Kharkiw:

Zwei russischen BTGs planen einen erneuten Vorstoß aus dem Raum Belgorod in Richtung Kharkiw, berichtet der ukrainische Generalstab.

Osten:

- Bezruky:

Bewohner des Grenzdorfes Bezruky (ca. 2.500 Einwohner) in der Nähe von Kharkiw haben Streumunition entdeckt, die bis zu zwei Dutzend kleine Minen auswirft, die in Abständen explodieren und von russischen Truppen zurückgelassen wurden. (https://www.focus.de/politik/ausland/der-kriegsverlauf-in-der-ukraine-im-ticker-neun-evakuierungskorridore-fuer-sonntag-vereinbart_id_52139887.html)

Diese fernverlegbaren Anti-Panzerminen PTM-1S ALDAN wurden durch den Ottawa-Vertrag von 1997 verboten, um die Zahl der zivilen Opfer zu verringern. Jede Mine hat eine Länge von 32 x 6,5 cm und enthält 1,1 kg Flüssigsprengstoff PWW-12S; sie wird durch Druckzünder WGM oder der Zeitzünder WGMS-572 ausgelöst. Ein Selbstzerstörungsmechanismus soll die Mine nach 3 bis 40 Stunden selbst zerlegen, funktioniert aber nicht immer, so dass die Blindgänger eine beständige Gefahr darstellen. (https://de.wikipedia.org/wiki/PGMDM)

- Dnipro:

Im Gebiet Dnipropetrowsk seien der Stab und Basis des Bataillons Dnipro durch die Russen vernichtet worden. Der Stützpunkt soll demnach auch als Sammelstelle für ukrainische Kriegsfreiwillige gedient haben.

- Rubischne:

Unweit der umkämpften ostukrainischen Stadt Rubischne ist offenbar ein Lager mit Salpetersäure durch Beschuss beschädigt worden. Der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, warnte am Samstag die Bevölkerung: „Wenn Sie in einem Gebäude sind, schließen Sie Türen und Fenster!“ Gleichzeitig veröffentlichte er ein Video mit einer dicken rötlichen Wolke, die von Salpetersäure stammen soll. (https://www.faz.net/aktuell/ukraine-konflikt/ukraine-liveblog-russland-stockt-seine-truppen-offenbar-mit-veteranen-auf-17804564.html)

- Siewierodonezk:

In der Stadt Siewierodonezk in der Region Luhansk sind am frühen Morgen eine Schule und ein Wohnhochhaus beschossen worden - Verletzte hat es dem Gouverneur zufolge nicht gegeben. Er hat für heute weitere Evakuierungen angekündigt. Neun Eisenbahnzüge stünden bereit, um Einwohner aus der Region Luhansk in Sicherheit zu bringen. (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/zivilisten-in-massengrab-nahe-kiew-gefunden,T2aMGKe) Russische Einheiten des 423. MotSchützen Regiments und des 13. Panzerregimentes dringen hier weiter vor.

- Tschuhujiw:

Tschuhujiw ist eine Garnisonstadt bei Kharkiw. Die russischen Streitkräfte haben den lokalen Militärflugplatz angegriffen und Startkomplexe des Luftabwehrraketensystems S-300, mehrere Drohnen, zwei Munitions- und drei Treibstofflager zerstört, erklärte Generalmajor Igor Konaschenkow in Moskau. (https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-sonntag-125.html)

Süden:

- Mariupol:

Die russischen Einheiten konnten im Zentrum der Stadt weiter in Richtung Asowsches Meer vordringen. Möglicherweise gelang es ihnen, einen Keil zwischen die verteidigenden Truppen der ukrainischen Einheiten zu schlagen, so dass die Ukrainer nun aus zwei Stellungen im Südwesten und im Südosten der Stadt heraus kämpfen müssen. (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-april-9)

Die prorussischen Separatisten behaupten, ukrainische Truppen hätten zwei ausländische Schiffe samt Besatzung in ihre Gewalt gebracht und würden von dort aus die Stadt beschießen.

Das „ISW“ in Washington meldet unter Berufung auf den ukrainischen Militärgeheimdienst, dass sich eine russische Spetsnaz-Einheit geweigert habe, die heftigen Kämpfe fortzusetzen, nachdem die Einheit vom 2. bis zum 4. April 30 Verluste erlitten hatte. (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-april-9)

- Mykolajiw:

In der Region Mykolajiw habe das ukrainische Militär sieben Raketenangriffe der russischen Armee gezählt, dabei sei aber niemand getötet worden. Ukrainische Kräfte hätten ihrerseits bei drei Angriffen auf russische Truppen gestern unter anderem 80 Soldaten getötet sowie drei Panzer und je ein Flugzeug und einen Hubschrauber zerstört. Solche „Erfolgsmeldungen“ können nicht unabhängig überprüft werden. (https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-sonntag-125.html)

Verluste:

Mit neuen schweren Raketenangriffen haben die russischen Streitkräfte nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau 86 Militärobjekte innerhalb eines Tages getroffen, teilte Generalmajor Igor Konaschenkow mit.

Zivilbevölkerung:

Russland: Mehr als 700.000 Menschen aus den Separatistengebieten Donezk und Luhansk sowie anderen Teilen der Ukraine sollen nach Militärangaben in Moskau seit dem 24. Februar nach Russland evakuiert worden sein.

Am 9. April fand ein kleiner Gefangenenaustausch statt. Die russische Menschenrechtskommissarin Tatiana Moskalkowa teilte mit, vier Angestellte der staatlichen Atomenergiegesellschaft „Rosatom“ und mehrere Soldaten seien Russland übergeben worden. Darüber hinaus hätten beide Seiten Fernfahrer ausgetauscht, die im anderen Land festsaßen. So seien 32 russische Fernfahrer in ihre Heimat zurückgekehrt.

Ukraine: Die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk teilte mit, im Rahmen des Gefangenenaustausches seien insgesamt 26 Ukrainerinnen und Ukrainer aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Zwölf der Befreiten seien ukrainische Militärangehörige, darunter eine Frau im Offiziersrang. Außerdem seien 14 Zivilisten befreit worden: 9 Frauen und 5 Männer. (https://www.faz.net/aktuell/ukraine-konflikt/ukraine-liveblog-russland-stockt-seine-truppen-offenbar-mit-veteranen-auf-17804564.html)

Iryna Wereschuk schätzt, dass seit Kriegsbeginn rund 45.000 ukrainische Staatsbürger zwangsweise nach Russland deportiert wurden.

Bei einer weltweiten Spendenaktion für Flüchtlinge aus der Ukraine sind Zusagen in Höhe von insgesamt 10,1 Milliarden Euro zusammengekommen. Bei der „Stand Up For Ukraine“-Kampagne seien 9,1 Milliarden Euro zugesagt worden, eine weitere Milliarde stelle die EU-Kommission gemeinsam mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) bereit, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Samstag in Warschau.

ABC-Waffen:

Biologische Waffen:

Der Kommandeur der russischen ABC-Abwehrtruppe (russ.: RChBZ), Generalleutnant Igor Kirillov, behauptete am 6. April, die russische Aufklärung hätte in der Ukraine 30 Laboratorien in 14 Bevölkerungsgebieten ausgemacht, die mit der US Defense Threat Reduction Agency (DRTA) zusammenarbeiten würden. (https://www.understandingwar.org/backgrounder/ukraine-invasion-update-22) Die DTRA hat ihren Sitz in Fort Belvoir (John J. Kingman Road) und wird derzeit von Direktor Rhys M. Williams geleitet. Die DTRA hatte seit Ende der neunziger Jahre den Auftrag, Hilfen für einen sicheren Einschluss der ABC-Waffenbestände in der früheren Sowjetunion zu leisten bzw. zu deren Abrüstung beizutragen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Defense_Threat_Reduction_Agency)

BRD:

Bundeswehr-Atombewaffnung: Während der „Focus“-Kolumnist Jan Fleischauer am 9. April offen für eine „deutsche“ Atombombe warb, gebärdeten sich die Schreiberlinge des „Spiegels“ am selben Tag hinterhältiger. In einem Artikel unter dem verharmlosenden Titel „Europas Bombe“ (S. 76-79) warben René Pfister, Britta Sandberg und Christoph Schult ebenfalls für eine umfangreichere Atombewaffnung der Bundeswehr als das gegenwärtige „NATO Nuclear Sharing“ mit den ollen Amerikanern. Nein, sie fordern im Gegensatz zum Kollegen Fleischauer keine ausgesprochen „deutsche“ Atombombe, vielmehr sollten sich die europäischen Staaten zusammentun und sich ein gemeinsames Nuklearkommando auf Basis der französischen „Force de frappe“/“Force de dissuasion“ zuzulegen, so die verlogene Botschaft des „Nachrichtenmagazins“ aus Hamburg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Force_de_dissuasion_nucl%C3%A9aire_fran%C3%A7aise)

Die nukleare Abschreckung der Amerikaner für Europa sei nicht glaubwürdig, zumal dann, wenn sich die USA nach einer Wiederwahl von Donald Trump bald aus der NATO endgültig verabschieden würden. Als Kronzeuge bemühen die „Spiegel“-Autoren den Amerikaner Michael O-Hannon von der „Brookings Institution“: „In diesem Fall stünde Europa vor sehr fundamentalen Fragen – dazu könnte gehören, eine europäische atomare Abschreckung aufzubauen.“ So verweisen die Autoren auf den früheren Bundesverteidigungsminister Franz-Josel Strauss (CSU), der schon Mitte der fünfziger Jahre zusammen mit Frankreich und Italien eine „europäische“ Atomstreitmacht aufbauen wollte. Seitdem „nahm die Idee einer gemeinsamen europäischen Nuklearmacht nie wieder Fahrt auf“, behaupten die Hamburger wahrheitswidrig.

Zuletzt hätte in den Jahren 2017/2018 Prof. Dr. Maximilian Terhalle (King´s College, London) zusammen mit seinem französischen Kollegen Francois Heisbourg (Fondation pour la Recherche Stratégique, Paris) die Idee aufgegriffen, dass Frankreich den Nuklearschirm seiner „Force de dissuasion“ auf die atomaren Habenichtse in Europa ausweiten könnte. Aber: Wenn schon die US-Zusage, man würde im Falle eines russischen Angriffs auf das Baltikum in einen allumfassenden Atomkrieg gegen Russland eintreten, nicht glaubwürdig, weil irrational ist, warum sollte dann eine entsprechende Zusage der Regierung in Paris glaubwürdiger, weil weniger schwachsinnig, sein?

Terhalle und Heisbourg bieten lediglich folgendes an: „Diese Zusage könnte auch beinhalten, dass französische Kampfflugzeuge, die Atombomben tragen können, abwechselnd in verschiedenen europäische NATO-Staaten verlegt werden, etwa Deutschland“. Aufgrund der sehr begrenzten Zahl von Jagdombern des Typs RAFALE B F3, die mit der Luft-Boden-Marschflugkörpern Air-Sol Moyenne Portée-Amélioré (ASMP-A) mit Atomsprengkopf TNA (100–300 KT) ausgerüstet werden können, ist das ein albernes Angebot: Das Potential der Forces Aériennes Stratégiques (FAS) und der maritimen Force aéronavale nucléaire (FANu) ist eher begrenzt. Die FAS verfügt schließlich nur über zwei Kampfstaffeln, die Escadron de chasse 1/4 „Gascogne“ und die Escadron de chasse 2/4 „La Fayette“, die beide auf dem Fliegerhorst BA 113 in Saint-Dizier-Robinson disloziert sind. Außerdem macht es militärpolitisch keinen Unterschied, ob die Flugzeuge ein paar Kilometer diesseits oder jenseits der deutsch-französischen Grenze geparkt werden.

Dabei benennt Heisbourg selbst das eigentliche Problem einer multinationalisierten Atomstreitmacht: „Das Problem wäre die Befehlskette – wer entscheidet wann mit welcher Zielsetzung?“

Die Franzosen hingegen hätten einen manifesten Vorteil, sie ließen sich „ihre“ Atomwaffen von den anderen Europäern bezahlen. So griff der jämmerliche Strategieversager der Merkel-Regierung, Christoph Heusgen (CDU), die französische Offerte nukleargeil auf: „Ein Modell wäre, dass sich die Bundesregierung und andere EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, sich finanziell an der französischen Nuklearstreitmacht zu beteiligen, wenn sei im Gegenzug ein Mitspracherecht bei der Planung und beim Einsatz französischer Atomwaffen erhalten.“

Die „aktuelle“ Nukleardebatte, die der „Spiegel“ mit seinem aktuellen Artikel aufmacht, ist keinesfalls so neu, wie das Magazin zu suggerieren versucht: Präsident Jacques Chirac (UMP) (1995-2007) hatte dasselbe schon Ende der neunziger Jahre angeboten, weil er Geld für seine vier Atom-U-Boote der TRIOMPHANT-Klasse brauchte. Im Jahr 2007 erneuerte sein Amtsnachfolger Nicolas Sarkozy (UMP) (2007-2012) noch einmal das Angebot. (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ueberraschender-vorstoss-sarkozy-bot-deutschland-atomwaffen-an-a-505887.html) Eine „Europäisierung“ der französischen Nuklearstreitmacht ist aber schon damals daran gescheitert, dass die Franzosen den Deutschen keine hinreichenden Mitspracherechte einräumen wollten und konnten. Es blieb beim französischen Veto-Recht. (https://www.fes.de/ipg/artschmitt.html) An dem Angebot und seiner inhärenten Fragwürdigkeit hat sich bis heute offensichtlich nichts geändert.

Die Frage einer deutschen Nuklearmacht in der ein oder anderen Form wird i. d. R. nur alle fünf bis zehn Jahre aufgeworfen. Daher muss es überraschen, dass die beiden auflagenstärksten Polit-Magazine „Spiegel“ und „Focus“ das Thema gleichzeitig in ihren Printausgaben vom 9. April 2022 erneut auftischten. Möglicherweise hatte jemand in Berlin ein Interesse daran.

Waffenexporte: Der „Spiegel“ zählt in seiner neuesten Ausgabe (S. 9) die bisher an die Ukraine gelieferten Waffensysteme auf.
500 Flugabwehrraketen STINGER
2.700 Flugabwehrraketen STRELA
3.000 Panzerfäuste
100 Maschinengewehre MG 3
16.000.000 Schuss Munition für Handfeuerwaffen
mehrere hundert Panzerabwehrrichtminen
4 Systeme zur Drohnenabwehr
80 gepanzerte Geländewagen
50 UNIMOGs für den Sanitätsdient
14 Paletten Sanitätsmaterial
500.000 Einmannpackungen Verpflegung (Epa)
Nachsichtgeräte
Ferngläser, …

Nachdem die Bundesregierung die Lieferung von rund 100 Schützenpanzern MARDER verweigert hat, hat sich die ukrainische Regierung nun an die „Rheinmetall AG“ in Düsseldorf, Deutschlands größter Rüstungskonzern gewandt. Die Ukrainer wollen bis zum Jahresende 35 Panzer kaufen, allerdings müssen die ausgemusterten Altpanzer zunächst instand gesetzt werden.

Der Sicherheitsexperte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München zweifelt stark an der Aussage von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die Regierung könne Kiew kaum mehr Kriegsgerät zur Verfügung stellen, weil sonst die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gefährdet wäre: „Wenn die deutsche Landesverteidigung wirklich an ein paar Mardern zu scheitern droht, dann können wir den Laden gleich ganz dicht machen.“ (https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/waffenlieferung-fuer-die-ukraine-experte-ueber-marder-schuetzenpanzer-a-d74c94c3-2075-4229-a955-e1f13c07b9fa)

Der Rüstungskonzern „Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG“ (KMW) in München bietet der Ukraine 100 Panzerhaubitzen (PzH 2000?) an. Die Lieferung solle nach den Vorstellungen der Ukraine in einem Ringtausch unter Beteiligung der Bundeswehr erfolgen. Demnach solle die Bundeswehr 100 ihrer Haubitzen der Ukraine kurzfristig zur Verfügung stellen. „KMW“ könne die ersten neuen Haubitzen 30 Monate nach Vertragsunterzeichnung liefern. Die 100 Haubitzen hätten einschließlich Ausbildungspaket und Ersatzteilen einen Wert von 1,7 Milliarden Euro. (https://www.welt.de/politik/ausland/plus238089483/Waffenlieferungen-Ukraine-liegt-Angebot-fuer-deutsche-Panzerhaubitzen-vor.html)

Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einem solchen Ringtausch kommt, da die Kampfkraft der Bundeswehr ohnehin gegen Null tendiert, schließlich lautet der Schlachtruf der Bundeswehr: „Frieden ist unser Beruf!“

Russophilie: Die Polizei in Lübeck hat am Samstag einen Autokorso mit 160 Personen in 60 Fahrzeuge gestoppt, weil Teilnehmer den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine demonstrativ billigten. Es seien auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet worden, teilt die Polizei mit. Eigentlich hatte die Demonstration mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine unter dem Motto „Gegen den Hass!“ stattgefunden. Auch in Stuttgart hat am Samstag ein pro-russischer Autokorso stattgefunden, zu dem 190 Fahrzeuge angemeldet waren. Die Demonstranten forderten „Stopp Russophobia“ und wandten sich „Gegen die Diskriminierung russischsprachiger Kinder in den Schulen“. Etwa 20 Leute hatten sich zu einer Pro-Ukraine-Gegendemo versammelt.

Friedensdemonstrationen: Mehrere hundert Menschen haben am Samstag in Berlin gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Zu einer Mahnwache der Initiative „Demokrati-JA“ vor der Russischen Botschaft (Unter den Linden) versammelten sich am Nachmittag rund 90 Menschen. Die Aktion stand unter dem Motto „Putinists, you will pay for your crimes“. Unter dem Slogan „No war but class war“ zog zeitgleich ein Demonstrationszug vom Boulevard Unter den Linden zum Rosenthaler Platz. Die Polizei berichtete von maximal rund 380 Teilnehmern. Dieser Protestzug richtete sich gegen den Krieg und das militärische Aufrüsten der beiden Blöcke Russland und NATO.

Derweil bereitet sich die sogenannte „Friedensbewegung“ auf ihre traditionellen Ostermärsche vom Gründonnerstag (14. April) bis zum Ostermontag (18. April) in ca. 90 Städten und Gemeinden vor. Eine Übersicht über die Veranstaltungen und Aufzüge bietet die „Friedenskooperative“ in Bonn: https://www.friedenskooperative.de/termine?thema=69

United Kingdom:

Die britische Regierung hat der Ukraine Waffenlieferungen im Wert von 100 Millionen Pfund (120 Millionen Euro) zugesagt. Zu diesem Paket zählen moderne Luftabwehr-Raketen vom Typ STARSTREAK, 800 Panzerabwehrwaffen sowie lenkbare Präzisionsmunition.

Außerdem hat der britische Premierminister Boris Johnson bei seinem Besuch in Kiew der Ukraine weitere Waffenlieferungen zugesagt: 120 gepanzerte Fahrzeuge und Anti-Schiffsraketensysteme. (https://www.faz.net/aktuell/ukraine-konflikt/ukraine-liveblog-russland-stockt-seine-truppen-offenbar-mit-veteranen-auf-17804564.html)

Österreich:

Österreich will die Ukraine im Kampf gegen Russland mit Rettungs- und Löschfahrzeugen unterstützen. Das kündigte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Samstag nach einem Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj in Kiew an.

Russland:

Repression: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hatte am 16. März dazu aufgefordert, „Verräter und Abschaum“ zu jagen. Der Kranke sprach von einer „Selbstreinigung“ der russischen Gesellschaft. Seitdem nimmt die Repression in Russland weiter zu: „Es ist, als ob sie alle in eine Art Wahnsinn verfallen sind“, sagt eine Lehrerin von der Halbinsel Sachalin (Fernost), die eine Geldstrafe bezahlen musste, weil sie im Unterricht gesagt hatte, dass die Ukraine ein „eingeständiges Land“ sei. Die Lehrerin führt die zunehmende „Paranoia und Polarisierung“ in der russischen Gesellschaft auf die „bösartige Rhetorik des Staates“ zurück, der zudem neue Gesetze verabschiedet, die abweichende Meinungen kriminalisieren.

In der Exklave Kaliningrad haben die Behörden den Bewohnern Textnachrichten geschickt und sie aufgefordert, Telefonnummern und E-Mail-Adressen von „Provokateuren“ im Zusammenhang mit der „Sonderoperation“ in der Ukraine zu denunzieren. Die Meldung dieser staatsabträglichen Widersacher sei einfach über ein spezielles Konto bei „Telegram“ möglich. (https://www.focus.de/politik/ausland/abschaum-und-verraeter-gejagt-russlands-kultur-des-misstrauens-wer-nicht-verpfeift-ist-selbst-verdaechtig_id_81327516.html)

Sanktionen: Russland hat nach der Sperrung des „Youtube“-Kanals des russischen Abgeordnetenhauses mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die US-Videoplattform gedroht. Der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin erklärte am Samstag, die Sperrung von „Duma-TV“ verletze die „Rechte der Russen". „Duma-TV“ hat nach Angaben Moskaus mehr als 145.000 Abonnenten. Der Kanal sendet Ausschnitte aus Parlamentsdebatten und Interviews mit russischen Abgeordneten. Die Medienaufsichtsbehörde hatte „Youtube“ bereits im März „terroristische Aktivitäten" vorgeworfen und damit den ersten Schritt für ein Verbot eingeleitet. Nun sind die Selbstdarstellungs- und Propagandamöglichkeiten der russischen Parlamentsabgeordneten stark eingeschränkt. (https://www.faz.net/aktuell/ukraine-konflikt/ukraine-liveblog-russland-stockt-seine-truppen-offenbar-mit-veteranen-auf-17804564.html)