Militärforschung
  Erdogans Regime
 

Das Erdoğan-Regime - Die türkischen „Sicherheitsorgane“

 

Gerhard Piper

15 Juli 2018

 

Am 9. Juli 2018 leistete der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Amtseid ab. Damit ist das kemalistisch-laizistische parlamentarische Regime von 1922 durch ein islamofaschistisches Regime abgelöst worden, weil dies die türkische Bevölkerung mehrheitlich so wollte. Dabei hatte Herr Erdoğan in den letzten zwei Jahren seit dem gescheiterten Putschversuch rund 160.000 Türken festnehmen lassen. Die Pressefreiheit wurde abgeschafft, das Militär enthauptet. Gleichzeitig entfesselte Erdoğan einen Bürgerkrieg in den Kurdengebieten der Türkei und intervenierte im Nordirak und in Nordsyrien. „Glücklich derjenige, der sich Türke nennt“, hieß es noch zur Zeit des Republikgründers „Atatürk“, aber die wirtschaftlichen und politischen Zukunftaussichten sind eher düster.

 

Inhaltsverzeichnis

 

A) Seine Exzellenz, der finstere Herr Erdoğan

- Ausbildung

- Politische Laufbahn

- Der fromme Moslem und die anti-türkischen Christen

- Islamokratie durch Volksabstimmung

- Das türkische „1933“ im Jahr 2018

- Machtkampf gegen den Weggefährten Gülen

- Korruptionsvorwürfe und Terrorismusverdacht

- Großmachtstreben

- Wirtschaftsprobleme

 

B) Die militärpolitische Stellung der türkischen Sicherheitskräfte

- Die militärpolitische Führung

- Die Stellung des Militärs in Staat und Gesellschaft

- Putschismus

-- Türkische Putschgeschichte

-- Szenario Balyoz 2002/03

-- Virtueller Putschversuch des Hirngespinstes „Energekon“ 2003

-- Putschdrohung 2007

-- Der Putschversuch vom 15. Juli 2016

-- Aktuell andauernde Säuberungswelle

 

C) Organisationsstruktur und Bewaffnung der türkischen Sicherheitskräfte

- Die türkischen Landstreitkräfte

-- Die Stoßrichtungen des türkischen Heeres

--- 1. Stoßrichtung: Griechenland bzw. Bulgarien

--- 2. Stoßrichtung: Kurdengebiete und Südgrenze

--- 3. Stoßrichtung: Osten

-- Heeresflieger

-- Waffenausstattung

- Die türkische Luftwaffe

-- Gliederung

-- Waffenausstattung

- Die türkische Marine

-- Stoßrichtung Schwarzes Meer und Marmarameer

-- Stoßrichtung Mittelmeer

-- Schiffsbestand der Marine

-- Marineflieger

- Militärpolizei

- Sondereinheiten

-- Bordo bereliler

-- SAT

-- SAS

-- Kommandos

- Paramilitärische Truppen

-- Jandarma

-- Küstenwache

- Polizei

- Nachrichtendienste

-- Inlandsgeheimdienst KDGM

-- Nachrichtendienst der Polizei

-- JİTEM

-- Millî İstihbarat Teşkilatı (MİT)

--- Spionageaktivitäten gegen Deutschland

-- Militärgeheimdienst

- Zivilschutz

 

D) Die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte

- Beziehungen zu Griechenland

- Beziehungen zu Armenien

- Beziehungen zu Russland

- Die „Kurdenproblematik“ innerhalb der Türkei

-- Türkische Militäroffensiven gegen die Kurden innerhalb der Türkei

- Militäroperationen in der autonomen Kurdenregion im Nordirak

- Die Kurdengebiete in Nordsyrien

-- Die türkischen Militäroffensiven gegen die Kurden in Syrien

--- Operation SCHUTZSCHILD EUPHRAT (2016/17)

--- Operation im Raum Idlib (2017)

--- Operation OLIVENZWEIG (2018)

 

E) Das türkisch-deutsche Verhältnis

 

 

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A) Seine Exzellenz, der finstere Herr Erdoğan

 

- Ausbildung

 

Der Islamofaschist Recep Tayyip Erdoğan wurde 1954 in Istanbul-Kasımpaşa geboren. Er soll georgischer Abstammung sein. Sein Vater Ahmet Erdoğan stammte aus Güneysu aus dem Nordosten der Türkei, migrierte nach Istanbul, wo er im Hafenviertel Kasımpaşa als Küstenschiffer arbeitete und angeblich bei der türkischen Küstenwache Dienst tat. Er heiratete – nach islamischem Recht – seine Zweitfrau Tenziele Mutlu; aus dieser Ehe ging der kleine Recep hervor.

Über die Familienverhältnisse berichtete der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim, der am 13. März 2016 die Türkei verlassen musste, in seinem Buch „Krisenstaat Türkei“ (Seite 54f):

„Aus Biographien, aus dem, was Erdoğan selbst über seine Kindheit berichtet, und aus Erzählungen von Zeitzeugen erfährt man, dass der Vater seine Kinder muslimisch fromm und streng autoritär erzog. Er sei aufbrausend gewesen, habe sich aber beruhigen lassen, wenn die Kinder sich vor ihm niederwarfen und ihm die Füße küssten. Einmal, als Erdoğan fluchte, hängte ihn sein Vater an den Armen an der Decke auf. (…)

Es waren harte Jahre, das Geld war knapp, und auf der Straße herrschte das Recht des Stärkeren. Istanbul hatte, als Erdoğan auf die Welt kam, gerade die Bevölkerungsgrenze zur Millionenstadt überschritten. In Kasımpaşa türmte sich der Müll in den Straßen, Stromausfälle und Wasserknappheit waren alltäglich. Wer hier lebte, hatte das Glück nicht auf seiner Seite und wenig Chancen, der Armut zu entkommen. Viele Menschen flüchteten in die Religion.“

Angeblich hat der kleine Recep durch den Verkauf von Wasser, Sesamkringeln, Süßigkeiten und Postkarten zum Grundeinkommen der Familie beigetragen. Nach der Grundschule besuchte Erdoğan ein religiöses Gymnasium (İmam hatip liseleri), wo er sein „Fachabitur“ für angehende Imame machte. Auf der Schule galt er wegen seiner Religionsbeflissenheit als „Koran-Nachtigall“ und rezitierte gerne Gedichte. Beeinflusst wurde er damals durch Mehmed Zahid Kotku, den Imam der İskenderpaşa-Moschee in Istanbul. Dieser predigte, die Türkei müsse sich von der Sklaverei des Westens befreien und wirtschaftlich unabhängig werden. Dazu sollten die Muslime die Führungspositionen im Staatsapparat und in der Gesellschaft anstreben.

Nach dem Religionsgymnasium besuchte Erdoğan noch ein staatliches Gymnasium und eine Handelsschule, die heute zur Marmara-Universität gehört. Hier machte er angeblich 1981 an der İstanbul İktisadi ve Ticari İlimler Akademisi (dt.: „Institut für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften“) ein „Diplom“ in Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, aber bei dem von Erdoğan vorgelegten Dokument handelt es sich vermutlich um eine Fälschung: Das Institut wurde unter diesem Namen erst 1982 gegründet, und der Dekan und der Rektor, die vorgeblich das Diplom unterschrieben haben, waren erst ab 1982 im Amt. Nicht zuletzt wurde die auf der Urkunde verwendete Schriftart 1981 noch nicht verwendet. (1) Nach der Schule arbeitete er bei der Nahverkehrsgesellschaft in Istanbul und arbeitete danach als Buchhalter in einer Fleisch- und Wurstfabrik. Im November 2012 kam er dann doch noch zu vollen akademischen Ehren. Die von ihm selbst gegründete „Recep Tayyip Erdoğan-Universität“ verlieh ihm den Ehrendoktortitel „honorum causa“. Fortan verbreitete der Ehrendoktor seine wissenschaftlichen Erkenntnisse. So erklärte er im Jahr 2014, dass nicht Cristobal Colon 1492 Amerika entdeckt hatte; vielmehr seien Muslime schon dreihundert Jahre früher in Amerika gelandet.

 

- Politische Laufbahn

 

Seine politische Karriere begann Dr. h. c. Recep Tayyip Erdoğan in der islamistischen Refah Partisi (RP – dt.; „Wohlfahrtspartei“). Als diese am 16. Januar 1998 verboten wurde, setzte er seinen Werdegang in der islamistischen Nachfolgeorganisation Fazilet Partisi (FP – dt.: „Tugendpartei“) fort, die am 22. Juni 2001 ebenfalls verboten wurde. Am gehörte 14.August 2001 gehörte Dr. h. c. Erdoğan zu den Gründungsmitgliedern der neuen, islamistischen Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP; dt.: „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) und wurde deren erster Vorsitzender. Die AKP steht in der Tradition der ägyptischen Muslimbruderschaft Al-Ikhawan al-Muslimun. Ihr wichtigstes Gremium ist die fünfzigköpfige Entscheidungs- und Führungszentrale (Merkez Karar Yönetim Kurulu - MKYK). Sie ist seit 2002 ununterbrochen an der Macht, bis 2015 sogar mit absoluter Mehrheit, Dr. h. c. Erdoğan regiert seit 2003 – zuerst als Ministerpräsident, seit 2014 als Präsident. Da die AKP über ein relativ dickes Finanzpolster verfügt, betreibt sie einen eigenen Sozialdienst, um Parteimitglieder zu unterstützen und Anhänger an sich zu binden.

Seine politisch-religiöse Radikalität hinderte Dr. h. c. Erdoğan nicht daran, politische Karriere zu machen. Zwar gilt er als Opportunist und Zyniker, aber auch als geschickter Taktierer, der weiß, wie man sich seine Mehrheiten sichern kann. Dazu bemerkte der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer in seinem Buch „Türkei verstehen – von Atatürk bis Erdoğan“ schrieb er 2016 (Seite 477ff):

„Erdoğan war und ist nicht eindeutig auf eine einzige Ideologie festzulegen. Er ist vielmehr ein Politiker mit einem Gespür für „Realität“ in einem sehr zynischen Sinn. Er weiß sich pragmatisch wendig den unterschiedlichsten Bedingungen anzupassen. So hat Erdoğan unter seinem politischen Ziehvater Erbakan als Islamist begonnen, um dann von ihm abzurücken, als er begriffen hat, dass in der Türkei ein islamistisches Staatswesen nicht mehrheitsfähig ist. Er bekannte sich zur Demokratie, weil er sich eine wirtschaftlich vorteilhafte Annäherung an die EU versprach. Und Erdoğan hat sich von Reformen unterwegs zu „mehr Demokratie“ wieder verabschiedet, weil ihm schließlich ein autoritärer islamisch-türkischer Nationalismus für den Machterhalt günstiger schien. Und es bleibt eine offene Frage, welcher Entwicklungsschritt folgen wird, wenn Erdoğan mit wieder neuen, wieder anders gearteten Herausforderungen konfrontiert ist.

Aber jenseits aller pragmatisch-zynischen Wendigkeit zeigt sich bei Erdoğan doch ein Konstante in seiner Politik: Er möchte neben Atatürk der herausragende Gestalter der Republik Türkei sein und als Antwort auf Atatürks „Türkische Moderne“ eine „Islamistisch-Türkische Moderne“ installieren. (…)

Erdoğan erscheint demnach als ein Politiker, der sowohl Menschen, als auch Ideale benützt, solange sie seiner Macht dienlich sind, und sie dann wieder abstößt.“

Am 27. März 1994 gewann Dr. h. c. Erdoğan als Kandidat der damaligen „Wohlfahrtspartei“ mit 26 Prozent der Stimmen die Wahl zum Oberbürgermeister von Istanbul. Nachdem er 1994 bis 1998 als Oberbürgermeister praktische Erfahrungen gesammelt hatte, wurde er am 12. März 2003 Ministerpräsident (başbakan) und am 28. August 2014 Präsident der Republik (cumhurbaşkanı). Damals wurde der Präsident zum ersten Mal in direkter Wahl vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt gemäß Artikel 101 der Verfassung eigentlich fünf Jahre und eine Wiederwahl ist einmalig möglich, jedoch hat sich Dr. h. c. Erdoğan für vorzeitige Neuwahlen am 24. Juni 2018 ausgesprochen, bei der er wiedergewählt wurde.

Der Amtseid des Präsidenten lautet gemäß Artikel 103 der Verfassung:

„Ich schwöre vor der Großen Türkischen Nation und vor der Geschichte bei meiner Ehre und Würde, dass ich in meiner Eigenschaft als Präsident der Republik die Existenz und Unabhängigkeit des Staates, die unteilbare Einheit von Vaterland und Nation, die uneingeschränkte und bedingungslose Souveränität der Nation schützen werde, der Verfassung, dem Primat des Rechts, der Demokratie, den Prinzipien und Reformen Atatürks sowie dem Prinzip der laizistischen Republik verbunden bleiben werde, von dem Ideal, wonach im Geiste des Wohls und Heils der Nation, der nationalen Solidarität und der Gerechtigkeit jedermann die Menschenrechte und Grundfreiheiten genieße, nicht abweichen werde, mit all meiner Kraft mich um den Schutz und die Mehrung des Ruhmes und der Ehre der Republik Türkei sowie um die unparteiliche Erfüllung des Amtes, welches ich auf mich genommen habe, bemühen werde.“ (2)

Die heutige Anhängerschaft Erdoğans beschreibt der Journalist Can Dündar wie folgt:

„Es sind drei Arten von Menschen, die Erdogan wählen. Die einen sind jene, die wirklich an ihn glauben. Sie sind überzeugt, dass er aus der Türkei einen starken Staat mit osmanischen Wurzeln gemacht hat und sind glücklich. Erdogan hat ihnen eine Identität gegeben. Die anderen haben Interessen. Unternehmer zum Beispiel, und es gibt viele, denen er Vorteile gebracht hat. Zum Beispiel weil sie oder ihre Kinder in der Verwaltung Arbeit gefunden haben. Und auf diese Vorzüge wollen sie nicht mehr verzichten. Und andere wiederum sind einfach ignorant. Sie glauben, was immer er ihnen erzählt, wie ein Magier. Er nutzt die Religion, um Einfluss auf sie auszuüben.

Ich schätze, etwa 25 Prozent der Bevölkerung sind seine wirklichen Anhänger. Die anderen haben Interessen, die sie erfüllt sehen wollen. Diese können ihre Meinung morgen ändern, wenn jemand anders ihre Interessen erfüllt.“ (3)

Die Ära Erdoğan lässt sich in zwei Phasen einteilen. In den ersten ca. zehn Jahren seiner Herrschaft bemühte er sich darum, die politische Landesentwicklung im Sinne von „mehr Demokratie wagen“ voranzubringen. Außerdem strebte er eine friedliche Beilegung des Kurdenkonfliktes durch Verhandlungen an und versuchte durch seine guten Beziehungen zum Regime in Syrien auf die dortige Entwicklung vermittelnd einzuwirken. In dieser Phase wuchs die Wirtschaft und vielen Türken gelang der soziale Aufstieg in die Mittelschicht. Ungefähr ab 2011 begann die zweite Phase, die bis heute andauert. Seine Politik In dieser Zeit konterkarierte alle positiven Reformen der ersten Phase. Statt Demokratie baut Herr Erdoğan ein autokratisches Regime mit ihm an der Spitze auf, der Kurdenkonflikt ist erneut zu einem Bürgerkrieg eskaliert, außerdem hat er sich mit Bashar al-Assad in Syrien überworfen und ist mehrfach in Syrien einmarschiert, derweil ist die Wirtschaft im Niedergang.

Angesichts dieses erratischen Politikwechsels stellt sich die Frage, ob Herr Erdoğan über seinen reinen Machterhalt hinaus überhaupt irgendwelche politischen Ziele verfolgt. Manche Kritiker unterstellen ihm, er wolle in den Fußstapfen von „Atatürk“ dessen Kemalismus (Atatürkçülük) durch seinen Islamismus ersetzen.

Nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten am 24. Juni 2018 dauert seine gegenwärtige Amtsperiode bis 2023, dem hundertsten Jahrestag der Republikgründung. Die Zahl der Amtsperioden wurden durch die jüngste Verfassungsreform von drei auf zwei beschränkt. Allerdings beginnt mit der neuen Amtszeit nach der Verfassungsreform die Zählung der Präsidentschaften neu, d. h., zwar durchläuft z. Zt. er seine zweite Amtszeit, sie wird jedoch offiziell als „erste“ Amtsperiode gewertet. Somit könnte sich Erdoğan 2023 erneut für eine „zweite“ bzw. dritte Amtsperiode zur Wiederwahl stellen. Sollte sich irgendwann das Parlament auflösen und eine Neuwahl beschließen, könnte auch Herr Erdoğan für eine weitere Amtszeit kandidieren. (4) Kritiker befürchten, er würde eine familiäre Dynastie anstreben, wie sie in mehreren arabischen Nachbarländern vorherrscht; allerdings kommt niemand innerhalb seiner Familie für eine Nachfolge in Frage.

 

- Der fromme Moslem und die anti-türkischen Christen

 

Seine islamistische Gesinnung brachte Dr. h. c. Erdoğan wiederholt in Schwierigkeiten: Bereits Mitte der siebziger Jahre wurde er durch sein antisemitisches Theaterstück „Mas-Kom-Yah“ bekannt. Ende 1997 hielt er in Siirt eine dschihadistische Rede, in der er ein Gedicht von Cevat Örnek zitierte: „Minarette sind Bajonette, Kuppeln sind Helme, Moscheen sind unsere Kasernen, Gläubige sind Soldaten“. Daraufhin musste er als Oberbürgermeister zurücktreten und wurde am 21. April 1998 vom damaligen Staatssicherheitsgericht Nr. 3 wegen Aufstachelung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft unter Hinweis auf Unterschiede der Religion und Rasse (Art. 312 Abs. 2 und Art. 59 Abs. 2 des StGB) zu einer Haftstrafe von zehn Monaten und Zahlung einer Geldbuße von 716.666.666 Lira verurteilt. Außerdem erhielt er lebenslanges „Politikverbot“. Im März 1999 trat Dr. h. c. Erdoğan die Strafe an, wurde aber bereits nach vier Monaten am 24. Juli 1999 wieder entlassen.

Am 31. März 2008 akzeptierte der Verfassungsgerichtshof einen Antrag des Generalstaatsanwaltes, die AKP wegen „islamistischer Unterwanderung des laizistischen Staates“ zu verbieten. Allerdings kam es zu Massenprotesten gegen dieses Verbotsverfahren, so dass das Verfassungsgericht den Verbotsantrag schließlich mit knapper Mehrheit abwies.

Erdoğans Ziele sind die Religionisierung und Islamisierung der Türkei durch Desäkularisierung und Entkemalisierung. Seit dem Machtantritt von Erdoğan wurden in der Türkei mindestens 17.000 neue Moscheen errichtet. Zur Durchsetzung seiner Kulturkampf-Politik setzt die AKP-Regierung bei den Kindern bzw. bei der Bildungspolitik an. Seit 2012 wandelte sie hunderte von staatlichen Schulen in religiöse İmam-Hatip-Schulen (imam hatip liseleri) um. Von 2002 bis 2017 stieg so die Zahl der „Religionsschüler“ von 85.000 auf 1.300.000. Gleichzeitig sinkt seit 2012 das Bildungsniveau, wie PISA-Untersuchungen der OECD ergaben.

Aufgrund seines radikalen Islamismus geht Dr. h. c. Erdoğan massiv gegen die verschiedenenchristlichen Strömungen im eigenen Land vor: Armenisch-apostolisch, griechisch-orthodox, syrisch-orthodox, syrisch-katholisch. Vor hundert Jahren lebten noch 300.000 Aramäer in der Türkei, heute sind es nur noch ein paar tausend, meist ältere Menschen. Im Rahmen der laufenden Christenverfolgung wurden in den letzten Jahren mehr als 50 aramäische Kirchen, Klöster und Friedhöfe vom türkischen Staat beschlagnahmt. Von 2012 bis 2017 wurden mehr als 100 antike syrisch-christliche Grundstücke im Südosten der Türkei beschlagnahmt. Dem deutsch-türkischen Gymnasium in Istanbul wurde im Dezember 2016 die Durchführung einer Weihnachtsfeier von staatlicher Seite verboten: Die Bethlehem-Geschichte durfte nicht rezitiert werden, Weihnachtlieder durften nicht gesungen werden: „Ihr Kinderlein kommet nicht!“ Dabei entstanden die ersten christlichen Kirchengemeinden in Kleinasien und wurden dort im 4. Jahrhundert – also lange vor der Gründung des Islams – zur Staatsreligion. Allein schon aus diesem Grund gehört das Christentum zur Türkei, auch wenn die heutige Türkei das einzige ex-„christliche“ Land ist, das später von den Muslimen „erobert“ wurde.

Auch nicht-muslimischen Kulturschätze werden vernichtet oder zweckentfremdet. So wurden die meisten historischen Denkmäler in der kurdischen Region Hakkari von Polizei oder Militär besetzt und in Kasernen umgewandelt. Die antike Stadt Hasankeyf, deren Alter auf 10.000 Jahre geschätzt wird, soll einem Staudammprojekt weichen. In anderen Fällen gehen die Türken noch perfider vor, wie die Ethnologin Elke Dangeleit auf „Telepolis“ berichtete:

„Anscheinend hat die Erdogan-Regierung sich vorgenommen, jede Kultur zu vernichten, die vor der türkischen Invasion Mesopotamiens im 11. Jahrhundert Spuren hinterlassen hat. Entsetzt stellten internationale Archäologen fest, dass das Türkische Kultur- und Tourismusministerium durch „Konservierungsarbeiten“ an der neolithischen Stätte von Göbekli Tepe irreparable Schäden am ältesten Tempel der Welt angerichtet hatte.

Beton wurde rund um den Tempel, der auf einem Bergrücken steht, mit schweren Walzenmaschinen aufgebracht, die alte Holzüberdachung durch ein 4.000qm umfassendes Dach ersetzt. Das noch nicht komplett erkundete Areal um den Tempel herum wurde mit Steinen und Schutt aufgefüllt.“ (5)

Statt ein nationales Entwicklungsprogramm aufzulegen, plant man langfristig große Feiertage: Ein wichtiges Zukunftsdatum im Kalender der Türkei ist das Jahr 2053. Dann jährt sich die Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen am 29. Mai zum 600. Mal. Bis dahin soll das gegenwärtige Museum Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee rückverwandelt werden, ein jahrzehntealter Traum der Islamisten. Und im Jahr 2071 wollen die Türken den 1.000 Jahrestag der Schlacht von Manzikert (heutiger Name: Malazgirt) groß zelebrieren, in der die muslimischen Seldschuken die christlichen Byzantiner besiegten.

 

- Islamokratie durch Volksabstimmung

 

Es waren Politiker aus Westeuropa, die Erdoğans Politik anfangs mit großer Sympathie verfolgten, weil sie glaubten, Erdoğan würde eine Synthese aus „Demokratie“ und „Islam“ bzw. ökonomischer „Prosperität“ und „Islam“ generieren, die ein Vorbild für die arabische Welt darstellen könnten. Diese Hoffnungen entsprachen reinem Wunschdenken – statt einer Verbindung aus „Islam“ und „Demokratie“ brachte Erdoğan nur eine Verbindung aus „Islam“ und „Nationalismus“ (Milliyetçilik) hervor, die sich nicht mehr an dem arabischen Gedanken der Einheit aller Muslime (Ummah) orientiert sondern am türkischen Chauvinismus.

So geht Erdoğans islamistische Gesinnung einher mit seiner Ablehnung des westlichen Demokratieverständnisses, zumal der Islam aufgrund seiner theologischen Absolutheitsansprüche nicht-islamische Auffassungen von vornherein ausschließt: So erklärte Dr. h. c. Erdoğan im Juli 1996 in einem Zeitungsinterview: „Wir meinen, dass Demokratie nicht der Zweck, sondern das Mittel ist.“ Und am 6. Dezember 1997 zitierte er in einer Rede in Siirt aus dem Gedicht „İlahi Ordu“ („Göttliche Armee“) des türkischen Schriftstellers Mehmet Ziya Gökalp aus dem Jahre 1912: „Die Demokratie ist nicht unser Ziel, sie ist unser Vehikel. (…) Die Demokratie ist ein Zug, in den wir einsteigen, aber verlassen, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme. Die Moscheen unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten. Diese göttliche Armee ist bereit. (…) Allahu Akbar.“

Erdoğan Skepsis gegenüber dem westlichen Demokratiemodell ist nicht unbegründet, er teilt die Erfahrung vieler Politiker aus der „Dritten Welt“, für die „Demokratie“ nur ein Synonym für Ausbeutung und Unterdrückung durch die USA oder frühere, europäische Kolonialmächte ist. Gleichzeitig drohte Erdoğan: „Wir werden uns erheben. Wenn Allah es will, beginnt der große Aufstand.“ (6)

Eine politische Auseinandersetzung im Sinne eines „herrschaftsfreien Diskurses“ ist der türkischen Kultur aufgrund ihrer Historie fremd. Vielmehr beherrschen Freund-Feind-Denken, Schwarz-Weiß-Kategorien und Verschwörungstheorien die eigene Positionierung. Transparenz und Toleranz fehlen. „Ich fick´ Deine Mutter!“, ist eine auch hierzulande bekannte Absage an jegliche Dialogbereitschaft. Über seine Erfahrungen berichtete der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim in seinem Buch „Krisenstaat Türkei“ (Seite 154ff):

„Ich stellte fest, dass viele Menschen in der Türkei von frühester Kindheit an lernen, unangenehmen Wahrheiten nicht ins Auge zu sehen, sondern bessere Wahrheiten zu finden. Diese erfundenen Wahrheiten werden zum Mainstream, und wer es wagt, eine andere Position zu vertreten, also eine abweichende Haltung zu haben, begeht etwas Ungeheuerliches, weil er etwas viel Größeres in Frage stellt. Er stellt sich ins Abseits und muss schwere Folgen in Kauf nehmen, von einfachen Diffamierungen bis hin zu Morddrohungen. So wie geistliche Autoritäten in unterschiedlichen Religionen sich für unfehlbar erklären, indem sie für sich beanspruchen, unangreifbare Wahrheiten zu verkünden, und jeden der Häresie bezichtigen, der es wagt, sie und ihre Wahrheiten in Frage zu stellen, funktioniert in der Türkei auch die Politik.

Weite Teile der türkischen Gesellschaft beziehen ihre Identität aus ihrer Liebe zur Nation, und zwar über alle sozialen Schichten und politischen Lager hinweg. An diese Identität klammern sie sich und erkennen in jeder noch so leisen Kritik am Staat, an der Politik, an der Kultur, an der Religion einen feindseligen Akt. (…)

In den Jahrzehnten der Republik machten viele Türken die Erfahrung, dass sie von ihren eigenen Landsleuten verachtet werden für das, was sie sind, nämlich einfache, gläubige Menschen. Es verwundert nicht, dass sie Erdoğan, der ihnen ihr Selbstvertrauen wiedergab, feiern und ihre Identität mit neuem Stolz verteidigen – auch wenn sie dabei mitunter über das Ziel hinausschießen. (…)

Durch diese historischen Erfahrungen ist in der Türkei, und in der türkischen Politik im Besonderen, ein bemerkenswertes Erklärungsmuster entstanden, das keine Selbstkritik kennt: An allen schlechten Dingen seien nie die Türken, die türkische Regierung oder die Türkei schuld, sondern stets eine fremde Macht im Ausland oder im Inland, ein bösartiger Geheimdienst, ein starker Feind, eine fehlgeleitete Opposition, die allerdings auch vom Ausland gesteuert werde, denn ein echter Türke würde nicht von sich aus so denken und handeln. Dieses Erklärungsmuster macht es offensichtlich einfacher, Missstände und Unzufriedenheit auszuhalten, aber eine ehrliche Selbstbetrachtung und eine kritische Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Ursachen der Probleme im Land sind dadurch nahezu unmöglich.

Türken lieben Verschwörungstheorien, wie so viele Menschen auf der Welt. Aber so ausgeprägt und allumfassend wie in der Türkei habe ich diese Vorliebe selten erlebt. Die weitverbreiteste Haltung ist: alle gegen uns und wir gegen alle. (…)

Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass Lügen und Verschwörungstheorien sich problemlos in das Weltbild vieler Erdoğan-Anhänger integrieren ließen, denn sie hatten bei all ihrer Begeisterung für ihren großen Führer möglicherweise den klaren Blick auf die Realität verloren.“

Nur manchmal erhebt sich auch eine andere Stimme: So erklärte Orhan Pamuk, türkischer Träger des Literaturnobelpreises 2006: „Es gibt Leute, die lieben ihr Vaterland, indem sie foltern. Ich liebe mein Land, indem ich meinen Staat kritisiere.“ (7)

In der türkischen Republik war die parlamentarische Demokratie durch die Machtansprüche des Militärs ohnehin seit jeher fragil. Darüber hinaus betrieb Herr Erdoğan in den letzten Jahren eine autokratische Politik mit dem Ziel, ein Präsidentialregime einzuführen. Die Parteistatuten der AKP sahen nämlich vor, dass ein Politiker sich nur zweimal zur Wiederwahl stellen durfte, nach drei Amtsperioden wäre Schluss. Herr Erdoğan, der am 14. März 2003 sein Amt als Ministerpräsident zum ersten Mal angetreten hatte, hätte sich nach seinen Wiederwahlen 2007 und 2011 bald aus der Regierungspolitik zurückziehen müssen. Stattdessen wechselte er am 28. August 2014 in das zunächst nur neutrale, rein repräsentative Amt des Staatspräsidenten mit knapp 52 Prozent der Stimmen. Ein bloß repräsentatives Amt entsprach aber nicht seinen Machtambitionen, daher wollte er die Türkei von einer parlamentarischen in eine präsidiale Staatsform umwandeln, indem das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft und seine Regierungsfunktion vom Staatspräsidenten mitübernommen würde.

Um dieses Ziel durchzusetzen, tat sich Erdoğans islamistische AKP mit der rechtsextremen, nationalistischen Milliyetçi Hareket Partisi (MHP, dt.: „Partei der Nationalistischen Bewegung“) unter Führung von Devlet Bahçeli zusammen. Die MHP war 1965 durch Oberst Alparslan Türkeş alias Ali Arslan gegründet worden, sie machte vor allem durch ihre „Jugendorganisation“, die „Grauen Wölfe“ (Bozkurtcu), immer wieder blutige Negativschlagzeilen.

Auf Initiative von Herrn Erdoğan fand dazu am 16. April 2017 ein Referendum statt, das sich – dank zahlreicher Wahlfälschungen - mit einer knappen Mehrheit von 51,41 Prozent der Stimmen für eine Änderung der Verfassung im Sinne Erdoğans aussprach. Ohne die Auslandstürken in der Diaspora wäre das Referendum wohl gescheitert, aber von den 2,8 Millionen „deutschen“ Türken in der Bundesrepublik, stimmten gleich 420.000 „Deutschtürken“ mit „Ja“. Das waren zwar nur ca. 14 Prozent der türkischen Migranten in der BRD, aber immerhin 63 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen. So kamen die Türken auf demokratischem Wege zur Errichtung einer neuen Diktatur.

Insgesamt 18 Artikel der türkischen Verfassung wurden geändert. Die umfangreichen Kompetenzen des Präsidenten sind u. a. in Artikel 104 festgelegt. Was zunächst nur wie eine einfache Abstimmung über die Ausweitung der Machtkompetenzen eines - mehr oder weniger – populären Staatspräsidenten zulasten des Parlamentes anmutete, war in Wirklichkeit ein umfassender „regime change“. Allerdings treten die umfassenden Verfassungsänderungen erst bei der nächsten Präsidentenwahl am 24. Juni 2018 in Kraft. Die kemalistische türkische Republik von 1923 wurde - nach 95 Jahren - durch ein islamistisches Regime sang- und klanglos abgelöst.

Der Islamologe Bassan Tibi fasste die Bedeutung dieses Wandels wie folgt zusammen:

Seit dem „Sieg“ im Verfassungsreferendum ist die Türkei offiziell keine säkulare Republik mehr, die auf Volkssouveränität fußt, sondern eine islamische Republik von Gottes Gnaden. Ich nenne die neue Ordnung „Islamokratie“.

Die Wahl dokumentiert die bittere Tatsache, dass die säkulare westlich orientierte Elite der Türkei, die maximal 20 Prozent der Bevölkerung umfasst, nicht mehr am Steuer ist. Diese Elite hatte früher Justiz, Militär und Bildungssystem als ihre Machtbasis, welche die AKP seit 2002 graduell vernichtet hat. (…)

(U)nd ich möchte zeigen, dass es nicht um eine persönliche Diktatur Erdogans („Ein-Mann-Herrschaft“) geht, sondern um eine Parteienherrschaft der AKP, die auf vier Säulen ruht: dem religiösen Establishment, einer Klientelwirtschaft der Patronage, den Geheimdiensten beziehungsweise der Polizei sowie den Netzwerken der Erdogan-Familie. (…)

Ich verwende für diese neue Herrschaftsform den Begriff „Islamokratie“, also eine Herrschaftsform ohne Volkssouveränität, dafür aber mit islamischer Legitimation. Das ist nicht mehr das alte Kalifat, sondern die neue Herrschaftsform des Islamismus.“ (8)

Derweil lässt sich Herr Erdoğan von seinen Anhängern als „başbuğ“ (dt. „Führer“) feiern, die ihm versprechen: „Ein Wort von dir, und wir töten! Ein Wort von dir, und wir sterben!“ Oder: „Ich bin nur das Haar an deinem Hintern!“ (9) Demgegenüber wird er von seinen Gegnern als „sultan“ verspottet.

So ließ sich dieser Möchtegern- Paşa 2014 einen neuen Präsidentenpalast Cumhurbaşkanlığı Sarayı bzw. Külliye mit rund 1.150 Zimmern, verbunkerter Kommandozentrale und ABC-Abwehr-Labor bauen. Der Schwarzbau wurde mitten in einem Naturschutzgebiet bei Ankara errichtet. Für zeremonielle Zwecke gründete Herr Erdoğan eine Ehrengarde, die zunächst in allzu bunten, historischen Uniformen auftrat und als „Karnevalsgarde“ verspottet wurde. Danach tauschte man die Anzüge aus; heute trägt die Ehrengarde eine modernere Uniform aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges nach dem Ersten Weltkrieg. Allein im Jahr 2017 klagte seine Exzellenz über 1.800-mal gegen Personen, die ihn beleidigt haben sollen. Darunter waren auch zahlreiche Kinder und Jugendliche, die über „Facebook“ irgendein Gelaber veröffentlicht hatten.

Allerdings konnte Herr Erdoğan seine Herrschaftsallüren in seiner eigenen Partei nicht ohne Widerstände durchsetzen: Am 2. November 2002 durfte er wegen seiner Vorstrafe nicht für die Wahl des Ministerpräsidenten kandidieren, so dass diese Rolle sein Parteifreund Abdullah Gül übernahm. Einen Monat später wurde die Verfassung dahingehend geändert, dass nurmehr Vorstrafen wegen terroristischer Vergehen zum Verlust des passiven Wahlrechts führten, so dass nun auch Erdoğan kandidieren durfte. Daraufhin wurde – wegen angeblicher Wahlunregelmäßigkeiten in der Provinz Siirt die Wahl vom November 2002 annulliert und Neuwahlen für den 9. März 2003 angesetzt. Diesmal durfte nicht Gül, sondern der somit rehabilitierte Erdoğan kandidieren, der daraufhin zum Regierungschef gewählt wurde. Gül wurde mit dem Posten des Außenministers vertröstet.

Vier Jahre später, am 28. August 2007, wurde Gül zum Staatspräsidenten gewählt und hätte dieses Amt auch noch eine zweite Amtsperiode fortgeführt, aber stattdessen wurde er am 28. August 2014 erneut durch Erdoğan abgelöst, der selbst für dieses Amt kandidierte. Durch den Wechsel von Herrn Erdoğan ins höchste Staatsamt, wurde der Posten des Ministerpräsidenten frei. Am 29. August 2014 übernahm Prof. Dr. Ahmet Davutoğlu, diesen Posten. Allerdings beklagte sich Ahmet Davutoğlu, dass Staatspräsident Erdoğan sich par ordre du mufti in die Regierungsgeschäfte massiv einmischte und ihn wie einen bloßen Befehlsempfänger behandelte. Daraufhin kam es zur so genannten „Pelikan“-Affäre, wie Maximilian Popp im „Spiegel“ am 16. Juni 2018 berichtete:

„Im Mai 2016 wurde im Internet das „Pelikan-Dossier“ verbreitet, das Davutoğlu als „Verräter“ denunzierte. Der Premier habe sich gemeinsam mit den Europäern gegen Erdoğan verschworen. „In dem Schachspiel, das die globalen Mächte mit unserem Land spielen, hat er (Davutoğlu) die Rolle eines Bauern im Gewand der Dame akzeptiert“, hieß es in dem Text. Interne Dokumente und Aussagen von Beteiligten legen nahe, dass Berat Albayrak, der Schwiegersohn, in Verbindung mit der Kampagne stand.“

Daraufhin wurde Herr Davutoğlu schließlich am 22. Mai 2016 als AKP-Parteichef abgewählt, woraufhin er noch am gleichen Tag auch als Ministerpräsident zurücktrat. Sein Nachfolger wurde am 29. Mai 2016 der devotere Binali Yıldırım. „Binali merkt noch nicht einmal, wenn er von Erdoğan gedemütigt wird,“ bemerkte ein namentlich nicht genannter AKP-Politiker. Dabei ist der fragwürdige Umgang des Herrn Erdoğan mit seinen Parteifreunden nicht nur durch demokratische Normen der westlichen Kultur geächtet, sie entsprechen auch nicht den landestypischen, gesellschaftlichen Umgangsformen unter türkischen Moslems.

Darüber hinaus beklagt ein Teil der AKP-Funktionäre seit Jahren einen „Reformstau“ in der eigenen Politik, jedoch gibt es bisher keinen offenen Widerstand. Hier profitiert Erdoğan davon, dass in der Türkei die Parlamentskandidaten nicht durch die Landesliste auf einem Landesparteitag bestimmt werden, sondern nach dem Führerprinzip ausschließlich durch den Parteichef. Dieser kann damit seine parteiinterne Opposition in Schach halten. Nicht zuletzt sind Erdoğans Wutanfälle unter seinen Mitarbeitern gefürchtet, wenn er seine Minister anschreit, oder seine Mitarbeiter ohrfeigt oder mit Gegenständen nach ihnen wirft.

Bereits seit Mai 2013 haben die innenpolitischen Spannungen unter der Herrschaft von Herrn Erdoğan zugenommen. Es begann im Mai 2013, als der damalige Ministerpräsident im Gezi-Park nördlich des Taksim-Platzes in Istanbul einige Bäume fällen wollte, um Platz für den Wiederaufbau einer alten Artilleriekaserne (Halil Paşa Topçu Kışlası), einer Moschee und die Errichtung eines Supermarktes zu schaffen. In das Baugeschäft der „Çalık Holding“ war auch der Schwiegersohn Erdoğans, Berat Albayrak, persönlich verwickelt. Gegen das Bauvorhaben wehrten sich die Anwohner, die in der wachsenden Metropole nicht auf das verbliebene bisschen Grün verzichten wollten, zumal Erdoğan in seiner Zeit als Bürgermeister von Istanbul selbst noch ein Begrünungsprogramm betrieben hatte. Außerdem ist der Taksim als größter Platz in Istanbul die wichtigste Kundgebungsstätte für Demonstranten. Bei den Auseinandersetzungen starben 7 Menschen, über 5.000 Personen wurden verletzt. Die Gezi-Bewegung war politisch überaus wichtig, als sich hier die türkische Zivilgesellschaft – selten genug –über alle Parteigrenzen hinweg einmal zu Wort bildete.

Der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim umschrieb die politische Bedeutung der Gezi-Bewegung in seinem Buch „Krisenstaat Türkei“ (Seite: 17ff):

„Anstatt das Gespräch mit den Gezi-Demonstranten zu suchen und den Konflikt zu entschärfen, ignorierte Premierminister Erdoğan die Proteste zunächst ein paar Tage lang und ließ dann die Polizei gewaltsam gegen sie vorgehen. Mit Tränengas und Knüppeln glaubte er, die Protestierenden vertreiben zu können.

Entsetzt über die Gewaltbereitschaft der Regierung schlossen sich Studenten, Angestellte, Junge und Alte, Arme und Reiche den Demonstrationen an. Der kleine, auf Istanbul begrenzte Protest zum Erhalt eines unscheinbaren, nicht einmal besonders schönen Parks schwoll nun an zu einer landesweiten Protestwelle gegen den autoritären Regierungsstils Erdoğans. Der hatte zwar schon seit langem mit harter Hand regiert, wie Oppositionelle beklagten. Doch jetzt wurden seine aufbrausende Art und seine unerbittliche Haltung für die ganze Welt sichtbar.

Die Proteste ließen die türkische Zivilgesellschaft erwachen, man begann, sich gegen den Autoritarismus der Regierungspartei zu wehren. Endlich brachen, so nahm man es von außen wahr, viele Türken mit ihrer Untertanenmentalität und entdeckten, dass man zu seiner Regierung auch nein sagen konnte. Nicht von ungefähr wirkten die Gezi-Proteste mitunter wie ein landesweites Freiheitsfest. Wann immer sich die Polizei zurückzog, feierten Tausende im Gezi-Park und auf dem angrenzenden Taksim-Platz eine Party.

Erdoğan zeigte kein Verständnis für die immer lauter werdende Kritik an ihm, im Gegenteil: kein ausgleichendes Wort an die Demonstranten, keine beschwichtigende Geste, stattdessen beschimpfte er die Protestierenden als „Terroristen“ und „Plünderer“. (…)

Ohne Rücksicht auf Passanten und Touristen schossen die Sicherheitskräfte in die Menge. Auch ich musste mich mehr als einmal in das nächstbeste Geschäft flüchten, um mich vor dem Tränengas in Sicherheit zu bringen. (…)

Manchmal wurde jemand willkürlich festgenommen und abgeführt, vermutlich zum nächsten Polizeibus oder gleich zur Polizeistation. Bei solchen Verhaftungen kamen gelegentlich auch Gummiknüppel zum Einsatz, und oft traf es Menschen, die ich selbst ein paar Minuten zuvor durch die Läden bummeln gesehen hatte und die nun plötzlich im Verdacht standen, Demonstranten und damit Staatsfeinde zu sein. Aber diese Brutalität gegenüber unbescholtenen Bürgern schien Erdoğan, der türkischen Regierung und der Polizei egal zu sein. Was hatten diese Leute auch in der Nähe der Demonstranten verloren? Sie waren selbst schuld, wenn sie verhaftet wurden.“

Seine ohnehin vorhandene Neigung zur Errichtung eines autokratischen Regimes wurde durch das Scheitern des Militärputsches 2016 noch angeheizt: Zahlreiche oppositionelle, Journalisten und Staatsbedienstete wurden – z. T. ohne Anklage – monatelang grundlos inhaftiert. Nach Einschätzung der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sank das Land in ihrem Index für Pressefreiheit auf Platz 138 von 179 und ist damit vergleichbar mit Russland oder Afghanistan. Mit der Gleichschaltung der Presse wurden auch die Social Media im Internet reglementiert.

Trotz der „erfolgreichen“ Verfolgung der politischen Opposition machte sich im Präsidentenpalast vorübergehend Untergangsstimmung breit, wie Maximilian Popp im „Spiegel“ vom 16. Juni 2018 (Seite 85ff) berichtete:

„Im Palast herrscht eine Wagenburgmentalität. Erdoğan war schon immer misstrauisch gegenüber allen Kräften von außen, doch seit dem Putschversuch sei er zu einem Paranoiker geworden, erzählen Vertraute. Er sehe überall Feinde und Verschwörer. Seine Mitarbeiter nutzen Verschlüsselungs-Apps auf ihren Smartphones. Erdoğan selbst kommuniziert kaum noch über das Telephon, aus Angst, von Gülen-Anhängern abgehört zu werden. Er lässt Speisen auf Giftstoffe prüfen. (…)

Erdoğan wählt Berater nicht mehr nach Kompetenz aus, auch Fragen der Weltanschauung spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Notwendig ist einzig bedingungslose Loyalität. Und so ist der Präsident von Menschen umgeben, die ihm jeden Tag versichern, dass er von Gott auserwählt worden sei, die Türkei zu führen. (…)

Außer seinen Verwandten vertraut Erdoğan nur noch einem Zirkel von 25 „Chefberatern“, die er eigenhändig auswählt und die eine Art Schattenkabinett bilden.

So erscheint die türkische Regierung außen als Monolith, hinter den Kulissen jedoch ringen Berater, Minister und Abgeordnete erbittert um Aufmerksamkeit und Wohlwollen des Präsidenten. Und der findet Gefallen daran, seine Leute gegeneinander auszuspielen. Zwei Fraktionen stehen sich gegenüber: die Scharfmacher um Albayrak einerseits und moderate Kräfte wie Sprecher İbrahim Kalın oder Vizepremier Mehmet andererseits. (…)

Im April berichtete die Tageszeitung „Cumhuriyet“, Albayrak habe das Telefon des Innenministers (Süleyman Soylu, G. P.), eines wichtigen innerparteilichen Konkurrenten, abhören lassen. Dieser wiederum, sagen Insider, habe ein Dossier mit kompromittierendem Material über Albayrak angelegt. (…)

Erdoğan hat gegenüber Vertrauten die Befürchtung geäußert, wie einst Premier Adnan Menderes vom Militär gehängt zu werden, sollte er nicht mehr im Amt sein.“

 

-- Das türkische „1933“ im Jahr 2018

 

Am 24. Juni 2018 fanden in der Türkei die vorgezogen Parlaments- und Präsidentenwahlen unter den Bedingungen eines Notstandes statt. Eigentlich sollten sie erst im November 2019 stattfinden; aber Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Wahl um eineinhalb Jahre vorziehen lassen, da er eine wirtschaftliche Rezession befürchtete, die dann seine Wiederwahl scheitern ließe. Außerdem versuchte sich Erdoğan mit der Militäroffensive gegen Nordsyrien zu Anfang des Jahres erneut als „starker Mann“ seinem Volk zu präsentieren.

In der Türkei waren fast 60 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgefordert; die Wahlbeteiligung soll bei 87 Prozent gelegen haben. Herr Erdoğan konnte bereits im ersten Wahlgang mit 52,6 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen. Die Wahlen waren bedeutsam, weil erst danach die am 16. April 2017 nach dem gescheiterten Putschversuch beschlossene Verfassungsreform zur Einführung eines autoritären Präsidialsystems in Kraft trat.

Dabei liefen die Wahlen mehr oder weniger unfair ab: Im Kurdengebiet gab es nur relativ wenige Wahllokale, sodass die Wahlberechtigten längere Anfahrtswege durch Polizeikontrollen auf sich nehmen mussten, verschiedenen Personen wurde der Zugang zu den Wahllokalen verweigert, etc.. Mehrere ausländische Wahlbeobachter, u. a. drei Personen aus Deutschland, wurden festgenommen. (10) So beschwerte sich die türkisch-stämmige Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) über die einseitigen Informationsmöglichkeiten im Vorfeld der Wahl:

„Die Opposition findet in den zentralen türkischen Medien nicht statt und viele ausländische Journalisten haben das Land ja verlassen. (…) Die Türken in Deutschland kriegen noch viel weniger mit, wie es im Land selbst wirklich zugeht. Deshalb sind sie noch anfälliger für Manipulationen von dort.“ (11)

In der Türkei forderte Staatspräsident Erdoğan seine AKP-Anhänger im Wahlkampf auf, massiv gegen die Wähler der pro-kurdischen HDP vorzugehen. In einer Rede vor Parteifunktionären, die der Presse zugespielt wurde, forderte er sie auf, die HDP „ins Visier“ zu nehmen:

„Freunde, unsere Parteiabteilungen müssen ganz anders zur HDP arbeiten. Das kann ich nicht draußen sagen, das bespreche ich mit euch. Warum spreche ich mit Euch? Weil es bedeutet, wenn sie unter der Hürde (gemein ist die zehn-Prozent-Hürde für einen Einzug ins Parlament, G. P.) bleiben, dass unsere Situation viel besser wird. Deswegen müssen meine Freunde in allen Bezirken ganz anders auf sie bezogen arbeiten. Denn ihr wisst, wer wer ist. Nicht wahr? Wenn ein Stadtteilvertreter von uns nicht weiß, wer wer ist, dann soll er sowieso sofort sein Amt niederlegen. Ihr müsst es wissen, nehmt euch das Wählerregister vor, schaut, wer auf der Wahlliste wer ist. Ich bin überzeugt, dass ihr dementsprechend dann ein besonderes Vorgehen auf diese Personen bezogen umsetzt und das wird dann ein Ergebnis von ganz anderem Ausmaß erbringen. Wir sagen ins Visier nehmen, ihr müsst sie ins Visier nehmen.“ (12)

Wenn man mal davon absieht, dass die Wahlen unter Notstandsbedingungen und angesichts der Machtverhältnisse unter ohnehin unfairen Bedingungen stattfanden, hatten die bekanntgewordenen Wahlrechtsverstöße im engeren Sinne insgesamt keinen endscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis.

Am 9. Juli 2018 wurde Herr Erdoğan als wiedergewählter Präsident vereidigt. Damit trat das neue Präsidialregime in Kraft. Erdoğan muss nun nicht mehr über Notverordnungen regieren, er kann stattdessen „normale“ Präsidialdekrete erlassen. Erdoğans erneute Amtsperiode als Präsident dauert nun voraussichtlich bis 2023. Somit ist Herr Erdoğan auf dem Zenit seiner politischen Karriere angekommen, aber - angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Probleme, die er nun zu bewältigen hat – zugleich ziemlich ohnmächtig.

Dem neuen Kabinett gehören zehn Minister an, sechzehn weniger als zuvor. Erster Vizepräsident wird Fuat Oktay, der bisher Staatssekretär im alten Büro des Ministerpräsidenten war. Neuer Verteidigungsminister wird der bisherige Generalstabschef Hulusi Akar. Als Innenminister fungiert weiterhin Süleyman Soylul; Außenminister bleibt Mevlüt Cavusoglu, der zukünftig auch für die Europapolitik zuständig sein wird. Justizminister ist und bleibt Abdülhamit Gül. Neuer Finanzminister wird Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak. Neue Handelsministerin wird Ruhsar Pekcan. (13)

Sein wichtigster Gegenkandidat, Muharrem Ince von der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP), erhielt nur 30,6 Prozent der Wählerstimmen. Er hatte ein Dreierbündnis mit zwei relativ neuen Parteien angestrebt - der nationalistischen İyi Parti (İYİ, dt.: „Gute Partei“) von Meral Akşener und der islamistischen Saadet Partisi (SP, dt.: „Partei der Glückseligkeit“) von Temel Karamollaoğlu. Keinerlei Chancen hatte auch Selahattin Demirtaş, der Ko-Vorsitzende der pro-kurdischen Halkların Demokratik Partisi (HDP), der seit dem gescheiterten Militärputsch wegen „Terrorpropaganda“ im Knast von Edirne einsitzt; auch dieser Polit-Häftling bewarb sich mit einem Videospot um das höchste Amt im kriminellen Staat.

Bei den gleichzeitig stattgefundenen Parlamentswahlen kam die regierende AKP auf 42,5 Prozent. Hier strebt Erdoğan ein Bündnis mit der rechtsextremen Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) an, die 11 Prozent der Stimmen erhielt. „Wir haben Erdoğan gerettet, von jetzt an zählt, was wir wollen,“ tönte der Stellvertretende Parteichef Prof. Dr. Sefer Aycan. (14)

Das neue Parlament hat 600 Abgeordnete. Zwar gewann Erdoğan die Präsidialwahlen, aber er hat seine Partei AKP soweit heruntergewirtschaftet, dass diese bei den zeitgleichen Parlamentswahlen ihre Mehrheit verlors. Sie konnte lediglich 295 Sitze erreichen und ist auf den Koalitionspartner MHP mit 49 Parlamentariern angewiesen. Die oppositionelle CHP stellt 146 Abgeordnete. Die pro-kurdische HDP erhielt 11,7 Prozent der Stimmen und hat damit das verfassungsmäßige Recht, wieder ins Parlament einzuziehen. Sie errang immerhin 67 Plätze¸ aber ihre Parlamentarier aus der letzten Legislaturperiode sitzen noch im Knast.

Das zukünftige Parlament ist in seinen politischen Mitspracherechten wesentlich beschnitten: Mitglieder der Regierung werden nicht länger aus den Reihen der Parlamentarier erwählt, sondern ausschließlich durch den Präsidenten bestimmt; sie dürfen nicht Mitglieder des Parlaments sein. Ministerbefragungen sind zukünftig nur noch auf dem Schriftwege möglich. Die Abgeordneten haben keinen Einfluss auf den Staatshaushalt. Der Präsident kann ohne parlamentarische Kontrolle regieren, indem er einfach Dekrete mit Gesetzeskraft erlässt. Da Präsidenten- und Parlamentswahlen zukünftig immer am selben Tag erfolgen müssen, kann das Parlament nur noch dann mit Zweidrittelmehrheit gegen den Präsidenten vorgehen, wenn es zeitgleich seine suizidale Selbstauflösung betreibt.

Dabei war der Wahlsieg von Erdoğan bzw. seiner AKP keineswegs sicher: Im Regierungslager machte sich vor der Wahl zeitweise Pessimismus breit, wie Maximilian Popp im „Spiegel“ vom 16. Juni 2018 zu berichten wusste (Seite 87):

„Im Palast breitet sich schon jetzt eine Art Endzeitstimmung aus. Zwar wagt niemand in Erdoğans Umfeld, offen mit dem Präsidenten über eine mögliche Niederlage zu sprechen. Heimlich jedoch bereiten erste Mitarbeiter ihre Flucht vor. Er habe wenig Hoffnung für sich selbst, bekennt ein hochrangiger Regierungspolitiker, doch er wolle zumindest Frau und Kinder ins Ausland bringen.“

Um die Auslandstürken zu mobilisieren bildete die AKP ein „Wahl-Koordinationszentrum für das Ausland“ (Yurt Dışı Seçim Koordinasyon Merkezi – AKYSKM), das von Mustafa Yeneroğlu, dem ehemaligen Generalsekretär der islamistischen Organisation Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG), geleitert wurde. Yeneroğlu ist in Deutschland gut bekannt durch seine zahlreichen Auftritte als AKP-Lobbyist in TV-Talkshows. Die Aufgabe der AKYSKM war die Koordination der verschiedenen Institutionen im Ausland: DİTİB, türkische (Sport-)Vereine, Konsulatslehrer, usw.. Alle Organisationen im Umfeld der AKP sollten von Ankara aus zentral gelenkt werden.

Die fast 1,45 Millionen wahlberechtigten Türken in der BRD durften vom 7. bis 19. Juni ihr Votum abgeben. In insgesamt 13 (General-)Konsulaten konnten die Türken wählen: Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln-Hürth, Mainz, München, Münster, Nürnberg und Stuttgart. Die Wahlbeteiligung lag bei über 40 Prozent. „Bringt auch in Europa mit Gottes Hilfe die Urnen zum Platzen," appellierte der amtierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. (15) Die aus politischen Gründen nach Deutschland geflüchteten Türken konnten die Konsulate aus Gründen Ihrer persönlichen Sicherheit nicht betreten und daher nicht an der Wahl teilnehmen.

 

- Machtkampf gegen den Weggefährten Gülen

 

Der islamistische Prediger Mohammed Fethullah Gülen galt einst als Weggefährte Erdoğans. Er ist selbst der Sohn eines Predigers und ein Anhänger des sufistischen Gelehrten Said Nursî (1876-1960). Im Jahre 1966 gründete er die religiöse (Jugend-)Bewegung Hizmet bzw. Gülen cemaat. Damals begann mit der Gründung von Koran-Schulen und dem Neubau von mehreren zehntausend Moscheen eine Kampagne zur Re-Islamisierung und Sunnifizierung der Türkei. Nach außen hin predigt Mohammed Fethullah Gülen „Toleranz“ und tritt für den „interkulturellen Dialog“ und den „interreligiösen Dialog“ ein, entgegen dieser Heuchelei hält er am absoluten Wahrheitsgehalt des Islam fest und lehnt wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Evolutionstheorie ab.

Gemäß der hierarchischen Struktur der Bewegung wachen so genannte „Imame“ über die politisch-religiöse Ausrichtung. Innerhalb dieser Sekte werden Neumitglieder von ihren alten Sozialbezügen isoliert, um die Kontrolle über sie zu gewinnen. Viele landen in (studentischen) Wohngemeinschaften in so genannten „Lichthäusern“, wo sie nur mit anderen Sektenmitgliedern in Kontakt kommen und von einem „großen Bruder“ überwacht werden. Nach Möglichkeit werden Sektenmitglieder mit anderen Sektenmitgliedern verheiratet und entsprechende Ehe arrangiert.

Bereits im Jahr 1971 wurde Gülen „wegen Ausbeutung religiöser Gefühle für eigennützige und politische Zwecke“ verurteilt. In den achtziger Jahren profitierte seine Bewegung davon, dass die religiös-islamistischen Kreise von den herrschenden Militärs als Bollwerk gegen den Kommunismus wahrgenommen wurden. Mitte der neunziger Jahre geriet die Gülen-Bewegung erneut in den Verdacht, einen islamistischen Staat errichten zu wollen.

Angesichts der kemalistischen, säkularen Ausrichtung des Herrschaftssystems in der Türkei konnte Gülen politisch nur überleben, in dem er eine Untergrundbewegung aufbaute, die ihre Mitglieder im Staatsdienst unterbrachte, um diesen zu penetrieren. Dieser „Gang durch die Institutionen“ begann in den Einheiten der Grenzpolizei in Ostanatolien und breitete sich über die Justiz und die zivile Ministerial- und Staatsbürokratie langsam aus. Ab ca. 2005 gelang es der Bewegung, auch den Militärapparat langsam zu durchdringen. Dieses Dilemma führte zu einer übersteigerten Repression und Verfolgung Unschuldiger.

In einer Rede Mitte der neunziger Jahre erläuterte er seine subversive Taktik:

„Man muss die Stellen im Justiz- und Innenministerium, die man in seine Hand bekommen hat, erweitern. Diese Einheiten sind unsere Garantie für die Zukunft. Die Gemeindemitglieder sollten sich jedoch nicht mit Ämtern wie zum Beispiel denen der Richter oder Landräte begnügen, sondern versuchen, die oberen Organe des Staates zu erreichen. Ohne Euch bemerkbar zu machen, müsst Ihr immer weiter vorangehen und die entscheidenden Stellen des Systems entdecken. Ihr dürft in einem gewissen Grad mit den politischen Machthabern und mit denjenigen Menschen, die hundertprozentig gegen uns sind, nicht in einen offenen Dialog eintreten, aber ihr dürft sie auch nicht bekämpfen. Wenn sich unsere Freunde zu früh zu erkennen geben, wird die Welt ihre Köpfe zerquetschen, und die Muslime werden dann Ähnliches wie in Algerien erleben. Die Welt hat große Angst vor der islamischen Entwicklung. Diejenigen von uns, die sich in diesem Dienst befinden, müssen sich so wie ein Diplomat verhalten, als ob sie die ganze Welt regieren würden, und zwar so lange, bis Ihr diese Macht erreicht habt, die Ihr dann auch in der Lage seid, mit eigenen Kräften auszufüllen, bis Ihr im Rahmen des türkischen Staatsaufbaus die Macht in sämtlichen Verfassungsorganen an Euch gerissen habt.“ (16)

Als die Rede durch den (gekürzten) Mitschnitt eines TV-Senders bekannt wurde, floh er am 21. März 1999 in die USA, wo er im Exil in Saylorsburg lebt. Seine Beziehungen zur Central Intelligence Agency (CIA) sind nicht geklärt. Der frühere CIA-Agent Graham E. Fuller, der zeitweise in der Bundesrepublik, in der Türkei und in Afghanistan stationiert war, setzte sich dafür ein, dass Gülen in den USA bleiben konnte. Ab 2004 galt die so genannte Gülen-Bewegung in der Türkei offiziell als eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Im Jahr 2010 wurde sie auf Drängen von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdoğan von der Liste der staatsgefährdenden Organisationen gestrichen.

Als der Polizeipräsident von Eskişehir, Hanefi Avcı, ein Buch („Haliç’te Yaşayan Simonlar: Dün Devlet Bugün Cemaat“) über die Unterwanderung des Polizeiapparates und die Abhöroperationen der Gülen-Bewegung publizierte, wurde gegen ihn eine Intrige gestartet. Man beschuldigte ihn, er sei Mitglied der linksextremistischen Terrorgruppe Devrimci Karargah. Daraufhin trat Avcı von seinem Posten zurück. Kurze Zeit später wurde er verhaftet, am 20. Juli 2013 zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt und am 20. Juni 2014 aus der Haft entlassen.

Jahrelang hatte Gülen die AKP bzw. Erdoğan durch seine Medienmacht propagandistisch unterstützt. Die gemeinsamen Erfolge der AKP-Regierung und der Gülen-Bewegung im Kampf gegen das kemalistische Militär mündeten darin, dass Erdoğan eine Monopolisierung seiner Macht anstrebte, während gleichzeitig Gülen seinerseits einen Ausbau seiner Machtstellung reklamierte. Seit 2012, spätestens seit 2013, war der Machtkampf zwischen AKP und Gülen-Bewegung als „stiller Bürgerkrieg“ bekannt. Konkrete politische Differenzen gab es u. a. in Bezug auf die Kurdenfrage. Hier forderte die Gülen-Bewegung ein schärferes Vorgehen gegen die Separatisten, während die türkische Regierung damals noch auf eine Annäherung setzte. Im Februar 2012 strebte die Gülen-Bewegung ein Strafverfahren wegen Geheimnisverrats ausgerechnet gegen den Leiter des MİT, Hakan Fidan, an, der im Regierungsauftrag die Geheimgespräche mit den Kurdenvertretern führte. Ab November 2013 ließ Erdoğan einen Teil der Schulen der Gülen-Bewegung schließen, die sich dadurch rächte, dass sie einen Korruptionsskandal innerhalb des türkischen Kabinetts publik machte, so dass gleich drei Minister zurücktreten mussten. Die Gülen-Bewegung hatte die indiskreten Informationen über ihre Tageszeitung „Zaman“ lanciert. Daraufhin ließ Erdoğan deren Chefredakteur Ekrem Dumanli, weitere Journalisten und rund 400 Ermittlungsbeamte verhaften, feuern oder strafversetzen.

Mit ihrer Politik der Unterwanderung des Staatsapparates (hier: sızıntı) gilt sie heutzutage als eine klandestine Ausprägung des „tiefen Staates“ in der Türkei. Seitdem sich Erdoğan die Regierungsgewalt angeeignet hat, sieht er in Gülen seinen schärfsten Widersacher und machte ihn sogar für den Putschversuch 2016 verantwortlich, was von Gülen bestritten wird. Heute wird die Gülen-Bewegung in der türkischen Regierungspropaganda nur noch als staatsverbrecherische „Fetullahçı Terör Örgütü/Paralel Devlet Yapılanması'nın“ (FETÖ/PDY – dt.: „Fethullahistische Terror-Organisation/Parallele Staatsstruktur) tituliert.

Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer führt die Konkurrenz zwischen AKP und Gülen auf eine zu große Nähe zwischen beiden zurück. In seinem Buch „Türkei verstehen – von Atatürk bis Erdoğan“ schrieb er 2016 (Seite 466f):

„An solchen Behauptungen (dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch stecke, G. P.) ist richtig, dass tatsächlich im türkischen Bildungswesen, in der Justiz, der Polizei und der Religionsbehörde zahlreiche Anhänger und Sympathisanten der Gülen-Bewegung tätig sind. Diese teils hochgebildeten Personen waren viele Jahre wichtige geistige Stützen der AKP. Seit der unversöhnlichen Feindschaft zwischen Erdoğan und Gülen aber gingen diese Personen mehrheitlich in Opposition zu Erdoğan. Dies ist für die AKP gefährlich! Beide Rivalen besitzen ideologisch einen vergleichbaren Hintergrund und haben eine ganz ähnliche Herkunft. Anhänger der Gülen-Bewegung können mit ihrer Kritik an politischen Krisen der AKP mehr als andere Gegner auf Verständnis bei frommen Sunniten stoßen.“

Aber angesichts der Konspirativität der Bewegung ist es für die türkischen Sicherheitsbehörden nicht einfach zu bestimmen, wer zu den Mitgliedern oder Sympathisanten der Untergrundbewegung gehört, zumal die Sicherheitsorgane selbst durch Anhänger dieser Bewegung unterwandert sind, die die staatlichen Überwachungsmaßnahmen sabotieren.

Da die Gülen-Bewegung ihre interne Kommunikation über die US-Software „ByLock“ verschlüsselte, wurden alle Nutzer dieser Software „automatisch“ als Bewegungsaktivisten eingestuft. Allerdings war die Software seit September 2014 über den „Apple-Store“ und später im „Google-Playstore“ frei verfügbar, so dass auch Unschuldige in Verdacht gerieten. Ebenso landeten „user“, die Musik aus dem Internet über die Applikation „Mor Beyin“ heruntergeladen hatten, manchmal auf den Servern der „ByLock“-Spezialsoftware und gerieten so ebenfalls in Verdacht. Die Gülen-Bewegung setzte die Software ab 2014 ein. Ende 2015 gelang es dem Nachrichtendienst MİT, in den Server der Applikation einzudringen und die User zu identifizieren. Als die Gülenisten sich dessen gewahr wurden, stellten sie die Benutzung der Applikation im Januar 2016 ein. Dem MİT gelang es, über 40.000 „Gülenverdächtige“ User zu identifizieren, darunter über 600 hochrangige Offiziere aber auch 11.480 harmlose Musikkonsumenten. So landeten mehrere hundert Musikfreunde nach dem Putschversuch zeitweise in U-Haft. In Verdacht gerieten auch alle Konsumenten, die bei der „Asya“-Bank ein Konto besaßen, weil diese Bank der Gülen-Bewegung gehört. Später wurden 1.823 gefeuerte Staatsbedienstete (darunter 458 Polizeibeamte und 99 Grenzpolizisten) rehabilitiert und mussten erneut eingestellt werden.

Die Gülen-Bewegung ist mittlerweile in 150 Staaten präsent. Der Ableger der Gülen-Bewegung in Deutschland ist die „Stiftung Dialog und Bildung“ in Berlin (Unter den Linden 39). Ihr Leiter Ercan Karakoyun erhielt nach dem Putschversuch 2016 Morddrohungen; der für Deutschland zuständige Imam ist Hayrettin Özkul, der offiziell die World Media Group AG in Offenbach leitet. (17) Außerdem gehört(e) zur Bewegung das „Forum für Interkulturellen Dialog e. V.“ (FID) in Frankfurt-Bockenheim und Berlin. Nach eigener Darstellung verfügt die Gülen-Bewegung in Deutschland über ca. 150.000 Mitglieder oder Sympathisanten. (18)

Die Bewegung unterhält mehrere Kindergärten (Augsburg, Hamm, …), mindestens 30 Schulen (Berlin-Spandau, Duisburg, Freiburg, Köln, Mannheim, Stuttgart-Bad Cannstatt, Wuppertal), 160 Nachhilfevereine (Aachen, Baesweiler, Frankfurt, Hechingen, Herrenberg, Nürtingen, Tübingen, …), 300 „Lichthäuser“, ein Dutzend „Dialogvereine“ (Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Reutlingen etc.), mehrere Kulturzentren (Augsburg, …), Wohltätigkeitsorganisationen (Essen, …) und Unternehmen wie die World Media Group AG (12 Niederlassungen in Deutschland mit rund 250 Mitarbeitern). Der türkische Geheimdienst MİT listete 200 Vereine und 300 Personen in Deutschland auf. In einer Selbstdarstellung heißt es schönfärberisch:

„Das weltweite, vielseitige Engagement der Menschen in Hizmet kann als Netzwerk verstanden werden, das sich für Frieden und Verständigung in der Welt einsetzt. Im Laufe der Jahre hat sich aus einer kleinen Gemeinschaft in der Türkei ein breites gesellschaftliches Engagement etabliert, das sich auf weite Teile der Welt erstreckt und sich in vielfältigen Projekten vor Ort zeigt. Die in Hizmet engagierten Menschen kommen aus verschiedenen kulturellen, geografischen, sprachlichen und religiösen Bereichen.

Hizmet beruft sich auf universelle Werte wie Toleranz, Chancengerechtigkeit, gesellschaftliche Teilhabe, demokratische Grundrechte, Meinungsfreiheit und Gleichstellung von Mann und Frau.“ (19)

Demgegenüber berichtete ein Aussteiger:

„Das Merkwürdige ist, dass es formal Vereine gibt, ich habe aber nie etwas von einer Mitgliederversammlung oder Vorstandswahlen mitbekommen. Wichtig war denen, dass auf der Homepage möglichst Ärzte und Juristen standen, weil sie damit besser Werbung bei den Deutschen machen konnten.“ (20)

Und eine Juristin aus Mannheim, die früher ebenfalls zur Gülen-Bewegung gehörte, erzählte:

„Ich war in der Jugendzeit ziemlich engagiert in der Gülen-Bewegung. Ich bin ein paar Mal umgezogen, von einer Gemeinde zur nächsten Gemeinde, Cemaat heißt das bei den Gülen-Leuten. Interessant war, dass die fast alles über mich und meine Familie wussten, als ich in der neuen Cemaat ankam. Die hatten sogar Fotos von mir gesammelt. (…)

Man wollte das Vertrauen von Entscheidungsträgern gewinnen und die Gesellschaft infiltrieren, deshalb hieß es, merke Dir die Geburts- oder Hochzeitstage von den wichtigen Leuten, den VIPs, wichtige Politiker hat man auch geködert und sie in die Türkei eingeladen. (…) Meinem Mann haben sie dann auch noch gesagt, werde jetzt Mitglied der SPD. (…) Es hieß immer, Du musst die wichtigen Leute kennen lernen. Es gibt auch einen Verhaltens-Knigge, den bekommen nur diejenigen, die mit wichtigen Leuten in Kontakt sind.“ (21)

Die AKP-nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) forderte im 2016 ihre Mitglieder auf, sie sollten nicht bei Gülenisten kaufen. (22) In Nordrhein-Westfalen wurden Gülen-nahe Geschäfte nach dem gescheiterten Putschversuch von türkisch-islamistischen Fanatikern angegriffen und mussten z. T. schließen.

 

- Korruptionsvorwürfe und Terrorismusverdacht

 

Am 11. Mai 1998 verursachte der älteste Sohn, Ahmet Burak Erdoğan, in Istanbul einen Verkehrsunfall, bei dem die populäre Sängerin Sevim Tanürek tödlich verletzt wurde. Obwohl Ahmet Burak Erdoğan keinen Führerschein besaß und Fahrerflucht beging, wurde der Sohn des damaligen Oberbürgermeisters von Istanbul schließlich freigesprochen, weil Sevim Tanürek für ihren Tod allein die Schuld trug, wie ein türkisches Gericht feststellte. Jedoch kam eine politische Karriere nach diesem fragwürdigen Unfall für Ahmet Burak Erdoğan nicht mehr in Frage.

Wieviel Geld die Familie Erdoğan in den letzten zwanzig Jahren „abgezweigt“ hat, ist nicht bekannt. Die Fäden laufen bei der Çalik-Holding zusammen. Bereits im Dezember 2013 mussten gleich vier Minister im Kabinett Erdoğans (Innenminister Muammar Güler, Wirtschaftsminister Mehmet Zafer Çağlayan und Umweltminister Erdoğan Bayraktar) wegen einer Korruptionsaffäre zurücktreten. Insgesamt wurden binnen weniger Tage 84 Personen festgenommen, darunter die Söhne der genannten Minister. Die Tatverdächtigen sollen – entgegen dem UN-Embargo – Erdöl aus dem Iran geschmuggelt haben. In den USA saß deswegen Reza Zarrab vorübergehend in Haft, der als Kronzeuge gegenüber dem FBI umfangreiche Aussagen machte.

Am 17. Dezember 2013 soll Erdoğan mit seinem zweitältesten Sohn Necmeddin Bilal telefoniert haben, in dem er diesen anwies, die gebunkerten Gelder so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen: „Bring alles weg, was im Haus ist!“ In einem zweiten Telefonat beklagte sich der Jüngere, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst“ werden können. Daraufhin warnte ihn der Ältere, dass er abgehört werde. Allerdings wurde die Echtheit der Telefonate von der Familie Erdoğan bestritten. Die Ermittlungen wurden damals niedergeschlagen, der ermittelnde Staatsanwalt und der Polizeichef von Istanbul entlassen.

Außerdem führte Necmeddin Bilal Erdoğan die Stiftung Türkiye Gençlik ve Eğitime Hizmet Vakfı“ (Türgev, dt.: „Türkische Jugend- und Bildungsstiftung“), die ebenfalls unter Korruptionsverdacht steht. Ein ehemaliger Minister, der nicht genannt werde wollte, erklärte über Erdoğan, dieser betrachte die Türkei als sein Eigentum: „Er glaubt, er könne sich alles nehmen.“ Nicht zuletzt besitzt der Clan der Erdoğans mehrere Offshore-Firmen in Valetta auf Malta, wo sie nur fünf Prozent Unternehmenssteuern zahlen müssen, und in Schweden. (23)

Laut Bassan Tibi sind die wirtschaftlichen Interessen der Familie des Staatspräsidenten auf mehrere Personen verteilt:

„Im Orient bilden Familien einen Clan mit ausgeprägter Netzwerkstruktur und die Erdogan-Familie ist keine Ausnahme. Erdogans Söhne, vorrangig Bilal, und seine Tochter Sümeyye wirken als zentrale Figuren in diesem Clan. Über allen steht jedoch Berat Albayrak, der Schwiegersohn Erdogans, der mit der ältesten Erdogan-Tochter Esra verheiratet ist. Er kontrolliert alle wirtschaftlichen Netzwerke und gilt sogar als Thronfolger Erdogans. (www.bayernkurier.de/ausland/24502-auf-dem-weg-in-die-islamokratie/)

Besonders schwerwiegend sind die (früheren) Beziehungen der Familie Erdoğan zur Terrororganisation „Islamischer Staat“ („IS“): Nachdem sich Erdoğan mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad überworfen hatte, hegte er wohl die Hoffnung, er könne mit Hilfe des sunnitischen „IS“ den alevitischen Machthaber in Damaskus stürzen.

Der so genannte „Islamische Staat“ grenzte während seiner fünfjährigen Existenz an die Türkei. Die Landgrenze zwischen der Türkei und Syrien hat eine Länge von 822 Kilometern, dies bot eine gute Gelegenheit für Schwarzmarktgeschäfte in Kriegszeiten. In diese Geschäfte mit dem „Islamischen Staat“ sollen auch der Sohn des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Necmeddin Bilal Erdoğan, und sein Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, verwickelt gewesen sein. Allein die jährlichen Einnahmen der Terroristen aus dem Verkauf von Öl in die Türkei werden auf rund 500 Millionen Euro geschätzt. (24) So beschuldigte der stellvertretende russische Verteidigungsminister Anatoli Iwanowitsch Antonow den Erdoğan-Clan, sie würden vom des Ölhandels mit dem „Islamischen Staat“ profitieren und legte entsprechende Sateillitenfotos vor. (25) Auch die CIA sprach entsprechende Verdächtigungen aus, nahm sie aber nach einem Protest der türkischen Regierung wieder zurück. (26)

Die Tageszeitung „Cumhuriyet“ berichtete am 29. Mai 2015 darüber, dass der türkische Geheimdienstes MİT am 19. Januar 2014 bei Adana drei Lastwagen mit russischen Waffen und Munition nach Syrien exportieren wollte. Die Waffen russischer Herkunft sollten vermutlich an den „IS“ geliefert werden. Die Ladung bestand aus 50.000 Patronen für Sturmgewehre, 30.000 Schuss für MGs, 1.000 Mörsergranaten und 1.000 sonstige Artilleriegranaten. Nachdem die Staatsanwaltschaft einen Tip bekommen hatte, ließ Staatsanwalt Aziz Takcı – ohne Ahnung, dass der eigene Geheimdienst hinter der kriminellen Sache steckte - die Lieferung stoppen.

Als der damalige Ministerpräsident Erdoğan von der Justizmaßnahme erfuhr, tobte er: „Sie dürfen keine Lastwagen des MİT stoppen! Sie haben dazu keine Befugnis! Diese Lastwagen transportieren humanitäre Hilfsgüter!“ Daraufhin wurde Staatsanwalt Aziz Takcı erst nach Trabzon und dann nach Zonguldak strafversetzt und erhielt mehrere tausend Morddrohungen. Die dreizehn Soldaten, die an der Durchsuchungsaktion beteiligt waren, wurden vom Dienst suspendiert; gegen sie wurde ein Ermittlungsverfahren wegen „Spionage“ eröffnet.

Der Chefredakteur der „Cumhuriyet“, Can Dündar, wurde festgenommen. Am 25. Februar 2016 erklärte das türkische Verfassungsgericht die Verhängung der Untersuchungshaft gegen Dündar für nicht rechtens; daraufhin wurde er am 26. Februar 2016, nach drei Monaten Untersuchungshaft, entlassen. Am 6. Mai 2016 wurde Dündar wegen der der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen in Abwesenheit zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Seiner Inhaftierung kam er zuvor und reiste Anfang Juli 2016 nach Deutschland aus, wo er heute in Berlin lebt. In einem Essay für den „Spiegel“ berichtete Dündar am 19. Dezember 2015 noch einmal von seinen Erkenntnissen:

„Meine „Straftat“ besteht aus einem Artikel, den ich im Mai verfasste. In diesem Artikel haben wir nachgewiesen, wie mit Lastwagen des türkischen Nachrichtendienstes heimliche Waffentransporte nach Syrien ausgeführt wurden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren diese Waffen für radikal-islamistische Organisationen bestimmt. Der Skandal wurde offenkundig, als aufgrund eines Hinweises Staatsanwälte und Gendarmerie die Lastwagen des Nachrichtendienstes stoppten. Da Meldungen zu dieser Geheimoperation die türkische Regierung national und international in Bedrängnis gebracht hätten, verhängte sie eine Nachrichtensperre. Die Regierung sagte, dass sich in den Lastwagen keine Waffen, sondern „humanitäre Hilfsgüter“ befänden. Das war eine Lüge. (…)

Doch den endgültigen Beweis, mit dem am Ende die letzten Zweifel beseitigt wurden, lieferten Videoaufnahmen eines Lastwagens. Darin ist eindeutig erkennbar, wie bei der Kontrolle die Türen geöffnet werden und unter Medikamentenkartons im Frachtraum Waffen und Munition zum Vorschein kommen. Die Vertreter des Nachrichtendienstes und des Militärs richten in dem Video ihre Waffen gegeneinander, und nur im allerletzten Moment wird ein großes Gefecht abgewendet. (…)

Wenn ein Staat Waffen in einen Nachbarstaat bringt, dann stellt das ein Verbrechen dar. Auch verfügte der Nachrichtendienst über keine derartige Befugnis. Noch dazu hatte die Regierung ihr eigenes Volk belogen und war dabei in flagranti ertappt worden.“ (27)

Das deutsche Bundesministerium des Innern bestätigte die türkische Verwicklung in den internationalen Terrorismus im August 2016, als es auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke) in einer vertraulichen Antwort (VS-NfD), unter Bezug auf Informationen des Bundesnachrichtendienstes, folgendes mitteilte:

„Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die Hamas und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdogan unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern. (…) Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.“ (28)

Um die Gründung eines kurdischen Staates auf syrischem Territorium zu verhindern, führen die türkischen Streitkräfte auf syrischem Gebiet Militäroperationen zur Zerschlagung der kurdischen Rebellengruppen durch, die ihrerseits den „Islamischen Staat“ bekämpfen. Dadurch schwächt die türkische Regierung die Front gegen den „IS“. Außerdem gilt die Türkei als Rückzugsgebiet für Kämpfer der Terrormiliz, die in türkischen Krankenhäusern ihre Kriegsverletzungen behandeln lassen. In Antep betrieb der „IS“ einen Buchladen, der als logistisches Zentrum der Organisation innerhalb der Türkei galt. Zu den führenden Köpfen der Terrororganisation gehören Halis Bayancuk alias „Abu Hanzala“, der am 27. Juni 2018 zu einer Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren verurteilt wurde, und Mustafa Dokumacı. Bereits 2016 war der „IS“ nach einem Geheimbericht der türkischen Polizei in 70 der 81 türkischen Provinzen durch Schläferzellen präsent.

Nachdem der „IS“ auch auf dem Boden der Türkei mehrere Sprengstoffanschläge mit zahlreichen Todesopfern verübt hatte, trübte sich das bilaterale Verhältnis ein, jedoch war dies nicht von Dauer. Längst können wieder „IS“-Anhänger in der Türkei frei agieren. Dazu berichtete Gerrit Wustmann auf „Telepolis“:

„Zwar finden immer wieder öffentlichkeitswirksam durchgeführte Festnahmen von IS-Kämpfern und -Anhängern statt. Oft werden diese aber schon nach kurzer Zeit geräuschlos wieder freigelassen. So zum Beispiel Ende Juni in Antep. Vor Gericht standen dort 60 Personen, die maßgeblich an den verheerenden Anschlägen in Suruc und Ankara im Jahr 2015 beteiligt gewesen sein sollen, bei denen mehr als 100 Menschen starben und unzählige teils schwer verletzt wurden. Geplant und durchgeführt wurden die Anschläge von Yunus Durmaz, der sich im Mai 2016 selbst in die Luft gesprengt hatte. 39 der Angeklagten wurden, teils unter Auflagen, freigelassen. (…)

Erkan Capkin soll maßgeblich an dem Attentat im Istanbuler Zentrum beteiligt gewesen sein, bei dem am 19. März 2016 vier Menschen getötet wurden. Im März 2017 wurde er mit Hinweis auf seinen Gesundheitszustand aus der Haft entlassen. Solche Milde gibt es bei Häftlingen, die der Opposition angehören, nicht. Immer wieder gibt es Berichte über schwer kranke Gefangene, denen medizinische Hilfe verweigert wird und die vergeblich mit Verweis auf ihren Zustand eine Freilassung zu erwirken versuchen.

Ein anderer IS-Kämpfer wurde in Istanbul erst verhaftet und dann wieder freigelassen. Die abenteuerliche Begründung des Gerichts: Er habe einen „festen Wohnsitz“ in Istanbul. Darüber zeigte sich laut Hürriyet sogar der Anwalt des Angeklagten erstaunt.“ (29)

Die Vorwürfe der Kumpanei mit Terroristen wurden von der türkischen Regierung bestritten. Man verwies darauf, dass man bis April 2015 gegen mindestens 12.800 verdächtige Islamisten ein Einreiseverbot ausgesprochen und 1.300 Islamisten festgenommen und ausgewiesen (Stand: 2015) hätte. (30) Demgegenüber ist festzuhalten, dass rund 60 Prozent der ausländischen „IS“-Kämpfer über die Türkei nach Syrien/Irak einreisen konnten. Außerdem warf die türkische Regierung im Gegenzug der deutschen Bundesregierung vor, sie würden die Terroristen der PKK unterstützen und ihnen Unterschlupf gewähren.

Aber nicht nur den Islamischen Staat soll die Türkei unterstützt haben, sondern auch die konkurrierende Al-Nusra-Front. Am 21. März 2014 attackierten türkische Artilleriekommandanten in Absprache mit Führern der Al-Nusra Stellungen der syrischen Truppen in Kasab. Dazu wurden die Zielkoordinaten zwischen beiden Seiten ausgetauscht, wie abgehörte Telefonate belegen. (31)

 

- Großmachtstreben

 

Einst waren die Türken eine trikontinentale Großmacht. Über 600 Jahre beherrschte das Osmanische Reich (Devlet-i ʿAlīye, später Turchia) mit ihren Janitscharen-Korps weite Gebiete des Balkans, des Nahen Ostens und Nordafrika von Algerien bis an den Persischen Golf. Von Konstantinopel aus regierte zuletzt Sultan Mehmed VI bzw. sein Großwesir Ahmed Tevfik Paşa. Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Religionen. Allerdings blieb das Land unterentwickelt und über 90 Prozent der Türken waren Analphabeten. Interne Konflikte und wirtschaftliche Probleme führten zum Niedergang des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert, das fortan als „kranker Mann am Bosporus“ bezeichnet wurde.

Im Ersten Weltkrieg war die Türkei Bündnispartner der Achsenmächte. Mit dem der militärischen Niederlage am Ende des Ersten Weltkrieges zerfiel auch des Osmanische Reich. Im Vertrag von Sèvres (Sevr Antlaşması) vom 10. August 1920 war noch eine komplette Verteilung des Reichsgebietes unter die Siegermächte beschlossen worden, darunter die Gründung eines armenischen und eines kurdischen Staates. Nur durch militärischen Widerstand gelang es den Türken, wenigstens ihr Kernland als verarmten Einheitsstaat zu erhalten. Im Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 einigten sich die Siegermächte mit den Türken über die neue Grenzziehung: Die „Türkei“ erhielt Ost- und Südostanatolien, Ostthrakien (seitdem der europäische Teil der Türkei) sowie Izmir, demgegenüber behielt Griechenland Westthrakien. (32)

Damit liegt die Türkei geopolitisch an einer Schnittstelle der internationalen Politik zwischen Okzident und Orient, zwischen West und Ost, zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer. In Zeiten des Kalten Krieges galt die Türkei als „Rampe in den weichen Unterleib“ der damaligen Sowjetunion an der Südflanke des Bündnisses; immerhin entfielen ein Drittel der Grenze zwischen NATO und Warschauer Pakt bzw. Sowjetunion allein auf die Türkei. Heute besticht das Land durch seine geographische Nähe zu den Konfliktherden im Nahen Osten: Syrien, Irak und Iran sind Nachbarländer. Mit Israel unterhält die Türkei als nicht-arabisches Land opportunistische Beziehungen, die mal besser mal schlechter sind.

Anders als seine Amtsvorgänger, die die Anbindung an den „Westen“ suchten, hat Herr Erdoğan eine ausgesprochen negative Einstellung gegenüber dem christlichen Okzident. Dieser habe es nur auf Öl, Gold, Diamanten und die billigen Arbeitskräfte in der islamischen Welt abgesehen, erklärte er im November 2014: „Sie lieben die Muslime nicht“, sondern nur „Öl, Gold, Diamanten“. „Sie sehen wie Freunde aus, aber sie wollen uns tot sehen, sie mögen es, unsere Kinder sterben zu sehen“. Hinter der türkischen Opposition und dem Kampf der Kurden um Unabhängigkeit witterte der passionierte Verschwörungstheoretiker eine Verschwörung des Westens, insbesondere der USA.

Demgegenüber will Herr Erdoğan die einstmals laizistische Türkei weiter muslimifizieren und zu einer Führungsmacht innerhalb der muslimischen Welt aufbauen. Dabei strebt er mit dem „Westen“ Beziehungen auf Augenhöhe an. Dabei rekuriert Erdoğan auf die großtürkische Ideologie des Turanismus (turancılık) bzw. Panturkismus (Pan-Türkizm), die den kulturellen und politischen Zusammenhalt aller Türken im In- und Ausland fordert. Dieser türkische Nationalismus erlebte bereits eine Renaissance Anfang der neunziger Jahre, als die Sowjetunion zusammenbrach und die transkaukasischen Sowjetrepubliken unabhängig wurden. Die türkischen Politiker schwärmten damals davon, dass sich die Turkvölker in diesen Gebieten unter türkischer Führung zusammenschließen mögen. Allerdings währte dieser Traum nur kurz, da die Türkei den anderen Turkvölkern nichts Substanzielles anzubieten hatte.

Dennoch erklärte der türkische Staatspräsident am 10. November 2016: „Wir werden nicht Gefangene auf 780.000 Quadratkilometern sein. (…) Unsere Brüder auf der Krim, im Kaukasus, in Aleppo und Mossul mögen jenseits der physischen Grenzen sein, aber sie sind innerhalb der Grenzen unserer Herzen.“ (33) So wird im staatlichen türkischen Fernsehen „TRT“ gelegentlich die Herstellung der Türkei in den Grenzen von 1920 gefordert. Demnach gehören Aleppo (Syrien) und Mossul (Irak) zum türkischen Territorium.

Gleichzeitig vertritt Erdoğan gegenüber den Nachbarstaaten eine neoimperiale Politik, die an die Selbstherrlichkeit des alten Osmanischen Reiches anknüpft und als Neoosmanismus (Yeni Osmanlıcılık) bekannt ist. Am 26. April 2012 prahlte der eigentliche Architekt der türkischen Großmachtpolitik, der damalige Außenminister Prof. Dr. Ahmet Davutoğlu, im türkischen Parlament: „Wir sind die führende Kraft im neu entstehenden Nahen Osten und die Region wird uns gehören.“ Unter dem Schlagwort „strategische Tiefe“ (stratejik derinlik) forderte er eine Neuorientierung der türkischen Außenpolitik - weg von Westeuropa und Hinwendung zu seinem arabischen Umfeld. Und am 6. Mai 2018 gab Recep Tayyip Erdoğan auf einem AKP-Sonderparteitag in Istanbul als Ziel seines Kampfes bekannt: „Die Türkei wird zu einer wichtigen Macht in der Welt. Die Türkei wird eine globale Macht sein, eine führende Kraft.“ (34)

Gleichzeitig konnte das türkische Regime seinem Volk einen übersteigerten Nationalstolz einimpfen. Populär ist der Gedanke, dass die Urmenschen „(Proto-)Türkisch“ sprachen, mithin „Türken“ waren, so dass quasi die gesamte Menschheit von den Türken abstamme. Darüberhinaus wird in fiktiven Historienschinken und vulgären Fernsehserien die ruhmreiche Vergangenheit des Osmanischen Reiches beschwört. So schrieb Inga Rogg in ihrem Buch „Türkei, die unfertige Nation – Erdoğans Traum vom Osmanischen Reich“ (Seite: 50):

„Heute haben viele Türken verinnerlicht, dass sie die Nachfahren von „heldenhaften Imperien“ und die Kinder einer „heldenhaften Rasse“ sind. Das war zu Zeiten von Atatürks nicht so, damals war der Begriff „Türke“ noch ein Schimpfwort, er stand für Hinterwäldlertum und war damit nichts, womit man sich identifizieren mochte.“

Während Herr Erdoğan in der Türkei ein autokratisches Regime errichtet, geht er mit dergleichen Aggressivität gegen seine arabischen Nachbarländer vor. Hier traf dieser expansionistische türkische Panislamismus auf wenig Gegenliebe: die Araber hegen keine romantischen Erinnerungen an die frühere osmanische Besatzungsmacht.

Angesichts der Vielzahl der militärischen Operationen stellt sich die Frage, ob die türkische Regierung noch einen Blick für die militärpolitischen Realitäten hat, oder ob sie durch ihre religiös-ideologische Verblendung ihre Möglichkeiten überdehnt hat. Ein früherer US-Botschafter in Ankara bemerkte dazu süffisant: die türkische Außenpolitik habe „die Ambitionen von Rolls-Royce, aber die Mittel von Rover“. (35)

Statt die politische und wirtschaftliche Position der Türkei zu stärken, verlor die Regierung in Ankara zunehmend die Kontrolle über die komplexen Entwicklungen in der Region. Ihr Agieren in der Kurdenfrage oder ihre Bündnispolitik im syrischen Bürgerkrieg brachte ihr erhebliche Ansehensverluste bei. Somit ist das Scheitern der türkischen Großmachtpolitik unübersehbar. Wie besagt doch ein türkisches Sprichwort: „Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt seine Hand oder sich selbst.“

Die Türkei ist zwar seit dem 18. Februar 1952 Mitglied der NATO, die ihren Allianzmitgliedern militärischen Beistand gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages zusagt. Allerdings haben wiederholt europäische Politiker erklärt, dass sie sich durch die aggressive Außenpolitik der Türkei nicht in einen Krieg hineinziehen lassen wollten, dass somit die Bündnisverpflichtungen dann nicht gelten würden. Entsprechende Andeutungen machten der deutsche Otto Graf Lambsdorff (1991) (36) und der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn (2016).

Zu einem Eklat kam es im November 2017, als die NATO während ihrer Stabsrahmenübung TRIDENT JAVELIN im „Joint Warfare Center“ in Stavanger (Norwegen) Übungsunterlagen nutzte, in denen Erdoğan als „Feind“ und „Ziel“ bezeichnet wurde. Der NATO-Generalsekretär entschuldigte sich für diesen unerklärlichen Fauxpas; die türkische Regierung zog dennoch – mit berechtigtem Zorn - ihre 40 Übungsbeteiligten ab. „Solch einen Pakt, solch ein Bündnis kann es nicht geben“, tobte Erdoğan. (37)

Laut Umfragen stimmen ca. 44 Prozent der befragten Türken der Behauptung der Regierung in Ankara zu, der Westen stehe der Türkei ablehnend, ja feindlich gegenüber. (38) Mittlerweile spekulieren bereits einige „Experten“ damit, eine anti-westliche Gruppe innerhalb der türkischen Regierung bzw. Streitkräfte könnte einen möglichen Austritt der Türkei aus der NATO betreiben. Es wäre das erste Mal, dass ein Bündnispartner aus der Allianz austritt und hätte daher besonderen militärpolitischen Symbolwert. Dabei ist die Türkei für die NATO ein wichtiges Mitglied: gemeinsame Sicherheits- und Wirtschaftinteressen, Partner bei der Bekämpfung des Terrorismus, Garant bei der Ölversorgung und Stabilitäsfaktor in Nahost. Eine Mitgliedschaft in der pro-russischen Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) wäre auch für die Türkei keine wirkliche Alternative. (39)

 

- Wirtschaftsprobleme

 

Im Jahr 2004 lobte Angela Merkel (CDU) noch, die Türkei sei ein „wahnsinnig erfolgreiches Land“ mit „unglaublichen Wachstumsraten“. Mittlerweile liegt ein ökonomischer Schatten auf Erdoğans Großmachtstreben: Die imposanten Anfangserfolge bei der Industrialisierung in den ersten Jahren seiner Amtszeit waren auf Pump finanziert. Die Einnahmen aus den Großprojekten blieben hinter den hochtrabenden Erwartungen zurück, die Rückzahlung der Kredite blieb somit nicht gedeckt.

Ausländische Anleger investierten zwischen 2003 und 2012 – nach unterschiedlichen Angaben – 150 bis mehr als 400 Milliarden Dollar in die türkische Wirtschaft. Hinzu kamen sechs Milliarden Euro durch den EU-Flüchtlingsdeal. Ausländische Banken gewährten Kredite in einer Gesamthöhe von ca. 270 Milliarden Dollar. Der Löwenanteil entfällt auf spanische Banken (ca. 87 Milliarden Dollar); bei deutschen Banken sind Kredite in Höhe von ca. 15 Milliarden Dollar offen. (40) Gleichzeitig belastet die türkischen Privatunternehmen eine Schuldenlast – nach unterschiedlichen Angaben - von 222 bis über 500 Milliarden Dollar. Zahlreiche türkische Familien sind überschuldet. Bleibt die Zufuhr ausländischen Kapitals aus, drohen reihenweise Pleiten. (41) In den Städten haben bereits zahlreiche mittelständische Geschäfte aufgegeben. Gleichzeitig stieg das Handelsbilanzdefizit unter Erdoğan von 16 Milliarden auf 56 Milliarden Dollar (Stand: 2016). Die Ratingagentur „Standard & Poor“ attestierte der Türkei „Ramschniveau“. (42)

Außerdem kamen die ursprünglichen „Wirtschaftserfolge“ nicht allen zugute, sondern vertieften vielmehr die Kluft zwischen Westanatolien und Ostanatolien, zwischen Stadt und Land, zwischen den urbanen modernen säkularisierten „weißen Türken“ (Beyaz Türkler) und der konservativen, bildungsfernen Landbevölkerung der so genannten „schwarzen Türken“ (Kara Türkler). Die Begriffe wurden erstmals 1992 von dem Journalisten Ufuk Güldemir in seinem Buch „Teksas Malatya“ geprägt und später durch die Soziologin Nilüfer Göle in die Sozialwissenschaft eingeführt.

Zwar konnten viele „schwarze Türken“, die sich aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Verhältnisse im eigenen Land diskriminiert fühlten, von dem früheren Wirtschaftsaufschwung profitieren: Viele erhielten erstmals eine Krankenversicherung; einige konnten durch sinnvoll angelegte Kleinkredite sogar in die Mittelschicht aufsteigen. Dennoch leben immer noch 17 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 9 Prozent, bei Jugendlichen sogar – nach unterschiedlichen Angaben – 19 bis 25 Prozent. Viele sind in prekären Arbeitsverhältnissen ohne Rechts- oder Versicherungsschutz beschäftigt, syrische Immigranten werden extrem ausgebeutet. Gleichzeitig wurde die Macht der Gewerkschaften beschnitten, Arbeitsschutzgesetze gelockert und die Leiharbeit eingeführt.

Längst ist Erdoğans wirtschaftliche Bilanz ins Negative gekippt: Handelsbilanzdefizit, Haushaltsdefizit, Inflation, steigenden Zinsen bei gleichzeitigem Währungszerfall. So fiel die türkische Lira im Mai 2018 auf ein Rekordtief:

„Ein Euro war bis zu 5,2480 Lira wert. Für einen Dollar mussten bis zu 4,3972 Lira bezahlt werden. Anfang April kostete ein Dollar noch rund 4 Lira und Anfang des Jahres noch rund 3,8 Lira.

An der Börse in Istanbul gab der wichtigste Leitindex um ein Prozent nach. Zudem stieg die Rendite türkischer Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit auf einen Rekordwert von 14,29 Prozent. Kein gutes Signal für Ankara, denn höhere Marktzinsen machen die Aufnahme neuer Staatsschulden teurer.

Die Türkei leidet unter einem hohen Leistungsbilanzdefizit: Die Einfuhren übersteigen die Ausfuhren. Die schwache Landeswährung verteuert noch dazu die Importe. Hinzu kommt eine Inflation von mehr als zehn Prozent. In einer solchen Lage würden Währungshüter in der Regel die Zinsen erhöhen, um die Teuerung zu dämpfen - auch auf die Gefahr hin, das Wirtschaftswachstum dadurch zu dämpfen.

Experten warnen vor einer Überhitzung der Wirtschaft, also einer durch günstige Kredite zu hohen Produktion, die die Nachfrage übersteigt und in eine Stagnation oder gar Rezession umschlägt.“ (43)

Im Mai 2018 forderte Herr Erdoğan seine Anhänger auf, ihre Devisenbestände in Lira umzutauschen, um diese zu stützen. Sollte diese diesem Vorschlag folgen, ist eine weitere Verarmung der muslimischen Bevölkerung in der Türkei vorprogrammiert. Demgegenüber haben die reichen Türken schon damit begonnen, ihr Kapital ins „sichere“ Ausland zu bringen. Trotz der sich abzeichnenden Wirtschaftsmisere hält Herr Erdoğan an seinen fragwürdigen gigantomanischen Bauprojekten, wie z. B. dem „Istanbul-Kanal“ entlang des Bosporus (45 Kilometer lang, voraussichtliche Kosten 14 Milliarden Euro, mindestens fünf Jahr Bauzeit, Umweltverträglichkeit zweifelhaft), fest. (44)

Angesichts der Befürchtungen, die türkische Notenbank könne unter dem neuen Präsidenten Erdoğan ihre Unabhängigkeit verlieren, fiel die Lira am 12. Juli 2018 auf ein weiteres Rekordtief: Zeitweise mussten für einen Dollar 4,97 Lira und für einen Euro 5,82 Lira gezahlt werden. (45)

Immerhin stieg die Alphabetisierungsrate von 87 Prozent (2003) auf 96 Prozent (2015); allerdings reduzierte die AKP-Regierung im Februar 2012 die Dauer der Schulpflicht von acht auf vier Jahre, ab dem fünften Schuljahr können Eltern ihre Kinder privat unterrichten oder auf eine Religions- bzw. Koranschule schicken.

 

B) Die militärpolitische Stellung der türkischen Sicherheitskräfte

 

- Die militärpolitische Führung

 

Oberbefehlshaber in Friedenszeiten ist der amtierende Staatspräsident; als Verteidigungsminister amtiert Juli 2018 der frühere Generalstabschef General Hulusi Akar, der Nurettin Canikli ablöste. Das Hauptquartier der Streitkräfte (Genelkurmay Başkanlığı - GENKUR) befindet sich in Ankara. Als Generalstabschef amtiert seit Juli 2018 General Yaşar Güler.

Das höchste sicherheitspolitische Beratungs- und Entscheidungsgremium ist der Nationale Sicherheitsrat (Millî Güvenlik KuruluM.G.K.). Der MGK hat seinen Sitz in Ankara. Er setzt sich zusammen aus dem Staatspräsidenten, einzelnen Kabinettsmitgliedern (Verteidigungsminister und Außenminister, seit 2003 auch der Innen- und der Justizminister), dem Generalstabschef und den Kommandeuren von Heer, Luftwaffe, Marine und Spezialeinheiten.

In Artikel 118 der Türkischen Verfassung heißt es:

„Der Nationale Sicherheitsrat besteht unter dem Vorsitz des Präsidenten der Republik aus den Stellvertretern des Präsidenten der Republik, den Ministern der Justiz, der Nationalen Verteidigung, des Innern und des Äußeren, dem Generalstabschef sowie den Kommandeuren der Land-, See- und Luftstreitkräfte.“ (46)

Durch die Erweiterung des MGK im Rahmen der Verfassungsänderung von 2003 gewannen die zivilen Politiker erstmals die zahlenmäßige Oberhand im MGK. Damit wurde den Militärs die Verfassungsrechtliche Möglichkeit entzogen, sich als „Hüter der Verfassung“ aufzuspielen. Allerdings war diese Verfassungsreform nicht das Ergebnis einer internen Entwicklung, vielmehr hatte die Europäische Union im Vorfeld der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eine entsprechende Gesetzesänderung eingefordert. Am 12. September 2010 folgte eine weitere Verfassungsänderung mit 58 Prozent der Stimme, die den Einfluss der Militärs noch weiter zurückdrängte. Der MGK wurde dem damaligen Ministerpräsidenten und nicht länger dem Generalstabschef unterstellt.

Dem MKG ist ein Generalsekretariat zugeordnet, das seinen Sitz im Premierministerium hat. Seit 2003 wird es von einem Zivilisten geleitet. Seit dem 16. September 2014 nimmt Seyfullah Hacımüftüoğlu diese Funktion wahr. (47) Außerdem wurde die Macht des MGK noch weiter beschnitten, so tagt er jetzt nicht mehr monatlich, sondern nur noch alle zwei Monate.

Zu den Aufgaben des MGK zählt die Festlegung der nationalen Sicherheitsstrategie (Milli Güvenlik Siyaseti Belgesi – MGSB, dt.: „Dokument zur Nationalen Sicherheit“). Zur Funktion des MGK heißt es in Artikel 118 der türkischen Verfassung:

„Der Nationale Sicherheitsrat teilt dem Ministerrat seine Empfehlungsbeschlüsse bezüglich der Bestimmung, Festlegung und Anwendung der nationalen Sicherheitspolitik des Staates und zur Gewährleistung der notwendigen Koordination seine Ansichten mit. Die Beschlüsse zu Maßnahmen, die zu treffen der Rat im Hinblick auf den Schutz der Existenz und Unabhängigkeit des Staates, der Einheit und Unteilbarkeit des Landes, des Wohls und der Sicherheit der Gemeinschaft für notwendig hält, werden vom Ministerrat in seine Erwägungen einbezogen.“ (48)

Hinzu kommt der „Hohe Militärrat“ (Yüksek Askerî Şûraya - YAS), in dem die führenden Militärs mit der Regierungsspitze zusammenkommen. Den Vorsitz führte bisher der Ministerpräsident, zuletzt Binali Yıldırım.

Zur Organisation des Ministeriums für nationale Verteidigung (Millî Savunma Bakanlığı) gehört der Generalstabschef. Seit Juli 2018 leitet General Yaşar Güler den Generalstab (Genelkurmay Başkanlığı - Gnkur. Bşk.lığı). Ihm obliegt laut Artikel 117 der Türkischen Verfassung der Oberbefehl im Kriegsfall:

„Der Oberbefehl ist von der ideellen Existenz der Großen Nationalversammlung der Türkei nicht zu trennen und wird vom Präsidenten der Republik vertreten.

Für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit und die Bereitschaft der Streitkräfte zur Landesverteidigung ist gegenüber der Großen Nationalversammlung der Türkei der Präsident der Republik verantwortlich.

Der vom Präsidenten der Republik ernannte Generalstabschef als Befehlshaber der Streitkräfte erfüllt im Kriege im Namen des Präsidenten der Republik die Aufgaben des Oberbefehlshabers.

Der Generalstabschef wird vom Präsidenten der Republik ernannt, seine Aufgaben und Kompetenzen werden durch Gesetz geregelt. Der Generalstabschef ist wegen dieser Aufgaben und Kompetenzen dem Präsidenten der Republik gegenüber verantwortlich.“ (49)

Der Generalstab setzt sich aus den Kommandeuren der Teilstreitkräfte (Heer, Luftwaffe, Marine und Sondereinheiten sowie – im Kriegsfall – Grenztruppen und Küstenwache). Er Generalstab hat seinen Sitz in Ankara.

Die Türkei stellt mit 612.862 Mann bei den (para-)militärischen Truppenteilen (Stand: 2017), allerdings sind darin die zivilen Verwaltungsmitarbeiter eingerechnet, das größte Kontingent unter den europäischen NATO-Staaten. Ab dem 20. Lebensjahr herrscht gemäß Artikel 72 der Verfassung allgemeine Wehrpflicht („Vaterlandsdienst“), die Dienstzeit beträgt i. d. R. 15 Monate. Türkische Staatsbürger christlichen Glauben müssen ebenfalls ihren Militärdienst ableisten, haben aber keine Aufstiegschancen beim Militär. Für türkische Staatsbürger, die sich länger als drei Jahre (1095 Tage) im Ausland befinden und dort auch berufstätig sind, besteht die Möglichkeit, sich durch die einmalige Zahlung von 1.000 Euro vom Militärdienst befreien zu lassen. (50) Frauen können freiwillig Militärdienst leisten, ihr Anteil soll ca. 3 Prozent betragen. Kriegsdienstverweigerer haben einen schweren Stand. Der Militärhaushalt beträgt „nur“ 21 Milliarden US-Dollar (Stand: 2017) und liegt damit immerhin über der 2 Prozent-Grenze am Bruttoinlandsprodukt, den sich die NATO als Ausgabenziel gesetzt hat. Der Hauptwaffenlieferant ist die Bundesrepublik Deutschland, allerdings setzt die Türkei zunehmend auf einheimische (Lizenz-)Produktion.

Das türkische Heer ([Turk] Kara Kuvvetieri) ist die mit Abstand größte Teilstreitkraft und hat eine Personalstärke von über 400.000 Mann, darunter rund 325.00 Wehrpflichtige. Das Heer wurde bis Juli 2018 von Orgeneral (= Vier-Sterne-General) Yaşar Güler kommandiert, der nunmehr als Generalstabschef der Streitkräfte amtiert. Es gliedert sich vier Armeen mit 9 Panzer-, 16 mechanisierten Infanterie-, 11 motorisierten Infanterie-, 1 Heeresflieger-, 2 Artillerie- und 5 Ausbildungs-Brigaden und eine Brigade für humanitäre Aufgaben.

Die türkische Luftwaffe (Hava Kuvvetleri) umfasst 60.100 Soldaten. Ihr Oberkommandierender ist Orgeneral Hasan Küçükakyüz. Sie verfügt über immerhin rund 500 Flugzeuge und Hubschrauber. Allerdings stammen die wichtigsten Waffensysteme, RF-4E und F-16C/D, noch aus den sechziger bzw. siebziger Jahren und sind daher völlig veraltet. Der Modernisierungsbedarf der Luftwaffe wird auf 160 Milliarden Dollar geschätzt. Die laufende Anschaffung einer begrenzten Stückzahl von F-35A Lightning II ist nur ein erster Schritt zu einer Modernisierung.

Die türkische Marine (Deniz Kuvvetleri) wird seit dem 22. August 2017 von Admiral Adnan Özbal als Nachfolger von Admiral Recep Bülent Bostanoğlu kommandiert. Sein Hauptquartier befindet sich in Izmir. Die Marine umfasst – nach unterschiedlichen Angaben - 46.400 (51) bis 60.100 Matrosen (52). Die Marine gliedert sich in zwei Regionalkommandos (in Istanbul bzw. Izmir), ein Flottenkommando (Gölcük) und ein Ausbildungskommando (Altinovayalova).

 

- Die Stellung des Militärs in Staat und Gesellschaft

 

Nach dem Untergang des Osmanischen Großreiches im Ersten Weltkrieg leistete eine Unabhängigkeitsbewegung unter Führung von General a. D. Mustafa Kemal, der sich später „Atatürk“ nannte, erfolgreich Widerstand gegen die Kriegskoalition aus Briten, Franzosen, Italienern und Griechen. Im Jahr 1922 gründete Mustafa Kemal Paşa die Türkische Republik (Türkiye Cumhuriyeti) und ein Jahr später die „modernen“ türkischen Streitkräfte (Türk Silahlı Kuvvetleri). „Paşa“ (sprich: „Pascha“) war das türkische Wort für „General“. Dieser Titel wurde 1934 aufgehoben, der Begriff wird aber immer noch umgangssprachlich für einen „General“ verwendet.

Im Gegensatz zum osmanischen Regime vertrat Mustafa Kemal Paşa mit seinem so genannten „Kemalismus“ (Atatürkçülük) ein laizistisches Staatsverständnis (lâiklik) und trat seit 1928 für eine strikte Trennung von Staat und Religion ein. Am 3. November 1928 führte er das lateinische Alphabet anstelle der arabischen Schrift ein. Außerdem wurde der arabische Mondkalender durch den gregorianischen Kalender und der Freitag durch den Sonntag als wöchentlichem Feiertag abgelöst. Scharia und Polygamie wurden abgeschafft. Gleichzeitig konzipierte er die „moderne Türkei“ als eine Entwicklungsdiktatur, in der das Volk unreif für die Demokratie sei:

„Für den Augenblick soll sich das Volk nicht mit Politik beschäftigen. (…) Ich muss dieses Land noch zehn bis fünfzehn Jahre regieren. Dann erst werden wir sehen, ob es fähig ist, sich selbst zu regieren.“

Allerdings blieb das Werk Mustafa Kemal Paşa unvollendet. In einem Land, das zu 99 Prozent aus Muslimen besteht und in dem der sunnitische Islam seit 1.000 Jahren die Dominanzkultur stellt, konnte der Versuch, den Laizismus durchzusetzen, auf Dauer nicht gelingen. Trotz aller ideologischen Propaganda kam es nicht zu einer vollständigen Trennung von Staat und Islam, vielmehr zu einer Kontrolle der Religionsgemeinschaften durch den Staat und seine Religionsbehörde Diyanet İşleri Başkanlığı (gegründet 3. März 1924). Außerdem gab es immer wieder Re-Islamisierungstendenzen in den fünfziger, achtziger und neunziger Jahren, die heutzutage unter Erdoğan einen neuen Höhepunkt durchlaufen. Zwar forcierte „Atatürk“ die technisch-industrielle und gesellschaftlich-politische Entwicklung des Landes, allerdings war er nie ein „Demokrat“. Ein Mehrparteiensystem, heute conditio sine qua non eines bürgerlich-parlamentarischen Systems, wurde in der Türkei erst 1950 eingeführt, also erst 12 Jahre nachdem „Atatürk“ an seinem Alkoholismus zugrunde gegangen war. Nicht zuletzt war die Republikgründung eine „Revolution von oben“, bei der der „einfache“ Türke nur Zuschauer, bestenfalls Zielobjekt, aber kein partizipativer Akteur war.

Derweil verstanden sich die Militärs als nationale Elite, die einen Staat im Staate bildeten und sich als die wahren Bewahrer der Ideale des Kemalismus gebärdeten. Dieses Selbstverständnis sicherte den Militärs ihre erklecklichen Privilegien und ihren Einfluss auf die Politik. Mit dieser Konstruktion schuf Mustafa Kemal nicht nur die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Landes, sondern zugleich auch die Grundlagen für die militärpolitischen Machtkämpfe, die das Land bis heute prägen.

So leb(t)en die Militärs mit ihren Familien in separaten Wohngebieten mit separaten Supermärkten und gut ausgestatteten Schulen. Als Staatsbedienstete war ihr Gehalt gesichert und lag zeitweise über 30 Prozent über dem Gehalt von zivilen Beamten in vergleichbarer Position.

Ein Jahr nach dem Militärputsch von 1960 gründeten die Streitkräfte die Ordu Yardımlaşma Kurumu (OYAK), um ihren Einfluss auf die Wirtschaft auszudehnen. (53) Alle Offiziere sind automatisch Mitglied. im Jahr 2012 betraf dies 260.000 aktive und pensionierte Offiziere. Jedes Jahr kommen etwa 4.000 Neumitglieder hinzu. Jeder aktive Offizier muss zehn Prozent seines Monatssoldes in die OYAK einzahlen. Ursprünglich war die „Gesellschaft zur gegenseitigen Hilfe“ gegründet worden, um die Pensionskasse des Offizierskorps aufzubessern. Mittlerweile hat sie sich zu einer Holding gemausert, die über Anteile von zahlreichen zivilen Unternehmen und so über ein beträchtliches Vermögen verfügt: Autofabriken (z. B. OYAK-Renault Otomobil Fabrikaları A.Ş.), Banken, Bauunternehmen (OYAK-Kutlutaş Holding AS), Chemiefabriken (Hektas Ticaret T.A.S.), Hotels, Tankstellen etc.: die Supermarktketten (Oypa), Versicherungen (OYAK Yatırım ve Holding A.S.) oder Zementfabriken (Bolu Cimento Sanayii A.S.), aber auch Rüstungsbetriebe (Askerî Elektronik Sanayii A.S.) etc.. Die Offiziere investierten ihr Kapital in ausländische, oft amerikanische Firmen, mit vielversprechendem Wachstumspotential: Goodyear Lastikleri TAS, Mobil, Shell etc.. Alle Unternehmen zusammen beschäftigen rund 35.000 Mitarbeiter, darunter ehemalige Offiziere, die als Manager ein Zubrot verdienen. Der Nettogewinn betrug im Jahr 2006 fast 700 Millionen Dollar. Über ihre OYAK-Zusatzrenten sind die pensionierten Offiziere sozial besonders abgesichert. OYAK hilft bei der Suche nach günstigen Wohnungen und preiswerten Krediten. Seit 1970 gingen die Militärs wiederholt gegen Arbeiter vor, wenn in ihren OYAK-Unternehmen gestreikt wurde.

Gleichzeitig steht jegliche Kritik an den Streitkräften unter Strafandrohung. Immer wieder wurden Journalisten, die das Militär als Institution oder dessen Vorgehen in den Kurdengebieten oder bei Militäroperationen in Syrien kritisiert hatten, festgenommen. So erging es der Journalistin Meltem Oktay von der Nachrichtenagentur „Dicle Haber“ (DIHA), die die Kurdenbekämpfung kritisiert hatte und deshalb am 12. April 2016 in Nusaybin festgenommen wurde. Sie wurde am 25. November 2016 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. (https://cpj.org/data/people/meltem-oktay/)

Seit langem verfolgten die zivilen Politiker der verschiedenen Parteien das Ziel, die politische Vormachtstellung der Militärs zurückzudrängen, so z. B. 2001 Regierungschef Bülent Ecevit von der Demokratik Sol Parti (DSP, dt. „Demokratische Linkspartei“). Dies galt auch für die die islamistische Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, dt. Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), die nach ihrem absoluten Wahlsieg am 2. November 2002 (34,3 Prozent) zunächst einen liberalen-demokratischen Kurs mit Anbindung an das EU-Ausland verfolgte, um ihre gesellschaftliche Basis zu erweitern. Um ihr zweites Ziel, das Primat der Politik wiederherzustellen, umzusetzen, setzte sie auf die gesellschaftliche Unterstützung durch die islamistische Gülen-Bewegung. Im Jahre 2003 konnte durch eine Verfassungsreform der politische Einfluss der Militärs tatsächlich zurückgedrängt werden. Seitdem kam es zwischen der Militärführung und den zivilen Politikern zu einem Machtkampf um die führende Rolle in Staat und Gesellschaft, der mehr als zehn Jahre dauern sollte. Dabei forcierte die Regierung den Ausbau der Spezialeinheiten der Polizei, um ein bewaffnetes Gegengewicht zur Macht der Militärs aufzubauen, und der zivile Geheimdienst MİT wurde zu Lasten des Militärgeheimdienstes weiter ausgebaut.

Eine Bühne für die Austragung dieses Machtkampfes war seit 2003 die Justiz. In mehreren Prozessen wurden Dutzende führende Generäle und Admiräle in den inszenierten Staatsschutzprozessen „Energekon“ und „Balyoz“ wegen angeblicher Putschpläne angeklagt und verurteilt. Anschließend mussten die Verurteilungen in Revisionsverfahren wieder aufgehoben werden. Während dieses Machtkampfes zwischen der zivilen AKP-Regierung und den Militärs vor der Justiz zog die Gülen-Bewegung im Hintergrund die Fäden, wie „Wikipedia“ berichtete:

„Die politisch unerfahrene AKP-Regierung stützte sich innerhalb der Zivil- und Militärbürokratie in großem Umfang auf Anhänger der erfolgreichen und gut informierten Gülen-Bewegung, die der AKP entscheidend dabei halfen, sich gegen die säkulare kemalistische Ministerialbürokratie durchzusetzen und das Militär mithilfe der Polizei zu überwachen, so dass sich als Ergebnis dieser Zusammenarbeit Gülenisten auf hohen Posten in allen Bereichen von Polizei, Justiz und im Militär etablieren konnten, wie zum Beispiel viele der gülenistischen Staatsanwälte und Richter, die ab 2008 die Ergenekon-Prozesse gegen die säkularen Militärs führten. Mitte bis Ende der 2000er Jahre hatten Islamisten das Militär tief durchdrungen, und von Gülenisten betriebene Pressekanäle wurden regelmäßig mit Geheimdienstinformationen ausgestattet, die dazu verwendet wurden, militärisches Personal zu erpressen. (…)

Als sich die Justizgewalt mit der Gülen-Bewegung verband und mit politischer Unterstützung Erdoğans verschiedene Offiziere beschuldigte, einen Putsch gegen die Regierung zu planen, führte damit erstmals in der Geschichte der modernen Türkei ein ziviles Gericht Ermittlungen gegen hochrangige Militärs wegen Planung eines Militärputsches durch. Die Ergenekon- und Balyoz-Fälle einschließende Prozessserie wurde dazu genutzt, die politische Macht der Armee auf Kosten einer wachsenden Macht gülenistischer Offiziere in der gleichen Armee zu reduzieren. Mit den Prozessen gelang es, viele Zentren des säkularistischen oder kemalistischen Widerstands gegen die AKP-Regierung zu zerstören und den „tiefen Staat“ in der Türkei zu schwächen, doch nahmen die Gülenisten in diesem Transformierungsvorgang selbst die Rolle eines „tiefen Staates“ ein.

Viele dieser Prozesse, die das Militär säuberten und die Ränge von Luftwaffe, Armee, Gendarmerie und Marine mit loyalem Personal besetzten, fanden unter Vorsitz gülenistischer Richter statt. Die geheimen Netzwerke der Gülen-Bewegung verwendeten mit Unterstützung der AKP in den vor Gericht gebrachten Fällen erfolgreich Informationen der Polizei und setzten dann auf die Justiz, um ihre kemalistischen Gegner zu kriminalisieren. Nachdem sich die digitalen Beweismittel teilweise als gefälscht und die Anklagen als zweifelhaft erwiesen, begann die Opposition den Verdacht zu äußern, dass ein Geflecht von Anwälten aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung hinter den politisch gefärbten Anklagen stehe.

Mit abnehmendem Einfluss des Militärs auf die türkische Politik war der Einfluss Erdoğans auf das Militär gewachsen. (…) Jahr für Jahr drängte Erdoğan auf den vorzeitigen Ruhestand oder die Entlassung solcher Offiziere, die verdächtigt wurden, Verbindungen mit dem Ergenekon-Netzwerk zu haben. (…) (U)nd es der AKP-Regierung ermöglichte, frei gewordene Positionen im Militär mit Offizieren zu besetzen, die ihr politisch näherstanden und in vielen Fällen Verbindungen zur Gülen-Bewegung hatten. In diesen Jahren der die nicht-gülenistischen Offiziere traumatisierenden juristischen Skandale fanden die Gülenisten eine Gelegenheit zum rapiden Aufstieg in den Militärrängen und zu ihrer Organisation innerhalb der säkularen Kader der Türkischen Streitkräfte.“ (54)

Am 12. September 2010 folgte eine weitere Verfassungsänderung, die den Einfluss der Militärs noch weiter zurückdrängte. Der MGK wurde dem damaligen Ministerpräsidenten und nicht länger dem Generalstabschef unterstellt. Die Militärgerichte wurden abgeschafft, stattdessen wurde die Zivilgerichtsbarkeit auch für Straftaten und Staatsschutzdelikte innerhalb der Streitkräfte zuständig. Parteienverbote durften nicht länger durch die Militärs ausgesprochen werden, vielmehr wurde dafür eine zivile Parlamentskommission eingerichtet. 57,9 Prozent der Wähler stimmten damals für die Verfassungsänderungen und die Entmachtung der Streitkräfte.

Im Juli 2011 trat die Armeeführung unter Leitung von Generalstabschef Sebahattin Işık Koşaner aus Protest geschlossen zurück, weil rund 250 Offiziere wegen einer angeblichen Verschwörung gegen den islamistischen Ministerpräsidenten und seiner Regierungspartei AKP aus dem aktiven Dienst entlassen werden sollten. Daraufhin ernannten der damalige Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Erdoğan eine neue Militärführung. Damit endete – vorübergehend – ein Jahrelanger Machtkampf zwischen den laizistischen Militärs und den islamistischen Politikern der faschistoiden Regierungspartei AKP. Am 3. August 2013 wurden die neuen Spitzenmilitärs nochmals ausgetauscht.

 

- Putschismus

 

-- Türkische Putschgeschichte

 

Wiederholt haben sich die heimischen Militärs gewaltsam in die türkische Politik eingemischt und gegen die legitime Regierung einen Putsch (darbe) inszeniert und anschließend den Ausnahmezustand (sıkıyönetim) verhängt. Der erste Coup d´Etat fand am 27. Mai 1960 statt, als 38 Offiziere unter Führung von General a. D. Cemal Gürsel gegen die Regierung von Adnan Menderes rebellierten und den Regierungschef hinrichteten. Die Junta nannte sich damals Milli Birlik Komitesi (MBK, dt.: „Komitee der nationalen Einheit“) und rekrutiere sich vor allem aus rangniedrigen Offizieren. Zu ihnen gehörte der alt-Nazi Oberst Alparslan Türkeş, der als Mitglied der türkischen Militärmission in Washington der Verbindungsmann zur CIA war.

Zwei Putschversuche (Aydemir ihtilâli) am 22. Februar und am 21. Mai 1962 scheiterten. Im Mai 1963 versuchte Oberst Alparslan Türkeş und Talat Aydemir erneut die Regierung zu stürzen. Aydemir wurde hingerichtet, Türkeş aus Mangel an Beweisen freigelassen.

Am 12. März 1971 erfolgte ein zweiter Militärputsch, als die Militärvertreter im Nationalen Sicherheitsrat (Memduh Tağmaç, Faruk Gürler, Musin Batur und Celal Eyiceoğlu) angesichts der „Anarchie“ im Lande ein Memorandum (muhtıra) an die zivile Regierung von Ministerpräsident Süleiman Demirel richteten:

„Es wird als unerlässlich betrachtet, im Rahmen demokratischer Grundsätze eine starke und überzeugende Regierung zu bilden, die fähig ist, die gegenwärtige Anarchie zu beseitigen, die in der Verfassung vorgesehenen Reformen im Sinne Atatürks in Angriff zu nehmen und die Reformgesetze durchzuführen. (…) Falls dies nicht innerhalb der kürzesten Frist verwirklicht wird, sind die türkischen Streitkräfte entschlossen, die Regierungsgewalt unmittelbar zu übernehmen und damit die Aufgabe zu erfüllen, die ihnen für die Verteidigung und den Schutz der Republik gesetzlich anvertraut ist.“

Daraufhin trat Demirel noch am selben Abend zurück. Hunderte Offiziere, die gegen den Putsch waren, waren schon vorab entlassen worden. Im Hintergrund zogen der Chef der Planungsabteilung im Generalstab, General Atif Erçıkan, der Chef des Militärgeheimdienstes General Fikret Göknar und der Leiter der CIA-Station Oberst Dickson die Fäden. Zahlreiche Oppositionelle wurden sofort festgenommen; entsprechende „schwarze Listen“ hatte der MİT im Rahmen der Operation Devleti Kurtarma Planı (DEV-KURT) vorab vorbereitet. Die Junta ließ es zu, dass die gesellschaftlichen und politischen Spannungen in den folgenden Jahren durch „Sonderoperationen“ eskaliert wurden. Die (Straßen-)Kämpfe forderten rund 5.000 Tote. So kam es am 1. Mai 1977 auf dem Taksim-Platz in Istanbul zu einer Großdemonstration der Gewerkschaftsföderation Devrimci İşçi Sendikaları Konfederasyonu (DISK) mit 500.000 Teilnehmern. Die staatlichen Sondereinheiten der türkisch-amerikanischen „Konterguerilla“ nutzten die Demo für eine Inszenierung: 38 Demonstranten wurden erschossen und mehrere Hundert verletzt.

Am 12. September 1980 putschten die Militärs unter Führung des damaligen ÖHD-Kommandeurs General Kenan Evren ein drittes Mal „erfolgreich“ während des NATO-Manövers ANVIL EXPRESS. Im Hintergrund zog der Chief-of-Station (COS) der CIA in Ankara, Paul Bernard Henze, die Strippen. Offizieller Anlass waren die jahrelangen, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppierungen. Die Junta nannte sich damals Millî Güvenlik Konseyi. Sie wütete besonders grausam. Während des Kriegsrechtszustand (1978-1987) wurden rund 650.000 Menschen verhaftet, gegen 105.000 kam es zu Strafprozessen, in rund 50 Fällen wurden Todesurteile vollstreckt, mindestens 171 Gefangene wurden nachweislich zu Tode gefoltert, 300 Personen kamen unter ungeklärten Umständen ums Leben. Außerdem wurden rund 30.000 Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Lehrer entlassen und ca. 3.000 Journalisten angeklagt.

Im Jahr 1982 erließen sie eine neue Verfassung, die für die Türkei eine „gelenkte Demokratie“ (derin demokrasi) etablierte. Ausgerechnet die kemalistischen Militärs forcierten damals eine Islamisierung der Gesellschaft, weil sie die Muslime als Bollwerk gegen Kommunisten und Faschisten instrumentalisieren wollten. Immerhin führten die Generäle 1997 eine Bildungsreform durch, die die Schulpflicht von fünf auf acht Jahre erhöhte. Erst am 6. Dezember 1983 übernahm wieder eine Zivilregierung die „Geschäfte“.

Wegen seiner zahlreichen Verbrechen wurde General Kenan Evren 2012 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt; aufgrund seines hohen Alters musste er die Strafe jedoch nicht antreten. Er starb am 9. Mai 2015 in Ankara.

Am 17. April 1993 starb Staatspräsident Turgut Özal von der konservativen-islamischen Anavatan Partisi (ANAP, dt.: „Mutterlandspartei“) in Ankara an „Herzversagen“. Er war seit dem 9. November 1989 im Amt gewesen. Sein Nachfolger wurde Süleyman Demirel. Am Todestag kam es zu einer auffälligen Häufung von seltsamen Umständen, so war der Leibarzt an diesem Tag nicht im Präsidentenpalast, es fehlte eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und der herbeigerufene Notarztwagen traf wegen „mechanischer Schwierigkeiten“ erst verspätet ein. Außerdem wurde amtlicherseits keine Autopsie angeordnet. Erst bei einer Obduktion im Oktober 2012 kam post mortem heraus, dass Özal mit Strychnin, Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) und dem radioaktiven Polonium vergiftet worden war. Im Jahr 2013 wurde ex-General Levent Ersöz, auf den im Gefängnis im Dezember 2009 ein Mordanschlag verübt worden war, vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Die Tat konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Mitte der neunziger Jahre gingen zehntausende Türken auf die Straße, um gegen diese allmächtige, selbstherrliche, schmarotzende Militärclique, ihren „Susurluk-Staat“ und ihren Bürgerkrieg in den Kurdengebieten zu demonstrieren.

Im Jahr 1997 zwangen die Militärs die damalige Regierung von Necmettin Erbakan, die erst wenige Monate im Amt war, zum Rücktritt, ohne dass es zu einem putschistischen Truppenaufmarsch kam. Die Offiziere hatten Erbakan im Verdacht, eine Islamisierung der türkischen Republik zu betreiben. So hatte Erbakan Anfang der siebziger Jahre die islamistische Organisation Millî Görüş gegründet. Die Generäle aber bezeichnete er als „jämmerliche Imitation des Westens“.

 

-- Szenario Balyoz 2002/03

 

Der Stab der Ersten Armee mit Hauptquartier in Istanbul entwarf ein Szenario mit dem Codenamen BALYOZ (dt.: „Vorschlaghammer“). Das Drehbuch dieses Kriegsspiels sah vor, dass durch Bombenanschläge auf Moscheen in der Türkei und Provokationen gegenüber Griechenland die türkische Bevölkerung aufgebracht werden sollte, um ein für einen Militärputsch günstiges Klima herzustellen. Das Kriegsspiel fand 2002/03 statt, als die erste AKP-Regierung amtierte.

Erst sieben Jahre später, am 20. Januar 2010 wurde das Planspiel durch einen Artikel in der Tageszeitung „Taraf“ publik. Obwohl es sich um ein altes Szenario handelte und ein Putschversuch offensichtlich nicht stattgefunden hatte, nutzte die Staatsanwaltschaft den Vorgang, um gegen das Militär juristisch vorzugehen. In insgesamt drei Verfahren wurden seit dem 22. Februar 2010 insgesamt 367 Militärs angeklagt. Unter den Verdächtigten befanden sich Dutzende (ex)-Generäle und Admiräle: Bilgin Balanlı, Halil İbrahim Fırtına, Özden Örnek, Ergin Saygun, Ahmet Hurşit Tolon, …

Am 21. September 2012 verkündete die Zehnte Große Strafkammer für schwere Straftaten (Istanbul), die im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Silivri tagte, ihr Urteil. Dazu hieß es bei „Wikipedia“:

„Von den 365 Angeklagten, 250 von ihnen in Untersuchungshaft, wurden 81 Angeklagte nach Artikel 147 des alten türkischen Strafgesetzes (TSG) mit der Nummer 765 wegen des Versuches, die Regierung der türkischen Republik mit Gewalt von der Ausübung ihres Amtes abzuhalten, zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafen gegen die Hauptangeklagten Çetin Doğan, Özden Örnek und İbrahim Fırtına wurden nach Artikel 61/1 des alten TSG auf 20 Jahre Haft reduziert. Bei 78 Angeklagten reduzierte das Gericht die Strafen nach den gleichen Bestimmungen auf 18 Jahre Haft.

Gegen 214 Angeklagte verhängte das Gericht Haftstrafen von 16 Jahren. 22 dieser Angeklagten wurde gute Führung bescheinigt, so dass ihre Strafen auf 13 Jahre, 4 Monate Haft reduziert wurden. Major Hakan Büyük erhielt eine Strafe von 6 Jahren Haft. Insgesamt 36 Angeklagte wurden freigesprochen. Die Haftbefehle gegen 250 Angeklagte, die sich in Untersuchungshaft befinden, wurden aufrechterhalten. Das Gericht sprach zudem Haftbefehle gegen 6 Angeklagte aus, die sich im Gericht befanden und ordnete die Ergreifung von 69 Angeklagten an. Die Verfahren gegen drei Angeklagte wurden abgetrennt. Das Verfahren gegen einen Angeklagten wurde eingestellt.“ (55)

Zwei Jahre später, im Juni 2014, urteilte das türkische Verfassungsgericht in mehreren Revisionsverfahren, dass das ganze Verfahren unfair und auf z. T. gefälschten Beweisen beruhte und hob die Urteile auf.

Im Nachhinein bedeutete die Balyoz-Affäre und der geschlossene Rücktritt der Militärführung um Generalstabschef Sebahattin Işık Koşaner am 29. Juli 2011 das Ende der fast hundertjährigen Militärdominanz in der Türkei. (56) Die jahrzehntelangen Privilegien der Militärs, die schlechte Behandlung der einfachen Rekruten und die Brutalität, mit der die verschiedenen Juntas in den vorangegangenen Jahrzehnten gewütet hatten, sorgten dafür, dass die Zahl derjenigen, die diese Entwicklung betrauerten, eher gering war.

 

-- Virtueller Putschversuch des Hirngespinstes „Energekon“ 2003

 

Das türkische Militär stellt(e) aufgrund seiner traditionellen exklusiven politischen Ansprüche ein Staat im Staate dar. Als die AKP den Einfluss des Militärs zurückzudrängen begann, sollte sich dies für die Streitkräfte verheerend auswirken. Ihnen wurde vorgeworfen, eine verschwörerische Geheimgesellschaft mit Namen „Türkiye Ulusal Stratejiler ve Harekât Dairesi” (TUSHAD) bzw. „Energekon“ gebildet zu haben. Diese Untergrundorganisation soll seit 2003 einen Militärputsch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan geplant haben. Angeblich wollten die Militärs diesen ermorden und NATO-Einrichtungen angreifen. Außerdem sollen sie biologische und chemische Massenvernichtungswaffen entwickelt haben, die sie profitabel verkauft hätten. Dazu hätte „Energekon“ Kontakte zu diversen Terrorgruppen unterhalten: Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK), Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP), Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephe (DHKP-C) und Hizbullahî Kurdî. Der „Spiegel“ mutmaßte am 21. Februar 2011, dass „Energekon“ auch hinter den so genannten „Döner-Morden“ in der BRD stecken könnte:

„Alle Ermittlungen endeten irgendwann an einer Mauer des Schweigens. Es herrsche, berichten die Beamten, Angst - Angst vor dem „tiefen Staat“, einem Netzwerk aus Ultranationalisten, Militärs, Politikern und Justiz. „Ergenekon“, eine angebliche Verschwörungsorganisation, soll genauso wie die rechtsextremen Angehörigen der Grauen Wölfe in dieses Netzwerk verstrickt sein.“ (57)

Als im Juni 2007 bei einer Hausdurchsuchung in Istanbul-Ümraniye Handgranaten, TNT-Stangen und Zünder aufgefunden wurden, brachte dies die Ermittlungen ins Rollen. Angesichts der massiven Vorwürfe wurden zahlreiche verantwortliche Militärs festgenommen und angeklagt. Seit Anfang 2007 fanden verschiedene Prozesse (Energekon, Erzurum, Poyrazköy) gegen mindestens 275 Soldaten statt, die sich bis Mitte 2013 hinzogen. Zu den putschverdächtigen Verschwörern gehörten mehrere (ex-)Generäle und Admiräle: Mehmet İlker Başbuğ, Saldıray Berk, Levent Ersöz, Şener Eruygur, İbrahim Fırtına, Hasan Iğsız, Veli Küçük, Özden Örnek, Hüseyin Nusret Taşdeler, Ahmet Hurşit Tolon etc.. Am 5. August 2013 verurteilte der 13. Hohe Strafgerichtshof (13. Ağır Ceza Mahkemesi) in Istanbul mehrere Generäle zu lebenslangen Haftstrafen.

Am 10. April 2014 und am 21. April 2016 kassierte das Berufungsgericht in Istanbul in mehreren Revisionsverfahren die Urteile, da die angeblichen Beweise z. T. nicht hinreichend waren, z. T. fabriziert waren, z. T. rechtswidrig beschafft worden waren. Es wurde nachgewiesen, dass die Geheimorganisation „Energekon“ nie existiert hatte, die „Döner-Morde“ in der BRD waren das Werk des deutschen, neonazistischen NSU. Die verurteilten türkischen Generäle und Admiräle durften nach z. T. mehrjähriger Haft die Knastanstalten verlassen.

 

-- Putschdrohung 2007

 

Im Jahr 2007 stand die Neuwahl des Staatspräsidenten an. Da die AKP mit Recep Tayyip Erdoğan schon den Ministerpräsidenten stellte, bestand die Möglichkeit, dass sie mit Abdullah Gül auch den zukünftigen Staatspräsidenten stellen würde. Dass die beiden höchsten Staatsämter an die Islamisten gingen, wollten die Militärs unbedingt verhindern. Am 27. April 2007, dem Tag des ersten Wahlganges, verbreiteten die Militärs unter Führung von Generalstabschef Mehmet Yaşar Büyükanıt eine Erklärung. Sie könnten als Staatspräsidenten nur eine Person akzeptieren, die nicht nur „mit Worten“, sondern „mit seiner Persönlichkeit“ dem Laizismus verbunden fühle. Niemand sollte vergessen, dass die Armee „entschiedene Verteidigerin des Laizismus“ sei. (58)

Herr Erdoğan zeigte sich durch die Drohung der Militärs unbeeindruckt: Das Militär unterstehe dem Ministerpräsidenten. Wenn es Beschwerden habe, gebe es institutionelle Wege, die dafür vorgesehen sind. Dass Volk werde es nicht zulassen, dass es in eine Katastrophe getrieben werde. (www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-die-rueckkehr-der-generaele-a-480053.html) Und der türkische Journalist Ali Bayramoğlu wies die Generäle in die Schranken: „Haltet endlich den Mund,“ erklärte er im Juli 2007. (www.nzz.ch/die_gluehbirne_leuchtet_heller_als_der_halbmond-1.532811) Außerdem erhielt die amtierende türkische Regierung die Rückendeckung durch die NATO und die EU.

Im Endeffekt verpuffte die Drohung der Streitkräfte, zumal die kemalistischen Parteien bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 22. Juli 2007 gegenüber der AKP eine Niederlage einstecken mussten. Am 28. August 2007 wählte das Parlament den damaligen Außenminister Abdullah Gül (AKP) im dritten Wahlgang zum neuen Präsidenten.

 

-- Der Putschversuch vom 15. Juli 2016

 

Im Sommer 2016 stieg die Unruhe innerhalb der türkischen Streitkräfte, da einige Militärs dem Bürgerkrieg in den Kurdengebieten skeptisch gegenüberstanden. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 kam es zu einem weiteren Putschversuch, der diesmal scheiterte. Mehrere Generäle wollten ihrer bevorstehenden Entlassung aus dem Militärdienst zuvorkommen, indem sie gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bzw. Ministerpräsident Binali putschten. Die Junta trat als „Rat des Friedens in der Heimat“ (Yurtta Sulh Konseyi) auf. Aber nur ein kleiner Teil des Militärs unterstützte den Putsch, die Oppositionsparteien verhielten sich zurückhaltend und Teile der Zivilbevölkerung leisteten gegen den Putschversuch Widerstand. Noch in der Nacht wurde der Staatsstreich nach circa 6 oder 7 Stunden niedergeschlagen.

Die militärpolitische Zusammensetzung der Putschisten wurde von „Wikipedia“ wie folgt beschrieben:

„Der Umstand, dass sich auch während des späteren Putschverlaufes keine militärischen Figuren als Putschführer zu erkennen gaben, unterstützt die Auffassung, dass der Putsch außerhalb der Streitkräfte konzipiert und Elementen innerhalb des Militärs angetragen wurde, die bereit waren, abtrünnig zu werden. Demnach bestanden die Pro-Putschkräfte mehrheitlich aus Gülenisten, denen sich mehrere säkulare Anti-Erdoğan- oder Anti-AKP-Offiziere sowie Offiziere, die sich von einem Putsch Karrierefortschritte oder die Wahrung anderer persönlicher Interessen versprachen, diesem angeschlossen hatten, während sich andere Soldaten lediglich aufgrund von Erpressung oder anderer Formen des Drucks sowie niederrangige Soldaten aufgrund der „Gehorsamskultur“ innerhalb der Streitkräfte beteiligt hatten. Es ist argumentiert worden, dass – soweit die Putschisten zur Koordination des Putsches auf Außenstehende gesetzt hätten – dies „hilfreich“ gewesen wäre. Dann aber habe sich das Blatt zum Nachteil der Putschisten gewendet, als der Putsch zu scheitern drohte, die zivilen Koordinatoren nicht mehr erreichbar gewesen waren und auch die Kommunikation zwischen den Armeeeinheiten zum Erliegen kam. Ermittler behaupteten zudem, dass Nicht-Gülenisten weder in die Planungsphase eingebunden, noch im Hauptquartier der Putschisten im Luftwaffenstützpunkt Akıncı anwesend waren.

Bereits lange Zeit vor dem Bruch zwischen AKP-Regierung und Gülen-Bewegung im Jahre 2013 hatten Kritiker in der Türkei gewarnt, die Gülen-Bewegung sei eine Sekte, deren eigentliches Ziel der Staatsstreich sei. Eine lange Reihe als kundig eingestufter Personen, darunter investigativ arbeitende Journalisten wie Ahmet Şık und Nedim Şener, Richter wie Orhan Gazi Ertekin, US-Botschafter, hochrangige Polizeioffiziere und der ehemalige Ministerpräsident Mesut Yılmaz, gingen nach dem Putschversuch davon aus, dass die Gülenisten zumindest zeitweise ihr Ziel erreicht hatten, die Macht im Staat zu übernehmen. (59)

Am 1. August 2016 wollte der „Hohe Militärrat“ (YAS) über die Entlassung von etwa 600 bis 1.000 „Gülen-Verdächtigen“ aus dem Militärdienst entscheiden. Anscheinend um dies zu verhindern, griffen die Militärs zum Mittel des Staatsstreiches. Ein solcher Coup war schon länger vorbereitet worden, wurde aber angesichts der bevorstehenden Entlassungswelle zeitlich vorgezogen. Als die Putschisten gewahr wurden, dass Informationen über den bevorstehenden Putsch an den Geheimdienst MİT durchgesickert waren, verlegten sie den geplanten Zeitpunkt zum Losschlagen vom 16. Juli 2016, 3.00 Uhr, auf den 15. Juli 2016, 21.00 Uhr, vor. Angeblich war für die 16. Juli 2016 eine Welle zur Verhaftung von Gülen-Anhängern geplant.

Während des Putsches trat niemand als Junta-Führer auf. Stattdessen übernahm ein anonymer „Rat des Friedens und der Heimat“ (Yurtta Sulh Konseyi) die Verantwortung. In einem Manifest der Putschisten hieß es: „Die Türkischen Streitkräfte haben die gesamte Regierung des Staates übernommen, um die verfassungsmäßige Ordnung, die Menschenrechte und die Freiheit, den Rechtsstaat und die öffentliche Sicherheit, die beschädigt worden waren, wiederherzustellen.“ (60) Es blieb unklar, wen die Putschisten als neue Regierung einsetzen wollten.

Der Putschversuch begann damit, dass in Istanbul die beiden Brücken über den Bosporus, die damalige Bosporus-Brücke und die Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke von Soldaten, die von den Putschisten befehligt wurden aber z. T. keine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen hatten, eingenommen wurden. Die Putschisten setzten auch deutsche Kampfpanzer Leopard I/II ein. Über den Parteiapparat der AKP und die Moscheen gelang es der Regierung binnen Stunden tausende von Gegendemonstranten zu mobilisieren. Die aufständischen Soldaten wurden im weiteren Verlauf der Ereignisse von Zivilpersonen entwaffnet und gefangengenommen, zum Teil auch gelyncht, wie etwa der Kadett der Luftwaffenakademie in Istanbul Murat Tekin, der auf einer der Brücken über den Bosporus abgestochen wurde. Im Dezember 2017 erließ die türkische Regierung das Dekret 696, dass allen Türken, die vermeintlich am Putsch beteiligte Soldaten killten, Straffreiheit garantiert.

Nach den Ermittlungen der türkischen Staatsanwaltschaft waren mindestens 8.651Soldaten beteiligt, das sind „nur“ rund 1,5 Prozent des Militärpersonals. Aber unter den Beteiligten waren mindestens 163 der 358 Generäle und Admiräle der Streitkräfte und der Grenzpolizei. Außerdem verfügten die Putschisten über 35 Kampfflugzeuge, 37 Helikopter, 74 Panzer, 246 Panzerwagen und eine unbekannte Zahl von Schiffen. (61)

Der Versuch einer Sondereinheit, die mit drei Hubschraubern angeflogen kam, den damaligen Staatspräsidenten Erdoğan während seines Urlaubs in seinem Hotel in Marmaris am Mittelmeer festzusetzen, scheiterte, weil das Kommando versehentlich das benachbarte Hotel stürmte und Herrn Erdoğan so die Flucht gelang. Erst danach stürmen die Soldaten das Grand-Yazıcı-Mares-Hotel. Bei den Feuergefechten wurden zwei loyale Polizeibeamte erschossen. Dazu berichtete „Wikipedia“:

„Die Putschisten hatten eine Sondereinheit von Elitesoldaten aus der Provinz Isparta als Kommando damit betraut, in einer „Operation“ Erdoğan zu töten oder festzunehmen. Dass die Gegenwehr der regierungstreuen Behörden schon früh begonnen hatte, führte offenbar zum Scheitern dieses Kommandos. Die lokalen Behörden schlossen den Luftraum rechtzeitig und wirkungsvoll, so dass das auf Erdoğan angesetzte Anschlagskommando mit vierzig Bussen in das von ihrem Standort einige Stunden entfernte Marmaris zu fahren beschloss. Die lokale Polizei verhaftete jedoch die Fahrer der Busse, worauf die Putschisten eine Elite-Einheit von einer Luftwaffenbasis nahe Izmir damit beauftragten, mit Hubschraubern nach Marmaris zu fliegen.

Am 16. Juli 2016, kurz nach Mitternacht, verließ der Präsident das Hotel und begab sich zum nahen Flughafen Dalaman. Eine halbe Stunde, nachdem Erdoğan das Hotel verlassen hatte, traf die Spezialeinheit dort ein und griff das Hotel mit drei Hubschraubern an. Sie lieferte sich ein Feuergefecht mit der Präsidentengarde, die den Angriff abwehren konnte. Bei dem Zwischenfall wurden zwei Sicherheitskräfte getötet und sieben verletzt. Erdoğan gab gegenüber CNN International an, dass der Anschlag der Putschisten auf ihn erfolgreich gewesen wäre, wenn er 15 Minuten länger in dem Hotel verweilt hätte. Nachdem er in einem anderen Hotel Zuflucht gefunden hatte, gab er von dort über Mobiltelefon über den Nachrichtensender CNN Türk eine Erklärung ab, in der er die Bevölkerung aufforderte, „sich im Namen der Demokratie den Putschisten entgegenzustellen“. (…)

Zunächst hätten etwa 25 Soldaten das Hotel in Marmaris gestürmt, das er 20 Minuten zuvor verlassen hatte, dann hätten zwei F-16-Jagdflugzeuge versucht, die Präsidentenmaschine abzuschießen. Deren Piloten sei es aber gelungen, die Angreifer per Funk zu überzeugen, dass es sich um eine zivile Linienmaschine der Turkish Airlines handele. Später erklärte ein Offizier einer Nachrichtenagentur, dass die Piloten der Gulfstream IV des Präsidenten den Transpondercode ihrer Maschine auf den des Fluges THY 8456 der Turkish Airlines änderten, um ihre Identität verschleiern und die Gulfstream im zivilen Luftverkehr verstecken zu können, es aber regierungstreuen Piloten gelang, die zwei Jagdflugzeuge der Putschisten zu vertreiben.“  (62)

Nach dem Putsch wurde in Muğla gegen 47 Mitglieder des Sonderkommandos prozessiert. Einige Soldaten haben Teilgeständnisse abgelegt. Dazu berichtete Inga Rogg in ihrem Buch „Türkei, die unfertige Nation“ (Seite 102f):

„Geständnisse, zumindest Teilgeständnisse, haben nur die Mitglieder des Sonderkommandos abgelegt, denen Mordversuch an zur Last gelegt wird. Sie bestreiten jedoch sowohl den Mordversuch als auch Verbindungen zu Gülen. „Um unser Land zu retten“, hätten sie Erdoğan gefangen nehmen und lebend nach Ankara bringen sollen, sagten die beiden Hauptangeklagten, Brigadegeneral Gökhan Sönmezateş und Major Şükrü Seymen. Aber: „Niemand von uns gehört einer islamistischen Sekte an.“ Die beiden Personen, die für Aufklärung hätten sorgen können, sind tot: General Semih Terzi, der laut Sönmezateş den Befehl zur Entführung von Erdoğan erteilte, und der Offizier Ömer Halisdemir, Leibwächter des Kommandanten der Spezialeinheiten Generalleutnant Zekai Aksakallı. Halisdemir und Aksakallı, die sich den Putschisten entgegengestellt haben sollen, werden heute als Helden verehrt. Doch dieses Heldenepos hat Risse bekommen. Die Angeklagten werfen Aksakallı vor, er habe sie getäuscht. Er habe sie nicht über einen Putschversuch informiert, sondern vor einem Terroranschlag gewarnt. Das passt zu den Aussagen von Rekruten, die aussagten, ihr Einsatz sei Teil einer Anti-Terror-Übung gewesen.“

Außer Erdoğan wollen die Putschisten anscheinend kein weiteres Mitglied der amtierenden Regierung festnehmen! Über den Beginn des Putsches und die ersten Reaktionen auf staatlicher Seite berichtete Inga Rogg (Seite: 104f):

„Nach allem, was man bisher weiß, erfuhr der allmächtige Geheimdienst MİT am 15. Juli kurz nach 14 Uhr von den Putschplänen. Laut Medienberichten informierte ein Luftwaffenmajor, der nur O. K. genannt wird, Geheimdienstchef Hakan Fidan um 14.20 Uhr. Rund zwei Stunden später leitete Fidan die Information an Generalstabschef Akar und ein Mitglied des Sicherheitsstabs von Erdoğan weiter. Warum informierten er und Fidan nicht sofort den Präsidenten? Oder taten sie das? Angeblich war er nicht zu erreichen. Der Präsident nicht erreichbar? Vielleicht. Aber jemand aus seiner Familie oder sein Sekretär hätten doch kontaktiert werden können, und sie hätten das Telefon sicher weitergegeben. Erdoğan selbst hat sich widersprüchlich darüber geäußert, wann er von dem Putschversuch erfuhr. Zunächst sagte er, er habe von seinem Schwager abends uns acht Uhr davon erfahren, später gab er sechzehn Uhr als Zeitpunkt an. Und selbst wenn der Präsident wie ein Normalbürger während seiner Ferien nicht zu erreichen gewesen wäre: Was ist mit dem Regierungschef Binali Yıldırım, was mit dem Innenminister oder anderen Kabinettsmitgliedern? Verfassungsmäßig war der Ministerpräsident zum Zeitpunkt des Putsches der mächtigste Mann im Land. Militär, Geheimdienst und Regierung hätten also sieben Stunden Zeit gehabt, den Staatsstreich zu verhindern. Was ist in diesen sieben Stunden passiert? Warum haben Militär, Geheimdienste und Regierung nicht sofort reagiert? (…)

Nach offizieller Lesart fand der Putschversuch außerhalb der Befehlskette statt. Stimmt das wirklich oder schlugen sich die Befehlshaber erst auf die Regierungsseite, als sie sahen, dass die Verschwörung scheitert? Immerhin dauerte es Stunden, bis sich die ersten Kommandanten von den Putschisten distanzierten. Und warum gingen Regierungsvertreter stundenlang auf Tauchstation? Ist die Staatsführung derart inkompetent, dass für eine solche Bedrohungslage keine Krisenpläne vorliegen? (…)

Wie für viele stellt sich auch für die CHP die Frage: Welche Regierung wollten die Verschwörer einsetzen? Warum treffen die Säuberungen so gut wie keine AKP-Mitglieder, obwohl die Regierung die Gülen-Anhänger in die Verwaltung, die Justiz und die Sicherheitskräfte geholt hat?“

In Ankara wurde der damalige Generalstabschef General Hulusi Akar im Hauptquartier der Streitkräfte von den Putschisten vorübergehend von seinen eigenen putschenden Leuten als Geisel genommen und mit einem Hubschrauber zu deren Hauptquartier außerhalb von Ankara gebracht. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci nordwestlich von Ankara wollten die Putschisten Akar zwingen, die Putsch-Erklärung zu unterzeichnen. Sein Adjutant, Levent Türkkan, soll ihm eine Waffe an den Kopf gehalten haben. Angeblich soll einer seiner Geiselnehmer, General Hakan Evrim, Akar vorgeschlagen haben, mit Mohammed Fethullah Gülen in den USA zu sprechen, um seine Meinung zum Putsch zu ändern. Akar habe dies abgelehnt. Schnell wurde klar, dass der Putsch scheitern würde. Ministerpräsident Binali Yıldırım ernannte in der Nacht zum 16. Juli General Ümit Dündar kommissarisch zum neuen Militärchef. Im Laufe der Nacht konnten Sicherheitskräfte Akar im Luftwaffenstützpunkt Akinci aus der Gewalt der Putschisten befreien. (63) Außerdem wurden weitere Generäle von den Putschisten festgesetzt: der stellvertretende Generalstabschef General Yaşar, der Oberkommandierende der Landstreitkräfte General Salih Zeki Çolak, der Kommandeur der Luftwaffe General Abidin Ünal und der Oberkommandierende der Jandarma, General Galip Mendi.

Mehrere Tageszeitungen haben gleich nach dem Putschversuch Listen mit den angeblich verantwortlichen Offizieren veröffentlicht, so „Evrensel“ (64) und „Hürriyet“ (65). Als „putschverdächtig“ galt jeder, der als „gülenverdächtig“ galt, entsprechende Namenslisten hatte der Geheimdienst MİT schon Monate vor dem Putsch angelegt.

Mindestens 169 Generäle bzw. Admiräle und 7.089 Obristen wurden verhaftet. Zu den Putschverdächtigen gehörten u. a. folgende Generäle/Admiräle:

General (Orgeneral): Adem Huduti (Kommandeur der 2. Armee in Malatya), Akın Öztürk (Ein ehemaliger Befehlshaber der Luftstreitkräfte, der noch Mitglied im YAS war, aber im August 2016 pensioniert werden sollte. Öztürk bestritt jegliche Verwicklung in den Putschversuch und erklärte, er habe im Gegenteil versucht, den Coup zu verhindern.)

Generalleutnant (Korgeneral): İshak Dayıoğlu (Incirlik), Erdal Öztürk (Erzincan)

Generalmajor (Tümgeneral): Metin Akkaya (Isparta), Mehmet Akyürek (Balıkesir), Fethi Alpay (Istanbul), Avni Angun (Malatya), Ahmet Cural, Mehmet Dişli, Memduh Hakbilen (Izmir), Mustafa İlter, Haluk Şahar (Konya), Suat Murat Semiz, Salih Sevil (NATO-Kommando LANDCOM Izmir)

Brigadegeneral (Tuğgeneral): Arif Settar Afşar (Bitlis), Metin Alpcan (Şanlıurfa), Hidayet Arı (Edirne), Adnan Arslan, Yavuz Ekrem Arslan (Manisa), Murat Aygün, Faruk Bal, Mehmed Nuri Başol, Ekrem Çağlar, Cemalettin Doğan (Kırklareli), Mehmet Şükrü Eken, Hakan Eser, Hakan Evrim, İsmail Güneşer (Bingöl), Erdem Kargın (Ardahan), Salih Kırhan (Mardin), Bekir Koçak (Kırklareli), Sadık Köroğlu, Yunus Kotaman (Bingöl), Mustafa Kurutmaz (Isparta), Ersal Ölmez, Mehmet Ozan, Dursun Pak, Mehmet Partigöç, Hasan Polat, Fatih Celaleddin Sağır, Veyis Savaş, Osman Nadir Saylan, Gökhan Şahin Sönmezateş, Murat Soysal (Gaziantep), Semih Terzi, Recep Ünal, Bekir Ercan Van (Adana bzw. Incirlik), Mustafa Yılmaz (Amasya)

Hinzu kommen die Generäle Mehmet Terzi und Mehmet Partigöç.

Admiral (Oradmiral): -

Vizeadmiral (Koramiral): Hasan Hüseyin Demiraraslan

Konteradmiral (Tümadmiral): -

Flotillenadmiral (Tuğamiral): Namık Alper (Aksaz), Serdar Ahmet Gündoğdu (Çanakkale), Yaşar Çamur, Nejat Atilla Demirhan, Erdal Ergün, Süleyman Manka, Tezcan Kızılelma, Halil İbrahim Yıldız

Jandarma-Polizeioffiziere:

General (Orgeneral): -

Generalleutnant (Korgeneral): -

Generalmajor (Tümgeneral): -

Brigadegeneral (Tuğgeneral): Ali Osman Gürcan (Şırnak), Sadık Köroğlu (Beytepe).

So waren insbesondere Soldaten des 4. Luftwaffenbasiskommandos (4. Ana Jet Üs Komutanlığı [4nci AJÜ]) unter dem Kommando von Brigadegeneral Hakan Evrim in Akıncı bei Ankara am Putschversuch beteiligt. Das Geschwader gliederte sich in die drei Staffeln 141nci Filo („Kurt“), 142nci Filo („Ceylan“) und 143ncu Filo („Öncel“) mit modernen F-16C/D Block 30/50/50TM/50TM (Peace Onyx IV). So bombardierte der Stabskapitän Hüseyin Türk das Parlamentsgebäude, (66) und der Pilot Müslim Macit attackierte den Präsidentenpalast. Als der Putsch scheiterte, wurden die Soldaten festgenommen, das Kommando aufgelöst und die Jagdflugzeuge auf verschiedene Luftstützpunkte innerhalb der Türkei (Merzifon, Eskişehir etc.) verteilt. (67) So musterte die 113ncu Filo in Eskişehir ihre alten RF-4E aus und übernahm die neuen F-16C/D der früheren 142nci Filo. Die alte 141nci Filo („Kurt“) wurde zur 151nci Filo und 143ncu Filo („Öncel“) wurde zur 153ncu Filo. Beide Staffeln wurden nach Merzifon verlegt. Die Kunstflugstaffel Solotürk wurde der 132nci Filo unterstellt und von Akıncı nach Konya verlegt. Gleichzeitig wurde die Zahl der F-16 pro Staffel von zwölf auf zehn reduziert. Der frühere Luftstützpunkt Akıncı wurde zu einem Hilfsflugplatz heruntergestuft und in „Mürted“ umbenannt (Mürted Hava Meydan Komutanlığı). Nichts soll mehr an die Putschisten erinnern.

Mehrere Putschisten stammten vom 1. Heeresfliegerregiment (1nci Kara Havacilik Alay) in Ankara-Güvercinlik, die mit Kampfhubschraubern AH-1 Cobra und Mehrzweckhubschraubern S-70A-28 und UH-1H am Militäraufstand teilnahmen. Wieviele dieser Hubschrauber dabei zerstört wurden, unterliegt der Geheimhaltung.

In Ankara griffen die Putschisten kurz nach Mitternacht den Amtssitz des Geheimdienstes MİT und später auch die Polizeizentrale, das Polizeidezernat für Sondereinsätze und die Zentrale der Grenzpolizei mit Kampfflugzeugen an. Ein Hubschrauber der Putschisten wurde durch ein F-16-Kampfflugzeug abgeschossen.

Auch in Diyarbakır sollen die Putschisten über sechs Kampfflugzeuge F-16 verfügt haben.

Zu Zwischenfällen kam es auch auf dem Fliegerhorst von Incirlik, wo die Putschisten ihre Kampfflugzeuge auftanken ließen. Daraufhin wurde die Basis teilweise umzingelt, am Haupttor kam es zu Schusswechseln. Die dort stationierten Bundeswehr-Interventionstruppen für den Syrieneinsatz (max. 1.200 Mann mit sechs Aufklärungsflugzeugen Panavia Tornado Recce und einem Tankflugzeug Airbus A310 MRTT [Multi-Role Tanker Transport]) wurden nach dem Putschversuch evakuiert. Da die türkische Regierung den deutschen Bundestagsabgeordneten wiederholt eine Inspektion des Bundeswehr-Auslandskontingents verweigerte, wurden die 288 Soldaten im Juni 2017 von Incirlik nach „Camp Sonic“ bei Al-Asrak (Jordanien) verlegt. In der Türkei verblieben nur die Bundeswehrsoldaten, die als Bordmitglieder der E-3A AWACS-Flugzeuge der NATO Early Warning Force (NAEWF) in Konya stationiert sind.

Am 16. Juli 2016, um 00.26 Uhr, rief ein derangierter Staatspräsident Erdoğan in einem Facetime-Life-Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender „CNN Türk“ zum Widerstand gegen die Putschisten auf.

Am 16. Juli 2016 brachte eine Gruppe von Matrosen die Fregatte F-240 Yavuz im Flottenstützpunkt Gölcük in ihre Gewalt. Der Flottenkommandeur Admiral Veysel Kösele und der Commodore Levent Karim wurden von den Putschisten vorübergehend gefangengenommen. (68)

Zu den „Putschisten“ gehörten auch rund 3.000 Rekruten der Militärakademie, die keine Ahnung hatten, was vor sich ging, und die lediglich Befehle ausführten. Einem Teil der „putschenden“ Soldaten hatte man erklärt, es handele sich um eine Anti-Terror-Übung.

Der Putschversuch forderte rund 250 bis 300 Tote: 27 Putschisten, 5 regierungsloyale Soldaten, 62 Polizisten, Geheimdienstler und 173 Zivilisten; rund 2.200 Menschen wurden verletzt. Zu den Todesopfern gehörte auch Brigadegeneral Semih Terzi, der bei dem Versuch das Hauptquartier der Spezialeinheiten zu erstürmen, vom Diensthabenden Unteroffizier erschossen wurde. Mehrere putschverdächtige Generäle bzw. Admiräle sind nach ihrer Gefangennahme misshandelt worden. So zeigten Fotos General Akin Öztürk mit Hämatomen im Gesicht und an den Armen, sein rechtes Ohr trug einen Verband. Nach dem Putsch erkläre Staatspräsident Erdoğan: „Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen.“ (69)

Die Regierung machte die islamistische Gülen-Bewegung, die seit Mitte der achtziger Jahre den Staatsapparat und seine Sicherheitsorgane mit ihren Mitgliedern penetriert, für den Putschversuch verantwortlich. Am 24. Juli 2016 erklärte der Vize-Regierungschef Mehmet Şimşek, ein ehemaliger Banker von Merrill Lynch, der sowohl die türkische wie die britische Staatsangehörigkeit besitzt:

„Hinter diesem Putschversuch steht die Gülen-Bewegung. Das ist kein Verdacht, dafür haben wir Beweise. Und deshalb hatten wir vor Wochen bereits in Militär, Polizei und Verwaltung Leute aus dieser Bewegung identifiziert. Um dann im Laufe des Jahres zu entscheiden: wer wird in Rente geschickt, wer wird befördert, wer entlassen.“ (70)

Unklar ist, ob es sich bei dem vermeintlichen Putschversuch um einen „kontrollierten Putsch“, also eine Inszenierung des Geheimdienstes MİT, handelte, wie Kemal Kılıçdaroğlu, der Führer der oppositionellen Partei Cumhuriyet Halk Partisi (CHP – dt.: „Republikanische Volkspartei“), vermutete:

„Später sprach Kılıçdaroğlu von einem „Putschversuch unter Kontrolle“ der Regierung und bezog sich damit auf Nachrichten, die die Spekulation nährten, dass die AKP-Regierung den sich anbahnenden Putschversuch bereits „erwartet“ hatte und bewusst geschehen ließ, um daraus eine Rechtfertigung für einen, so Kılıçdaroğlu, „Gegenputsch“ abzuleiten. Während Kılıçdaroğlu die Regierung beschuldigte, insofern einen „kontrollierten Putsch“ in Kauf genommen zu haben, als der bevorstehende Umsturzversuch im Vorfeld bekannt gewesen sei, verschärfte sich der Ton zwischen dem Lager Erdoğans und der Opposition.

Kılıçdaroglu bezeichnete die Absicherung der aktuellen Machtverhältnisse als eigentliches Ziel der von der AKP angestrebten Verfassungsänderung für die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems. Mit der Verfassungsänderung solle der „Gegenputsch“, den die Regierung am 20. Juli 2016 mit der Ausrufung des (später mehrmals verlängerten) Notstandes unternommen habe, zum „legalen Normalzustand“ gemacht, die Gewaltenteilung aufgehoben und der bereits stark geschädigte Rechtsstaat endgültig beseitigt werden.

Nach Vorstellung des Abschlussberichtes der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Putschversuch von 2016 kritisierte Kemal Kılıçdaroglu diesen scharf und sagte am 30. Mai 2017, die AKP habe diesen für sich ausgenutzt. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss diene nicht dazu, den Putschversuch zu beleuchten, „sondern die eigentlichen Hintergründe zu verschleiern“.“ (71)

Diese Interpretation der Ereignisse ist nicht unberechtigt, schließlich hatte Herr Erdoğan in seiner ersten Pressekonferenz nach dem Putschversuch erklärt: „Diese Rebellion ist ein Geschenk Allahs, denn sie ermöglicht uns, die Armee zu säubern.“ Dazu berichtete Günter Seufert von der regierungsnahen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) in Berlin im Januar 2017:

„Eine regierungsnahe Zeitung hatte rund drei Monate vorher zwei Artikel eines Journalisten veröffentlicht, der sich guter Kontakte zum Geheimdienst rühmt. Er warnte Gülen-nahe Offiziere im Militär, der Geheimdienst sei über ihre Putschpläne im Bilde und warte nur darauf, dass sie aktiv würden und so die Struktur ihres Netzwerks offenbarten. In einem anderen regierungsnahen Blatt hieß es nur drei Tage vor dem Putsch, noch vor der nächsten Beförderungsrunde im August würden etwa 600 Gülennahe Offiziere aus der Armee entfernt. Ungeklärt ist, ob die Regierung den Putsch tatsächlich bewusst geschehen ließ und so in Kauf nahm, dass bei den Kämpfen in der Putschnacht rund 240 Menschen zu Tode kamen. Die rechtsoppositionelle Zeitung eines Journalisten, der diese Meinung öffentlich vertreten hatte, wurde wenige Tage später von maskierten Randalierern überfallen. In der Kommission, die das Parlament zur Untersuchung des Putsches eingerichtet hat, verhinderten die Abgeordneten der Regierungspartei, dass inhaftierte Generäle befragt und der Leiter des Geheimdienstes sowie der Chef des Generalstabs vorgeladen wurden.“ (72)

Außerdem hatte der MİT schon mindestens zwei Jahre vor dem Putschversuch „schwarze Listen“ mit Gülen-Sympathisanten aufgestellt, die nach dem Putschversuch als Verhaftungslisten dienten.

Demgegenüber machte die türkische Regierung zeitweise die US-Regierung für den Putschversuch verantwortlich, zumal die CIA bei den früheren Putschversuchen immer als Akteur im Hintergrund agierte. In gleicher Weise äußere sich General a. D. Mehmet İlker Başbuğ, der von 2008 bis 2010 türkischer Generalstabschef war: „Es gab bei diesem Aufstand Unterstützung aus dem Ausland.“ (73) Andere sahen in der russischen Regierung den Drahtzieher:

„Hasan und Cem (zwei entlassene türkische NATO-Generalstabsoffiziere in Brüssel, G. P.) sammeln ihre Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen, fügen sie dann zu Analysen zusammen. Sie sind inzwischen mehr denn je davon überzeugt, dass die Regierung auf die eine oder andere Weise in die Ereignisse verwickelt war. (…)

Wie sich die Wahrheit in einem guten Thriller nach und nach offenbart, so stießen die beiden Offiziere auf eine Verbindung zwischen dem Putschversuch und Kreml-nahen Kreisen in Russland. Auf ihrer Webseite haben sie zugleich die wichtige Rolle analysiert, die antiwestliche, prorussische Generäle im türkischen Militär bei den Säuberungen spielen. Diese sogenannten Eurasier, Anhänger des türkischen Altkommunisten Dogu Perincek, wollen die Türkei aus der Nato lösen und näher an Russland und Mittelasien heranführen. Vor dem Putschversuch war ihr Einfluss gering, danach hatten sie freies Schussfeld. „Der Putsch wurde von verschiedenen Kräften angezettelt oder genutzt, die das Militär grundsätzlich umbauen wollen“, vermutet Hasan. Derzeit würden anti-amerikanische Islamisten und Eurasier im Militär noch den gemeinsamen Feind – die westlich gesinnten „Atlantiker“ – bekämpfen. „Aber anschließend werden sie aufeinander losgehen.“ (74)

 

-- Aktuell andauernde Säuberungswelle

 

Das Scheitern des Putschversuches gegen die AKP-Regierung führte zu einer umfassenden Säuberung innerhalb des Staats- und Verwaltungsapparates, insbesondere bei den Streitkräften und den Sicherheitsorganen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan nutzte den Vorfall, um ein autokratisches Regime zu errichten. Nach der Niederschlagung des Umsturzversuches verhängte die türkische Regierung am 21. Juli 2016 den bis heute siebenmal verlängerten Notstand (olağanüstü hal). Seit der letzten Verlängerung ist dieser bis zum 19. Juli 2018 gültig und soll, wie der Sprecher des Präsidenten Ibrahim Kalim am 13. Juli mitteilte, dann aufgehoben werden. (75)

In Artikel 119 der Türkischen Verfassung heißt es zur Verhängung des Notstandes:

„In Fällen des Krieges, einer einen Krieg erforderlich machenden Situation, der Mobilmachung, eines Aufstandes oder einer gewaltsamen und aktiven Bewegung gegen das Vaterland oder die Republik, der Verbreitung von Gewalthandlungen, die die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk von innen oder außen gefährden, der Verbreitung von Gewalthandlungen mit dem Ziel der Aufhebung der verfassungsmäßigen Ordnung und der Grundrechte und –freiheiten, der schweren Störung der öffentlichen Ordnung durch Gewalthandlungen, des Auftretens von Naturkatastrophen oder Seuchen oder eine schweren Wirtschaftskrise kann der Präsident der Republik im gesamten Staatsgebiet oder in Teilen hiervon für eine Dauer von nicht länger als sechs Monaten den Notstand ausrufen.

Die Erklärung des Notstandes ist am Tage ihres Erlasses im Amtsblatt zu verkünden und am gleichen Tage der Großen Nationalversammlung der Türkei zur Zustimmung vorzulegen.

Befindet sich die Große Nationalversammlung der Türkei in den Ferien, wird sie unverzüglich einberufen; die Nationalversammlung kann, wenn sie es für erforderlich hält, die Dauer des Notstandes verkürzen, verlängern oder den Notstand aufheben.

Auf Antrag des Präsidenten der Republik kann die Große Nationalversammlung der Türkei den Notstand um jeweils nicht mehr als vier Monate verlängern. Die Beschränkung auf vier Monate gilt nicht Im Kriegsfalle.

Zu den in den Notstandsfällen auf die Staatsbürger zu übertragenden Verpflichtungen in Geld, Vermögen und Arbeit und die Art und Weise der Beschränkung oder vorübergehenden Aussetzung der Grundrechte und -freiheiten im Sinne des Artikels 15 der Verfassung, welche Vorschriften anzuwenden sind und welche Maßnahmen zu treffen sind, kann ohne Bindung an die in Art. 104 Abs. 17 bestimmten Beschränkungen durch Präsidialverordnung geregelt werden. Diese Präsidialverordnungen haben Gesetzeskraft und werden im Amtsblatt bekannt gemacht sowie am gleichen Tage der Nationalversammlung zur Genehmigung vorgelegt.

Über die im Notstand erlassenen Präsidialverordnungen wird innerhalb von drei Monaten in der Großen Nationalversammlung der Türkei verhandelt und beschlossen, falls nicht die Große Nationalversammlung der Türkei infolge eines Krieges oder höherer Gewalt am Zusammentritt gehindert ist.

Andernfalls treten die Präsidialverordnungen von selbst außer Kraft.“ (76)

Staatspräsident Erdoğan konnte somit zunächst über Notverordnungen (kanun hükmünde kararnameler) nach eigenem Gutdünken regieren, bis er am 9. Juli 2018 volle Regierungsgewalt erhielt.

Am 21. Juli 2016 teilte die türkische Regierung der UNO mit, dass sie aufgrund der Notstandssituation ihren Verpflichtungen gemäß dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights - ICCPR) gemäß Artikel 4 nicht nachkommen kann oder will. Gleichzeitig teilte der stellvertretende Ministerpräsident Prof. Dr. Numan Kurtulmuş mit, dass die türkische Regierung die Europäische Menschrechtskonvention (European Court of Human Rights - ECHR) gemäß Artikel 15 teilweise aussetzt. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands können Verdächtige in der Türkei bis zu 14 Tage ohne richterlichen Beschluss in Polizeigewahrsam gehalten werden. Auf eine humane Behandlung von Gefangenen kommt es derzeit nicht an. Durch die vulgären Hetzreden von Herrn Erdoğan und zahllose Festnahmen auf unbestimmte Zeit entstand ein Klima der Angst, indem viele „Terrorverdächtige“ andere Beschuldigten, um ihre Kooperationsbereitschaft zu zeigen und sich selbst in ein „besseres Licht“ zu setzen. Die Verhaftungswelle dauert nach wie vor an. Zum Teil wurde eine Ausgangssperre verhängt, Demonstrationen verboten. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist abgeschafft. Stattdessen droht jedem Kritiker eine zweijährige Haftstrafe wegen „Herabwürdigung der türkischen Nation“ (Artikel 301 StGB). Aus Angst vor Denunziation findet ein offener gesellschaftlicher Diskurs nicht mehr statt; politisch engagierte Leute mussten sich ins Privatleben zurückziehen.

Das Auswärtige Amt warnt in seinen aktuellen „Reise- und Sicherheitshinweisen“:

„Unter den während des Notstands geltenden Bestimmungen kann Verdächtigen für 24 Stunden jeglicher Kontakt zur Außenwelt verwehrt werden, außerdem können sie bis zu 14 Tagen in Polizeigewahrsam genommen werden, bevor sie einem Haftrichter vorzuführen sind. Außerdem kann während eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens u.a. die Ausreise untersagt werden. Von diesen Maßnahmen, sowie von der Möglichkeit zur Verhängung von Untersuchungshaft (nach türkischem Recht bis zu sieben Jahre möglich) im Anschluss an den Polizeigewahrsam, wird unter der Geltung des Notstands reger Gebrauch gemacht. Dabei genügen oft bereits geringe Verdachtsmomente.

Die innenpolitische Lage in der Türkei ist weiterhin angespannt. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu vereinzelten Demonstrationen und Großveranstaltungen kommen kann.

Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen. (…)

Die Einfuhr von Waffen und Schneidwerkzeug (auch Camping-Messer) ist ohne besondere Erlaubnis verboten.(77)

Die für den Putschversuch verantwortlichen Militärs mussten sich nicht mehr vor dem damaligen Militärkassationshof (Askeri Yargıtay) verantworten, da dieser – wie alle anderen Militärgerichte - durch Verfassungsänderung im April 2017 abgeschafft wurden. Seit dem 22. Mai 2017 wurden sie vor Zivilgerichten in Ankara, Istanbul, Izmir, Gaziantep, Muğla etc. angeklagt. Von den insgesamt 280 Strafverfahren waren im Mai 2018 noch 120 Prozesse anhängig. In Folge des Putsches sank die Zahl der Soldaten von 518.166 im Juni 2016 auf 355.212 im Oktober 2016. Das hat mit Abrüstung nichts zu tun, sondern war Folge der eklatanten Säuberungen innerhalb der Streitkräfte.

Insgesamt wurden über 55.000 Personen in den Tagen und Wochen nach dem Putschversuch festgenommen, mittlerweile sind es insgesamt über 160.000. Von den Festgenommenen wurden mindestens 72.000 Personen offiziell angeklagt. (78) Nach älteren Angaben wurden 2.100 verurteilt, davon 1.500 zu lebenslanger Haft. (79)

Als Beweis für die Teilnahme am Militärputsch galt/gilt schon die Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, so dass Soldaten bzw. Zivilbeschäftigte willkürlich der Tatbeteiligung für schuldig befunden werden, so z. B. die Angehörigen der türkischen Militärdelegation im NATO-Hauptquartier und ihre Familienmitglieder in Brüssel (insgesamt rund 100 Personen). (80) Außerdem gerieten alle in Putschverdacht, die eine amerikanische Ein-Dollar-Note mit einem „F“ besaßen, weil dies angeblich ein heimliches Erkennungszeichen der militärischen Verschwörer gewesen sein soll. Verdächtig sind auch alle Autobesitzer, deren Kennzeichen das Buchstabenduo „FG“ enthält, denn es könnte sich um eine Abkürzung für „Fethullah Gülen“ handeln; sie wurden vom Geheimdienst auf ihre Loyalität überprüft. (81) Auf Anweisung von Staatspräsident hatte der Geheimdienst MİT schon Monate vor dem Putschversuch „schwarze Listen“ mit Gülen-Sympathisanten aufgestellt, die nach dem Putschversuch als Verhaftungslisten exekutiert wurden.

Bisher wurden 23.000 Militärangehörige aus dem aktiven Dienst entlassen, darunter befanden sich 6.500 Offiziere und 16.500 Militärkadetten. (82) Mehrere Generäle traten von ihrem Dienstposten zurück, darunter am 27. Juli 2016 Kamil Başoğlu, Leiter des Heereskommandos für Ausbildung, und İhsan Uyar, Generalstabschef der Landstreitkräfte. Am 20. Mai 2018 wurden in Izmir 104 von 280 Militärangehörigen zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Unter den Verurteilten befanden sich mehrere Generäle und Admiräle: Mehmet Nuri Başol, Yaşar Çamur, Ahmet Cural, Hasan Hüseyin Demirarslan, Erdal Ergün, Hakan Eser, Memduh Hakbilen, Mustafa İlter, Süleyman Manka, Ersal Ölmez, Veyis Savaş, Osman Nadir Saylan, Salih Sevil und Halil İbrahim Yıldız. (83) Weitere 21 Angeklagte wurden wegen Beleidigung des Recep Tayyip Erdoğan zu jeweils zwanzig Jahren verurteilt. Wesentlich günstiger kamen 31 Angeklagte davon, die „nur“ wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt waren. Sie erhielten Haftstrafen in Höhe von siebeneinhalb und zehn Jahren. (84) Am selben Tag wurden in Gaziantep vier hohe Offiziere abgeurteilt. Dabei wurden Brigadegeneral Murat Soysal und Oberst Hakan Çınar zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Ende Mai 2018 wurden in Istanbul 160 ex-Soldaten zu lebenslanger Haft verurteilt, darunter waren 116 ex-Kadetten (mehmetçik), die lediglich Befehle ausführten ohne über die Hintergründe informiert zu sein und die lediglich benutzt wurden.

Die politische Verfolgung dauert auch zwei Jahre nach dem Putschversuch noch an: Im April 2018 kündigte Verteidigungsminister Nurettin Canikli die Entlassung von 3.000 weiteren Putschverdächtigen aus dem Militärdienst an. Am 11. Mai 2018 wurden erneut 150 Soldaten festgenommen, gegen 150 weitere Soldaten erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle. (85) Am 26. Juni 2018 wurde die Festnahme von weiteren 138 Soldaten und Polizisten der Marine, der Küstenwache, der Jandarma und der Polizei angeordnet. 66 Personen wurden noch am selben Tag festgenommen. (86) Zuletzt gab die türkische Regierung am 8. Juli 2018 bekannt, dass 6.000 Angestellte der Streitkräfte und 9.000 Polizisten entlassen werden würden, und veröffentlichte deren Namen im Amtsblatt. (87)

Zu den geschassten Offizieren zählen nicht nur Putschbeteiligte, sondern auch Offiziere, die das militärische Vorgehen der AKP-Regierung gegen die Kurden innerhalb der Türkei und die Militärintervention in Syrien – zumindest in der vorgegebenen Form - ablehnen. So nutzt Erdoğan die Gelegenheit, um die Opposition kaltzustellen. Ein früherer türkischer NATO-Offizier aus dem Hauptquartier in Brüssel berichtete dazu:

„Nach den ersten Säuberungswellen ist uns klar geworden, wen man loswerden wollte: Wir sind alle in Europa und in den USA ausgebildet worden. Wir teilen Erdoğans Vision nicht. Wir hätten das niemals öffentlich gesagt, weil wir Militärs sind, aber sie kennen uns. Wenn du westliche Werte hast, wirst du zur Zielscheibe. Erdoğan nennt uns „türkische Terroristen in der Nato“.“ (88)

Bis März 2017 sollen rund 90 Prozent der Generalstabsoffiziere ausgetauscht worden sein. (www.sueddeutsche.de/politik/tuerkische-nato-soldaten-wenn-du-westliche-werte-hast-wirst-du-zur-zielscheibe-1.3410564) Um den Aderlass insbesondere in der Generalität aufzufangen, wurde die Dienstzeit von 20 Generälen bzw. Admirälen über das Pensionsalter hinaus verlängert, außerdem drehte sich das Personalkarussell, so dass 99 Obristen kurzfristig zu Brigadegenerälen befördert wurden. Über Zeitungsanzeigen suchte die türkische Regierung 25.000 Militärrekruten. „Übrig bleiben Opportunisten. (…) Jetzt sitzen Islamisten sogar im Generalstab – nur eben andere als die Gülenisten. (…) Unser Verbrechen war, dass wir gut ausgebildet und westlich sind. (…) Wer viel in Europa und den USA war, gilt per se als suspekt. (…) Was früher die Merkmale eines erfolgreichen Offiziers waren, sind heute die eines Putschisten“, resümierte ein ehemaliger türkischer Offizier aus der NATO-Zentrale in Brüssel. (89)

Aufgrund der Säuberungswellen des Erdoğan-Regimes der letzten Jahre in den Kreisen der Militärs, stellt sich die Frage, welche militärpolitische Ausrichtung die „neue“ türkische Armee zukünftig aufweisen wird. Dazu berichteten die „Spiegel“-Journalisten Peter Müller und Maximilian Popp im Januar 2017:

„Die zweite große Säuberungswelle im türkischen Militär innerhalb weniger Jahre hat ein Vakuum geschaffen, das Splittergruppen versuchen zu füllen. Vor allem die ultranationalistische Vaterlandspartei und die radikalislamische Sadat-Gruppierung dehnen ihren Einfluss im Militär aus. Der Chef der Vaterlandspartei, Doğu Perinçek, tritt für eine Abkehr der Türkei von Europa ein und arbeitet mit dem russischen Politikberater Alexander Dugin zusammen. Sadat wiederum ging aus einer privaten Sicherheitsfirma hervor, deren Gründer Adnan Tanrıverdi, ein ehemaliger General, in den Neunzigern wegen islamistischer Umtriebe in den Ruhestand versetzt wurde und nach dem Putschversuch zu Erdoğans Berater aufstieg.

Beide Gruppierungen dürften die Ausrichtung der türkischen Streitkräfte mitprägen. Das Militär werde künftig verstärkt eine eurasische, religiöse Agenda verfolgen, glaubt der Sicherheitsexperte Metin Gurcan. Ehemalige türkische Nato-Offiziere warnen, Russlands Präsident Wladimir Putin könnte den Machtkampf im türkischen Militär dazu nutzen, den russischen Einfluss auf den Nato-Partner Türkei auszuweiten.“ (90)

Immerhin findet sich für ein derartiges Vorgehen gegen die eigene Generalität findet in der jüngeren europäischen Geschichte nur ein weiteres Beispiel: Durch eine Intrige des Sicherheitsdienstes (SD) der deutschen SS ließ der sowjetische Diktator „Josef Stalin“ den Generalstabschef Marschall Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski am 26. Mai 1937 verhaften und wegen Hochverrats am 12. Juni 1937 im Innenhof der Lubjanka durch Genickschuss hinrichten. Im Rahmen der „Tuchatschewsi-Affäre“ bzw. der entsprechenden „Jeschowtschina“ wurde ein erheblicher Teil der sowjetischen Generalität (drei weitere Marschälle, 13 Generäle und ca. 5.000 Offiziere wenige Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs liquidieren. Der Verlust von ca. 45 Prozent des gesamten Offizierskorps musste sich später verheerend auf die Kriegführung der sowjetischen Streitkräfte auswirken. Gemäß neueren Forschungserkenntnissen steckte hinter der SD-Operation wiederum der sowjetische Geheimdienst „Narodnyj kommissariat wnutrennich del“ (NKWD) unter Führung von Nikolai Iwanowitsch Jeschow, der Tuchatschewski unbedingt stürzen wollte. (91)

In der Türkei wurden auch zahlreiche Oppositionspolitiker in den letzten zwei Jahren festgenommen, darunter 11 Abgeordnete sowie 3.000 Funktionäre der linksgerichteten, pro-kurdischen Oppositionspartei Halkların Demokratik Partisi (HDP, dt. „Demokratische Partei der Völker“) unter der Führung von Selahattin Demirtaş. Mindestens 19 „gülenistische“ Gewerkschaften wurden verboten.

Die Festnahmen von über 160.000 Staatsbürger stellte den türkischen Justizapparat vor enorme Probleme. Da die Türkei bei 80 Millionen Einwohnern „nur“ 180.000 Plätze in den Haftanstalten hat (zum Vergleich: die BRD hat bei 82 Millionen Einwohnern 68.000 Haftplätze), wurden ab dem 17. August 2016 bis zu 38.000 Kriminelle entlassen, um die Putschverdächtigen unterbringen zu können. Aufgrund der Enge befindet sich auf so manchem Flur in einem Staatsschutzgefängnis eine Zelle mit Pazifisten neben einer Zelle mit inhaftierten Generälen, eine Zelle mit verhafteten Polizeibeamten oder Richtern neben einer Zelle gewöhnlicher Krimineller; und sie alle tauschen ihre Knastinformationen durch Klopfzeichen oder Kassiber aus. Dazwischen befinden sich die Justizbediensteten, die in den Haftanstalten z. Zt. nur arbeiten und nicht schon einsitzen. Der Chefredakteur der Tageszeitung, Can Dündar, er lebt mittlerweile in Berlin, bezeichnete die Maßnahmen als „die größte Hexenjagd in der Geschichte der Republik“ und stellte fest, dass nun die „zivile Diktatur“ begonnen habe. (92)

Durch die Überfüllung der Haftanstalten müssen die Gefangenen z. T. in einer Art Schichtsystem schlafen, damit alle genügend Platz haben, um sich hinzulegen. Ein Teil der neuen Gefangenen musste vorübergehend in umfunktionierten Sportstadien oder Tierställen inhaftiert werden. Die türkische Regierung plant derzeit, 174 Haftanstalten mit 100.000 Plätzen neu zu errichten. Allein im laufenden Jahr sollen 45 Knäste eingeweiht werden. Die menschenunwürdige Unterbringung der Putschverdächtigen war durchaus gewollt, wie der türkische Wirtschaftsminister und Textilunternehmer Nihat Zeybekçi bekannte, als er seine privaten Gewaltphantasien öffentlich machte:

„Wir werden sie so hart bestrafen, dass sie uns anflehen werden: ‚Lasst uns sterben, damit wir erlöst werden!‘ Wir werden sie zwingen, uns anzuflehen! Wir werden sie in so tiefe Löcher werfen, dass sie kein Sonnenlicht mehr sehen, solange sie atmen. ‚Tötet uns!‘ werden sie uns anflehen. Selbst wenn wir sie hinrichten, fände mein Herz keinen Frieden. Sie werden in zwei Quadratmeter großen Löchern sterben wie Kanalratten.“ (93)

Und der amtierende Innenminister Süleyman Soylu drohte 2018 der Kovorsitzenden der HDP Pervin Buldan:

„Wir werden euch schon zurechtweisen. Von nun an habt ihr kein Recht mehr auf Leben. Für den Tod seid ihr verantwortlich. Verschwindet von hier. Geht zur CHP oder nach Europa.“ (94)

Neben den Inhaftierungen wurden darüber hinaus – nach unterschiedlichen Schätzungen - 100.000 oder 140.000 oder bis zu 200.000 (zivile) Staatsbedienstete unter dem größtenteils absurden Vorwurf der Putschbeteiligung aus ihren Ämtern entfernt. Noch nie waren an einem gescheiterten Putschversuch angeblich so viele Personen beteiligt. Betroffen waren vor allem Mitarbeiter des Erziehungsministeriums bzw. der Schulbehörden (27.500 Personen), aber auch das Gesundheitsministerium (mindestens 5.581 Entlassene, darunter 1.504 Ärzte). Verfolgt wurden aber auch mindestens 8.816 Polizisten, 8.651 Soldaten, 24 Führungskräfte der Küstenwache, 83 Mitglieder der mittlerweile aufgelösten Regiment der Präsidentengarde (Cumhurbaşkanlığı Muhafız Alayı Komutanlığı) unter Führung von Oberst Muhsin Kutsi Barış in Ankara-Çankaya, rund 4.000 Richter und Staatsanwälte (= mehr als ein Viertel des Justizpersonals) sowie 23 Provinzgouverneure. (95) So mancher wurde von einem Richter oder Staatsanwalt in eine Knastzelle gesteckt, und ein paar Tage später landete derselbe Jurist unter dergleichen Anklage in der Nachbarzelle.

Im Außenministerium unter Führung von Mehmet Çavuşoğlu wurden über 300 Mitarbeiter entlassen. Über 7.300 Intellektuelle im Universitätsdienst wurden entlassen, einzelne wissenschaftliche Institute oder gar ganze Universitäten, wie z. B. die („gülenistische“) Süleyman Şah Üniversitesi in Istanbul, wurden von heute auf morgen aufgelöst. Diese Maßnahme zielte insbesondere auf Sozialwissenschaftler. So verloren manche ihren Job, weil sie an der „falschen“ Universität gelehrt hatten, ohne dass ihnen persönlich ein Vorwurf gemacht wurde oder wird. Der deutsche Unternehmer türkischer Abstammung Özel Sögüt aus Siegen wurde bei einer Geschäftsreise in die Türkei im Dezember 2016 ebenfalls festgenommen. Der Grund für seine monatelange Inhaftierung liegt vermutlich darin begründet, dass er einem „gülenistischen“ Unternehmen eine Solaranlage verkauft hatte. (96) Das Auswärtige Amt warnte in seinen aktuellen „Reise- und Sicherheitshinweisen“:

Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen.“ (97)

Nach Angaben eines Oberstaatsanwaltes sind noch rund 400.000 Gülenisten auf (niedrigeren) Positionen im Staatsdienst, so dass die Säuberungswelle weiter andauern wird.

Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer befürchtet einen kulturellen und ökonomischen Niedergang der Türkei: In seinem Buch „Türkei verstehen – von Atatürk bis Erdoğan“ schrieb er 2016 (Seite 469):

„Viele der suspendierten Gülen-Anhänger sind hochqualifiziert; für Tausende entlassener Wissenschaftler, Lehrer, Richter und Verwaltungsbeamter werden sich nicht immer gleich gut geeignete Nachfolger finden lassen. Langfristig könnten die freien Stellen durch treue Anhänger der AKP ersetzt werden, aber es bliebe höchst ungewiss, ob das beachtliche Niveau der Schulen, Universitäten und Behörden gehalten werden kann.“

Die Entlassungswelle führte zeitweise dazu, dass Teile der Sicherheitsorgane nicht mehr einsatz- und arbeitsfähig waren. Man muss davon ausgehen, dass mit der Entlassung vieler älterer Staatsbediensteter auch deren Erfahrungswissen verloren gegangen ist. So wurden 265 der rund 400 Kampfpiloten der Luftwaffe entlassen. Ex-Piloten der Streitkräfte, die mittlerweile bei zivilen Fluggesellschaften arbeiten, sollen nun zur Rückkehr zur Luftwaffe gezwungen werden, um dort die verhafteten Piloten zu ersetzen. Mehrere türkische Piloten, die Kampfeinsätze über Syrien fliegen, müssen sich vor und nach jedem Einsatzflug bei der türkischen Polizei melden. Dazu berichtete der „Spiegel“:

„Erst Ende Dezember (2017, G. P.) starben 16 Soldaten bei einem Angriff gegen den IS in der Stadt al-Bab nordöstlich von Aleppo. Die Verluste am Boden seien „höher als nötig“, da die Luftwaffe nicht mehr in der Lage sei, ausreichend Unterstützung zu leisten, sagt ein geschasster Kampfpilot.“ (98)

Nach der kurzfristigen Entlassung von 270 türkischen Offizieren bei NATO-Stäben warnte NATO-Oberbefehlshaber US-General Curtis Scaparrotti, die Entlassungen könnten gar die Einsatzbereitschaft der Allianz gefährden. Ehemalige türkische NATO-Offiziere warnten, Russland Präsident Wladimir Putin könnte den Machtkampf innerhalb des türkischen Militärs durch Diversion dazu nutzen den russischen Einfluss auf den NATO-Partner Türkei auszuweiten.

Neben den Militärs wurde die Presse drangsaliert: Mehr als 180 Journalisten sitzen oder saßen im Knast. Drei Nachrichtenagenturen, 17 TV-Sender, 23 Radiostationen, 48 Zeitungen, 15 Zeitschriften, 20 Online-Portale sowie 29 Verlage wurden seit dem 27. Juli 2016 verboten. Mittlerweile befinden sich rund 90 Prozent der Mainstreammedien im Besitz von Personen, die der AKP-Regierung nahestehen, darunter der staatliche Rundfunksender Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu (TRT). Der „TRT“ ist als Quelle für Informationen bzw. Narrative besonders wichtig, da Fernsehglotzen die beliebteste Freizeitgestaltung der Türken ist. Der durchschnittliche Fernsehkonsum beträgt fünfeinhalb Stunden pro Tag. Dennoch beklagte sich Erdoğan nach 2016: „Wir sind jetzt vierzehn Jahre an der Macht, aber die Beherrschung des sozialen und kulturellen Bereichs bereitet uns noch immer Sorge.“

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ berichtete in ihrer Dokumentation „Feinde der Pressefreiheit 2016“:

„Die Türkei gehört zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden weit über 100 Journalisten verhaftet, rund 150 Medien geschlossen und mehr als 700 Presseausweise annulliert. Kritische Journalisten stehen unter Generalverdacht. Die wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien arbeiten in ständiger Angst. Wiederholt wurde ausländischen Journalisten die Akkreditierung verweigert oder die Einreise verwehrt. Daneben ersticken die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen vieler wichtiger Medienbesitzer eine kritische Berichterstattung im Keim.“ (99)

Die Personen, die unter Putschverdacht entlassen wurden, verlieren nicht nur ihren Job. Wenn sie in einer Wohnung der staatlichen Wohnungsbaubehörde Toplu Konut İdaresi Başkanlığı (TOKİ) wohnen, müssen sie diese innerhalb von 14 Tagen räumen. Außerdem wird ihre Krankenversicherung gekündigt, und sie können keine Sozialhilfe beziehen. Ihre Rentenansprüche werden gestrichen. Darüber hinaus verlieren alle Hochschulabgänger ihre akademischen Titel und Zertifikate. Als „Terrorverdächtiger“ ist es in diesen unsicheren Zeiten schwierig, überhaupt eine neue Anstellung zu finden. Viele müssen daher ausschließlich von ihren Ersparnissen leben oder werden von ihrer Familie unterstützt. Da ihre Reisepässe annuliert werden, können sie nicht einmal legal ins Ausland flüchten. Gegen die Entlassung kann man keinen juristischen Widerspruch einlegen.

Außerdem wurden fast 1.000 Unternehmen und Banken wegen angeblicher Verschwörung enteignet und unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, rund 11 Milliarden Dollar an Firmenvermögen beschlagnahmt. Betroffen war u. a. die Supermarktkette „A101“ mit insgesamt 6.300 Filialen. Mehrere hundert Unternehmer wurden zur Fahndung ausgeschrieben. Die türkische Regierung hat weltweit gegen fast 8.000 Firmen in 162 Staaten Ermittlungen eingeleitet, darunter auch fast 700 deutsche Unternehmen. Der internationale Tourismus brach zeitweise um 50 Prozent ein; mehrere Millionen Gäste jährlich blieben aus.

Die Regierung verhängte gegen zahlreiche Intellektuelle ein Ausreiseverbot und zog deren Pässe ein. Trotzdem konnten mehrere tausend Oppositionelle aus der Türkei fliegen. Mindestens 1.177 Putschverdächtige Militärs, Diplomaten, Politiker, Richter etc. haben sich in den letzten zwei Jahren nach Deutschland abgesetzt, seit Jahresanfang 2017 stellten 3.382 Türken einen Asylantrag, die Anerkennungsquote liegt derzeit bei ca. 20 Prozent. (100) So landeten am 12. Mai 2017 ein Oberst und ein Oberstleutnant in Frankfurt am Main. Sie waren über den kretischen Flughafen Heraklion geflüchtet. Angeblich befinden sich unter den Asylbewerbern auch zwei türkische Generäle. Hinzu kommen mindestens 34 türkische Soldaten, die bei NATO- und Bundeswehr-Einheiten in der BRD (Erndtebrück, Geilenkirchen, Ingolstadt, Koblenz, Pfullendorf, Ramstein und Uedern) Dienst taten und anscheinend auch Asylanträge stellten. Darunter befinden sich auch vier türkische Luftwaffenoffiziere, die bei der NATO Airborne Early Warning Force (NAEWF) auf den E-3A AWACS-Flugzeugen in Geilenkirchen-Teveren eingesetzt waren. (101) Im Mai 2017 wurde der Asylantrag türkischer Ex-Soldaten, die bei NATO-Einheiten in der BRD stationiert waren, erstmals anerkannt. (102) Auch andere NATO-Staaten gewährten türkischen Militärs Asyl. So nahm Norwegen im März 2017 fünf Soldaten auf, die nach dem gescheiterten Putschversuch nicht in die Türkei zurückkehren wollten. (103)

Insgesamt sind mehr als 8.000 Türken seit dem Putschversuch nach Deutschland geflüchtet, davon gehören rund die Hälfte zur Gülen-Bewegung. (104) Insgesamt liegen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg mindestens 7.700 Asylanträge türkischer Staatsbürger vor. Zu den Geflüchteten gehört auch der Gülenisten-Imam Adil Öksuz, der in den Putschversuch verwickelt gewesen sein soll. Er war nach dem Putsch kurzzeitig festgenommen worden, wurde dann aber wieder frei gelassen. Z. Zt. soll er in Berlin-Neukölln (.……………) untergetaucht sein.

Im Rahmen der „Deutsch-Türkischen Konsultationen“ arbeiten die Sicherheitsbehörden beider Länder zusammen. Die türkische Regierung versuchte auf die Bundesregierung und die Regierungen von elf Bundesländern Einfluss zu nehmen, damit der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst die gülenistischen Kreise in der BRD überwacht und deren Mitglieder an die Türkei ausliefert. Im Frühjahr 2017 übergab der MİT dem BND eine Liste mit 200 gülenistischen Institutionen und Vereine und 300 Gülenisten in Deutschland mit der Bitte um „Amtshilfe“ zwecks Festnahme bzw. Ausweisung. (105) Außerdem übergaben die türkischen Staatsschutzbehörden 2016 4.500 Personalakten an die deutschen Kollegen. (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/096/1809613.pdf) Dieses Ansinnen lehnten die deutschen Behörden ab.

Bisher ist kein Gülenist in der BRD – soweit bekannt - zu Schaden gekommen, während der türkische Geheimdienst in der Ukraine, Gabun, Kosovo, Aserbaidschan etc. gülenverdächtige Personen kidnappen und verschleppen konnte.

Die Journalistin Elke Dangeleit berichtete jüngst über neue Versuche einer Diffamierung in der BRD:

„Die Wahlergebnisse der „Deutschtürken“ zugunsten Erdogans ermutigen nun auch die AKP und MHP-Anhänger in Deutschland, Listen mit kritischen Journalisten, Wissenschaftler und Politiker über Twitter zu verbreiten.

Eine zurzeit kursierende Liste nennt unter anderem den Politikwissenschaftler Ismail Küpeli, der unter anderem im ZDF des Öfteren als Experte befragt wurde, die Linken-Politikerin Cansu Özdemir aus Hamburg oder den grünen Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu. Ihnen wird darin vorgeworfen, PKK oder Gülen-Unterstützer zu sein.“ (106)

Angesichts der Erfahrungen aus den siebziger Jahren und angesichts der fortdauernden Polarisierung der türkischen Gesellschaft, die vom Schwarz-Weiß-Denken und von Verschwörungstheorien lebt, aber kaum Elemente eines „herrschaftsfreien Diskurses“ entwickeln konnte, stellt sich die Frage nach der zukünftigen politischen Entwicklung des Landes vor dem Hintergrund des zu erwartenden ökonomischen Niedergangs. Dazu bemerkte die Journalistin Inga Rogg bereits 2017 (S. 237):

„Unter seinen militantesten Anhängern (gemeint ist Erdoğan, G. P.) gibt es Kreise, die sich bewaffnet haben. Sollte es zu Massenprotesten kommen, ist die Gefahr groß, dass diese Milizen das Recht in die eigene Hand nehmen werden. Schon während der Gezi-Proteste kam es zu zahlreichen Vorfällen, in denen fanatische Erdoğan-Anhänger mit Schlachtermessern und Prügeln auf Kritiker losgingen. Heute könnte die Lage schnell außer Kontrolle geraten. Darauf wiederum lauern nur die Extremisten des IS, die mit ihren gezielten Anschlägen auf Kurden ihren Teil dazu beitrugen, dass der Konflikt im Südosten erneut eskalierte. Dieser dürfte sich noch mehr ausweiten, sollte Erdoğan an seiner jetzigen Anti-Terror-Linie festhalten. „Eine Nation, eine Flagge, ein Vaterland, ein Staat“, lautet das neue Credo der AKP. Zwischen den verschiedenen Lagern in der Türkei gibt es heute so gut wie keinen Meinungsaustausch mehr. Jeder igelt sich in seiner Weltsicht ein, Wut und Hass wachsen. Nimmt man die Stimmungsmache um den Befreiungskrieg hinzu, ist das eine explosive Mischung.“

 

C) Organisationsstruktur und Bewaffnung der türkischen Sicherheitskräfte

 

- Die türkischen Landstreitkräfte

 

-- Die Stoßrichtungen des türkischen Heeres

 

Dem Führungskommando (Kara Kuvvetleri Komutanlığı - KKK) in Ankara unterstehen alle Heeresverbände. Sie gliedern in sich vier Armeen (Ordu) mit mehreren Korps (kolordu), die im Kriegsfall jeweils einer bestimmten Stoßrichtung zugeordnet sind. Die Korps gliedern sich weiter auf in Divisionen (tümen), Brigaden (tugay) oder Regimenter (alay), Bataillone (tabur), Kompanien (bölük) und Züge (takım).

 

--- 1. Stoßrichtung: Griechenland bzw. Bulgarien

 

- 1. Armee (Istanbul)

 

Die 1. Armee (Birinci Ordu) mit Hauptquartier in Istanbul-Üksküdar (Kaserne: Selimiye Kışlası) wird seit dem 10. August 2015 von General Ümit Dündar kommandiert. Ein Teil der unterstellten Truppenteile ist in Ostthrakien, im europäischen Teil der Türkei stationiert. Sie steht für zwei Kriegsszenarios bereit: Im Falle eines Krieges mit Griechenland soll sie auf dem griechischen Festland vorstürmen, während sie an ihrer Südflanke von der „Ägäischen Armee“ unterstützt wird. Im Falle eines Krieges gegen Bulgarien hätte sie die Hauptlast der Kampfhandlungen zu tragen. Außerdem schützt sie die Meerenge von den Dardanellen bis zum Bosporus am Bürgergang zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer.

 

-- 2. Korps (Gelibolu, Çanakkale)

--- 4. Panzergrenadierbrigade (Keşan)

--- 8. Panzergrenadierbrigade (Tekirdağ)

--- 18. Panzergrenadierbrigade (Çanakkale)

--- 95. Panzerbrigade (Malkara)

--- 102. Artillerieregiment (Uzunköprü)

--- Pionierregiment (Gelibolu)

 

-- 3. Korps (Şişli bei Istanbul)

--- 52. Taktische Panzerdivision (Hadımköy, Istanbul)

--- 2. Panzerbrigade (Kartal)

--- 3. Panzerbrigade (Çerkezköy) (wird nicht von allen Quellen aufgeführt)

--- 66. Panzergrenadierbrigade (Istanbul)

--- 23. Motorisierte Infanteriedivision (Hasdal bei Istanbul)

---- 6. Panzergrenadierregiment (Hasdal bei Istanbul)

---- 23. Panzergrenadierregiment (Samandıra bei Istanbul)

---- 47. Panzergrenadierregiment (Metris bei Istanbul)

 

Das 3. Korps besitzt eine hohe Einsatzbereitschaft und stellt zugleich das türkische Element für das NATO Rapid Deployment Corps.

 

-- 5. Korps (Çorlu, Tekirdağ)

--- 1. Panzerbrigade (Babaeski)

--- 3. Panzerbrigade (Çerkezköy)

--- 54. Panzergrenadierbrigade (Edirne)

--- 55. Panzergrenadierbrigade (Süloğlu)

--- 65. Panzergrenadierbrigade (Lüleburgaz)

--- Panzeraufklärungsbataillon (?) (Ulaş)

--- 105. Artillerieregiment (Çorlu)

--- Pionierregiment (Pınarhisar)

--- 15. Infanteriedivision (107) oder Infanteriebrigade (108)

 

- Ägäische Armee

 

Die vierte Armee heißt in der Nomenklatur der türkischen Streitkräfte nicht „4. Armee“, sondern wird als „Ägäische Armee“ (Ege Ordusu) bezeichnet. Der Name ist Programm: Zwar besitzt die Türkei kaum Inseln in der Ägäis, aber sie hat ihren Besitzanspruch auf die griechischen Inseln nie aufgeben. So steht diese Armee für den Angriff auf Griechenland bereit. Das Hauptquartier der „Ägäischen Armee“ befindet sich in Izmir.

Nachdem die faschistoide Junta in Athen am 15. Juli 1974 mit Hilfe der griechisch-zypriotischen faschistoiden Widerstandsgruppe „Ethniki Organosis Kyprion Agoniston - Vita“ (EOKA-B) versuchte, den griechischen Teil von Zypern zu annektieren, besetzten türkische Fallschirmjäger (Parasütai Piyade) im Rahmen der Operation ATTILA am 20. Juli 1974 den Nordteil der Insel. In beiden Inselteilen fand eine ethnische Säuberung stand. Die griechische bzw. türkische Besatzung dauert bis heute an.

 

Zum Kontingent der Ägäischen Armee gehören zunächst einmal die gemischten Besatzungstruppen auf Zypern:

-- Türkische Friedenstruppen auf Zypern (Kıbrıs Türk Barış Kuvvetleri Komutanlığı) (Girne, Zypern):

--- 28. Infanteriedivision (Asha bzw. Paşaköy bei Nikosia)

--- 39. Mechanisierte Infanteriedivision (Camlibel)

--- 14. Panzerbrigade (Asha oder Paşaköy bei Nikosia)

--- Ein Regiment Sondereinheiten

--- Ein Artillerieregiment oder eine -Brigade

--- Heeresflieger

--- Marineeinheiten

 

Die türkischen Truppen auf Zypern haben eine Personalstärke von rund 36.000 Mann. Der Großverband ist ausgerüstet mit 449 Kampfpanzer M48 Patton, 361 Mannschaftstransportwagen AAPC, 266 Mannschaftstransportwagen M-113, 3 Hubschraubern UH-1H Iroquois, 1 Hubschrauber AS532UL Cougar etc.. (109)

 

Außerdem gehören folgende Verbände zur Ägäischen Armee

-- Nachschubdivision (Balıkesir)

-- 57. Artillerie-Ausbildungsbrigade (Izmir)

-- 19. Infanteriebrigade (Edremit)

-- 11. Motorisierte Infanteriebrigade (Denizli)

-- 5. Heeresfliegerschule (Muğla)

-- 2. Infanterieregiment (Muğla)

-- Kommandoschule (Isparta)

-- 3. Infanterie-Ausbildungsbrigade (Antalya)

-- 1. Infanterie-Ausbildungsbrigade (Manisa) (110)

 

--- 2. Stoßrichtung: Kurdengebiete und Südgrenze

 

- 2. Armee (Malatya)

 

-- 4. Korps (Ankara)

--- 28. Panzergrenadierbrigade (Mamak)

--- 58. Artillerieregiment (Polatlı)

--- 1. Kommandobrigade (Kayseri oder Talas)

--- 2. Kommandobrigade (Bolu)

 

-- 6. Korps (Adana)

--- 5. Panzerbrigade (Gaziantep)

--- 39. Panzergrenadierbrigade (İskenderun)

--- 106. Artillerieregiment (Islahiye)

 

-- 7. Korps (Diyarbakır)

--- 3. Taktische Infanteriedivision (Yüksekova)

--- 34. Grenzbrigade (Şemdinli)

--- 16. Mechanisierte Brigade (Diyarbakır)

--- 20. Mechanisierte Brigade (Şanlıurfa)

--- 70. Panzergrenadierbrigade (Mardin)

--- 172. Panzerbrigade (Silopi)

--- 2. Motorisierte Infanteriebrigade (Lice)

--- 6. Motorisierte Infanteriebrigade (Akçay)

--- 3. Kommandobrigade (Siirt)

--- 107. Artillerieregiment (Siverek)

--- Hakkâri Gebirgsjäger- und Kommandobrigade (Hakkâri)

 

Die Panzerhaubitze T-155 Fırtına wurde seit Februar 2016 an der syrisch-türkischen Grenze eingesetzt um Positionen der kurdischen PYD und der Terrororganisation „IS zu beschießen. Die Fahrzeuge unterstützen vom Grenzgebiet aus die türkische Militäroffensive in Nordsyrien 2016/17. Des Weiteren wurden Haubitzen des Typs bei der Schlacht um Mossul im Irak eingesetzt.

 

--- 3. Stoßrichtung: Osten

 

- 3. Armee (Erzincan)

 

Die 3. Armee (Üçüncü Ordu) deckt die Ostgrenze zu den post-sowjetischen Nachbarstaaten im (Trans-)Kaukasus ab: Armenien, Georgien, Abchasien etc.. Sie ist die größte der vier türkischen Armee-Verbände.

 

-- 8. Korps (Elazığ)

--- 1. Panzergrenadierbrigade (Doğubeyazıt)

--- 12. Panzergrenadierbrigade (Ağrı)

--- 10. Motorisierte Infanteriebrigade (Tatvan)

--- 34. Motorisierte Infanteriebrigade (Patnos)

--- 49. Motorisierte Infanteriebrigade (Bingöl)

--- 51. Motorisierte Infanteriebrigade (Hozat)

--- 4. Kommandobrigade (Tunceli)

--- 108. Artillerieregiment (Erciş)

--- 17. Motorisierte Infanteriebrigade (Kiğı)

 

-- 9. Korps (Erzurum)

--- 4. Panzerbrigade (Palandöken)

--- 14. Panzergrenadierbrigade (Kars)

--- 25. Panzergrenadierbrigade (Ardahan)

--- 9. Motorisierte Infanteriebrigade (Sarıkamış)

--- 48. Motorisierte Infanteriebrigade (Trabzon)

--- 109. Artillerieregiment (Erzurum)

 

In jedem Winter führt die 3. Armee das Sarıkamış-Manöver durch.

 

-- Heeresflieger

 

Die Heeresflieger (Türk Kara Havacilik Komutanlığı) operieren die Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen des Heeres. Sie unterstützen den Generalstab der türkischen Streitkräfte mit Sitz in Ankara. Aufgrund ihrer hohen Mobilität sind sie keiner bestimmten Stoßrichtung zugeordnet, sondern können schnell verlegt und überall eingesetzt werden. Dem Kommando der Heeresflieger unterstehen u. a. vier Luftregimenter (Hava Alayi), die aus mehreren Hubschrauberbataillonen (Helikopter Taburu) bestehen. Dazu zählen insbesondere die Kampfhubschrauberbataillone (Taarruz Helikopter Taburu - THT) und die Lufttransportgruppe (Hava Ulastirma Grup):

 

-- Generalstab (Genel Kurmay) (Ankara / Güvercinlik)

--- Özel Hava Grup Komutanligi (Ankara / Güvercinlik) mit Sikorsky S-70A und CN235M-10(mod)

--- Harita Genel Komutanligi (Ankara / Güvercinlik) mit Beechcraft B200

--- 5nci Ana Bakim Mekezi (Ankara / Güvercinlik) für die Wartung der Hubschrauber

--- Ges Hava Grup Komutanligi (Ankara / Güvercinlik) mit AB205A und CN235M-100

--- Insansiz Hava Araçleri Merkezi Komutanligi (Batman) mit Drohnen I-GNAT und 10 Heron

--- ? (Batman) mit Aufklärungsflugzeugen Beechcraft 350 ISR

 

-- Kurslar Taburu (Ankara / Güvercinlik)

--- Temel Uçus Haraketli (Ankara / Güvercinlik) mit Trainingshubschraubern AB206R

--- Aletli Uçus Egitim (Ankara / Güvercinlik) mit Cessna C182T und Beechcraft T-42A Baron

--- Taktik Uçus Atis ve Egitim Bölümleri (Ankara / Güvercinlik) mit OH-58B Kiowa UH-1H Iroquois und Cessna C182T

 

-- Helikopter Taburu (Diyarbakır)

--- 1nci Bölük (Diyarbakır) mit AS532UL und S-70A-28

--- 2nci Bölük (Diyarbakır) mit AB205 und Cessna U-17B

--- Taaruz Helikopter Taburu (Diyarbakır) mit Kampfhubschraubern AH-1P

 

-- 1. Heeresfliegerregiment (1nci Kara Havacilik Alay) (Güvercinlik)

--- Karagah Bölüĝü (Ankara / Güvercinlik) mit S-70A2B und Cessna U-17B

--- Hava Ulastirma Grup (Ankara / Güvercinlik) mit 2 Transporthubschrauber AS532UL Cougar, 2 AS532UL (VIP), UH-1H Iroquois und Beechcraft B200 sowie Cessna Ce421C

--- Taarruz Helikopter Taburu 1. Filo (Ankara / Güvercinlik) mit Kampfhubschraubern AH-1W Super Cobra

--- Taarruz Helikopter Taburu 2. Filo (Ankara / Güvercinlik) mit Kampfhubschraubern AH-1P

Cobra und TAH-1P Cobra

--- Helikopter Taburu 1nci Bölük (Ankara / Güvercinlik) mit AB206 und UH-1H

--- Helikopter Taburu 2nci Bölük (Ankara / Güvercinlik) mit S-70A-28

--- Helikopter Taburu 3ncü Bölük (Ankara / Güvercinlik) mit Transporthubschraubern CH-47F Chinook

 

-- 2. Heeresfliegerregiment (2nci Kara Havacilik Alay) (Malatya Erhaç / Tulga)

--- Karagah ve Kh. Bölüĝü (Malatya Erhaç / Tulga) mit UH-1H und Cesna CeT128T

--- 1 Helikoper Taburu (Malatya Erhaç / Tulga)

---- 1nci Bölük (Malatya Erhaç / Tulga) mit UH-1H

 

---- 2nci Bölük (Malatya Erhaç / Tulga) mit AB205

--- 2 Helikoper Taburu (Malatya Erhaç / Tulga)

---- 1nci Bölük (Malatya Erhaç / Tulga) mit S-70A-28

---- 2nci Bölük (Malatya Erhaç / Tulga) mit S-70A-28

---- Volkan Filo (Malatya Erhaç / Tulga) mit T129A und T-129B

--- Taarruz Helikopter Taburu (Malatya Erhaç / Tulga)

 

-- 3. Heeresfliegerregiment (3nci Kara Havacilik Alay) (Gaziemir bei Izmir)

--- Karagah ve Kh. Bölüĝü (Gaziemir bei Izmir) mit AB205, UH-1H und U-17B

--- Helikopter Taburu (Gaziemir bei Izmir)

---- 1nci Bölük (Gaziemir bei Izmir) mit AS532UL Cougar

---- 2nci Bölük (Gaziemir bei Izmir) mit S-70A-28

---- Arama ve Kurtama Kol (Gaziemir bei Izmir) mit S-70A-28

 

-- 4. Heeresfliegerregiment (4ncü Kara Havacilik Alay) (Samandıra bei Istanbul)

--- Karagah ve Kh. Bölüĝü (Samandıra bei Istanbul) mit UH-1H und U-17B

--- 1 Helikopter Taburu (Samandıra bei Istanbul)

----- 1nci Bölük (Samandıra bei Istanbul) mit UH-1H

---- 2nci Bölük (Samandıra bei Istanbul) mit S-70A-28

--- 2 Helikopter Taburu (Samandıra bei Istanbul)

---- 1nci Bölük (Samandıra bei Istanbul) mit UH-1H

---- 2nci Bölük (Samandıra bei Istanbul) mit S-70A-28

 

-- KTBK Havacilik Birlik Komutanligi - Hava Bölük (Ilker Karter Meydani / Pinarbasi) auf Zypern mit UH-1H und U-17B

 

-- Kurslar Taburu - Aletli Uçus Egitim (Ispara bzw. Suleyman Demirel) mit Cessna CE172S und Cessna CeT182T

 

-- 5. Instandsetzungszentrum (111)

 

Über die genauere Dislozierung der türkischen Heereseinheiten liegen hier keine konkreteren Angaben vor. Ansonsten gelten die „Reise- und Sicherheitshinweise“ des Auswärtigen Amtes:

„Militärsperrgebiete sind nicht immer eindeutig gekennzeichnet und unterliegen Anpassungen. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Verbot für das Betreten und Fotografieren. Reisenden, die beabsichtigen, die entsprechenden Provinzen, in denen Sicherheitszonen und Sperrgebiete ausgewiesen sind, zu bereisen, wird geraten, vor Reiseantritt das für ihren Wohnort zuständige türkische Generalkonsulat oder die türkische Botschaft in Berlin zu kontaktieren, um dort nach der genauen, aktuellen Lage von Sperrgebieten und Sicherheitszonen in der bereisten Region zu fragen. Außerdem ist es empfehlenswert, sich während der Reise tagesaktuell bei der örtlichen Jandarma oder der Polizei nach der Lage dieser Gebiete zu erkundigen. Von Reisen in bestimmte Gebiete im Südosten des Landes wird dringend abgeraten.

Zu beachten ist grundsätzlich, dass bezüglich militärischer oder anderer der Sicherheit dienender Einrichtungen regelmäßig ein Fotografier- bzw. Filmverbot besteht. Das gilt insbesondere für Grenzanlagen. Auch wenn ein solches nicht ausdrücklich kenntlich gemacht ist, sollte im Zweifel eher von Foto- oder Filmaufnahmen absehen werden. Ganz besonders gilt dies in Grenzgebieten. Dort wird zu besonderer Vorsicht geraten.

Weisungen türkischer Sicherheitskräfte ist unbedingt Folge zu leisten. (…)

Es wird darauf hingewiesen, dass gerade im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien das Fotografieren strengstens verboten ist. Dies gilt auch für vermeintlich harmlose Landschaftsaufnahmen.“ (112)

 

-- Waffenausstattung

 

Infanteriewaffen: Das deutsche Sturmgewehr Heckler & Koch G3A7/A7A1 wird seit 2017 durch das MPT-76 und das deutsche HK33E abgelöst. Hinzu kommen die Sturmgewehre AK-47 und AKM Kalaschnikow aus ausgemusterten Beständen der früheren deutschen Nationalen Volksarmee (NVA). Außerdem gehören zur Bewaffnung das deutsche Maschinengewehr Rheinmetall MG3, das in der Türkei in Lizenz nachgebaut wird, und das ex-sowjetische PKM aus den Restbeständen der NVA.

Zur Panzerbekämpfung ist die Infanterie mit verschiedenen PAL ausgestattet: 186 deutsche MBB Cobra, 340 Eryx aus türkischer Lizenzproduktion, 392 deutsch-französische Milan, 365 amerikanische TOW I/II und chinesische Roketsan Umtas und Roketsan CIRIT. Hinzu kommen 4.000 M72 und 80 Kornet E. Außerdem – aus Restbeständen der NVA – über 5.000 Panzerfäuste RPG-7.

Zur Flugabwehr ist das Heer mit zahlreichen Waffensystemen ausgestattet. Dazu gehören u. a. 432 Flugabwehrkanonen 20 mm von Rheinmetall, die in der Türkei in Lizenz produziert werden. Hinzu kommen US-Flugabwehrraketen die von der Schulter aus abgefeuert werden können: 789 amerikanische FIM-43 Redeye und 146 FIM-92A Stinger bzw. die türkischen Lizenzversionen Aselsan Atılgan KMS (1 × 8 Stinger) (70 Stück) und Aselsan Zıpkın KMS (1 × 4 Stinger) (35 Stück) mit Radaranlagen AN/TPQ-36 Firefighter.

Folgende Mörsern sind verfügbar: M19 (60 mm), 3175 M1/M29 (81 mm), 1265 M30 (107 mm) und 785 HY-12DI (120 mm).

Kampfpanzer. Die türkischen Besatzungstruppen in Nordzypern sind noch mit 758 uralten Kampfpanzern M48A5T2 Patton ausgestattet. Das Hauptbewaffnungssystem des Heeres ist der deutsche Kampfpanzer Leopard 2A4 von dem das Heer – nach unterschiedlichen Angaben - 298 bis 344 Stück beschaffte; sie werden durch Aselsan auf den Standard Leopard 2 NG umgerüstet. Hinzu kommen 397 Leopard ITA3/A4, davon entstammen 320 dem Altbestand der Bundeswehr. Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall gründete - zusammen mit BMC - in Ankara das Tochterunternehmen Rheinmetall BMC Defense Industry (RBSS), um zukünftig die „Leos“ vor Ort modernisieren zu können. (113) Um diesen „Deal“ bei der deutschen Bundesregierung durchsetzen zu können, berief Rheinmetall den amtierenden Bundestagsabgeordneten und früheren Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) im Mai 2017 in seinen Aufsichtsrat, damit der in Berlin entsprechende Lobbyarbeit macht. (114) Schon vorher, am 1. Januar 2015, war der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dirk Niebel (FDP) in den Aufsichtsrat berufen worden. (115) Er soll sich auch um die Waffengeschäfte mit dem benachbarten Aserbaidschan protegieren.

Hinzu kommen 170 israelische Sabra und 762 amerikanische M60A1/A3(TTS). Diese US-Panzer sollen durch den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall modernisiert werden; ein entsprechendes Abkommen wurde im Oktober 2018 durch den Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) durchgewunken. Außerdem unterhält das Heer noch circa 758 von einstmals 2.576 uralte M48 A5 Patton. Außerdem beschafft das Heer gerade 250 Kampfpanzer Altay aus eigener Produktion, von denen die ersten Exemplare ausgeliefert wurden. Dabei handelt es sich um eine Variante des südkoreanischen Kampfpanzers K2 Black Panther. Auch hier möchte sich Rheinmetall über seinen türkischen Partner BMC an der Produktion beteiligen. (www.zeit.de/politik/ausland/2017-09/waffenexporte-tuerkei-bundesregierung-gesetzesluecke-studie)

Panzerfahrzeuge: Zu den gepanzerten Fahrzeugen zählen u. a. 250 bis 370 Spähwagen Akrep des türkischen Herstellers Otokar Otobus Karoseri Sanayi AS (Beschaffung eingestellt) und amphibische Spähwagen (4 x 4) Otokar Cobra I/II (4 x 4). Hinzu kommen – nach unterschiedlichen Angaben - 1480 bis 2.248 Schützenpanzer TIFV-ACV 300, die in der Türkei in Lizenz produziert wurden, 468 türkische BMC 350-16 Z Kirpi MRAP, 25 Condor, 400 Nuro Ejder (6 x 6), 2.000 alte amerikanische Mannschaftstransortwagen M-113A1/A2/A3T/TOW verschiedener Versionen. Hinzu kommen 535 sowjetische BTR-80M, davon stammen 300 Stück der früheren Nationalen Volksarmee der DDR und wurden von der BRD geliefert.

Artillerie: Zur Feldartillerie gehören u. a. folgende Feldhaubitzen und Kanonen: amerikanische M-44 (155 mm), M-52T (155 mm), 75 M101 (105 mm), 17 M114 (155 mm), 162 M115 (203 mm) und 6 MTTH Panther (155mm) aus türkischer Produktion. Insgesamt sollen 220 Exemplare beschafft werden.

Außerdem verfügt die Artillerie über 250 Panzerhaubitzen Aselsan T-155 Fırtına (Nachbau der südkoreanischen K9 Thunder), 200 amerikanische M44 A1/T1, 365 Panzerhaubitzen M52/T, 36 M107 (175 mm), 26 M108/T, 219 M119/A2 (aus den Beständen der Bundeswehr und der US Army).

Darüber hinaus setzt das türkische Heer zahlreiche, chinesische Feldraketenwerfer aus türkischer Produktion ein: 48 bis 100 Roketsan T-107 (107 mm), 36 bis 76 Roketsan T-122 Sakarya (122mm), die von einem deutschen Werferfahrzeug MAN 26.372 (6x6) abgefeuert werden, und mindestens 50 bis 80 Roketsan T-300 Kasirga (300 mm), die ebenfalls von einem deutschen Werferfahrzeug MAN 26.372 abgefeuert werden. Dazu J600T Yıldırım, die von Werferfahrzeugen F-600T auf Basis des deutschen MAN 26.372 (6x6) verschossen werden. Hinzu kommen 12 US-Mehrfachraketenwerfer M270 MLRS mit ATACMS.

Zum Pioniergerät gehören 36 deutsche Brückenlegepanzer Leguan und Brückenlegepanzer SAMUR Seyyar Yüzücü Hücum Köprüsü (SYHK), die mit deutscher Beteiligung entwickelt wurden.

Hinzu kommen zahlreiche Fahrzeuge und Lastkraftwagen, die u.a. in Deutschland beschafft wurden: u. a. 380 Daimler-Benz Actros, 140 Daimler-Benz Axor, Daimler-Benz Mercedes NG und ca. 5.500 Daimler-Benz Unimog.

Die Heeresflieger sind mit einem Sammelsurium an Fluggerät ausgestattet, wobei die Angaben in den veröffentlichten Quellen z. T. mit den Beständen der Luftwaffe oder der Grenzpolizei überschneiden! Zum Flugzeugbestand gehören: 4 Beechcraft Super King Air 200, 3 Cessna 421 Golden Eagle, Cessna T182T Skylane, 98 Cessna U-17B bzw. 98 Cessna 185 Skywagon, zahlreiche Schulflugzeuge Bellanca T-7 bzw. American Champion GCBC Citabria 150S, 26 T-41D Mescalero und 4 Beechcraft T-42A Cochis bzw. Baron 95-B55 und türkische TAI Hürkuş.

Hinzu kommen zahlreiche Hubschrauber: 24 bis 37 Bell AH-1P/W (Super-) Cobra, 3 OH-58B Kiowa, 106 Bell UH-1, 3 OH-58 Kiowa, TH-55 Osage, 50 bis 57 Sikorsky S-70B/T-70 Black Hawk (weitere bestellt), 86 UH-60A Black Hawk, 195 UH-1H/N, 2 AB-212, 10 Mehrzweckhubschrauber 40 AS 532UL Cougar, 12 Mehrzweckhubschrauber AB-204B, 64 AB-205A, 28 AB 206 Jet Ranger und 5 oder 6 schwere Transporthubschrauber Boeing-Vertol CH-47F Chinook und 19 ex-sowjetische Mil Mi-17-1V. Hinzu kommen 28 Ausbildungshubschrauber NH-300C. Der Hubschrauber T-129 Atak (Attack and Tactical Reconnaissance Helicopter) ist eine Eigenentwicklung von Turkish Aerospace Industries (TAI) in Zusammenarbeit mit Aselsan und der italienischen Firma AgustaWestland. Er wurde 2014 eingeführt. Mindestens 27 Exemplare sind im Dienst, insgesamt wurden 88 Stück bestellt. Im September 2018 soll der neue Transporthubschrauber TAI T-625 eingeführt werden.

Hinzu kommen verschiedene Drohnen der aufklärenden Artillerie bzw. der Heeresflieger: 12 türkische Anka, 148 Bayraktar Mini des Herstellers Kale-Baykar, 46 Bayraktar Tactical, 4 Malazgirt, eine unbekannte Zahl von CL-89 aus Deutschland, amerikanische Firebee zu Ausbildungszwecken und 22 US-GNAT, sowie israelische Harpy und 10 Heron. (116)

 

- Die türkische Luftwaffe

 

Das Hauptquartier der türkischen Luftwaffe und Luftverteidigungsstreitkräfte (Muharip Hava Kuvveti ve Hava Füze Savunma Komutanlığı) befindet sich in Eskişehir. Es wird seit 2015 von General Abidin Ünal kommandiert.

 

-- Gliederung

 

- Luftkampf- und Luftraketenkommandos (Muharip Hava Kuvveti ve Hava Füze Savunma Komutanlığı) in (Eskişehir)

 

Das Kommando wurde im Rahmen einer Streitkräftereorganisation 2014 geschaffen, als die beiden Taktischen Luftwaffenkommandos (Hava Kuvveti Komutanlığı) in Eskişehir und Diyarbakır zusammengelegt und mit dem 10. Tanker-Basiskommando (10. Tanker Üs Komutanlığı) (Incirlik) sowie dem 14. Kommando für unbemannte Lenkkörpersysteme (14. İnsansız Uçak Sistemleri Ana Üs Komutanlığı) (Batman) und dem 15. Raketenkommando (15. Füze Üs Komutanlığı) (Alemdağ) zusammengelegt wurden.

 

- 1. Luftwaffenbasis (1nci Ana Jet Üs Komutanlığı [1nci AJÜ]) (Eskişehir)

-- 111. Jagdbomber-Staffel „Panther“ (111nci Filo „Panter“) mit F-4E 2020T Terminator (Hierbei handelt es sich um die letzte Einheit mit F-4 Phantom II.)

-- 112. Staffel „Teufel“ (112nci Filo „Şeytan“) (vorübergehend stillgelegt um die F-35A Lightning II aufzunehmen)

-- 113. Aufklärungsstaffel „Gazelle“ oder „Light“ (113 üncü Filo „Ceylan“ oder „Işık) mit F-16C/D Block 30/50/50+TM Fighting Falcon (ausgerüstet mit SNIPER und insgesamt 4 DB-110 (EO/IR) Recon pods) und RF-16C/D mit DB-110

-- 142. Staffel „Gazelle“ (142nci Filo „Ceylan“) (Eskişehir)

-- 401. Test-Staffel (401nci Test Filosu „Rüya“) (Eskişehir) mit F-16C/D Block 30/40TM, F-4E 2020

-- 201. Verbindungs- und SAR-Staffel „Attack“ (201nci İrtibat ve Arama-Kurtarma Filo „Atak“ [201 A&K Filo]) mit spanischen CN235M-100 und AS-532UL Mk.1. Eine der CN235M-100 stürzte am 17. Januar 2018 auf einem Übungsflug bei Hodulluca Mevkii ab.

 

- 3. Luftwaffenbasis (3ncu Ana Jet Üs Komutanlığı [3ncu AJÜ]) (Konya)

-- 131. AEW-Staffel „Drache“ (131nci Filo „Ejder“) mit B-737-7ES bzw. E-7T Peace Eagle AEW&C

-- 132. Aggressor-Feinddarstellungsstaffel „Dolch“ (132nci Filo „Hançer“) mit F-16C/D Block 40/50 Fighting Falcon. (12 F-16 dieser Einheit waren an Luftangriffen im Rahmen der Operation OLIVENZWEIG in Nordsyrien im Januar 2018 beteiligt.)

-- 133. Kunstflug-Staffel „Türkische Sterne“ (133ncu Akrotim Filo „Türk Yıldızları“) mit 8 Northorp NF-5A/B 2000 Freedom Fighter

-- 135. Verbindungs- und SAR-Staffel „Feuer“ (135nci İrtibat ve Arama-Kurtarma Filosu „Ateş“) mit Hubschraubern Eurocopter AS-532AL Mk.1+ Cougar, UH-1H Iroquois und CN235M-100

 

- 6. Luftwaffenbasis (6ncı Ana Jet Üs Komutanlığı [6ncı AJÜ]) (Bandırma)

-- 161. Jagdbomberstaffel „Fledermaus“ (161nci Filo „Yarasa“) mit F-16C/D Block 40TM/50+ Fighting Falcon (Peace Onyx IV) (Die Maschinen sind mit LANTIRN-Geräten [Low-Altitude Navigation and Targeting Infra-red for Night] für Nachtangriffe ausgestattet.)

(Die 162. Jagdstaffel „Harpune“ (162nci Filo „Zıpkın“) wurde mit ihren F-16C/D Block 40TM Fighting Falcon in den letzten Jahren im Rahmen der Reorganisation nach dem gescheiterten Militärputsch aufgelöst.)

-- 6. Luftwaffenbasis SAR Flight (6ncı Ana Jet Üs Komutanlığı Arama-Kurtarma Kolu [6ncı AJÜ A&KK]) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar

 

- 9. Luftwaffenbasis (9ncu Ana Jet Üs Komutanlığı [9ncu AJÜ]) (Balıkesir)

-- 192. Jagdstaffel „Tiger“ (192nci Filo „Kaplan“) mit F-16C/D Block 50 Fighting Falcon

-- 9. Luftwaffenbasis SAR-Flight (9ncu Ana Jet Üs Komutanlığı Arama-Kurtarma Kolu “ [9ncu AJÜ A&KK]) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar

(Die 191. Jagdbomberstaffel „Kobra“ (191nci Filo „Kobra“) mit F-16C/D Block 50 Fighting Falcon wurde kürzlich aufgelöst.)

 

- 5. Luftwaffenbasis (5nci Ana Jet Üs Komutanlığı [5nci AJÜ]) (Merzifon bei Amasya)

-- 151. SEAD-Staffel „Wolf“ oder „Bronze“ (151nci Filo „Kurt“ oder „Tunç“) mit F-16C/D Block 50TM Fighting Falcon (ausgerüstet mit HARM-Raketen zur Bekämpfung gegnerischer Radarstationen)

-- 152. SEAD-Staffel „Räuber“ (152nci Filo „Akıncı“) (von Merzifon nach Incirlik verlegt) mit F-16C/D Block 50 Fighting Falcon

-- 153. Ausbildungsstaffel „Urvater“ (153ncu Filo „Öncel“) mit F-16C/D Block 30/40/50 Fighting Falcon

-- 5. Luftwaffenbasis SAR Flight „Engel“ (5nci Ana Jet Üs Komutanlığı Arama-Kurtarma Kolu „Melek“ [5nci AJÜ A&KK]) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar

 

- 7. Luftwaffenbasis (7nci Ana Jet Üs Komutanlığı [7nci AJÜ]) (Malatya-Erhaç)

-- 171. Staffel „Korsar“ (171nci Filo „Korsan“) (vorübergehend aufgelöst, soll mit F-35A Lightning II ab September/November 2019 neu aufgestellt werden)

-- 172. Staffel „Falke“ (172nci Filo „Şahin“) (vorübergehend aufgelöst, soll mit F-35A Lightning II ab September/November 2019 neu aufgestellt werden)

-- 173. Staffel „Morgendämmerung“ (173ncu Filo „Şafak“) (vorübergehend aufgelöst, soll demnächst mit bewaffneten Drohnen TAI Anka neu aufgestellt werden)

-- 7. Luftwaffenbasis SAR Flight Burak (7nci Ana Jet Üs Komutanlığı Arama-Kurtarma Kolu „Burak“ [7nci AJÜ A&KK]) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar

 

- 8. Luftwaffenbasis (8nci Ana Jet Üs Komutanlığı [8nci AJÜ]) (Diyarbakır)

-- 181. Jagdbomberstaffel „Leopard“ (181nci Filo „Pars“) mit F-16C/D Block 40TM/Block 50+TM Fighting Falcon (Peace Onyx IV) (ausgestattet mit LANTIRN-Anlagen für Nachtangriffe)

-- 182. Jagdstaffel „Habicht“ (182nci Filo „Atmaca“) mit F-16C/D Block 40TM Fighting Falcon

-- 202. Verbindungs- und SAR-Staffel „Ost“ (202nci İrtibat ve Arama-Kurtarma Filosu „Şark“) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar und Transportflugzeugen CN235M-100

 

10. Luftbetankungsbasis (10uncu Tanker Üs Komutanlığı [10uncu TÜK]) (Incirlik)

- 101. Luftbetankungsstaffel „Asena“ (101nci Tanker Filosu „Asena“) mit Tankflugzeugen KC-135R Stratotanker

- 152. Staffel (152nci Filo „Akinci“) mit F-16C/D-30(TM)

- 204. Luftwaffenbasis SAR Flight (204ncu İrtibat ve Arama-Kurtarma Filo [204ncu A&K Filo]) mit Hubschraubern AS-532UL Mk.1+ Cougar

 

11nci HUAÜK (Ankara / Etimesgut)

-- 211. Staffel (211nci Filo „Gegzin“) mit Transport- und Sanitätsflugzeugen CN235M-100

-- 212. Staffel (212nci Özel Filo „Dogan“) mit Hubschraubern UH-1H und Cessna Ce.560, Cessna Ce.650 Gulfstream IV, G550, CN235M-100

-- Aufklärungsstaffel (Genelkurmay Elektronik Sistemler Hava Birligi [GES Hava Birligi]) mit Aufklärern CN235W (ELINT/SIGINT)

 

12. Transportfliegerbasis (12nci Hava Ulaştırma Ana Üs Komutanlığı – 12nci HUAÜ) (Erkilet-Kayseri)

-- 221. Transportstaffel „Breeze“ (221nci Filo „Esen“) mit Airbus A-400M Atlas und Lockheed C-160D Hercules

-- 222. Transportstaffel „Flamme“ (222nci Filo „Alev“) mit Lockheed C-130B/E Hercules

-- 223. Ausbildungsstaffel (223ncu Filo „Kanat“) mit CASA CN235M-100

 

- Meydan Harekat Komutanlığı bzw. 14. İnsansız Uçak Sistemleri Ana Üs Komutanlığı (Batman)

-- 1nci Insansiz Hava Araçları Filo (Batman) mit Drohnen ausgestattet

-- 2nci Ordu IHAS Tabur Kom. „Golge“ (Batman) mit Drohnen der Typen Bayrakter TB2 und Heron 1 (türk. Bez.: Gozcu 1)

-- 3ncu Insansiz Hava Araçları Filo (Batman) mit Drohnen vom Typ Anka

-- IHA Bakim Komutanligi (Batman) zur Drohnenwartung

 

Hinzu kommen 13 Flugplatzkommandos bzw. Ausweichflugplätze (Yedek Meytan): Akhisar, Antalya, Afyon, Ağrı, Batman, Çorlu, Dalaman, Erzurum, Mürted, Muş, Sivas, Sivrihisar, Van und Yalova.

 

- Luftverteidigungskommando (Hava Savunma Komutanlığı)

-- 15. Raketenbasis (15. Füze Üs Komutanlığı) (Alemdağ-Istanbul) mit 8 bis 16 Flugabwehrraketen-Batterien mit 48 MIM-23 Hawk XXI zum Schutz für Istanbul.

Hinzu kommen vier Bataillone mit 92 MIM-14B Nike Hercules. Außerdem zwei Bataillone mit 86 British Aircraft Corporation (BAe) Rapier BIX.

Hinzu kommen die türkisch-chinesischen Flugabwehrraketenpanzer Hisar-A (Hava savunma sistemi - Alçak İrtifa Hava Savunma Füze Sistemi) (Reichweite max. 15 km) und Hisar-O (Hava savunma sistemi - Orta İrtifa Hava Savunma Füze Sistemi) (ca. 25 km).

-- 9 x Luftraumüberwachungs-Radarstationen (Ahlatlıbel-Ankara, Körfez-Kocaeli, Karabelen-Izmir, Çanakkale, Erzurum, Datça-Muğla, Ayancık-Sinop, İskenderun-Hatay und Rize).

Es werden folgende Radaranlagen eingesetzt: 1 amerikanisches AN/FPS-117, AN/TPS-59, 3 HR-3000 Hadr, 2 TRS-2100 Tiger, 9 MPQ-64 Sentinel, 14 TRS-22XX, 4 TRS-2000 und 4 RAT 31DL. Außerdem hat die Türkei ein eigenes Radarsystem, P-STAR, entwickelt.

Obwohl die Türkei Mitglied der NATO (türk. Bez.: Kuzey Atlantik Antlaşması Örgütü oder Kuzey Atlantik Paktı Teşkilatı) ist, bestellte das Land in Russland Flugabwehrraketensysteme vom Typ S-400 zum Preis von 4,5 Milliarden Dollar. Die vier Batterien werden voraussichtlich 2020 geliefert.

 

Luftausbildungskommando (Hava Eğitim Komutanlığı) (İzmir)

 

- 2. Luftwaffenbasis (2nci Ana Jet Üs Komutanlığı – 2nci JÜÜO) (İzmir / Kakliç - Çiğli-West)

-- 121. Ausbildungsstaffel „Biene“ (121nci Tekamül Filosu „Arı“) mit T-38A/M Talon (Fortgeschrittenentraining)

-- 122. Ausbildungsstaffel „Skorpion“ (122nci Temel Filosu „Akrep“) mit T-37B/C und KT-1T (Grundausbildung)

-- 123. Ausbildungsstaffel „Hähnchen“ (123ncu Filo „Palaz“) mit SF-260D (Anfängerschulung)

-- 124. Ausbildungsstaffel „Pionier“ (124ncu Ööretmen-Yetibme Standardize ve Alet Filosu „Öncü“ [?]) (Die Staffel verfügt über keine eigenen Maschinen, sondern leiht sich Fluggerät von anderen Staffeln aus. Sie dient u. a. dem Training im Instrumentenflug.)

-- 125. Ausbildungsstaffel „Panther“ (125nci Nakliye ve SAR Egitim Flosu „Panter“ oder „Azman“) mit Hubschraubern UH-1H Iroquois und AS.532 sowie Transportflugzeugen CN235M-100

 

- Luftwaffenausbildungskommando-Verbindungsstaffel (Hava Eğitim Komutanlığı İrtibat Filosu) (İzmir-Adnan Menderes Airport)

-- 203. SAR-Staffel „Ägäis“ (203ncu Arama Kurtarma Filosu „Ege“) mit CN235M-100

 

- Luftwaffenakademie (Hava Harp Okulu - HvHO) (Istanbul-Yeşilköy Hava Meydani)

-- Ausbildungskorps (Eğitim Kıtaatı)

--- 5nci Filo („Serçe Kol“) (Yalova) mit T-41D Mescalero

--- Rettungseinheit (Arama-Kurtarma Kolu – HvHO A&KK) mit UH-1H Iroquois

--- Yalova Segelflieger-Camp (Yalova Planör Kampı „Marti“) mit polnischen Segelflugzeugen SZD-50-3 Puchacz

 

Luftversorgungskommando (Hava Lojistik Komutanlığı) (Etimesgut-Ankara)

 

- 11. Transportfliegerbasis (11nci Hava Ulaştırma Ana Üs Komutanlığı) (Etimesgut-Ankara)

-- 211. Transportstaffel „Globetrotter“ (211nci Filo „Gezgin“) mit verschiedenen CN235-Varianten, darunter ELINT, EW, MedEvac und VIP

-- 212. Spezialstaffel „Adler“ (212nci Özel Filo „Doğan“) mit Airbus A330, Airbus A319, Cessna Ce. 550 Citation II / Ce. 560 Citation V, Ce. 650 Citation III, Gulfstream G.IV-SP. Hierbei handelt es sich um die VIP-Einheit der Regierung und Kommandostäbe.

 

- 1. Luftversorgungs- und Instandsetzungszentrum (1nci Hava İkmal Bakım Merkezi Komutanlığı) (Eskişehir)

- 2. Luftversorgungs- und Instandsetzungszentrum (2nci Hava İkmal Bakım Merkezi Komutanlığı) (Kayseri)

- 3. Luftversorgungs- und Instandsetzungszentrum (3ncu Hava İkmal Bakım Merkezi Komutanlığı) (Ankara)

Lufttransport-Überwachungskommando (Hava Malzeme Transit Komutanlığı) (İstanbul) (117)

 

-- Waffenausstattung

 

Kampfflugzeuge (Jagdflugzeuge und Jagdbomber): 270 General Dynamics F-16 Fighting Falcon Block 30, 40, 50+ mit türkischem IFF-System (Anschaffung im Rahmen der Peace Onyx Programme I-IV), 52 McDonnell Douglas F-4E Terminator 2020, F-4E (davon 46 Maschinen von der Bundeswehr), 86 Northrop F/NF-5A/B Freedom Fighter, Lockheed Martin F-35A Lightning II (116 Exemplare zum Preis von 10,4 Milliarden Dollar bestellt. Die erste „türkische“ F-35A („AT-01“) hatte am 10. Mai 2018 in Fort Worth (USA) ihren Erstflug. Ein Ausschuss des US-Senats beschloss am 24. Mai 2018 ein National Defense Authorization Act [NDAA], wonach die Auslieferung der F-35 an die Türkei unterbleiben soll.). In der Entwicklung befindet sich das neue türkische Kampfflugzeug der Fünften Generation TAI Milli Muharebe Uçağı (MMU bzw. TF-X).

Tankflugzeuge: 7 Boeing KC-135 Stratotanker

AWACS: 4 Boeing 737-700/MESA

Transportflugzeuge: 13 Lockheed C-130B/E Hercules, 17 deutsche-französische Transall C-160, 40 spanische CASA CN235 (im Rahmen des Meltem II-Programms modernisiert) und mindestens 3 Airbus A400M (insgesamt 10 bestellt).

Ausbildungsflugzeuge (aufgrund der Quellenlage ergeben sich hier Überschneidungen mit den Heeresfliegern): 41 General Dynamics F-16D Fighting Falcon, 66 Northorp T-38A Talon, Cessna T-37 Tweety Bird, 37 italienische Alenia Aermacchi SF-260D, 25 Cessna T-41D Mescalero, türkische TAI Hürkuş und mindestens 40 Korean Aerospace Industries KT-1 Ungbi.

Hubschrauber: verschiedene Typen wie bei den Heeresfliegern: Eurocopter AS 532UL Mk.1 Cougar, Bell UH-1H etc..

Drohnen: amerikanische General Atomics RQ/MQ-1 Predator (Einsatz durch US-Streitkräfte), 18 General Atomics GNAT 750 und I-GNAT ER, AAI Corporation RQ-7 Shadow und 10 israelische IAI Heron 1 („Gozcu 1“). Hinzu kommen verschiedene Drohnen aus einheimischer Produktion: Bayraktar vom Hersteller Kale Baykar Makina, Karayel von Vestel, Anka A (SIGINT-Aufklärer) und Anka B (bewaffnete Kampfdrohne) vom Hersteller Turkish Aerospace Industries (TAI) und Harpy. Die Anka A/B werden im Werk in Mürted hergestellt. Der Erstflug der Anka A fand im März 2018 statt.

Flugabwehrsysteme (s. o.)

Flugzeugbewaffnung:

- Luft-Luft-Raketen: AIM-7E E2/F, AIM-9 Sidewinder, AIM-120 AMRAAM A/B

- Luft-Boden-Raketen: AGM-65A/B/G Maverick, AGM-84 Harpoon (zur Schiffsbekämpfung), AGM-84K SLAM-ER, AGM-88 HARM (Zur Bekämpfung von Radaranlagen), AGM-114K Hellfire (zur Panzerbekämpfung), AGM-119 Penguin, GM-142 Popeye I/II, Sea Skua,

- Marschflugkörper: SOM

- Bomben: französische BLU-07 Durandal, amerikanische GBU-8B Paveway I/II, GBU-12 Paveway II und türkische Nüfuz Edici Bomba (NEB)

 

- Die türkische Marine

 

Die Türkei grenzt im Norden an das Schwarze Meer und im Westen und Süden an das Mittelmeer. Entsprechend sind ihre schwimmenden Verbände auf zwei Regionalkommandos verteilt. Im Bedarfsfall können die Schiffe von einem Bereich in den anderen Bereich verlegt werden.

 

-- Stoßrichtung Schwarzes Meer und Marmarameer

 

Das Regionalkommando Nord hat sein Hauptquartier in Istanbul.

Ihm nachgeordnet sind die beiden Unterkommandos für die Straße von Istanbul und für die Çanakkale-Straße

Es verfügt über folgende Kriegshäfen: Bartın, Çanakkale, Erdek, Ereğli, Gölcük, Istanbul, Samsun und Trabzon.

- Überwasserkampfgruppe (Harp Filosu Komutanlığı) (Gölcük Marinestützpunkt bei Kocaeli)

- Sturmflotte (Hücumbot Filosu Komutanlığı) (Gölcük)

- U-Boot-Kommando (Denizaltı Filosu Komutanlığı) (Gölcük)

- Marine Versorgungszentrum (Deniz İkmal Merkezi Komutanlığı) (Gölcük)

- Tactics Development, Doctrine and Analysis Center Command (Taktik Geliştirme Doktrin ve Analiz Merkezi Komutanlığı) (Gölcük)

- Versorgungsschiff-Kommando (Lojistik Destek Gemileri Komodorluğu) (Gölcük)

 

- U-Boot-Kommando (Bartın)

 

- Schnellbootkommando (Istanbul)

 

- Minenkampfgruppe (Erdek Marinestützpunkt bei Balıkesir):

-- 1. Minensucher- und Minenleger Flottille (1. Arama Tarama Filotillası Komodorluğu)

Minenjagdboote der Aydın-Klasse: TCG Alanya (M-265), TCG Amasra (M-266), TCG Ayvalık (M-267) und TCG Akçakoca (M-268)

Minenleger der S-Klasse: TCG Silifke (M-514), TCG Saros (M-515), TCG Sığacık (M-516), TCG Sapanca (M-517) und TCG Sarıyer (M-518)

-- 2. Minensucher- und Minenleger Flotille (2. Arama Tarama Filotillası Komodorluğu)

Minenjäger der Engin-Klasse: TCG Edincik (M-260), TCG Edremit (M-261), TCG Enez (M-262), TCG Erdek (M-263) und TCG Erdemli (M-264)

Minensucher der F-Klasse: TCG Fethiye (M-501), TCG Fatsa (M-502) und TCG Finike (M-503)

-- Minenkampfführungs-Unterstützungszentrum (Mayın Harbi Destek Merkezi Komutanlığı).

 

- Nachschubkommando (Gölcük Marinestützpunkt bei Kocaeli)

 

-- Stoßrichtung Mittelmeer

 

Das Regionalkommando Süd mit Sitz in Izmir ist die Marineinfanterie unterstellt. Außerdem verfügt es über die Begleitboot- und Wachboot-Flotilla. Das Kommando unterhält folgende Marinestützpunkte (Deniz Üssü): Aksaz, Antalya, Bartın, Erdek, Foça, Gölcük, İskenderun, Izmir und Mersin.

- Marineinfanterie: Die Marineinfanterie ist dem Regionalkommando Süd der Marine unterstellt. Die Marineinfanteriebrigade (Amfibi Deniz Piyade Tugayı) ist in Foça stationiert. Die Brigade umfasst – nach unterschiedlichen Angaben – 3.100 bis 4.500 Mann und gliedert sich in drei Landungsbataillone, von denen eines in Izmir stationiert ist, ein Panzerbataillon, ein Artilleriebataillon, ein Nachschubbataillon und mehrere Einheiten in Kompaniestärke. Dem Kommando sind verschiedene Landungsschiffe unterstellt.

- Das Marine-Ausbildungszentrum in Iskenderun beherbergt die 1. Matrosen Ausbildungsbrigade (1ci Deniz Er Eğitim Alayı). Ein weiteres Ausbildungsbataillon ist in Izmir stationiert.

 

-- Schiffsbestand der Marine

 

Die Schiffe der türkischen Marine tragen das Nationalkürzel „TCG“.

 

--- Fregatten:

 

---- Miligem-Klasse (F-100-Klasse): 4 Miligem Fregatten in der Beschaffung. Das erste Schiff befindet sich seit dem 19 Januar 2017 im Bau und soll 2021 in Dienst gehen.

---- Gabya-Klasse (ex Oliver-Hazard-Perry-Klasse): F-490 Gaziantep, F-491 Giresun, F-492 Gemlik, F-493 Gelibolu, F-494 Gökçeada, F-495 Gediz, F-496 Gökova, F-497 Göksu.

Technische Daten: 135,6 × 13,7 × 8,5 m, 4100 t, 20 kn / 4500 sm, Geschwindigkeit: 30 kn. Diese Schiffe wurden modernisiert durch Einbau des Systems „Genesis" und einer Mk 41 VLS-Abschussanlage. Sie haben einen Hubschrauber AB-212 Sea Hawk eingeschifft:

---- Yavuz-Klasse (vier Einheiten des deutschen Typs MEKO 200 TN von Blohm & Voss bzw. HDW): F-240 Yavuz, F-241 Turgut Reis, F-242 Fatih, F-243 Yıldırım.

Technische Daten: 115,5 × 14,2 × 4,1 m, 2919 t, Reichweite: 18 kn / 4100 sm - Geschwindigkeit: 27 kn. Die Schiffe haben einen Hubschrauber AB-212 Sea Hawk an Bord. Sie werden derzeit modernisiert.

---- Barbaros-Klasse (vier Einheiten des deutschen Typs MEKO 200 TN): F-244 Barbaros, F-245 Oruçreis, F-246 Salihreis und F-247 Kemalreis.

Technische Daten: 118 × 14,8 × 4,3 m, 3380 t, Reichweite: 18 kn / 4100 sm - Geschwindigkeit: 32 kn. Die Boote haben einen Hubschrauber AB-212 Sea Hawk eingeschifft. Sie werden derzeit durch Einbau einer Flugkörper-Abschussanlage Mk 41 VLS modernisiert.

--- Tepe/Muavaenet-Klasse (amerikanische Knox-Klasse): eins von ehemals acht Schiffen zur U-Boot-Bekämpfung noch im Dienst

 

--- Korvetten:

 

---- Milgem-Klasse: F-511 Heybeliada und F-512 Büyükada; weitere sechs Schiffe (F-513 Burgazada, F-514 Kinaliada, etc.) geplant.

Technische Daten: 99,5 × 14,4 × 3,9 m, 2300 t, Geschwindigkeit: 29+ kn.

Die Schiffe der Milgem-Klasse sind die ersten Korvetten, die die Türkei in Eigenregie baut. Das Typschiff F-511 Heybeliada wurde am 27. September 2011 in Dienst gestellt. Ihr folgte 2012/13 die F-512 Büjükada.

---- Burak-Klasse: F-500 Bozcaada, F-501 Bodrum, F-502 Bandırma, F-503 Beykoz, F-504 Bartın und F-505 Bafra. Es handelt sich um Korvetten der früheren D’Estienne-d’Orves-Klasse A69 aus dem Bestand der französischen Kriegsmarine.

Technische Daten: 80,52 × 10,2 × 3,42 m, 1325 t, Geschwindigkeit: 23 kn.

 

--- Torpedo-Schnellboote

 

---- Kartal-Klasse (deutsche Jaguar-Klasse): P-321 Denizkuşu, P-323 Şahin, P-326 Pelikan und P-327 Albatros. Die Boote wurden möglicherweise mittlerweile ausgemustert.

Technische Daten: 42,5 × 7 × 2,4) m, 190 t, Reichweite: 40 kn / 1500 sm, Geschwindigkeit: 42 kn.

 

--- Flugkörper-Schnellboote:

 

---- Kılıç I-Klasse/ Kılıç II-Klasse (deutsche Lürssen-CM62-Typ) : von den neun beschafften Booten (P-330 Kiliç, P-331 Kalkan, P-332 Mızrak, P-333 Tufan, P-334 Meltem, P-335 İmbat, P-336 Zipkın, P-337 Atak und P-338 Bora) sind noch acht im Einsatz.

Technische Daten: 62,4 × 8,6 × 2,82 m, 548 t, Reichweite: 30 kn / 1050 sm - Geschwindigkeit: 39,7 kn. Von den neun Einheiten wurden sieben in der Türkei gebaut.

---- Doğan-Klasse (deutsche ex-Lürssen-57-Klasse): P-340 Doğan, P-341 Martı, P-342 Tayfun und P 343 Volkan.

Technische Daten: 58,10 × 7,62 × 2,74 m, 436 t, Reichweite: 30 kn / 1050 sm, Geschwindigkeit: 38 kn. Von den vier Einheiten wurden drei in der Türkei gebaut.

---- Rüzgar-Klasse: P-344 Rüzgar (ausgemustert?), P-345 Poyraz, P-346 Gurbet und P-347 Fırtına.

Technische Daten: 57,84 × 7,62 × 2,68 m, 410 t, 41 kn. Alle Schiffe wurden in der Türkei produziert.

---- Yıldız-Klasse: P-348 Yıldiz und P-349 Karayel.

Technische Daten: 57,8 × 7,6 × 2,7 m, 433 t, Reichweite: 30 kn / 1050 sm - Geschwindigkeit: 38 kn. Beide Einheiten in der Türkei gebaut.

 

--- Patrouillenboote:

 

---- Tuzla-Klasse: P-1200 Tuzla, P-1201 Karaburun, P-1202 Köyceğiz, P-1203 Kumkale, P-1204 Tarsus, P-1205 Karrabiga, P-1206 Karşıyaka, P-1207 Tekirdağ, -1208 Kaş, P-1209 Kilimli, P-1210 Türkeli, P-1211 Taşucu, P-1212 Karataş, P-1213 Karpaz, P-1214 Karadeniz Ereğli, P-1215 Kuşadası

Technische Daten: 56,70 × 8,9 m, 400 t, Geschwindigkeit: 22 kn.

---- Kozlu-Klasse (K-Klasse aus Deutschland): P-301 Kozlu, P-302 Kusadasi, P-307 Karamürsel, P-308 Kerempe und P-309 Kilimli

Technische Daten: 47,3 × 8,6 m, 362 t, Geschwindigkeit: 15 kn.

 

--- Amphibische Boote:

 

---- „Amphibisches Angriffsschiff“:

 

Das amphibische Angriffsschiff LHD Anadolu hat ein Flachdeck mit Sky-Jump-Schanze. Es basiert auf dem spanischen Entwurf der „Juan Carlos I“. Das Schiff beherbergt 6 Kampfflugzeuge F-35B Lightning II, 4 Hubschrauber Atak, 8 Transporthubschrauber Aérospatiale AS 332, zwei Sikorsky S-70B-28 Seahawk und zwei Aufklärungsdrohnen TAI Anka oder Bayraktar. Die Schiffe werden von der Sedef-Werft gebaut. Das erste der sechs geplanten Schiffe soll 2019 in Dienst gestellt werden.

 

---- Landungsschiff (LPD):

 

----- Levent-Klasse. Die Levent, gebaut von Aselsan seit 2014 im Einsatz.

Technische Daten: 171,66 x 27,00 x 55,0 m, 13.500t, 20,5 kn, 6.000 nm. Ausgestattet mit Operationszentrale für amphibische Operationen und Flachdeck im Heckbereich. Zuladung: 4 LCMs oder 2 LCACs, 805 Soldaten, 3 Hubschrauber

 

---- Landungsschiffe (LST):

 

----- L-401 Ertuğrul

Technische Daten: 117,1 × 16,8 × 5,2 m, 5800 t, 15 kn. Folgende Zuladung: 395 Soldaten, 3 LCVP, 1 LCPL, 2200 t Fracht, Hubschrauber (möglicherweise mittlerweile ausgemustert)

----- NL-123 Sarucabey (möglicherweise mittlerweile ausgemustert)

----- NL-124 Karamürselbey

Technische Daten: 92 × 14 × 2,3 m, 2600 t, Geschwindigkeit: 14 kn. Zuladung: 600 Soldaten, 11 Panzer und 2 LCVP, Hubschrauber.

----- NL-125 Osman Gazi

Technische Daten: 105 × 16 × 2,3 m, 3773 t, 15 kn / 4000 sm - Geschwindigkeit: 17 kn. Zuladung: 900 Soldaten, 15 Panzer und 4 LCVP

 

---- Landungsboote:

 

----- Landing Craft Tank (LCT) Fast-Klasse: vier Einheiten

Technische Daten: 73,23 x 12,16 x 1,68 m, 805 t, über 20 kn

----- Ç-117-Klasse bzw. 120/130/140/150 Klasse (24 Einheiten davon 15 Einheiten aus dem Bestand der US Navy):

Ç-120, Ç-123, Ç-125, Ç-126, Ç-127, Ç-128,

Ç-132, Ç-133, Ç-134, Ç-135, Ç-137, Ç-138, Ç-139,

Ç-140, Ç-141, Ç-142, Ç-143, Ç-144, Ç-145, Ç-146, Ç-147, Ç-148, Ç-149,

Ç-150, Ç-151, Ç-152, Ç-153, Ç-154, Ç-155, Ç-156, Ç-1507, Ç-158

(bei der 150-Klasse ist unklar, welche Boote sich z. Zt. im Dienst befinden.

Technische Daten: 56,5 × 11,5 × 3,2 m, 600 t, 10 kn.

----- 151-Klasse (8 Einheiten):

Technische Daten: 79,85 × 11,7 × 2,5 m, 1155 t, 20 kn. Alle acht Einheiten 2012/13 in der Türkei gebaut.

----- Ç-302-Klasse bzw. 310/320 Klasse: Ç-305, Ç-308, Ç-312, Ç-314, Ç-316, Ç-321, Ç-322, Ç-323, Ç-324, Ç-325, Ç-327, Ç-329, Ç-330, Ç-331

Technische Daten: 22,4 × 6,4 × 2,5 m, 113 t, 9,5 kn.

----- Ç-139-Klasse: 13 Einheiten

----- Ç-107-Klasse: 12 Einheiten

 

---- U-Boote:

 

----- U-Boot-Klasse 214: Sechs Boote des Typs U-214TN des deutschen Unternehmens ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) wurden 2002, 2007 sowie 2009 bestellt. Die Murat Reis hat im Februar 2018 ihre Erprobungs aufgenommen, die beiden folgenden Boote (Piri Reis und Hizir Reis) befinden sich auf der heimischen Gölcük-Werft im Bau. Dazu übernahm die deutsche Bundesregierung 2011 eine Exportgarantie in Höhe von 2,5 Milliarden Euro.

----- Atılay-Klasse (deutsche Klasse 209): S-347 Atılay, S-348 Saldıray (ausgemustert?), S-349 Batıray, S-350 Yildıray, S-351 Doğanay und S-352 Dolunay.

Technische Daten: 61,2 × 6,2 × 5,5 m, ü. Wasser: 980 t, getaucht: 1185 t, ü. Wasser 8 kn / 7500 sm, 11 kn ü. Wasser / 22 kn getaucht. Die Boote werden modernisiert.

----- Preveze-Klasse (deutsche Klasse 209): S-353 Preveze, S-354 Sakarya, S-355 „18 Mart“ und S-356 Anafartalar.

Technische Daten: 62 × 6,2 × 5,5 m, ü. Wasser: 1454 t, getaucht: 1586 t, ü. Wasser 8 kn / 8200 sm, 15 kn ü. Wasser /21,5 kn getaucht.

----- Gür-Klasse: S-357 Gür, S-358 Çanakkale, S-359 Burak Reis und S-360 Birinci Inönü.

Technische Daten: 62 × 6,2 × 5,8 m, ü. Wasser: 1454 t, getaucht: 1586 t, 11 kn ü. Wasser / 21 kn getaucht

 

---- Minenkampfschiffe:

 

----- Engin-/Edincik-Klasse (ex-französische Circe-Klasse): (5 Einheiten)

Technische Daten: 50,9 × 8,9 × 3,4 m, 510 t, 12 kn / 3000 sm - Geschwindigkeit: 15 kn.

----- Aydin-Klasse (ex-französische Circe-Klasse): (6 Einheiten)

Technische Daten: 54,5 × 9,66 × 2,6 m, 657,2 t, 10 kn / 2400 sm - Geschwindigkeit: 14,2 kn.

 

---- Minensuchboote:

 

----- Felenk-Klasse: (3 Einheiten)

Technische Daten: 34 × 7,1 × 2,4 m, 235 t, 13 kn.

----- Seydi-Klasse: (5 Einheiten)

Technische Daten: 43 × 8 × 2,6 m, 370 t, 14 kn:

 

---- Minenräumer:

 

----- S-Klasse: M-514 Silifke, M-515 Saror, M-516 Sigacik, M-517 Sapanca, M-518 Sariyer

Technische Daten: 43 x 8 x 2,6 m, 370 t, 14 kn

----- F-Klasse: M-500 Foca, M-501 Fethiye, M-502 Fatsa und M-263 Finike

Technische Daten: 34 x 7,1 x 2,4 m, 235 t, 13 kn

 

---- Minenleger:

 

----- Samandira-Klasse (amerikanischer Typ aus den fünfziger Jahren, gebaut Anfang der siebziger Jahre): 2 Einheiten noch im Einsatz (u.a. MSS Samandira)

------ MTB-Klasse (britischer Typ): 6 Einheiten aus den siebziger Jahren noch im Einsatz

 

--- Versorgungs- und Hilfsschiffe:

 

(insgesamt 36 Einheiten, davon sechs aus dem Bestand der Bundesmarine)

 

--- Schulschiffe:

 

----- A-577 Sokullu Mehmet Paşa (ex „A-69 Donau“ der Bundesmarine)

--- A-579 Cezayirli Gazi Hasan Paşa (ex-Rhein-Klasse Typ 401, von der Bundesmarine übernommen)

Technische Daten: 98,2 × 11,8 × 4,4 m, 2940 t, 20,5 kn.

 

---- Schulungsboote:

 

----- E-Klasse: Insgesamt acht Einheiten (von der Bundesmarine übernommen): E-1 (A-1531), E-2 (A-1532), E-3 (A-1533 ), E-4 (A-1534), E-5 (A-1535), E-6 (A-1536), E-7 (A-1537), E-8 (A-1538)

Technische Daten: 28,8 × 6 × 1 m, lehr 85 t, voll 97 t, 12 kn.

 

---- Kraftstoffversorgungschiffe:

 

----- SNR-FRT 19800: (eine Einheit)

Technische Daten: 145 x 21,6 x 8,6 m, 19.400 t, 14-16 kn.

----- SNR-FRT2500: (eine Einheit)

Technische Daten: 78,8 x 14 x 5 m, 3.800 t, über 14 kn.

----- A-580 Akar

Technische Daten: 145,1 × 22,8 × 8,4 m, 19.350 t, 15 kn.

----- A-595 Yüzbaşi Kudret Güngör

Technische Daten: 145,1 × 22,8 × 8,4 m, 19.350 t, 15 kn (baugleich wie A-580, möglicherweise mittlerweile ausgemustert)

----- A-570 Taşkizak

Technische Daten: 64,60 × 9,40 × 4,09 m, 1480 t, 12 kn.

----- A-571 Albay Hakki Burak

Technische Daten: 64,60 × 9,40 × 4,09 m, 1480 t, 12 kn (baugleich wie A-570)

----- A-572 Yüzbaşi İhsan Tulunay

Technische Daten: 81,3 × 12,2 × 5 m, 3200 t, 15 kn.

----- A-573 Bnb. Sadettin Gürcan (anscheinend mittlerweile ausgemustert)

Technische Daten: 89,7 × 11,8 × 5,4 m, 4460 t.

 

---- Transportschiff:

 

------ A-1600 İskenderun

Technische Daten: 127,59 × 19,41 × 5,37 m, 7948 t, 15,5 kn; in der Türkei gebaut; dieses Ro-Ro-Transportschiff kann 214 Autos oder 1200 Soldaten transportieren.

------ A-592 Karadeniz Ereğli

(Technische Daten: 50,7 x 8 x 2,8 m, 820 t, 10 kn.

 

---- Wasserversorgungsschiffe:

 

(Sögüt-Klasse, vormals drei Einheiten, möglicherweise ausgemustert)

Technische Daten: 44,1 × 7,8 × 2,5 m, 626 t, 9,5 kn.

 

---- Schlepper:

 

----- A-950 Inebolu (amerikanische Powhatan-Klasse)

----- Almaz-Klasse: A-586 Akbaş

----- Tenace-Klasse: A-576 Değirmendere

----- Darica

----- Önder-Klasse: A-1540 Önder, A-1541 Öncü, A-1542 Özgev, A-1543 Ödev und A-1544 Özgür

----- Aksaz

 

---- Netzleger:

 

---- AĞ-5 (bzw. P-305)

Technische Daten: 53 x 10,7 x 4,1 m, 960 t, 12 kn.

----- AĞ-6 (bzw. P-306)

Technische Daten: 50,3 x 10,1 x 3 m, 855 t, 12,8 kn.

 

---- U-Boot-Hilfsschiff:

 

----- Alemdar-Klasse: A-585 Akin und A-582 Alemdar (letzteres ausgemustert?)

Technische Daten: 76,7 × 13,4 × 4,9 m, 2321 t, 15 kn.

 

---- Hilfsschiff:

 

----- A-589 Işin

Technische Daten: 65,1 × 12,5 × 4 m, 1970 t, 14,8 kn.

 

---- Forschungsschiff:

 

----- Deney-Klasse (amerikanische Adjutant-Klasse): Y-90 Deney

Technische Daten: 44,5 × 8,3, 402 t, 1200 PS, 14 kn, Besatzung: 15.

 

---- Hydrographie-Schiffe:

 

----- Çeşme-Klasse (amerikanische Bent-Klasse): A-599 Çeşme und A-588 Çandarlı

Technische Daten: 87 × 14,6 × 4,6 m, 2550 t, 15 kn, Besatzung: 37.

----- Çubuklu-Klasse: A-594 Çubuklu.

Technische Daten: 40,5 × 9,6 × 3,2 m, 643 t, 1000 PS, 11 kn, Besatzung: 32.

----- Mesaha-Klasse: Y-35 Mesaha-1 und Y-36 Mesaha-2

 

In zunehmende Maße setzt die Marine auf die Beschaffung von Schiffen aus heimischer (Lizenz-)Produktion. Für die Rüstungsindustrie ist das Unterstaatssekretariat für Verteidigungsindustrie (Savunma Sanayii Müsteşarlığı - SSM) unter Leitung von İsmail Demir in Ankara-Çankaya (Devlet Mahallesi Süleyman Emin Caddesi No. 6-7) zuständig. Wichtige Werften sind Dearsan (Istanbul), Gölcük (Kocaeli), Pendik und Sedef (= Muschel) in Istanbul. Mehrere Werften gehören zur Holding von Mustafa Vehbi Koç. Dieser gehört zu den Kritikern des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, so dass letzterer versuchte, Aufträge an der Koç Holding A.Ş. (weltweit 85.000 Mitarbeitern, Jahresumsatz ca.43 Milliarden US-Dollar [2008]) vorbei zu vergeben. Am 21. Januar 2016 verstarb Koç auf einer Dienstreise an einem Herzinfarkt. Der Mischkonzern wird heute von Ömer Koç geleitet. Wie Erdoğan am 6. Mai 2018 bekanntgab, ist sein Ziel die militärtechnische Autarkie: „Das Ziel der Türkei ist es, zu 100 Prozent indigene Land-, Luft- und Seeverteidigungssysteme zu haben.“ (118)

 

-- Marineflieger

 

Das Hauptquartier der Marineflieger (Türk Deniz Hava Komutanlığı) befindet sich auf dem Cengiz Topel Marinefliegerhorst (Cengiz Topel Deniz Hava Üssü) bei Käseköy in der Provinz Kocaeli.

Die Marineflieger besitzen folgdende Gliederung:

-- 301nci Filo Marti (Topel) mit acht Patrouillenflugzeugen (6 CASA CN235M-100 MPA und 2 Alenia Aermacchi ATR 72-600 TMUA/TMPA)

-- 302. Filo (Muğla / Dalaman) mit CN235M-100 MPA

-- 351nci Filo Yengeç (Topel) mit 35 Hubschraubern (24 Sikorsky S-70B Sea Hawk und 11 Agusta Bell AB-212AS EW/ASW)

-- 351nci Filo Detachment (Marmaris / Aksaz) mit Sikorsky S-70B

-- 351nci Filo Detachment (Muğla / Dalaman) mit Sikorsky S-70B

-- 352nci Filo (Topel) mit 7 Sikorsky S-70B-28

-- 352nci Filo Detachment (Muğla / Dalaman) mit Sikorsky S-70B

-- 352nci Filo Detachment (Marmaris / Aksaz) mit Sikorsky S-70B

-- Deniz Hava Grup. Kom. (Çanakkale) mit S-70B

-- IHA Filo (?) (Topel) mit Drohnen vom Typ Anka

-- Zwei Ausbildungsbataillone sind in Istanbul bzw. in Sarıyer stationiert. Als Schulflugzeuge werden die TB-20 eingesetzt.

 

Sechs der Hubschrauber sind in Bartın stationiert, ein fester Hubschrauberlandeplatz befindet sich außerdem in Istanbul

 

- Militärpolizei

 

Die Feldjägertruppe ist die Askeri İnzibat (AS.İZ). Sie ist für die Aufrechterhaltung der Sicherheit innerhalb des Militärs, die Bewachung von Offizieren in Kriegszeiten und die Verfolgung von Fahnenflüchtigen zuständig. Zur Militärpolizei werden nur ausgewählte Soldaten berufen. Es ist nicht möglich, durch das Losverfahren zum Dienst bei der Militärpolizei beordert zu werden.

 

- Sondereinheiten

 

Die militärischen Spezialeinheiten unterstehen einem eigenen Kommando, dem „Oberkommando der Spezialeinheiten“ (Özel Kuvvetler Komutanlığı – ÖKK) (frühere Bezeichnungen: Tactical Mobilisation Group, ab 1965 Abteilung für besondere Kriegführung bzw. Özel Harp Dairesi – ÖHD). Die ÖKK war/ist der türkische Arm der „Gladio“-Stay-Behind-Truppe der NATO und rekrutiert(e) sich z. T. aus den Reihen der faschistischen „Grauen Wölfe“. Die Sondereinheiten werden zur Aufstandsbekämpfung in den Kurdengebieten eingesetzt und sind daher auch als „Konterguerilla“ (Türk Kontergerillasi) für ihren „schmutzigen Krieg“ bekannt: Gefangennahme, Folterung und Ermordung von Aufständischen, Gefangennahme, Folterung und Ermordung von missliebigen türkischen Offizieren (General Talat Turhan, Major Cem Ersever), Falschflaggenoperationen durch agent provocateurs, Terroranschläge und alle anderen Methoden des Staatsterrorismus (devlet-terör). Grundlage dieser Operationen sind einschlägig bekannten „Field manuals“ der US Army, wie z. B. „FM 31-16 Counterguerilla Operations“ (119) oder entsprechende Studien der CIA, wie z. B. „Counterinsurgency Warfare: Theory and Practice“ von David Galuga (1964), das auf Veranlassung des türkischen Generalstabs ein Jahr später ins Türkische übersetzt wurde: „Ayaklanmaları Bastırma Hareketleri Teori ve Tatbikatı“ (120 Seiten). (120)

Kommandeur der OKK ist seit 2013 Generalleutnant Zekai Aksakallı, der an der Niederschlagung des Putschversuches von 2016 beteiligt war und heute die Operation Fırat Kalkanı Harekâtı (dt. „SCHUTZSCHILD EUPHRAT“) in Syrien leitet. (121) Da die Sondereinheiten neben Heer, Luftwaffe und Marine quasi eine eigene Teilstreitkraft bilden, erhalten sie ihre Befehle direkt vom Generalstab in Ankara. Die beiden maritimen Spezialeinheiten sind im Kommando der Kampfschwimmer Deniz zusammengefasst.

 

-- Bordo bereliler

 

Die Bordo bereliler (dt.: Bordeauxrote Barettträger) wurden 1952 gegründet. Ihr derzeitiger Kommandeur ist Brigadegeneral Ahmet Ercan Çorbcı. Die Truppe hat nominale Korpsstärke und gliedert sich in fünf Brigaden. Die Spezialausbildung dauert etwa dreieinhalb Jahre. Zur Ausbildung gehört ein Gewaltmarsch von 100 km mit 40 kg Gepäck. Zur Ausbildung gehör auch der so genannten „Vertrauensschuss“:

„The Trust Shot (in Turkish "Güven Atışı") is a part of the MB's training program. It is exercised on the last month of the training and is to ensure that the soldiers can trust each other with their lives. The Trust Shot consists of two members of a squad standing next to paper target boards, while another member fires on the targets with a handgun while walking towards them from 15 m (49 ft) away. During the exercise the men standing next to the targets are not allowed to move or wear body armor. They are one of the few special operations teams in the world to perform the trust shot.“ (122)

Die Waffenausstattung ähnelt der anderer Spezialeinheiten. Ein Teil der Waffen stammt von Heckler & Koch (HK) aus Deutschland: Pistole HK USP (= Universale Selbstladepistole), Sturmgewehr HK416, Maschinenpistole HK MP5 und MP7A1. Zu den Scharfschützengewehren gehört u. a. das deutsche HK MSG-90 und das JNG-90 Bora des türkischen Herstellers Makina ve Kimya Endüstrisi Kurumu (MKEK).

Zur Ausstattung der Sondereinheiten gehört auch eine Hubschrauber-Sonderstaffel.

Die Sondereinheiten werden i. d. R. als Stoßtrupp eingesetzt, denen dann die regulären Streitkräfte und die Jandarma folgt. Am 21. Februar 2008 wurde die Truppe im Rahmen der Operation SUN im Nordirak gegen irakische Kurden eingesetzt. Nach massiver Kritik, u. a. von Seiten der USA, wurde der Einsatz beendet.

Im August 2016 wurde die Truppe im Rahmen der Operation SCHUTZSCHILD EUPHRAT gegen kurdische Verbände (DKF, YPG) eingesetzt. Im Januar 2018 im Rahmen der Operation OLIVENZWEIG.

 

-- SAT

 

Die Unterwasser Angriffsgruppe (Sualtı Taarruz Grup Komutanlığı - SAT): Zu ihrem Aufgabenspektrum gehören Aufklärung, Kommandounternehmen, Terrorbekämpfung und Personenschutz. Diese Sondereinheit ist triphibisch ausgebildet, so dass ihre Mitglieder beispielsweise mit dem Fallschirm aus großer Höhe (HAHO und HALO) abgesetzt werden können.

 

-- SAS

 

Unterwasser Verteidigungsgruppe (Sualtı Savunma Grup Komutanlığı - SAS). Sie besteht vor allem aus Minentauchern.

 

-- Kommandos

 

Hinzu kommen mehrere Niederlassungen landgestützter oder maritimer Kommandos. (123)

 

Die maritimen Sondereinheiten sind mit verschiedenen Waffensystemen aus Deutschland ausgerüstet, dazu zählen die Maschinenpistole H&K MP5, das Sturmgewehr HK33, das Maschinengewehr MG-3 und das Scharfschützengewehr PSG-1. Außerdem besitzen sie mehrere sowjetische Waffensysteme aus den Restbeständen der Nationalen Volksarmee (NVA): Sturmgewehre AK-47 Kalaschnikow, Scharfschützengewehre SVD und Panzerabwehrwaffen AT-4. Zur Bootsausstattung gehören natürlich verschiedene Zodiacs etc.. Außerdem nutzen die Kommandoeinheiten auch die Hubschrauber der Marineflieger: UH-60 Blackhawk und AS 90.

 

- Paramilitärische Truppen

 

-- Jandarma

 

Die paramilitärische Grenzpolizei Jandarma Genel Komutanlığı (Jandarma, dt.: „Generalkommandantur der Gendarmerie“) untersteht in Friedenszeiten dem Innenministerium (Türkiye Cumhuriyeti İçişleri Bakanlığı) in Ankara, wird aber im Kriegsfall dem Generalstab unterstellt. Als Innenminister amtiert derzeit Süleyman Soylu. Die Jandarma wird seit dem 21. August 2017 von General Arif Çetin kommandiert. Die paramilitärische Polizei umfasst – nach unterschiedlichen Angaben - 180.000 bis 276.000 Bedienstete.

Die Jandarma ist gemäß dem Gesetz Nr. 2803 für die Innere Sicherheit zuständig und zugleich Grenz- sowie Landpolizei. Seit 1984 wird sie insbesondere zur Kurdenbekämpfung eingesetzt.

Die Grenz- bzw. Landpolizei gliedert sich in Einheiten für die Innere Sicherheit und in Grenzeinheiten. Dazu kommen Versorgungs- und Unterstützungseinheiten. Die Jandarma ist mit schätzungsweise 3.600 Polizeistationen fast im ganzen Land präsent, daneben verfügt sie auch über mobile Infanteriebrigaden. Zur Jandarma gehören auch die Spezialeinheiten Jandarma Özel Harekat (JÖH) mit drei Kompanien und die Anti-Terror-Einheit Jandarma Özel Asayiş Komutanlığı (JÖAK). Beide Einheiten sind auch mit Waffen aus deutscher Produktion ausgerüstet: H&K MP5A3 und MP5K. Nach unbestätigten Meldungen sollen in den Reihen der JÖH auch ehemalige Dschihadisten des „Islamischen Staates“ kämpfen, die sich jetzt „Esedullah Team“ nennen.

Waffenausstattung der Jandarma:

Zur Bewaffnung der paramilitärischen Polizeitruppe gehören u. a. deutsche Maschinenpistolen H&K MP5, Sturmgewehre H&K G3 und HK33A4, Maschinengewehre HK23E und Rheinmetall MG3 sowie Granatwerfer H&K 69A1.

Zur Ausrüstung der Jandarma gehören 1.475 Fahrzeuge, darunter 200 Kripi, 200 Cobra I, 250 Otokar ZPT, 124 amerikanische Cadillac Gage Commando V-150S und 60 US-Dragoon, 323 bis 530 Mannschaftstransportwagen BTR-60PB und BTR-80 aus sowjetischer Herstellung und 25 deutsche Thyssen-Henschel Condor. Hinzu kommen 47 finnische Schneekettenfahrzeuge N-140BT.

 

Außerdem verfügt die Grenzpolizei über eine eigene Fliegertruppe (Türk Jandarma Havaçilik Komutanligi) mit 59 Hubschraubern. Die Fliegertruppe gliedert sich folgendermaßen:

 

-- Ankara Jandarma Hava Grup Komutanlığı (Ankara)

--- Karargah Kitaati-Staffel (Ankara) mit ex-sowjetischen Mil Mi-17-1V VIP-Transporthubschraubern und Cessna Ce 680

--- Jandarma Havacilik Okul Komutanlığı (Ankara) mit Hubschraubern AB205 und S-70A

--- 1nci Filo (Ankara) mit Hubschraubern S-70A-17

--- 2nci Filo (Ankara) mit Hubschraubern Mi-17-1V

--- IHA Filo (Elazig) mit Drohnen Bayraktar TB2/TB2S

--- IKU (Elazig) mit Aufklärungsflugzeugen Beechcraft 350ISR King Air

--- Avci-Staffel (Elazig) mit Kampfhubschraubern drei T129B Atak (seit April 2018 im Aufbau)

 

-- Aydin Jandarma Hava Grup Komutanlığı (Aydin)

--- Jandarma Helikopter Filo Komutanlığı Aydin (Aydin) mit Hubschraubern AB205 und S-70A

 

-- 7nci Kolordu Jandarma Hava Grup Komutanlığı Diyarbakır (Diyarbakır)

--- 1nci Filo (Diyarbakır) mit S-70A

--- 2nci Filo (Diyarbakır) mit AB205 und S-70A

 

-- Van Jandarma Hava Grup Komutanlığı (Van)

--- Jandarma Helikopter Filo Komutanlığı Van (Van) mit AB205, S-70 A und Mi-17-1V.

 

Insgesamt verfügt die Fliegertruppe über 27 bis 36 amerikanische Mehrzweckhubschrauber Sikorsky S-70A, 6 bis 13 Bell 205A UH-1H Huey, 10 Agusta-Bell AB.206A Jet-Ranger, ca. 1 Bell 212 und 18 oder 19 sowjetische Mehrzweckhubschrauber Mil Mi-17-1V. Im Januar 2018 wurde der erste von 18 Kampfhubschraubern T129B Atak ausgeliefert. Hinzu kommen angeblich auch noch kleine Aufklärungsflugzeuge O-1E Bird Dog und 2 deutsche Transportflugzeuge Dornier Do-28D2. Außerdem verfügt die Jandarma über 12 Drohnen Bayraktar TB2. (Aufgrund der Quellenlage ergeben sich hier Überschneidungen mit den Heeresfliegern.)

 

-- Küstenwache

 

Die Küstenwache (Sahil Güvenlik Hava Komutanlığı)) wurde 1982 gegründet und untersteht in Friedenszeiten dem Innenministerium. Ihr Kommandeur ist z. Zt. Hakan Ustem. Sie verfügt – nach unterschiedlichen Angaben - über 2.200 bis 3.250 Mann, darunter ca. 1.400 Wehrpflichtige. Die Küstenwache gliedert sich in mehrere Kommandobereiche: Antalya, Istanbul, Izmir, Marmaris und Mersin. Sie ist mit über hundert kleineren Patrouillenbooten, darunter vier SAR-Rettungsschiffen, und mehreren Hubschraubern ausgestattet. Zu ihren aktuellen Aufgaben gehört u. a. die Überwachung der rund 8.333 km langen Küstenlinie, die Fischereikontrolle und die Flüchtlingsbekämpfung.

 

-- Fliegertruppe der Küstenwache:

 

-- Sahil Güvenlik Antalya Hava Grup Komutanligi (Antalya)

--- Sahil Güvenik Teskilati (Ankara)

--- Sabit Kanat Filosu mit 3 CN235M-100 (MSA) (Izmir – Adnan Menderes) (Im Rahmen des Meltem-II-Modernisierungsprogramms ab 2013 geliefert.)

 

-- Sahil Güvenlik Izmir Hava Grup Komutanligi (Izmir/ Gazeimir)

--- Helikopter Filosu mit A109A-II und AB412EP

 

-- Sahil Güvenlik Samsun Hava Grup Komutanligi (Samsun)

--- Helikopter Filosu mit AB412EP

 

- Polizei

 

Die zivile Polizei, die so genannte „Generaldirektion für Sicherheit“ (Emniyet [Teskilati] Genel Müdürlüğü bzw. Polis), untersteht dem Innenministerium. Sie umfasst unter Leitung von Selami Altınok rund 230.000 bis 270.000 Beamte, von der Bevölkerung verächtlich als „aynasız bezeichnet. Ihr Hauptsitz befindet sich in Ankara-Çankaya (Dikmen Caddesi No. 89).

Die Polizei gliedert sich in die Kriminalpolizei und die Schutzpolizei. Zur Polizeiorganisationen gehören auch die Bereitschaftspolizei (Çevik Kuvvet), die Verkehrspolizei mit ihren Motorradstaffeln (Martılar, Yunuslar und Şahinler), die Polizeifliegertruppe (Emniyet Genel Müdürlügü Havacilik Dairesi Baskanligi), die Wasserschutzpolizei, die Anti-Terroreinheit Özel Harekât Dairesi und die Personenschutztruppe Karşı Atak Timi.

 

-- Dezernate

 

Die Kriminalpolizei gliedert sich u. a. in rund 30 Dezernate, z. B.:

Kommandokontrolle (Ana Komuta Kontrol Merkezi Dairesi Başkanlığı) zur Datenerfassung, Datenverarbeitung (Bilgi İşlem Dairesi Başkanlığı), Kommunikation (Haberleşme Dairesi Başkanlığı), Sicherheit (Güvenlik Dairesi Başkanlığı) zur Überwachung der Opposition, von NGOs und Gewerkschaften etc., Organisierte Kriminalität (Kaçakçılık ve Organize Suçlarla Mücadele Dairesi Başkanlığı), Kriminaltechnik (Kriminal Polis Labaratuvarları Dairesi Başkanlığı), Strategieentwicklung (Strateji Geliştirme Dairesi Başkanlığı), Terrorabwehr (Terörle Mücadele Dairesi Başkanlığı), Dezernat für Sondereinsätze der türkischen Polizei (Özel Harekat Dairesi Başkanlığı) (Ankara-Gölbaşı), Personenschutz (Koruma Dairesi Başkanlığı), Interne Ermittlungen (İstihbarat Dairesi Başkanlığı), Ausländer, Grenzen und Asyl (Yabancılar Hudut İltica Dairesi Başkanlığı), Internationale Zusammenarbeit (Dışilişkiler Dairesi Başkanlığı) etc..

 

-- Bereitschaftspolizei (Çevik Kuvvet)

 

Die Bereitschaftspolizei Çevik Kuvvet (dt.: „schnelle Truppe“) wurde 1982 als Nachfolgeorganisation der „Gesellschaftspolizei“ (Toplum Polisi) gegründet. Sie ist u. a. mit Otokar Akrep (= Skorpion) und Wasserwerfern TOMA ausgestattet. Die Bereitschaftspolizei wurde u. a. 2013 zur Unterdrückung der oppositionellen Protestaktionen eingesetzt.

 

-- Der Generaldirektion der polizeilichen Fliegertruppe (Emniyet Genel Müdürlügü Havacilik Dairesi Başkanlığı) ist wie folgt gegliedert:

 

--- Adana Havacilik Sube Müdürlügü (Adana / Sakirpasa)

--- Ankara Havacilik Sube Müdürlügü (Ankara / Esenboga) mit Bell 429 und Beechcraft 350i Super King Air.

--- Gölbasi Havacilik Sube Müdürlügü (Ankara / Ufuk – Danisment Polis Heliportu Gölbaşi) mit McDonnell Douglas MD600N Notar und Sikorsky S-70A-17

--- Polis Akademisi (Ankara / Ufuk – Danisment Polis Heliportu Gölbaşi) mit Bell 206L-3

--- Başkanlığı (Ankara / Ufuk – Danisment Polis Heliportu Gölbaşi) mit drei VIP-Hubschraubern Sikorsky S-92A

--- Antalya Havacilik Sube Müdürlügü (Antalya) Mit MD600N Notar

--- Diyarbakır Havacilik Sube Müdürlügü (Diyarbakır) mit S-70A-17

--- Istanbul Havacilik Sube Müdürlügü (İstanbul Atatürk Havalimanı) mit MD600N Notar

--- Izmir Havacilik Sube Müdürlügü (Izmir / Adnan Menderes) mit MD600N Notar

 

-- Polis Özel Harekât Dairesi (PÖH)

 

Bei der Kriminalpolizei gibt es zwei Dezernate zur Terrorbekämpfung bzw. Sondereinsätze: Terörle Mücadele Dairesi Başkanlığı) bzw. Özel Harekat Dairesi Başkanlığı.

Die Anti-Terror-Einheit Polis Özel Harekât Dairesi wurde 1983 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Ankara. Sie wird derzeit von Selami Türker kommandiert.

Die Einsatztruppe gliedert sich u.a. in die Direktion für Spezialeinsätze, dieser unterstehen die Unterabteilungen für Ausbildung, Personal, Unterstützung, Operationsplanung sowie Operationsauswertung. In jeder der 48 Provinzen existiert vor Ort eine Einsatzgruppe (Polis Özel Harekât Timleri – Özel Tim [dt.: Sonderteam]). Außerdem gibt es eine Sondereinheit in Nordzypern mit 44 Mann.

Sie ist bewaffnet wie andere Anti-Terror-Einheiten. Zu ihrer Ausrüstung stammen auch verschiedenen Waffen aus Deutschland: Maschinenpistolen HK MP5 sowie Sturmgewehre HK 416 (Bundeswehr-Bezeichnung: G38) und HK 417. Das HK 416 wird in der Türkei von Makina ve Kimya Endüstrisi Kurumu (MKEK) unter der Bezeichnung Mehmetçik-1 in Lizenz produziert.

 

-- Polis Karşı Atak Timi

 

Bei der Kriminalpolizei gibt es ein Dezernat für Personenschutz: Koruma Dairesi Başkanlığı. Die Personenschutztruppe Polis Karşı Atak Timi ist auch unter der englischen Bezeichnung „Police Counter Attak Team“ (CAT) bekannt. Sie wurde in den siebziger Jahren als Anti-Terror-Einheit gegründet; heute nimmt sie die Funktion des Personenschutzes für den Staatspräsidenten und hohe Minister wahr. Sie hat natürlich ihren Hauptsitz in der Landeshauptstadt Ankara. Ihre genaue Stärke ist nicht bekannt. Zu ihrer Bewaffnung gehören auch deutsche Systeme: Maschinenpistolen HK MP5 und Gewehre HK 416.

 

-- Territorialorganisation

 

Die Territorialorganisation der Polizei gliedert sich in die jeweiligen Direktorate der insgesamt 81 Provinzen (= Müdürlük), 751 städtische Direktorate, 22 Grenzpolizeidirektorate und 842 Polizeistationen (= Amirlik bzw. kleinere Polizeiwachen [Karakol?]).

Zur Ausstattung der Polizei gehören Pistolen der Typen Yavuz 16 und Sarsılmaz Kılınç 2000, deutsche Maschinenpistolen HK MP5, Gewehre FN Herstal 303 aus Belgien und südafrikanische Granatwerfer Milkor MGL, verschiedene Fahrzeugtypen (Otokar Akrep, Otokar Cobra, Nuro Ejder (6 x 6), BMC Kirpi, Wasserwerfer Toplumsal Olaylara Müdahale Arac (TOMA, dt. „Fahrzeug zur Intervention bei gesellschaftlichen (sozialen) Ereignissen“) und Otokar Ural). Hinzu kommen Drohnen TAI Anka und Bayraktar.

Die Ausbildung dauert mindestens zwei Jahre.

 

- Nachrichtendienste

 

-- Inlandsgeheimdienst KDGM

 

Der Inlandsgeheimdienst untersteht dem Innenministerium und trägt die Bezeichnung Kamu Düzeni ve Güvenliği Müsteşarlığıas (KDGM – dt.: „Unterstaatssekretariat für Öffentliche Sicherheit und Ordnung“). Er hat sein Hauptquartier in Ankara-Çankaya. Der Dienst wird seit dem 5. September 2017 durch Prof. Dr. Lütfihak Alpkan geleitet. Zu seinen Aufgaben gehört insbesondere die „Terrorismusbekämpfung“:

 

-- Nachrichtendienst der Polizei

 

Die Polizei verfügt über ein eigenes Sicherheitsdezernat, dabei handelt es sich um den Güvenlik Dairesi Başkanlığı (dt.: „Sicherheitsdirektion“). Sie trägt seit 1974 diese Bezeichnung.

Der Dienst gliedert sich in zehn Abteilungen:

Kamu Güvenliği Şube Müdürlüğü, (Abteilung für öffentliche Sicherheit), Çevik Kuvvet Şube Müdürlüğü (Verbindungsstelle der Bereitschaftspolizei), Güvenlik Soruşturma Şube Müdürlüğü (Abteilung für Sicherheitsermittlungen), Fikri Mülkiyet Hakları ve Basın Şube Müdürlüğü (Presseabteilung), Spor Güvenliği Şube Müdürlüğü (Sportabteilung), İnsan Kaynakları Şube Müdürlüğü (Personalabteilung), Strateji Geliştirme ve Destek Şube Müdürlüğü (Strategieentwicklung und Unterstützungsaufgaben), Eğitim Şube Müdürlüğü (Ausbildung), Öğrenci Faaliyetleri Şube Müdürlüğü (Überwachung von Studentenaktivitäten) und Meclis Talepleri Değerlendirme Şube Müdürlüğü (Ausschuss für parlamentarische Anfragen).

Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 wird die Polizei personell aufgestockt und mittlerweile auch mit schweren Waffen ausgestattet, um ein Gegengewicht zu den Streitkräften zu schaffen.

 

-- JİTEM

 

Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele (JİTEM, dt.: „Geheimdienst und Terrorabwehr der Gendarmerie“) ist ein „informeller“ Geheimdienst der Grenztruppe Jandarma, der offiziell nicht existiert und der zum so genannten „tiefen Staat“ in der Türkei gehört. Er ist auch unter der Bezeichnung Jandarma İstihbarat Teşkilatı (JİT, dt.: „Geheimdienst-Organisation der Gendarmerie“) bekannt. Der Dienst ist für zahllose Verstöße gegen die Menschenrechte (İnsan hakları) (Entführung, „Verschwindenlassen“, Folter, Mord etc.) bekannt geworden. Die Opfer waren Politiker, Journalisten, Bauern, Handwerker etc., deren Leichen irgendwo verscharrt oder gar in Brunnen geworfen wurden, um das Wasser zu verseuchen. Die JİTEM unterhielt Kontakte zur Organisierten Kriminalität, aber auch zur damaligen PKK selbst. Im Rahmen des „schmutzigen Krieges“ wurde die PKK angeblich zum Teil durch die türkischen Nachrichtendienste finanziert. Zahlreiche Gefangene aus der PKK wurden in der Haft umgedreht und betätigten sich als „Kronzeugen“ (itirafçı) oder agent provocateur.

Die Mitarbeiter der JİTEM benutzten oft Fahrzeuge vom Typ Renault „Toro“, deswegen wurde sie auch als die „weißen Toros“ bezeichnet.

Angeblich wurde die JITEM mittlerweile aufgelöst bzw. operiert unter einem anderen Namen weiter. (124)

 

-- Millî İstihbarat Teşkilatı (MİT)

 

Der nationale Nachrichtendienst Millî İstihbarat Teşkilatı (MİT) wurde am 22. Juli 1965 als Nachfolgeorganisation für den Milli Amele Hizmet (MAH) gegründet. Er wird seit dem 9. März 2015 von dem Staatssekretär (müsteşar) Hakan Fidan geführt, dem sechs Stellvertreter nachgeordnet sind. Hakan Fidan betätigt sich zugleich als Wirtschaftsmogul im türkischen Yandaş-Patronagesystem. Insgesamt verfügt der Dienst über 8.000 hauptamtliche Mitarbeiter und ist damit größer als der deutsche BND. In den neunziger Jahren betrug der Anteil der (ex-)Militärangehörigen -- noch über ein Drittel, heutzutage liegt er bei unter 5 Prozent. Durch diese personellen Veränderungen konnte auch der Einfluss bzw. die Abhängigkeit von der amerikanischen CIA zurückgedrängt werden. Der Jahresetat beträgt über eine Milliarde Dollar. Das Hauptquartier des MİT befindet sich in Ankara.

Der MİT wurde 2009, 2012 und 2016 reorganisiert. Er gliedert sich jetzt in sechs Hauptabteilungen: Strategiz Analiz Başkanlığı (Startegisches Aufklärungsrektorat), İstihbarata Karşı Koyma Başkanlığı (Spionageabwehr Rektorat, seit 2009 eine eigene Hauptabteilung), Dış Operasyonlar Başkanlığı (Rektorat für Auslandoperationen), Güvenlik İstihbaratı Başkanlığı (Sicherheitsdienst für Anti-Terror-Operationen etc.), Elektronik ve Teknik İstihbarat Başkanlığı (Rektorat für Elektronik und Technik) und Sinyal İstihbaratı Başkanlığı (SIGINT Rektorat, seit 2012 vom Militärgeheimdienst übernommen). Der Dienst betreibt verschiedene Abhörstationen entlang der türkischen Grenze, u. a. auf dem Berg Aqra bei Kasab. Außerdem hat der MİT ein eigenes Trainingszentrum (MITEM), dem auch ein Forschungszentrum (ISAMER) unterstellt ist. Die Westeuropazentrale des MİT soll sich in Den Haag (Niederlande) befinden.

Seit 2017 ist der MİT direkt dem Staatspräsidenten unterstellt. Er ist sowohl für die Inlandsüberwachung, die Auslandsaufklärung als auch für die Militärspionage zuständig. Er führt „schwarze Listen“ über Militärangehörige, Polizeibeamte, Justizbedienstete, Lehrer und politische Oppositionelle. Zur Durchführung ihrer „Sonderoperationen“ bedient sich der Geheimdienst der militärischen oder paramilitärischen Spezialeinheiten wie z. B. Özel Kuvvetler Komutanlığı (ÖKK). Über die Verbindungen des Geheimdienstes zur türkischen (Drogen-)Mafia liegen hier keine Informationen vor.

Der MİT konkurriert mit dem Sicherheitsdienst der Polizei und dem militärischen Geheimdienst. Im März 2011 übernahm der MİT vom Militärgeheimdienst die Leitung der türkischen SIGINT-Aktivitäten (Genelkurmay Elektronik Sistemler – GES oder GESKOM). Dieses stützt sich u. a. auf drei spanische CASA CN-235-100M-Flugzeuge der Luftwaffe mit MILSUS-2U ELINT/SIGINT-Pods. Möglicherweise strebt der MİT auch die Beschaffung eines neuen Aufklärungsschiffes an, als Nachfolge für die A-590 Yunus (vormals „A-50 Alster“ der Bundesmarine), die 2000 ausgemustert wurde. (125)

Bei seinen SIGINT-Aktivitäten arbeitet der MİT eng mit der amerikanischen National Security Agency (NSA) zusammen. Der Special Collection Service der NSA unterhält auf türkischem Boden Abhörstationen in Istanbul und Ankara. Zur amerikanisch-türkischen Zusammenarbeit wurde die Combined Intelligence Fusion Cell gebildet. Außerdem betreibt die NSA in Ankara die Special US Liaison Activity Turkey (SUSLAG). Die bilaterale Zusammenarbeit zielte insbesondere auf die Bekämpfung der KGK. Außerdem forschten die Amerikaner in den letzten Jahren die türkische Regierung und ihre Absichten aus. Dazu verabschiedete die USA einen „Turkish Surge Project Plan“. Zu insgesamt dreizehn Themenfeldern sollen die US-Nachrichtendienste Informationen beschaffen.

Zur Ausrüstung des Nachrichtendienstes gehört auch eine Flotte von Sikorsky S-70 Transporthubschraubern und Drohnen.

 

--- Spionageaktivitäten gegen Deutschland

 

Seit 1961 warb die Bundesrepublik „Gastarbeiter“ aus der Türkei an. Heutzutage leben hierzulande rund 2,8 Millionen Migranten mit türkischer Abstammung, dass ist rund die Hälfte der Arbeitsimmigranten in der BRD. Außerdem besteht traditionell eine enge Zusammenarbeit des MİT mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). So betrieb der BND zumindest in der Vergangenheit Legal-Residenturen in Ankara und Istanbul und eine Abhörstation in Samsun. In den letzten Jahren versuchte der MİT den BND zu instrumentalisieren, um an Informationen über die türkisch-kurdische Exilgemeinde in Deutschland zu gelangen. Der BND sollte auf die Bundesregierung entsprechend einwirken.

Spätestens seit den siebziger Jahren ist bekannt, dass die türkische Regierung ihre Landsleute im Ausland durch eine Vielzahl von Agenten überwachen lässt. Bereits am 28. März 1983 berichtete der „Spiegel“ über eine enge „Zusammenarbeit“ der deutschen christlich-liberalen Regierungsbehörden, insbesondere der damaligen „Vorprüfgruppe A“ des BND beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bamf) in Zirndorf, mit der türkischen faschistischen Junta:

„Vieles deutet darauf hin, dass aufgrund enger Kooperation zwischen Sicherheitskräften in Bonn und Ankara Erkenntnisse von Bundesbehörden über türkische Oppositionelle an die Militärregierung gelangen. Wer an die Türkei ausgeliefert wird, muss damit rechnen, dass ihm dort vorgehalten wird, was er zur Begründung seines Antrags auf Gewährung politischen Asyls in der Bundesrepublik angegeben hat. (…) Gerade die Asylakten seien „den betroffenen Regierungen und ihren Diensten fast nahtlos bekannt“. Im Fall der Türkei etwa gebe es ein zwischen deutschen und türkischen Diplomaten ausgehandeltes Verfahren, wonach eine „Tabuliste“ mit den Namen von Personen und Gruppierungen geführt werde und „Nachrichtenaustausch“ vereinbart sei.“

In der Bundesrepublik sind derzeit rund 500 MİT -Agenten aktiv, die über 6.000 Spione bzw. Zuträger führen. (126) Das sind mehr Spione als die Zahl der Stasi-Agenten in Westdeutschland in den Zeiten des Kalten Krieges. (127)

So nutzt der MİT das Netzwerk der Moscheen des staatlichen Religionsverbandes Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği - DİTİB) mit Sitz in Köln-Ehrenfeld als Front- und Propagandaorganisation. Der Verein betreibt im Bundesgebiet über 970 Moscheevereine. Zu seinen Aufgaben gehören die Ausforschung deutscher Politiker, (128) die Ausspähung der im deutschen Exil lebenden Kurden und die Überwachung der in Deutschland lebenden Türken insbesondere Anhänger der Oppositionsparteien. Im März 2017 wurde bekannt, dass u. a. 300 Personen und 200 Organisation überwacht werden, die der MİT der Bewegung von Mohammed Fethullah Gülen zuordnet. Überwachungsmaßnahmen wurden u. a. aus Bergneustadt, Betzdorf, Duisburg, Engelskirchen, Fürthen und Monheim gemeldet. (129) Am 6. Dezember 2017 stellte der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen 19 DİTİB-„Geistliche“ wegen des „Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“ für das türkische Generalkonsulat in Hürth bei Köln (Luxemburger Str. 285) ein. (130) Nach wie vor erlaubt die Bundesregierung die Einreise von DİTİB-Imamen. Allein 2017 waren es 350 Geistliche. Darüber hinaus erhält der Religionsverband staatliche, finanzielle Unterstützung durch die Bundesregierung (2016: 3,27 Mio. Euro; 2017: 1,47 Mio. Euro). (131)

Auch die deutschen Sicherheitsbehörden wurden z. T. vom MİT infiltriert. Dazu nutzte der Dienst die amtlich bestellten Dolmetscher. So nahm die hessische Polizei 2016/17 eine eigene Hauptkommissarin türkischer Abstammung, Döndü Y…., in Wiesbaden unter Spionageverdacht fest. Die Verdächtige war eine von vier Migrationsbeauftragte der Polizei in Westhessen. Zu ihren polizeilichen Aufgaben hatte sie vor ihrer Enttarnung erklärt:

„Integration ist für mich auch gleichzeitig Partizipation. Ich lebe in einem Land, nehme am gesellschaftlichen Leben teil und ich bin auch ein Teil der Gesellschaft. Dazu gehört, sich an Gesetze und Normen zu halten und offen zu sein, sich nicht zu isolieren. Ob man dabei ein Kopftuch trägt oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Die Offenheit, darauf kommt es an.“ (132)

Sie stand u. a. in Verbindung mit den türkischen Generalkonsulaten in Frankfurt und Mainz und konnte im Rahmen einer „erweiterten Sicherheitsüberprüfung“ enttarnt werden. (133) Wie die Tageszeitung „Die Welt“ berichtete, soll das Landesamt für Verfassungsschutz versucht haben, eine Enttarnung der Beamtin zu verhindern:

„Die Chefs des hessischen Verfassungsschutzes, Robert Schäfer, und des Landeskriminalamtes, Sabine Thurau, sollen laut Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind, Druck auf die Geheimschutzbeauftragte ausgeübt haben, die negative Einschätzung zu revidieren.“ (134)

Mehrere MİT-Agenten bewarben sich auf Stellenausschreibungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), konnten aber rechtzeitig enttarnt werden. (135)

Trotz der hohen Zahl türkischer Agenten weigern sich die deutschen Sicherheitsbehörden gegen die türkischen Agenten vorzugehen. Nur in seltenen Fällen wird gegen Türken ermittelt:

- Ein krasser Fall trug sich im April 1990 zu, als man tatsächlich einmal gegen 15 MİT -Agenten, die in den türkischen (General-)Konsulaten angesiedelt waren, vorging. Sie hatten die in der BRD lebenden Kurden und Türken ausgespäht und erpresst. Allerdings konnten die Agenten nicht verurteilt werden, da die vom Verfassungsschutz vorlegten Abhörprotokolle vom Bundesgerichtshof (BGH) nicht als Beweismittel zulassen wurden, da sie unter Verletzung der „völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Immunität von Konsularbeamten“ zustande gekommen waren. Als Vergeltungsaktion wies die türkische Regierung acht BND-Agenten aus der Türkei aus.

- Der „Führungsoffizier“ Muhammad Taha G. aus Istanbul sowie seine beiden Zuträger Göksel G. (Bad Dürkheim) und Ahmet Duran Y. (Wuppertal), die die Kurdenszene und türkische Oppositionelle in der BRD ausgespäht haben sollen, wurden am 17. Dezember 2014 festgenommen. Anfang September 2015 begann der Prozess vor dem 1. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz unter dem Vorsitzenden Richter Lothar Mille. (136) Die drei Angeklagten wurden gegen Zahlung einer Kaution freigesprochen. (137)

- Der MİT-Agent Mehmet Fatih S…., der sich als TV-Journalist tarnte, wurde am 15. Dezember 2016 in Hamburg festgenommen und im Oktober 2017 wegen Spionage für den türkischen Geheimdienst zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Er soll u. a. ein Mordkomplott gegen den kurdischen Exilpolitiker Yüksel Koç in Bremen geschmiedet haben. (138 Mehmet Fatih S…. wurde möglicherweise von der MİT-Dependance in der Ukraine geführt.

- Anfang Juli 2017 wurde in Hamburg der MİT-Agent Mustafa K…… festgenommen. Er war auf die Kurdin Cansu Özdemir, Vorsitzende der Links-Partei im Hamburger Landtag, angesetzt. (139)

- Schlagzeilen machte auch der Fall des deutsch-türkischen Fußballers kurdischer Abstammung Deniz Naki (ex-Bayer 04 Leverkusen, ex-FC St. Pauli). Als er am 7. Januar 2018 auf der Autobahn von Aachen nach Köln unterwegs war, wurde sein Auto auf der Höhe von Düren zweimal beschossen. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. (140)

Bedenklich ist auch, dass Asylbewerber aus der Türkei im Juni 2018 in ihrer Flüchtlingsunterkunft ausgerechnet Wahlwerbung der regierenden AKP erhielten, in der sie zur Wahl von Erdoğan aufgefordert wurden. Hier stellt sich die Frage, ob deutsche Behörden die aktuellen Adressen türkischer Asylbewerber an die türkischen Sicherheitsdienste hemmungslos weitergeben. (141)

Die türkische Politik hat unmittelbaren Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland. So kam es in den letzten Jahren zu gewalttätigen Resonanzen zwischen in der Bundesrepublik lebenden Türken und Kurden, zwischen Dschihadisten und Jesiden sowie zwischen links- und rechtsgerichteten Türken. Aiußerdem gab es in den letzten Jahren eine Zunahme an Anschlägen auf die (MİT-)DİTİB-Moscheen. Die Ausmaße der MİT-Aktivitäten in Deutschland wurden lange Zeit durch die Parteien CDU/CSU und SPD heruntergespielt, (142) beschäftigten zuletzt aber auch den Geheimdienstausschuss des Deutschen Bundestages. Mittlerweile ist das deutsch-türkische Verhältnis soweit eingetrübt, dass Angela Merkel nicht nur in Griechenland, sondern auch von den Türken mit Adolf Hitler verwechselt wird, obwohl Adolf Hitler gar keinen Hosenanzug trug. (143)

 

-- Militärgeheimdienst

 

Der türkische Militärgeheimdienst ist dem Generalstab (Genelkurmay Başkanlığı - GENKUR) bzw. dessen Generaldirektion für Sicherheit (Emniyet Genel Müdürlüğü) in Ankara direkt unterstellt. Er trägt die Bezeichnung İstihbarat Başkanlığı (İDB). Der Dienst hat sein Hauptquartier in Ankara-Çankaya. Er wurde von August 2007 bis 2011 von Generalleutnant İsmail Hakkı Pekin geleitet. Als dieser im Strudel der Energekon-Ermittlungen 2011 bis August 2013 in U-Haft genommen wurde, übernahm der damalige Generalleutnant Yaşar Güler für zwei Jahre die Leitung. Seit 2013 wird der Geheimdienst von Generalleutnant Mustafa Özsoy geführt.

Der Militärgeheimdienst verfügt über einen Aufklärungssatelliten Göktürk 2, der am 18. Dezember 2012 von Jiuquan (VC China) aus gestartet worden war und für eine Lebensdauer von ca. 5 Jahren ausgelegt war. Der Satellit ist mit einem Solarzellenausleger des deutschen Herstellers SpaceTech (Immenstaad) ausgestattet. Im Dezember 2016 folgte Göktürk 1.

 

- Zivilschutz

 

Der Zivilschutz ist der Polizei zugeordnet. Diese unterhält ein spezielles Dezernat: Sivil Savunma Uzmanlığı.

 

D) Die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte

 

- Beziehungen zu Griechenland

 

Nach dem Untergang des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg nutzte Griechenland die Gelegenheit, um die Westtürkei zu besetzen. Dagegen führte die Türkei 1919-1923 einen Unabhängigkeitskrieg (Kurtuluş Savaşı), der über 30.000 Todesopfer auf türkischer Seite forderte aber schließlich siegreich endete. Seitdem ist das bilaterale Verhältnis dauerhaft zerstört.

Im Lausanner Vertrag vom 24. Juli 1923 einigten sich Griechenland und die Türkei unter dem Druck der Siegermächte des Ersten Weltkrieges auf eine neue Grenzziehung: Ostthrakien fiel an die Türkei, ebenso die Region Izmir, demgegenüber wurde Westthrakien Griechenland zu geschlagen. Fast alle Inseln in der Ägäis und die dort befindlichen Bodenschätze wurden Griechenland zugesprochen. Damit nutze der Vertrag die Religionszugehörigkeit als Kriterium für die nationale Zugehörigkeit und damit für die Umsiedlung der türkischen bzw. griechischen Bevölkerungsgruppen, die im „falschen“ Gebiet lebten. Dazu hatten sich beide Regierungen bereits am 30. Januar 1923 auf eine Konvention zum Bevölkerungsaustausch geeinigt: 1,2 Millionen anatolische Griechen und 400.000 Muslime in Griechenland wurden damals zwangsumgesiedelt. Es war die erste, völkerrechtlich sanktionierte „ethnische Säuberung“.

Bis heute wird die damalige Grenzziehung – zumindest von den Türken – in Frage gestellt. So erhebt die türkische Regierung Territorialansprüche auf gleich 132 griechische Inseln. Während Griechenland einen nationalen Luftraum mit einer Breite von 16 km östlich der eigenen Küstenlinie beansprucht, erkennt die Türkei nur eine Breite von 10 km an, so dass es wiederholt zu (Luft-)Zwischenfällen zwischen beiden Ländern kam.

Zu einer ernsten Krise kam es 1955: Am 6. September 1955 verübte ein türkisches Sonderkommando einen Anschlag auf das Geburtshaus des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal alias „Atatürk“ im griechischen Thessaloniki. Die Schäden am Gebäude blieben gering, jedoch war die Resonanz innerhalb der türkischen Bevölkerung gewaltig. Der Anschlag war eine Inszenierung der damaligen Regierung von Adnan Menderes, der damit von seinen innen- und wirtschaftspolitischen Problemen ablenken wollte. Daraufhin kam es in der Nacht vom 6. Auf den 7. September 1955 in Istanbul und anderen Städten zu einem scheinbar spontanen Pogrom gegen Griechen, Armeniern, Christen und Juden. Bei dieser „türkischen Kristallnacht“ starben etwas ein Dutzend Menschen, mehr als 400 wurden verletzt. Die „Berliner Zeitung“ berichtete am 8. September 1955:

„Griechische Geschäfte wurden gestürmt, ihre Einrichtungen zerstört und die Trümmer auf die Straße geworfen. In den engen Gassen häufen sich zerschlagene Möbel, Glasscherben, zerfetzte Kleidungsstücke und zertrampelte Lebensmittel. Dutzende Menschen liefen mit blutüberströmten Gesichtern durch die Straße“.

Die Polizei sah den Übergriffen tatenlos zu. Zur Niederschlagung des Aufruhrs wurde schließlich eine Infanteriedivision, eine Panzerbrigade und die Marineinfanterie eingesetzt. Viele ethno-religiöse Opfer verließen daraufhin die Türkei.

In den neunziger Jahren kam es auf der griechischen Halbinsel Peleponnes zu schweren Waldbränden, die zahlreiche Todesopfer und große Schäden verursachten. Der frühere griechische Geheimdienstchef Leonidas Vasilikopoulos behauptete 2011, dass die griechischen Sicherheitsbehörden damals Hinweise gehabt hätten, dass die Brandstifter vom türkischen Geheimdienst kamen, diese Information habe man aber – mit eigenen Mitteln – nicht bestätigen können. (144)

Am 1. August 2013 brachte die griechische Küstenwache bei der Insel Chios ein Motorboot auf, mit dem Waffen und Sprengstoff nach Griechenland eingeschmuggelt werden sollten. Von den sechs Festgenommenen gehörten mindestens zwei Türken zu einer militanten Gruppierung. (145)

Im August 2013 wurde ein deutscher Staatsbürger von den griechischen Sicherheitsbehörden auf der Insel Chios festgenommen, der die dortigen Marineanlagen und Heereskasernen etc. über drei Jahre lang fotografiert hatte. Dafür hatte der Rentner von den Türken eine Entlohnung in Höhe von 1.500 Euro erhalten. (146)

Im Juli 2016 flohen sieben türkische Soldaten (Co-Pilot Süleyman Özkaynakc, etc..) die möglicherweise am Putschversuch beteiligt waren, mit einem Hubschrauber Sikorsky S-70 Black Hawk zum griechischen Flughafen Alexandroupoli und beantragten politisches Asyl.

Die Soldaten gaben an, sie seien am Abend des 15. Juli mit ihrem Hubschrauber zu einem Rettungseinsatz in Istanbul beordert worden, um Verwundete eines angeblichen Terroranschlags aufzunehmen. Als sie merkten, dass ein Putschversuch im Gang war, Soldaten auf den Straßen gelyncht wurden und die Polizei ihren Hubschrauber unter Beschuss nahm, seien sie aus Angst um ihr Leben nach Griechenland geflohen.

Die Türkei fordert die Auslieferung der Offiziere. Sie seien an dem Putschversuch beteiligt gewesen, sagt die Regierung. Die Soldaten bestreiten das. Anfang 2017 entschied der Areopag, Griechenlands Oberster Gerichtshof, dass die Männer nicht an die Türkei ausgeliefert werden dürfen. Daraufhin drohte der türkische Vizepremier und Regierungssprecher Bekir Bozdag am 4. Juni 2018: „Wir werden sie aufspüren, wird werden sie einpacken, zurück in die Türkei bringen und der Justiz übergeben.“ (147)

Im September 2016 stellte Staatspräsident Erdoğan den Grenzverlauf erneut in Frage: Er sprach von „unfairen Bestimmungen“ des Laussanner Vertrages und einer „Niederlage der Türkei“. Als Beispiel nannte er die griechischen Ägäis-Inseln. So gäbe es noch immer einen „Kampf darum, was ein Festlandsockel“ sei, „und welche Grenzen wir auf dem Land und in der Luft haben.“ Und: „Diejenigen, die sich damals an den Verhandlungstisch setzten, seien den realen Umständen nicht gerecht geworden“. (148)

Seit 2017 haben sich die Zwischenfälle gehäuft, was auf eine Verschärfung der Spannungen zwischen beiden Ländern hindeutet:

- Am 3. Juli 2017 wollte ein griechisches Patrouillenboot mit der taktischen Nummer „517“ drei Seemeilen vor Rhodos ein türkisches Frachtschiff „ACT“ zwingen, den Hafen der Insel anzulaufen, damit das Schiff durchsucht werden konnte. Man vermutete, dass das Schiff zum Transport von Drogen genutzt wurde. Als sich der türkische Kapitän weigerte, gab das Patrouillenboot mehrere Warnschüsse ab, dabei wurde der Frachter sechszehn Mal getroffen. Der türkische Kapitän, Sami Kalkavan, nannte das griechische Vorgehen „maßlos“. Daraufhin entsandte die türkische Marine ein Schnellboot und alarmierte zwei Patrouillenboote der Küstenwache. (149)

- Am 29. Dezember 2017 drohte der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım in Bezug auf Griechenland, man werden „jenen das Leben schwer machen, die sich den Interessen der Türkei in den Weg stellen.“ (150)

- Am 17. Januar 2018 kollidierten das Schnellboot „Nikiforos“ der griechischen Kriegsmarine und ein Patrouillenboot der türkischen Küstenwache mit der taktischen Nummer „67“ in der Nähe der Felseninsel Imia (türkisch: Kardak) im Südosten der Ägäis. (151)

- Am 28. Januar kam es an derselben Stelle erneut zu einem Kräftemessen, wie „Sputnik“ berichtete:

„Demnach unternahmen am 28. Januar 2018 gegen 11:30 Uhr ein Motorboot der griechischen Küstenwache und ein griechisches Patrouillenschiff den Versuch, bei der Region Kardak (der türkische Name der Inseln) anzulaufen. Allerdings hätten Schiffe der türkischen Marine sie daran gehindert.“ (152)

Anfang Februar drohte der türkische Präsidentenberater Yigit Bulut, demjenigen Griechen, der Imia betrete, „die Beine zu brechen“. (153)

- Anfang Februar hinderten türkische Kriegsschiffe über Tage hinweg ein vom italienischen Energieunternehmen „Eni“ gemietetes Bohrschiff daran, ein Erkundungsgebiet südöstlich der zyprischen Hafenstadt Larnaka zu erreichen. „Im Moment beobachten unsere Kriegsschiffe, Luftstreitkräfte und andere Sicherheitseinheiten die Entwicklungen in der Region sehr genau, mit der Befugnis, wenn nötig, jede Art von Eingriff zu unternehmen", erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dazu. (154)

Daraufhin kam es in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2018 erneut zu einer Kollision zwischen dem Patrouillenboot TC SG Umut (89 m, 1.700 t, 90 Mann Besatzung) der türkischen Küstenwache, das sich an der Operation SISYPHUS zur Flüchtlingsbekämpfung beteiligte, mit einem Boot der griechischen Küstenwache (Limenikó Sṓma) in der Nähe der Felseninsel Imia. Die giechische „090 Gavdos“ wurde am Heck leicht beschädigt. Daraufhin unterstellten griechische Politiker einen gezielten Angriff. Der griechische Außenminister Nikos Kotzias nannte die Türkei eine seit Monaten „nervöse Macht“. (155)

- Am 1. März gerieten zwei griechische Grenzsoldaten, Oberleutnant Angelos Mitretodis und Feldwebel Dimitris Kouklatzis, bei der Grenzstadt Orestiada (irrtümlich) auf türkisches Territorium. Zwar ist die Grenze befestigt und scharf bewacht, aber – gerade im Winter – soll es gelegentlich vorkommen, dass sich Soldaten der einen Seite auf das Territorium der anderen Seite verirren. Unklar blieb, ob absichtlich Grenzmarkierungen entfernt oder verändert worden waren, um die beiden Soldaten in eine Falle zu locken. Die beiden Griechen wurden festgenommen und im Gefängnis von Edirne inhaftiert. Ihnen droht wegen angeblicher Spionage fünf Jahre Haft. Die Untersuchungshaft wurde zwischenzeitlich verlängert – wegen Fluchtgefahr. (156)

- Am 9. April näherte sich ein Hubschrauber der türkischen Küstenwache der griechischen Insel Ro, daraufhin gaben dort stationierte griechische Heeressoldaten Warnschüsse ab. Dabei wurde auch Leuchtspurmunition abgefeuert. Ansonsten ist die kleine Insel (2,6 qkm) unbewohnt. (157)

- Am 3. Mai griff die (staatliche?) türkische Hackergruppe „Akincilar“ die Webseite des griechischen Außenministeriums und die der Nachrichtenagentur ANA an. Man forderte die Überstellung der acht nach dem Militärputsch geflohenen Offiziere, andernfalls drohte man damit, die Hackerangriffe fortzusetzen. Daraufhin griff einen Tag später die griechische Hackergruppe „Anonymous“ die Webseiten von Türk Telekom und des Fernsehsenders 24TV an. (158)

- Am 4. Mai stießen südöstlich der griechischen Insel Lesbos der türkische Frachter „Karmate“ aus Izmir und das Kanonenboot P-18 „HS Armatolos“ (Osprey-55-Klasse) der griechischen Marine zusammen. Beide Schiffe wurden nur leicht beschädigt und konnten ihre Fahrt fortsetzen. Das Kanonenboot war auf einer Patrouillenfahrt. (159)

- Am 23. Mai erhielt der erste der acht türkischen Soldaten, die nach dem Putschversuch nach Griechenland geflohen waren, Asyl. Dies beschloss der griechische Verwaltungsgerichtshof in Athen. (160)

Demgegenüber gab sich Herr Erdoğan zeitweise versöhnlich und stattete dem Nachbarland am 7. Dezember 2017 einen Staatsbesuch ab. Es war die erste Visite eines türkischen Staatspräsidenten in Griechenland seit 1952.

 

- Beziehungen zu Armenien

 

Während des Osmanischen Reiches kam es ab April 1915 zu einem Völkermord der Türken an der armenischen Bevölkerung im eigenen Land. Verantwortlich dafür war die Bewegung der „Jungtürken“, die damals von Innenminister Mehmed Talaat Bey alias „Talât Paşa“, Kriegsminister Damad İsmail Enver alias „Enver Paşa“ und Marineminister Ahmet Dschemal alias „Cemal Paşa“ geführt wurde. Dieses Kriegsverbrechen wird bis heute von der türkischen Seite bestritten. Es habe – aus „militärischen Gründen“ – lediglich eine Vertreibung gegeben, die von den Türken als „tehcir“ bezeichnet wird. So lehnte Herr Erdoğan 2015 eine Entschuldigung ab: „Entschuldigung, wofür sollen wir uns entschuldigen? Die Leute, die sich entschuldigen, haben offenbar ein Verbrechen begangen. Dieses Problem hat der türkische Staat nicht. Es gibt nichts, wofür der Staat oder die Regierung sich entschuldigen müsste.“ (161) Dieser Völkermord des türkischen Staates kostete vielleicht 1,5 Millionen Armeniern und mehreren Hunderttausend assyrischer Christen das Leben und belastet bis heute das Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien.

Mehrere der wichtigsten Kriegsverbrecher konnten sich nach Kriegsende nach Deutschland absetzen, wie die Journalistin Inga Rogg berichtete (S. 179):

„Nach dem Ende des Großen Kriegs setzten sich die führenden Köpfe des Genozids nach Berlin ab: Innenminister Talat Paşa, Kriegsminister Enver Paşa, der Ideologe Nâzım Selanikli, der Leiter der „TeşkilâtMahsusa“ („Spezialorganisation“) Bahattin Şakir, der die Deportationen umgesetzt hatte, und der Gouverneur Cemal Azmi, der „Schlächter von Trabzon“. Talat, Şakir und Azmi wurden 1921/22 von armenischen Untergrundkämpfern in Berlin ermordet, Kriegsminister Enver Paşa holte seine Vergangenheit in Tadschikistan und Cemal Paşa im georgischen Tiflis ein. Als Einziger kehrte Nâzım Selanikli in die Türkei zurück, wo er 1926 von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Allerdings nicht wegen des Genozids an den Armeniern, sondern weil er beschuldigt wurde, an einer Verschwörung gegen Atatürk beteiligt gewesen zu sein.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte es nicht verhindern, dass es der Deutsche Bundestag am 2. Juni 2016 endlich wagte, den Völkermord an den Armenier als „Völkermord“ zu bezeichnen:

„Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begannen am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier. Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.

Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Das Gedenken des Deutschen Bundestages ist auch Ausdruck besonderen Respektes vor der wohl ältesten christlichen Nation der Erde.“ (162)

Der Rassenkundler Dr. h. c. Erdoğan war auf das Äußerste empört. Seiner Meinung nach war der Bundestag eine Quelle des Terrorismus, da die elf türkischstämmigen Abgeordneten eine Nähe zur kurdischen KGK aufwiesen. Außerdem stellte er in Frage, ob die elf Parlamentarier tatsächlich eine türkische Abstammung hätten. Am 4. Juni 2016 erklärte er in Istanbul:

„Manche sagen, das seien Türken. Was denn für Türken bitte?. Ihr Blut muss durch einen Labortest untersucht werden. (…) Ihr Blut ist schließlich verdorben. (…) Es ist sowieso bekannt, wessen Sprachrohr sie sind. Von der separatistischen Terrororganisation in diesem Land sind sie die Verlängerung in Deutschland.“ (163)

Daraufhin erhielten die elf Parlamentarier zahlreiche Morddrohungen. Der Betroffene Abgeordnete Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte: „Es gibt leider auch eine türkische Pegida". (164) Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wies die Morddrohungen zurück:

„Die Drohungen und Mordaufrufe insbesondere gegenüber türkischstämmigen Kolleginnen und Kollegen sind nach der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Armenien-Resolution keineswegs weniger oder schwächer geworden. Ich bekräftige daher unsere selbstverständliche Solidarität mit den bedrohten Kolleginnen und Kollegen.“ (165)

Erdoğan drohte, Deutschland könne einen „wichtigen Freund“ verlieren, und verwies ausdrücklich auf die Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Die Abstimmung werde „ernste Folgen“ für das deutsch-türkische Verhältnis haben. (166) Der Journalist Georg Anastasiadis kommentierte im „Oberbayerischen Volksblatt“ (OVB): „Der Hebel, über den die Türkei in der Flüchtlingsfrage verfügt, reicht Erdogan offenkundig nicht. In Ankara beginnt stattdessen aufs Neue das gefährliche Spiel mit der fünften Kolonne des Sultans in „Almanya“.“ (167)

 

- Beziehungen zu Russland

 

Zeitweise waren die türkisch-russischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt: Am 24. November 2014 schoss die türkische Luftwaffe eine russische Suchoi Su-24M2 Fencer im türkisch-syrischen Grenzgebiet in der Provinz Latakia ab. Der Pilot Oberstleutnant Oleg Anatoljewitsch Peschkow kam dabei ums Leben, der Navigator Hauptmann Konstantin Mrachtin konnte sich mit dem Schleudersitz retten. Die beiden hatten vier Splitterbomben auf Ziele bei Latakia abgeworfen und waren auf dem Weg zu ihrem nächsten Ziel, als sie bei Jisr al-Shughur in den türkischen Luftraum eindrangen, weil dort eine türkische Landzunge nach Syrien hineinragt. Eine Patrouille aus zwei türkischen F-16C von der 182nci Filo aus Diyarbakır stellten den Eindringlich und schossen ihn ab. Die russische Maschine kam auf syrischem Gebiet bei Bayirbucak runter. Ein sowjetischer Kampfhubschrauber Mil Mi-24P Hind und zwei Transporthubschrauber Mil Mi-8AMTSch aus Latakia starteten zu einer Rettungsaktion und wurden vom Boden aus beschossen. Einer der Mi-8 stürzte ab, dabei kam der Marineinfanterist Alexander Posynitsch uns Leben. Am 3. und 4. Oktober 2014 kam es zu weiteren Luftraumverletzungen, dieses Mal wurden die Jagdbomber Su-24 durch Luftüberlegenheitsjäger Suchoi Su-30SM begleitet. Zwar stiegen wieder türkische F-16 auf, um die Eindringlinge zu identifizieren, zu weiteren Luftkämpfen kam es aber nicht.

Aus Moskau folgten erhebliche Proteste, die die bilateralen Beziehungen wochenlang belasteten. Außerdem sperrte die russische Seite den syrischen Luftraum für alle türkischen Maschinen, so dass die pro-türkischen Rebellen ohne Luftunterstützung blieben, und verhängte Wirtschaftssanktionen. In Ost-Aleppo wurden die von der Türkei unterstützten Rebellengruppen massiv von der russischen Luftwaffe unter Feuer genommen und mussten fliehen. Auch innerhalb der NATO war man über das türkische Säbelrasseln entsetzt und befürchtete, in einen größeren Konflikt hineingezogen zu werden.

Die türkisch-russischen Beziehungen besserten sich erst wieder, nachdem sich Staatspräsident Erdoğan im Juli 2016 offiziell für den Abschuss des russischen Luftraumverletzers entschuldigte. Heute haben sich beide Regierungen wieder soweit angenähert, dass Erdoğan im Ukraine-Konflikt erfolgreich als humanitärer Vermittler auftreten kann, wenn es um die Haftbedingungen von Kriegsgefangenen geht.

Zuletzt bestellte die Türkei in Russland Flugabwehrraketensysteme vom Typ S-400 Triumf (NATO-ACCS-Code: SA-21 Growler) zum Preis von – nach unterschiedlichen Angaben – 2,5 bis 4,5 Milliarden Dollar. Die vier Batterien werden voraussichtlich im Juli 2019 geliefert. Die Flugabwehrraketen haben eine Reichweite von ca. 400 km.

Die türkisch-russischen Beziehungen sind keine rein bilaterale Angelegenheit, sondern haben einen direkten Einfluss auf die NATO: Bei dem Kauf der S-400 geht es weit mehr als um ein bloßes Rüstungsgeschäft. Die NATO befürchtet, dass russische Informatiker in die Software des Systems eine Hintertür einbauen, um alle Daten abgreifen zu können. Zudem könnten russische Militärberater über das S-400-System in türkischen Diensten die Schwächen des neuen türkischen Jagdbombers F-35 Lightning II ausspionieren. Drei republikanische US-Senatoren forderten bereits ein F-35-Verkaufsverbot gegenüber der Türkei. (168) Ein Ausschuss des US-Senats beschloss am 24. Mai 2018 ein National Defense Authorization Act (NDAA), wonach die Auslieferung der F-35 an die Türkei unterbleiben soll. Die F-35I Adir der israelischen Luftwaffe erhalten aus Sicherheitsgründen eine verbesserte Software, die gegenüber der Türkei geheimgehalten wird. (169)

Dazu erklärte der frühere EU-Botschafter in der Türkei Marc Pierini: „Die Türkei ist für Russlands Präsident Putin ein sehr interessantes Werkzeug, um die NATO zu untergraben.“ (170)

Nachdem das Erdoğan-Regime über 200 türkische Generalstabsoffiziere in den NATO-Stäben geschasst hatte, sollten diese durch wohlgefälligere Offiziere ersetzt werden. Allerdings erfüllen diese fast nie die notwendigen Mindestanforderungen – gute Englischkenntnisse. Außerdem wird den neuen Türken mit Misstrauen begegnet: „Niemand traut den Türken mehr. Über wichtige Dinge wird erst gesprochen, wenn sie das Zimmer verlassen haben.“ (171) Außerdem haben die türkisch-russischen Beziehungen einen direkten Einfluss auf das türkisch-amerikanische Verhältnis, zumal die US-Streitkräfte in Kleinasien mehrere Militärstützpunkte, darunter das U.S. Office of Defense Cooperation in Ankara, und ein Atomwaffenlager (Incirlik) unterhalten.

 

- Die „Kurdenproblematik“ innerhalb der Türkei

 

Wie die Palästinenser ringt das Volk der Kurden seit Jahrzehnten um die Errichtung eines eigenen Staates. Die fast 30 Millionen Kurden leben heutzutage auf mehrere Staaten und Gebiete verteilt: Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Libanon, Syrien, Irak, Iran und Turkmenien. Zwischen 10 und 12 Millionen Kurden leben in der Türkei und stellen dort etwa ein Sechstel der Gesamtbevölkerung. Nur im Norden des Iraks konnten sie in Folge des US-geführten „Golfkrieges“ gegen Saddam Hussein 2003 ein „autonomes“ Gebiet erringen. In allen anderen Staaten werden die Kurden – mehr oder weniger – diskriminiert. Aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensbedingungen in den einzelnen Ländern nahm der Kampf um Unabhängigkeit verschiedene Formen und politische Ausrichtungen an, was den Kampf um einen gemeinsamen Staat strategisch erschwert.

Die Kurden in der Türkei sind eine diskriminierte Minderheit, die eine territoriale Abspaltung der kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei anstreben, um einen eigenen Staat zu gründen. Im Vertrag von Sèvres (Sevr Antlaşması) vom 10. August 1920 war den Kurden durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges noch die Gründung eines eigenen Kurdenstaates auf osmanischem bzw. türkischen Gebiet zugesagt, aber nicht mehr verwirklicht worden.

Die kurdische Arbeiterpartei Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK), die sich im November 2003 in Kongra Gele Kurdistan (KGK) umbenannte, wurde am 27. November 1978 durch den neo-Stalinisten Abdullah Öcalan gegründet. Ursprünglich verfolgte die Partei einen marxistisch-leninistischen Kurs, später gab sie sich weniger dogmatisch. Der bewaffnete Arm hieß zunächst Hêzên Rizgariya Kurdistan (HRK –dt. „Freiheitskräfte Kurdistans“), seit 2000 lautet die offizielle Bezeichnung Hêzên Parastina Gel (HPG – „Volksverteidigungskräfte“). In den neunziger Jahren wurde die Personalstärke der damaligen PKK noch auf 17.000 Kämpfer geschätzt, z. Zt. wird die Kampfstärke der HRK auf nur mehr rund 6.500 Personen taxiert, darunter rund ein Drittel Frauen. Politische Befehlshaber sind Murat Karayılan (bis 2015) und Cemil Bayık; der Militärchef der Organisation ist „Dr. Bahoz Erdal“ alias Fahman Husain, der aus Syrien stammt. Zur Guerilla-Bewaffnung gehören Granatwerfer und Landminen aus deutscher Produktion.

Seit 1983 bestimmt die von der damals regierenden Junta erlassene Verfassung, dass nur die Parteien ins Parlament einziehen dürfen, die die 10-Prozent-Hürde überspringen. Mit dieser Bestimmung wollten die Militärs auf Dauer ausschließen, dass die Kurden auf legalem, parlamentarischen Weg ihre politischen Ziele durchsetzen könnten. Diese Festlegung war zunächst erfolgreich: Dreißig Jahre lang konnten nur vereinzelt Kurden als unabhängige Kandidaten ins Parlament einziehen. Erst bei den Parlamentswahlen am 22. Juli 2007 gelang es der damaligen pro-kurdischen Demokratik Toplum Partisi (DTP – „Partei der demokratischen Gesellschaft“) durch Aufstellung „unabhängiger“ Kandidaten erstmals, die 10-Prozent-Hürde zu knacken. Zwei Jahre später, am 11. Dezember 2009, wurde die Kurdenpartei verboten.

Aber diese 10-Prozent-Regelung hatte auch gravierende Folgen für das gesamte politische System:

1. Wie die Wahlergebnisse später zeigten, wurde mit dieser hohen Wahlhürde zugleich ein großer Teil der Wähler der verschiedensten Kleinparteien (zeitweise 40 Prozent des Elektorats) aus dem Parlament ausgeschlossen.

2. Auch mit einem relativ geringen Stimmenaufkommen können die Parteien einen größeren Teil der Mandate erringen. Theoretisch kann eine Partei mit einem Drittel der Stimmen eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Mandate erreichen.

3. Weil die Zahl der Parlamentsparteien relativ gering ist, werden die Regierungen i. d. R. von einer Einzelpartei mit absoluter Mehrheit oder einer Zwei-Parteien-Koalition regiert. Dies führt dazu, dass die Parteien ausschließlich ihren jeweiligen Programmen bzw. Ideologien folgen, weil keine Notwendigkeit zu einer politischen Kompromissfindung besteht. Über das Parteiensystem hinaus wirkte sich dies negativ aus auf die (fehlende) Entwicklung einer Kultur zur Austragung politischer Konflikte, entsprechend polarisiert ist die Gesellschaft.

Seit 1980 lieferte sich die damalige PKK im Kampf um die politische Vormachtstellung bewaffnete Auseinandersetzungen mit anderen kurdischen Gruppierungen, bei denen rund 1.000 Kurden ums Leben gekommen sein sollen. Am 14. August 1984 startete die PKK mit Überfällen auf zwei Militär- und Polizeiposten ihren Guerillakrieg. Daraufhin ging die türkische Junta massiv gegen die kurdischen Gebiete vor, über acht Provinzen wurde das Kriegsrecht verhängt. Zeitweise betrug das türkische Kampfaufgebot rund 300.000 Mann (Soldaten, Polizeibeamte und „Dorfschützer“) In den neunziger Jahren nahm der Konflikt noch an Schärfe zu. Grob geschätzt kamen zwischen 1980 und 2010 50.000 bis 60.000 Menschen ums Leben. Allein in den neunziger Jahren sollen – nach unterschiedlichen Angaben – 2.500 bis 4.000 kurdische Dörfer zerstört worden sein, um die Bevölkerung umsiedeln und das Aufstandsgebiet beherrschen zu können. Schätzungsweise ein bis drei Millionen Menschen wurden vertrieben und verloren nahezu ihr gesamtes Hab und Gut. Sie leben seitdem in den Slum-Vierteln am Rande der türkischen Großstädte Ankara, Istanbul, Izmir, etc..

Herr Erdoğan strebte zunächst eine Verständigung mit den Kurden in der Türkei an: Nach seinem ersten Wahlsieg 2002 hob er das Kriegsrecht in den Kurdengebieten auf. Daraufhin erklärte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand, der aber von türkischer Seite nicht erwidert wurde. Daraufhin nahm die mittlerweile in KGK umbenannte Kurdenorganisation im Juni 2004 erneut den bewaffneten Kampf auf. Geheimverhandlungen durch den MİT begannen 2009 in Oslo. Sie führten 2013 zu einer bilateralen Waffenstillstandsvereinbarung. Nach einem erneuten Aufflammen der Kämpfe wurde im Februar 2015 von beiden Seiten nochmal Gespräche aufgenommen: Am 28. Februar 2015 verabschiedeten die türkische Regierung und die neue pro-kurdische Halkların Demokratik Partisi (HDP, dt. „Demokratische Partei der Völker“) unter der Führung von Selahattin Demirtaş einen Fahrplan zur endgültigen Beilegung des jahrzehntelangen Konflikts. Der frühere PKK-Führer Abdullah Öcalan, der seit 1999 in türkischer Haft sitzt, forderte damals seine Anhänger auf, den bewaffneten Kampf einzustellen. Tatsächlich wurden zwischen dem 29. Oktober 2011 (in Bingöl) und dem 22. Juli 2015 (in Ceylanpınar) keine Anschläge der PKK registriert. (172) Angeblich stand man damals kurz vor einer endgültigen Lösung.

Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 verlor die AKP viele Stimmen an die pro-kurdische HDP, die auf 13,1 Prozent kam, und somit verlor die AKP ihre absolute Mehrheit. Daraufhin erklärte Staatspräsident Erdoğan Ende Juli 2015 den von ihm selbst initiierten Friedensprozess schon wieder für beendet. Die KGK sei eine genauso große Gefahr wie der „IS“. Daraufhin eskalierte der Konflikt erneut. In mehreren Gemeinden riefen die Kurden ihre lokale Selbstverwaltung aus; die KGK-Jugendorganisation, Yurtsever Devrimci Gençlik Hareketi (YDG-H, dt.: „Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung“) errichtete Barrikaden. Daraufhin verhängten türkische Gouverneure über sieben Ortschaften eine Ausgangssperre. (173) Bei den im November 2015 angesetzten Neuwahlen konnte die AKP daraufhin wieder viele Stimmen zurückerobern und mit absoluter Mehrheit weiterregieren.

Der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim sieht zwischen dem Wahlerfolg der pro-kurdischen Partei und der erneuten Eskalation des Kurden-Konfliktes durch die türkische AKP-Regierung einen zynischen Zusammenhang, wie er in „Krisenstaat Türkei“ berichtete (Seite: 138ff):

„Schon in den zurückliegenden Monaten hatte Erdoğan einen neuen Kurs in der Kurdenpolitik eingeschlagen, hatte mit Blick auf die HDP vor „Terroristen“ gewarnt und so getan, als habe es die von ihm angestoßenen Friedensverhandlungen nie gegeben. Aber was in den Wochen und Monaten nach der Wahl in der Türkei geschah, übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Erdoğan und die AKP steuerten das Land gezielt ins Chaos. Der zynische Plan war, den Menschen das Gefühl von Unsicherheit und von allgemeiner Aggression zu vermitteln, um sich selbst als Garant für Sicherheit und Stabilität präsentieren zu können. (…)

Die Gewalt begann knapp sechs Wochen nach der Wahl, am 20. Juli 2015. An diesem Tag tötete ein mutmaßlich dem IS nahestehender Selbstmordattentäter in Suruç (es handelte sich um ein Mitglied der so genannten Dokumacılar-Zelle in Adıyaman, G. P.), mehr als dreißig Menschen, überwiegend junge kurdische Aktivisten, die beim Wiederaufbau der zerstörten syrischen Stadt Kobane helfen wollten. Zwei Tage später töteten PKK-Leute zwei Polizisten (der Bereitschaftspolizei, G. P.) in ihrer Wohnung in Ceylanpınar, etwa zweihundert Kilometer östlich vom Anschlagsort. Die PKK verbreitete im Internet, die Tat sei ein Racheakt für den Terror von Suruç, da die getöteten Beamten den IS unterstützt hätten. Weitere zwei Tages später begann die Regierung mit dem Bombardement von PKK-Stellungen.

Am 18. August 2015, nicht einmal einen Monat nach Ausbruch der Gewalt, gab Ministerpräsident Davutoğlu den Auftrag zur Bildung einer Regierung an Präsident Erdoğan zurück. Eine Koalition war nicht zustande gekommen. (…) Damit war klar: Es würde Neuwahlen geben. Die staatliche Wahlkommission nannte den 1. November 2015 als Termin. (…)

Es war keineswegs sicher, ob das Kalkül Erdoğans, mit der erneuten Eskalation des Kurdenkonfliks mehr Stimmen für die AKP zu gewinnen, aufgehen würde. Umfragen zeigten, dass viele Anhänger der HDP der Partei wegen der Gewalt der PKK den Rücken kehrten, sie gleichzeitig aber neue Wähler gewann, weil immer mehr Türken den Kurs des Präsidenten kritisch sahen. Mit jedem toten Soldaten oder Polizisten wuchs die Wut, nicht nur auf die PKK, sondern auch auf Erdoğan, dem inzwischen selbst Islamisten vorwarfen, den Wahlerfolg der AKP über Menschenleben zu stellen. (…)

Die AKP erhielt diesmal 49,5 Prozent der Stimmen. (…) Die HDP verlor viele Wähler, aber mit 10,8 Prozent gelang ihr immerhin erneut der Einzug ins Parlament. (…)

Erdoğans Plan war aufgegangen. Die AKP hatte die Neuwahl gewonnen und konnte alleine regieren, auch wenn ihr die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit fehlte, um ein Präsidialsystem einzuführen. Aber dafür, hieß es bei der AKP, werde man schon eine Lösung finden.“

 

-- Türkische Militäroffensiven gegen die Kurden innerhalb der Türkei

 

Bereits seit 1983/84 geht die türkische Armee massiv gegen die kurdische Zivilbevölkerung in der Türkei vor. Ab 1998 ebbten die Kämpfe vorübergehend ab. Wie sich bis heute gezeigt hat, ist eine militärische Lösung des Konfliktes weder für die eine noch für die andere Seite möglich.

Zunächst sah es so aus, als wollte Herr Erdoğan eine friedliche Konfliktbeilegung anstreben. So durfte seit Mitte 2004 das staatliche, türkische Fernsehen „TRT“ eine Sendung in den kurdischen Dialekten Kermanshi und Zaza ausstrahlen. Allerdings war die Sendezeit auf eine halbe Stunde pro Woche beschränkt. Da in der Sendung „Unsere kulturellen Reichtümer“ nur belanglose Themen behandelt und antiquierte Nachrichten gesendet wurden, ging die Attraktivität der Sendung bald zurück.

Seit 2014 gingen kurdische Verbände, darunter auch KGK-Kräfte, nicht nur gegen das Assad-Regime, sondern auch gegen den „IS“ in Syrien vor. Die KGK warf der türkischen Regierung vor, mit dem „Islamischen Staat“ in Nordsyrien zu kooperieren, um die dortigen Kurden militärisch zu bekämpfen. Spätestens seit Juli 2015 führen die türkischen „Sicherheitsorgane“ wieder einen Guerillakrieg gegen die aufständischen Kurdenorganisationen im Südosten der Türkei. In seiner Neujahrsansprache am 1. Januar 2016 erklärte Staatspräsident Erdoğan: „Unsere Sicherheitskräfte säubern die Städte Meter um Meter von den Terroristen“.

Die 2. Armee (İkinci Ordu) mit Hauptquartier Malatya ist für die Abdeckung der Südfront zuständig. Sie wird sowohl zur Aufstandsbekämpfung in den türkischen Kurdengebieten eingesetzt, als auch für Operationen (operasyon) gegen die Nachbarländer Syrien, Irak oder Iran. Parallel zur 2. Armee wurden auch die polizeilichen Sondereinheiten JÖH und PÖH eingesetzt. Von 2014 bis 2016 leitete General Adem Huduti als Kommandeur der 2. Türkischen Armee die umstrittenen Militäroperationen gegen die militante kurdische Untergrund- und Terrororganisation KGK in den türkisch-kurdischen Provinzen Diyarbakır, Mardin und Şırnak von Nordkurdistan (kurdisch: Bakur). Als er wegen seiner Beteiligung am Militärputsch 2016 geschasst wurde, übernahm Generalleutnant İsmail Metin Temel das Kommando. Im Juni 2016 übertrug die Regierung der Generalität die volle Verantwortung für die Kriegsführung in den türkischen Kurdengebieten und sicherte ihr Immunität angesichts der zu erwartenden Kriegsverbrechen zu. Obwohl Journalisten keinen Zugang zu dem Bürgerkriegsgebiet haben, wurde mehrfach von Massakern an der Zivilbevölkerung und Folterung von Gefangenen berichtet.

Auf kurdischer Seite sind vor allem die KGK-Jugendorganisation, Yurtsever Devrimci Gençlik Hareketi (YDG-H, dt.: „Patriotische Revolutionäre Jugendorganisation“) und die „Zivilverteidigungseinheiten“ (Yekîneyên Parastina Sîvîl - YPS) an den Kämpfen beteiligt. Die Jugendorganisation verfügt über mehrere hundert Kämpfer.

In mehreren Städten (Cizre, Diyarbakır-Sur, Silopi etc.) kam es zum „Häuserkampf“. Auf den Dächern hoher Gebäude lagen Scharfschützen, die jeden beschossen, der die Ausgangssperre missachtete, um Lebensmittel oder Wasser zu besorgen. Bei Cizre setzte die Armee Wälder in Brand, weil sie darin KGK-Kämpfer vermutete. Dabei sollen rund 500 Kurden von den türkischen „Sicherheitskräften“ bei lebendigem Leibe verbrannt worden sein. Diese Angabe ist nicht überprüfbar; sie stammt von Besê Hozat, der Ko-Vorsitzenden der „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (Koma Civakên Kurdistan – KCK), einem internationalistischen Zusammenschluss von KGK-Sympathisanten aus vier Nachbarländern. Im Rahmen ihres Counterinsurgency-Konzeptes setzen die Türken in den kurdischen Gemeinden auf „türkischem“ Territorium so genannte „Dorfwächter“ (koy korucusu) ein, die die Bevölkerung „kontrollieren“ sollen.

Der linksgerichtete, türkische Schriftsteller Alp Kayserilioğlu berichtete im Februar 2016 in dem Sammelband „Hinter den Barrikaden – Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg“:

„Zu den Methoden des brutalen militärischen Vorgehens des türkischen Staates gehörte es auch, den Strom in den Sperrgebieten abzuschalten und die meisten Läden und Bäckereien - teils mit physischem Zwang – zu schließen. Den Menschen fehlte es an Grundnahrungsmitteln und Wasser. Ähnliches und Grausameres wird aus allen anderen Städten und Gebieten, über die Ausgangssperren verhängt wurden, berichtet. Sicher ist, dass der Staat mit solchen Methoden eine Entvölkerung der betreffenden Gebiete erreichen möchte. Während Kritiker*innen hervorheben, dass dies geschieht, um die Gentrifizierungs- und Wiederaufbaupläne des türkischen Staates durchsetzen zu können, ist der eigentliche Grund ein politischer: Der türkische Staat möchte die Beziehungen zwischen dem kurdischen Volk und den Militanten in politischer wie ideologischer, sowie auch in physischer Hinsicht trennen – in physischer Hinsicht, um militärisch effizienter vorgehen zu können.“

Im Rahmen des Counterinsurgency-Konzeptes wird neuerdings nicht nur die Zivilbevölkerung vertrieben, sondern ganze Städte werden zur Zerstörung der autochtonen Kultur platt gemacht. So ist Cizre mit fast 10.000 beschädigten Häusern heute weitgehend eine Geisterstadt, die Altstadt von Diyarbakır-Sur, ein früheres UNESCO-Weltkulturerbe, wurde Anfang 2017 durch Bagger-Trupps zu großen Teilen abgerissen.

Seit 2015 beteiligt sich die türkische Luftwaffe an den Militäroperationen gegen die kurdischen Aufständischen.

Der türkische Menschenrechtsverein İnsan Hakları Derneği (IHD) gab am 9. November 2015 einen Bericht über die Zahl der Opfer heraus: 150 türkische Soldaten, Polizisten und „Dorfwächter“, 181 Tote auf Seiten der KGK und 9 Zivilisten. Von kurdischer Seite wurden weitaus höhere Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung genannt. Nach Angaben der Türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) starben vom 1. November 2015 bis zum 20. April 2016 weitere 338 Zivilisten, 355.000 Menschen mussten nach UN-Angaben fliehen. Nach Angaben der International Crisis Group forderte der erneute Konflikt von 2015 bis 2017 mehr als 3.000 Tote, darunter 400 Zivilisten. Bis zu 400.000 seinen zeitweise vertrieben worden, ca. 100.000 verloren endgültig ihr Zuhause. Militärisch kann der Konflikt nicht gelöst werden, so dass selbst hohe türkische Militärs gegen eine Fortsetzung der Kämpfe sind. Solange er andauert, kostet er weitere Todesopfer und Verletzte, kostet Milliarden und belastet den Staatshaushalt. Auf der einen Seite schlossen sich viele Jugendliche der KGK an, auf der anderen Seite verlor die HDP durch das erneute Aufflammen der Kämpfe gerade in den Stadtgebieten zahlreiche Sympathisanten.

Wie ausgedehnt das Aufstandsgebiet ist, ergibt sich aus den aktuellen „Reise- und Sicherheitshinweisen“ des Auswärtigen Amtes:

Von Reisen in das Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in die Städte Diyarbakır, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in die Provinzen Mardin, Şırnak und Hakkâri wird dringend abgeraten.

In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, Şanlıurfa, Diyarbakır, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Muş, Tunceli, Şırnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko für Reisende. Alle nicht zwingend erforderlichen Reisen in diese Gebiete sollten vermieden werden. Es wird weiterhin zu größter Vorsicht geraten. Die aktuelle Berichterstattung in den Medien sollte aufmerksam verfolgt werden.

In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Sicherheitszonen und Ausgangssperren werden streng kontrolliert, das Betreten der Sicherheitszonen ist strikt verboten. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbakır und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei - Syrien - Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Aǧrı.“ (174)

Die türkische Offensive gegen die Kurden hatte auch internationale Auswirkungen: Im Verlauf des Jahres 2015 verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) 75 Brand- oder Sprengstoffanschläge auf Moscheen, dabei blieb unklar, ob die Täter Kurden oder Neonazis waren. (175) In Stuttgart-Feuerbach verübten KGK-Sympathisanten des „Baran-Dersim-Rachekommandos“ in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2015 einen Brandanschlag auf die Bücherei der türkischen Yeni Camii (Mauserstraße 19-21). (176)

 

- Militäroperationen in der autonomen Kurdenregion im Nordirak

 

Das Verhältnis der Türkei zu den arabischen Nachbarstaaten ist geprägt durch den Niedergang des Osmanischen Reiches, in dem die Türken lediglich als Besatzer auftraten. Während 80 Prozent der Türken Sunniten sind, sind die Moslems in den Nachbarländern mehrheitlich Schiiten oder Aleviten. Dies setzt den außenpolitischen Ambitionen der Türkei Grenzen.

Im Vertrag von Lausanne von 1920 wurde der östliche Teil des Kurdengebietes dem Irak zugesprochen, was von der türkischen Regierung durch das Abkommen von Ankara vom 5. Juni 1926 akzeptiert wurde. Im Jahr 1994 akzeptierte die türkische Regierung die dortige, kurdische Regionalregierung. Dennoch haben türkische Politiker ihren Gebietsanspruch auf den Nordirak nie aufgegeben, so erklärte Erdoğan im Oktober 2016: „Wenn wir heute sagen, dass wir eine Verantwortung für Mossul haben, dann müssen wir diese sowohl im Feld als auch am Verhandlungstisch tragen.“

Bereits von 1983 bis 1986 führten die türkischen Streitkräfte Militäroperationen zur PKK-Bekämpfung im Nordirak durch. Seit 1994, in der Folge des US-Irakischen Golfkrieges, unterhält die Türkei Militärbasen im Nordirak.

Im Jahr 2003 plante die türkische Regierung - im Windschatten der US-Intervention in den Irak – eine Invasion in das Kurdengebiet im Nordirak. Dagegen regte sich der Widerstand der US-Regierung, wie der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim in seinem Buch „Krisenstaat Türkei“ berichtete (Seite: 72f):

Erdoğan pokerte hoch – und überschätzte seine Macht. Er hatte US-Präsident Bush, mit dem er sich seit der Einladung nach Washington nach dem AKP-Wahlsieg gut verstand, zugesichert, dass die USA für ihren 2003 geplanten Einmarsch in den Irak, Zehntausende Soldaten auf türkischem Boden stationieren dürften. Doch die türkische Bevölkerung war gegen einen US-geführten Krieg gegen den Irak, und selbst die AKP-Abgeordneten verweigerten Erdoğan in dieser Frage die Gefolgschaft. Washington reagierte verstimmt. Man glaubte, dieser neue Erdoğan habe seine eigenen Leute nicht im Griff.

Dann machte Erdoğan seine eigenen Pläne bekannt, wonach vierzigtausend türkische Truppen in den überwiegend kurdisch besiedelten Nordirak einmarschieren sollten. Als Grund gab er „Terrorbekämpfung“ an, bis heute als Standardrechtfertigung für jeden gewaltsamen Einsatz von Sicherheitskräften. Tatsächlich wollte er jenseits der Grenze nicht nur gegen die PKK vorgehen, deren Mitglieder sich zum Teil dorthin zurückgezogen hatten, sondern er wollte auch verhindern, dass Kurden im Zuge des Irakkriegs die Kontrolle über die nordirakischen Städte Kirkuk und Mossul und damit über wichtige Ölquellen gewönnen und damit die finanzielle Grundlage für einen möglichen Kurdenstaat erhielten, was auch die Autonomiebestrebungen der Kurden in der Türkei hätte beflügeln können.

Doch auch dieser Plan kam nicht gut an, dieses Mal intervenierten die westlichen Partner der Türkei. Die Nato ließ Erdoğan wissen, sie werde ein Überschreiten der Grenze zum Irak durch türkische Soldaten nicht dulden. Aus der EU drohte man ihm, er gefährde mit einem solchen Krieg den EU-Beitritt seines Landes. Und die USA warnten ihn vor „unkoordinierten oder einseitigen Aktionen“ – Bush war bei seinen eigenen Kriegsplänen auf die Unterstützung der Kurden angewiesen und wollte sie nicht durch den Nato-Partner Türkei geschwächt sehen. Einen Nebenkriegsschauplatz im Nordirak konnte er nicht gebrauchen.“

In der Folge der amerikanischen Militärintervention im Irak gegen das Regime von Saddam Hussein konnten sich die Kurden im Nordirak abspalten und für ihre Siedlungsgebiete einen autonomen Kurdenstaat ausrufen. Anfänglich stand die türkische Regierung dem neuen Staatsgebilde ausgesprochen negativ gegenüber. Außerdem hat die kurdische KGK im Nordirak in den unwegsamen Kandil-Bergen seit der Jahrtausendwende ihr Hauptquartier, das wiederholt von den türkischen Streitkräften angegriffen aber noch nie erobert wurde. Weitere große KGK-Camps befinden sich in Sinaht, Haftanın, Kanimasi und Zap.

Vom 16. Dezember 2007 bis zum 29. Februar 2008 beteiligte sich die türkische Luftwaffe an der Operasyon Güneş Harekatı (Operation SONNE) zur Bekämpfung von Stützpunkten der kurdischen KGK im Nordirak. An der Operation waren mindestens 10.000 Soldaten beteiligt, jedoch erwies sich die Offensive als Fehlschlag.

Am 19. Oktober 2011 kamen bei einem Angriff der KGK auf türkische Militärposten in Çukurca an der Grenze zum Irak 24 Sicherheitskräfte ums Leben, 18 wurden verwundet. Der Angriff war der verlustreichste für die türkische Armee seit 1993. Daraufhin drangen türkische Kommandoeinheiten in Bataillonsstärke (ca. 600 Mann) mit Luftunterstützung in den Nordirak ein. (177) Zwischen dem 1. Januar und dem 28. November 2011 wurden bei Gefechten rund 330 Menschen (101 Soldaten, 163 KGK-Angehörige, 21 Zivilisten, 32 Polizisten und 13 Dorfschützer) getötet.

Im Verlauf des Jahres 2015 griff die türkische Luftwaffe fünf kurdische Ortschaften in den Kandil-Bergen im Nordirak an. Die Angriffe begannen am 24. Juli.

Trotz der andauernden Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der „türkisch“-kurdischen KGK kam es im Laufe der Jahre zu einer Annäherung zwischen der türkischen Regierung und den „irakischen“ Kurden unter Führung von Masud Barzani von der Partiya Demokrata Kurdistanê (PDK – dt.: „Demokratische Partei Kurdistan), dem Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, zumal die türkische Regierung den Import „kurdischen“ Öls aus dem Nordirak zuließ, was der „Autonomen Region“ ihre wichtigste Einnahmequelle sicherte.

Die Türkei entsandte Militärberater und Soldaten in die autonome Region Kurdistans im Nordirak, um die regionalen kurdischen Streitkräfte, die Peschmerga, auszubilden. Die Zentralregierung des Irak kritisierte im Dezember 2015 dieses türkische Vorgehen.

Die türkische Regierung hat bisher die Aufforderungen der irakischen Regierung, sie solle ihre Truppen aus dem Irak abziehen ignoriert. Stattdessen beteiligte sich die türkische Artillerie eigenmächtig an der Vertreibung des „IS“ aus Mossul im Oktober 2016. (178)

Am 6./7. Januar 2017 sicherte der damalige türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım der irakischen Regierung zu, dass sich die rund 700 türkischen Soldaten in Başika bei Mossul zurückziehen werden. Im Gegenzug versprach die Regierung in Bagdad, gegen die kurdische KGK im Sindschar-Gebirge vorzugehen.

Am 14. Dezember 2017 überschritten türkische Soldaten bei Şemdinli erneut die Grenze. Sie wurde unterstützt von den Heeresfliegern, die zahlreiche Soldaten mit Hubschraubern im Hinterland absetzten. In der Presse war von der „Zap-Operation“, benannt nach einem Fluss im Nordirak, die Rede. Zahlreiche Dörfer wurden besetzt. Zur Luftunterstützung wurden auch Kampfflugzeuge F-16 und Drohnen eingesetzt. Immer wieder führen die Türken kleinere Operationen durch, um gegen die KGK vorzugehen. (179)

Im Verlauf des Jahres 2018 haben die türkischen Streitkräfte ihr Truppenkontingent im Nordirak verstärkt und unterhalten dort nun zwischen 11 und 18 Militärstützpunkte mit insgesamt ca. 4.100 bis 5.000 Soldaten:

- Amêdiyê: ältere Militärbasis aus den neunziger Jahren

- Bamernê: ältere Militärbasis, noch im Einsatz - Panzerbataillon, Logistik, Fliegerhorst

- Başîqa (Nordwestlich von Mossul): seit 2015, vormals 600 bis 700 Soldaten, seit März 2018 erheblich verstärkt, Stationierung von Panzerfahrzeugen

- Batufa: ältere Militärbasis noch im Einsatz, MİT-Niederlassung

- Bêgova (Girê Biyê): Militärbasis

- Berwarî: Qimrê: Militärbasis

- Çiyayê Serzêrî: Militärbasis

- Deriyê Dawetiya: Militärbasis

- Diyana: ältere Militärbasis, türkisches Ausbildungszentrum für kurdische Peschmergas

- Dohuk: ältere Militärbasis, MİT-Niederlassung

- Hewlêr: ältere Militärbasis

- Kanîmasî (Girêbaruxê): ältere Militärbasis, z. Zt. Spezialeinheiten

- Koxê Spî: Militärbasis

- Kupkê: Militärbasis

- Meqlub-Berg: Militärbasis

- Selehedîn: als erste Militärbasis 1994 errichtet, Sondereinheiten disloziert

- Silêmanî: Militärbasis

- Sinkê: Militärbasis

- Sîrê (Şêladizê): Militärbasis

- Sîrê (Şîrtê): Militärbasis

- Soran: seit dem 11. März 2018 Militärbasis

- Zaxo bzw. Geliyê Zaxo: ältere Militärbasis noch im Einsatz, MİT-Niederlassung (180)

 

Sie planen, weiter nach Osten vor zu dringen. Anfang Juni 2018 begann die türkische Luftwaffe mit erneuten Angriffen auf die KGK-Stellungen in den Kandil-Bergen. (181)

 

- Die Kurdengebiete in Nordsyrien

 

Die „türkische“ KGK verfügt über ein syrisches Pendant, die Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, dt.: „Partei der Demokratischen Union“) unter Führung von Shahuz Hassan und Aischa Hesso. Die Partei wurde 2003 gegründet, ihre Zentrale befindet sich in Qamischli.

Ihr bewaffneter Arm ist seit dem 26. Oktober 2011 die Yekîneyên Parastina Gel (YPG, dt.: „Volksverteidigungseinheiten“). Außerdem unterhalten sie einen eigenen Nachrichtendienst, der z. Zt. von Civan İbrahim geführt wird. Ihr Ziel ist die Errichtung eines unabhängigen Kurdenstaates „Rojava“. Im Juni 2014 warf die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) der PYD u. a. vor, Kindersoldaten einzusetzen. Daraufhin entließ die PYD in den folgenden Monaten diese Kindersoldaten aus ihren Kampfverbänden. Außerdem warf Amnesty International der PYD vor, die nicht-kurdische Zivilbevölkerung aus ihren Gebieten zu vertreiben.

Die YPG haben sich mit anderen kleineren Milizen zu den Syrian Democratic Forces (SDF, kurdisch: Hêzên Sûriya Demokratîk) zusammengeschlossen, um das Terrorregime von Baschar al-Assad und die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ zu bekämpfen. Daher werden die SDF von der US-Regierung im Rahmen der Operation INHERENT RESOLVE unterstützt.

Zwischen der türkischen und der syrischen Regierung gab es seit längerem ein geopolitisches und ideologisches Konkurrenzverhältnis. Beide Staaten betrachten sich als „Erzfeinde“. Im Jahr 1998 drohte die türkische Regierung mit einer Militärinvasion, sollte die syrische Regierung dem damaligen PKK-Führer Abdullah Öcalan weiterhin in Damaskus Asyl gewähren; daraufhin musste Öcalan im Oktober 1998 in den Sudan umsiedeln. Dennoch kam es in den ersten Jahren der Amtszeit Erdoğans zu einer Annäherung, vielleicht sogar Freundschaft zwischen beiden Herrschern. So reiste Baschar al-Assad im Jahr 2004 zu politischen Gesprächen nach Ankara; dies war der erste Besuch eines arabischen Regierungschefs in der Türkei seit 1923. Noch im Jahr 2011 trafen sich die Außenminister beider Länder, um ihre Handelsbeziehungen zu intensivieren und sogar gemeinsame Militärmanöver durchzuführen. Dies änderte sich radikal, als im März 2011 der syrische Bürgerkrieg ausbrach. Im September 2011 kam es zum offenen Bruch. Die türkische Regierung beklagte, Assad habe alle Vermittlungsvorschläge abgelehnt, Assad hingegen warf der Türkei vor, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens eingemischt zu haben.

 

-- Die türkischen Militäroffensiven gegen die Kurden in Syrien

 

Nach dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 erwog die türkische Regierung eine Militärinvasion nach Syrien. Erdoğan beauftragte den damaligen Generalstabschef General Necdet Özel mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Operationsplans. Allerdings kam General Özel zu der Erkenntnis, bei einer solchen Operation würden mehrere tausend türkische Soldaten fallen. Daraufhin tobte zwar Erdoğan, dennoch begrub er vorübergehend seine Interventionsabsichten.

Im März 2014, wenige Tage vor der türkischen Parlamentswahl, tauchte ein Telefon-Mitschnitt bzw. „Youtube“-Video auf, indem mehrere hochrangige türkische Politiker und Geheimdienstler über eine Militärintervention in Syrien diskutierten. Beteiligt waren der damalige Außenminister Ahmet Davutoğlu, Geheimdienstchef Hakan Fidan (MİT), der Unterstaatssekretär für Nahostfragen im Außenministerium Feridun Hadi Sinirlioğlu und Vizearmeechef General Yaşar Güler. Der genaue Zeitpunkt und Ort des Mitschnitts ist nicht bekannt, außerdem lässt sich die Echtheit der Aufnahme – wieder einmal – nicht überprüfen.

Über den Inhalt der angeblichen Telefonmitschnitte berichtete der frühere „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim (Seite: 205f):

„Die Stimme, die Geheimdienstchef Fidan zugeschrieben wird, erläutert, dass die Türkei keine Kontrolle mehr über die türkisch-syrische Grenze habe. Man müsse deshalb verstärkt damit rechnen, dass in Zukunft auch in der Türkei Bomben explodieren. Eine Stimme sagt, man habe einen türkischen General zu den Dschihadisten geschickt. Außenminister Davutoğlu erkundigt sich, welche Folgen es hätte, türkische Truppen nach Syrien zu entsenden. „Würde es Schwierigkeiten geben, wenn wir Panzer nach Syrien schicken?“, fragt er.

Offensichtlich bereitete es Davutoğlus Gesprächspartnern anfangs Unbehagen, über einen Krieg mit Syrien zu sprechen. Er vergewissert der Runde daher, Erdoğan, damals noch Premierminister, sei grundsätzlich einverstanden. Er habe in diesem Zusammenhang auch um ein persönliches Treffen mit Erdoğan gebeten, „weil die Lage nicht gut aussieht“. Das syrische Militär sei durchaus schlagkräftig, daher sei man bislang noch nicht einmarschiert.

Aber letztlich unterhalten sich die Männer doch darüber, wie man einen Krieg gegen Syrien beginnen könnte. Sie erwägen dem Mitschnitt zufolge, Anschläge auf schützenswerte Grabstätten zu inszenieren, um einen Angriffsgrund gegen Syrien zu haben. Alternativ könnten auch türkische Agenten von syrischem Boden aus Raketen auf türkisches Territorium feuern. Wörtlich sagt ein Mann, vermutlich Geheimdienstchef Fidan: „Wenn es nötig ist, kann ich vier Männer nach Syrien schicken und acht Raketen auf die Türkei abfeuern lassen, um einen Kriegsgrund zu schaffen. Wenn nötig, kann auch ein Angriff auf die Grabstätte erfolgen.“

In gleicher Weise berichtete die „Welt“ am 27. März 2014 berichtete über die geplante Falschflaggenoperation:

„Wenn die Aufnahme echt ist, dann hätte die türkische Regierung – oder zumindest Geheimdienstchef Fidan – den Tod eigener Staatsbürger ins Auge gefasst, um einen international akzeptablen Grund für einen Einmarsch in Syrien zu produzieren.

Die Runde redet darüber, dass eine Aktion gegen islamische Extremistengruppen international gut erklärt werden kann. Dann kommt man zur Frage eines auslösenden Grundes. Fidan wird mit den Worten zitiert: „Einen Grund kann man immer schaffen. Die Frage ist, den Willen zu schaffen.“ Im weiteren Verlauf schlägt er vor, einige Männer in Syrien das historische Grab von Schah Süleyman beschießen zu lassen. Das Grab gilt als türkisches Nationalheiligtum und extraterritoriales Gebiet und wird permanent von rund zwei Dutzend türkischen Soldaten geschützt.

Tatsache ist, dass die Türkei in den letzten Tagen offiziell gedroht hat, in Syrien „alle Mittel“ anzuwenden. Beobachter sehen darin einen Versuch, die bedrängte innenpolitische Lage der Regierung aufzubrechen, durch einen militärischen Befreiungsschlag, der von den immer neuen Enthüllungen über Machtmissbrauch und Korruption auf höchster Ebene ablenken könnte. Ein Militärschlag wäre umso brisanter, als er die Nato in den syrischen Krieg hineinziehen könnte.

Theoretisch ist im Kriegsfall auch eine Verschiebung der Wahlen denkbar. Am 30. März stehen Lokalwahlen an, im August dann Präsidentschaftswahlen, und im nächsten Jahr Parlamentswahlen.

Die Echtheit der Tonaufnahme wurde von Davutoglu (türkischer Außenminister, G. P) selbst bestätigt. Er sagte jedoch, „Teile davon“ seien „manipuliert“ worden. (…) Davutoglu verkündete, die Angelegenheit sei ein „Cyberangriff gegen die Türkei“ und eine „Kriegserklärung“ gegen das Land.(182)

In der Folge kam es wiederholt zu Zwischenfällen u. a. im Luftraum über dem türkisch-syrischen Grenzgebiet:

- Im Jahr 2012 wurde eine türkische F-4 Phantom II von der syrischen Luftverteidigung abgeschossen. Beide Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

- Am 23. März 2014 schoss eine türkische F-16 Fighting Falcon bei Kessab (Syrien) eine syrische MiG-23 ab. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten.

- Als am 15. September 2014 Einheiten des „Islamischen Staates“ in die syrisch-kurdische Grenzstadt Kobanê eindrangen und die Einwohner drangsalierten, verharrten die türkischen Panzereinheiten in Sichtweise auf türkischem Territorium und schauten dem blutigen Treiben monatelang nur kampflos zu. Verschiedene kurdische Gruppierungen (YPG, HPG) leisteten mit rund 1.800 Kämpfern erbitterten Widerstand. Die türkischen Streitkräfte hinderten „türkische“ Kurden daran, ihren Volksgenossen auf syrischer Seite zu helfen, bei diesen Auseinandersetzungen gab es mehrere Tote. Mehrere tausend Einwohner mussten fliehen. Mehrfach verfehlten Granaten des „IS“ ihr Ziel und schlugen auf türkischem Gebiet ein. Erst am 26. Januar 2015 konnten die Kurden – mit Luftunterstützung der US-geführten Kriegskoalition den „IS“ aus der Stadt vertreiben. Durch die monatelangen Häuserkämpfe, den Artilleriebeschuss und die Luftangriffe wurde Kobanê schwer beschädigt. Das zögerliche Abwarten der türkischen Truppenverbände brachte der türkischen Regierung international einen enormen Ansehensverlust ein.

- Im weiteren Kriegsverlauf änderte die türkische Regierung ihre Haltung gegenüber dem „Islamischen Staat“: Am 24. Juli 2015 griff die türkische Luftwaffe erstmals „IS“-Stellungen in Nordsyrien an: Operation YALÇIN. Zum Einsatz kamen F-16 der 8. Ana Jet Üs Komutanlığı aus Diyarbakır. Ziel waren zwei Kommandozentren und ein Unterstützungscamp bei Hawar al-Naht in der Nähe von Dscharabulus. Neun „IS“-Mitglieder wurden getötet und zwölf weitere verwundet. Die Luftangriffe wurden am folgenden Tag fortgesetzt.

- Am 20. Dezember 2016 einigten sich die Türkei, Russland und der Iran in Moskau auf eine gemeinsame Erklärung. Die Regierungen Russlands, der Türkei und des Irans bekundeten darin ihre uneingeschränkte Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Integrität der Arabischen Republik Syrien als multiethnischem, überkonfessionellem, demokratischem und säkularem Staat, signalisierten ihre Bereitschaft, gemeinsam in Richtung eines Abkommens zusammenzuarbeiten, das zwischen der syrischen Regierung und der Opposition ausgehandelt werden sollte und betonten ihre Entschlossenheit, gemeinsam gegen den „IS“ und al-Nusra zu kämpfen. Eine Woche später folgte eine gemeinsame Operation türkischer Bodentruppen, die mit russischer Luftunterstützung in Syrien vordrangen. Allerdings markierte das Abkommen einen erneuten Schwenk in der türkischen Syrienpolitik um 180 Grad: Regierungschef Assad soll nicht mehr gestürzt sondern unterstützt werden. Zwar stimmte sich die Türkei im so genannten Astana-Prozess weiterhin mit Russland und dem Iran in ihrer Syrienpolitik ab, aber mittlerweile beschränkt sich der türkische Einfluss auf die Sicherung einer Einflusszone in Nordsyrien und die Schwächung der kurdischen YPG.

 

--- Operation SCHUTZSCHILD EUPHRAT (2016/17)

 

Ab 2016 lieferte ausgerechnet der „IS“, der bis dato „gute Beziehungen“ zur türkischen Regierung unterhalten hatte, einen Vorwand für eine türkische Offensive gegen Syrien. Am 20. Juli 2015 verübte der „IS“ einen Bombenanschlag auf eine kurdische Kulturveranstaltung in Suruç, bei der 34 Jugendliche starben und 76 verletzt wurden. Dies leitete zugleich eine Wende in der türkischen Politik gegenüber dem „IS“ ein, gleichzeitig nahm die türkische Regierung ihren „Anti-Terror-Krieg“ gegen die Kurden im eigenen Land wieder auf:

Ein Jahr später, vom 21. August 2016 bis zum 29. März 2017, führten die türkischen Streitkräfte die Operation FIRAT KALKANI HAREKÂTI (dt. „SCHUTZSCHILD EUPHRAT“) gegen kurdische Verbände (DKF, YPG) in Syrien und Nordirak durch. Diese Operation war nicht durch das Völkerrecht abgedeckt. Die Operation wurde geleitet durch Generalleutnant İsmail Metin Temel und Generalleutnant Zekai Aksakallı. Auf türkischer Seite wurden ca. 3.000 Soldaten aufgeboten, darunter Einheiten einer Panzerbrigade der 2. Armee, des 58. Artillerieregiments und des 106. Artillerieregiments. Hinzu kamen Kampfstaffeln der Luftwaffe. Die Operation wurde seit Juni 2015 geplant, aber mehrere hohe Offiziere, darunter Brigadegeneral Semih Terzi vom Kommando der Sondereinheiten, warnten vor einem solchen Einsatz, da dafür die Kapazitäten der türkischen Streitkräfte nicht ausreichen würden. Zwar konnten die Offiziere die Operation letztendlich nicht verhindern, aber sie verzögerte sich um rund ein Jahr. Durch die Festnahmen in Folge des Militärputsches wurden mehrere Widersacher gegen die Operation kaltgestellt. (183)

Eingesetzt wurden Kampfpanzer der Typen Leopard 2A4 und Sabra, gepanzerte Mannschaftstransportwagen ACV-15 und M113, Feldhaubitzen M110, Panzerhaubitzen Fırtına, Raketenwerfern Sakarya und M270 MLRS sowie Drohnen Bayraktar. Die Luftwaffe setzte ihre F-16 ein.

Unterstützt wurden die türkischen Streitkräfte von der so genannten Free Syrian Army (FSA). Allerdings erwiesen sich diese als zu schwach und unzuverlässig. So mussten die türkischen Streitkräfte schließlich im Dezember 2016 eigene Verstärkungen anfordern, darunter 300 Mann Spezialeinheiten für den Häuserkampf.

Im Rahmen der Operation SCHUTZSCHILD EUPHRAT konnten die türkischen Streitkräfte rund 2.300 qkm syrischen Territoriums besetzen: Am 21. August 2016 drangen türkische Fallschirmjäger in die syrische Stadt Dscharabulus vor, die am 24. August – nach vorbereitendem Feuer durch die Artillerie - eingenommen werden konnte. Anschließend drangen die türkischen Truppen mit Luft-Unterstützung (Close-Air-Support - CAS) durch die Jagdbomber F-16 weiter südlich vor. Am 16. Oktober konnte Dabiq eingenommen werden. Danach rückten die Truppen weiter in Richtung al-Bab vor. Im Dezember 2016 behauptete der „IS“, bei den Kämpfen um die Stadt 10 Kampfpanzer Leopard 2A4 und einen Sabra abgeschossen zu haben. Am 18. Januar 2017 griffen türkische und russische Kampfflugzeuge in einer gemeinsamen Aktion „IS“-Stellungen bei al-Bab an. Insgesamt wurden 36 Ziele getroffen. Am 9. Februar bombardierte die russische Luftwaffe versehentlich ein Gebäude bei al-Bab, in dem sich türkische Soldaten aufhielten. Außerdem setzte die türkische Luftwaffe (Kampf-)Drohnen vom Typ Bayraktar ein. Es gab vier Tote und zehn Verletzte. Am 23. Februar konnte die Stadt endgültig eingenommen werden.

Nach türkischen Angaben wurden insgesamt 2.288 „IS“-Kämpfer und 357 kurdische Kämpfer getötet. Auf türkischer Seite starben mindestens 74 Soldaten. Nach inoffiziellen Angaben einigten sich die türkischen und russischen Militärs am 10. Februar darauf, dass die Bundesstraße M4 die Grenze zwischen den Gefechtsstreifen beider Armeen ist.

Ab dem 1. März drangen türkische Truppen mit Unterstützung durch die FSA in Richtung des Dorfes al-Arima bei Manbidsch und Tall Rifaat vor. Zum Ergebnis der Operation berichtete „Wikipedia“:

„Mit Abschluss der Operation konnte die Türkei ihr Ziel der kompletten Verdrängung des IS von der Grenze zur Türkei und zu den türkisch kontrollierten Gebieten in Syrien (Güvenli Bölge) erreichen. Auch das Ziel, ein zusammenhängendes von den DKS bzw. YPG kontrolliertes Gebiets entlang der türkischen Grenze zu verhindern, konnte erreicht werden. Die vorherige Zielsetzung, wonach sich diese Gruppierungen hinter den Fluss Euphrat zurückziehen sollten, konnte jedoch nicht erreicht werden.“ (184)

Nun, am 4. Juni 2018, haben die Außenminister der Türkei und der USA, Mevlüt Çavuşoğlu und Mike Pompeo, eine Vereinbarung getroffen. Demgemäß dürfen die Türken angeblich nicht in Manbidsch einrücken; die YPG-Verbände sollen sich in den kommenden Wochen aus Manbidsch bis hinter den Euphrat zurückziehen. (185) Dort wollen die türkischen Streitkräfte ihre Operation Cizire Storm wieder aufnehmen, um die letzten Reste des „IS“ zu zerschlagen. Die amerikanischen und türkischen Streitkräfte wollen gemeinsame Patrouillen entlang der Waffenstillstandslinie durchführen, bisher blieb es jedoch bei unilateralen Streifen.

 

--- Operation im Raum Idlib (2017)

 

Anfang 2017 musste Recep Tayyip Erdoğan noch hilflos zusehen, wie die von der Türkei unterstützen Rebellengruppen in der Provinz Idlib von der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), eine Nachfolgeorganisation der al-Nusra-Front, zerrieben wurden. Am 12. Oktober 2017 begannen die türkischen Streitkräfte eine Operation gegen die syrische Stadt Idlib, einem Vorort von Aleppo. Ziel der Operation war es, die dschihadistische HTS aus Idlib zu vertreiben. Dies hatte die türkische Regierung in Gesprächen mit der russischen und der iranischen Regierung in Astana so vereinbart. Laut türkischer Propaganda ging es um die Schaffung einer „Deeskalationszone“ entlang der türkisch-syrischen Grenze auf syrischem Gebiet. Bei ihrem Vorstoß wurden die türkischen Streitkräfte von der FSA und der dschihadistischen Harakat Ahrar al-Sham al-Islamiya (Kurzname: Ahrar al-Sham, dt.: „Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens“) unterstützt. Rund zwanzig Terroristen aus Deutschland hatten sich der Ahrar al-Scham angeschlossen. (186)

 

--- Operation OLIVENZWEIG (2018)

 

In der Region um die Stadt Afrîn (vormals 300.000) errichtete die Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, dt.: „Partei der Demokratischen Union“) eine autonome kurdische Enklave (ca. 1.800 qkm)

Am 14. Januar 2018 begann der Vormarsch der türkischen Streitkräfte zur Eroberung der Region Afrîn und zur Vertreibung der Kurden, um eine Vereinigung der Kurdenregionen um Afrîn und Kobanê zu verhindern. Der Name der Operation lautet OLIVENZWEIG (ZEYTİN DALI HAREKÂTI). Ein UN-Mandat lag nicht vor. Die türkischen Landstreitkräfte werden von der 2. Armee unter dem Kommando von Generalleutnant İsmail Metin Temel gestellt. Es handelt sich um ca. 6.400 Mann Bodentruppen und Luftwaffeneinheiten. Zu den eingesetzten Spezialeinheiten zählen die militärischen Bordo bereliler und SAT, die JÖH der Jandarma und die PÖH der Polizei. (187) Angeblich setzte die türkische Luftwaffe auch Napalm-Bomben ein.

Allerdings kamen die türkischen Verbände - wegen des Widerstandes der kurdischen Yekîneyên Parastina Gel (YPG) und weil das schlechte Wetter keine Luftunterstützung zuließ – nur langsam voran. Mindestens ein türkischer Panzer wurde abgeschossen. Am 10. Februar wurde ein Kampfhubschrauber T129 bei Qaddah abgeschossen, dabei starben die beiden Piloten. Am 13. März konnten die türkischen Verbände die Stadt einkreisen und die Strom- und Wasserversorgung kappen. Schätzungsweise 150.000 Zivilisten flohen anschließend aus dem Kessel. Am 17. März bombardierte die türkische Luftwaffe das einzige Krankenhaus in der Stadt. Einen Tag später konnten die Türken die Stadt erobern. In einem Bericht des Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) heißt es zur gegenwärtigen Lage:

„Die existierende lokale Regierungsstruktur wurde von einem lokalen Rat übernommen, der von der Türkei geschaffen wurde und "Rettungsrat von Afrin" genannt wird. Eine lokale Zivilpolizei, ausgebildet und ausgestattet von der Türkei, wird in der Stadt Afrin eingesetzt. (…). Ein syrischer Staatsbürger wurde von türkischen Vertretern zum Richter für Afrin bestellt. Diese Person soll Afrin von der Türkei aus regelmäßig besuchen.

Er hat aus Sicherheitsgründen seinen Sitz nicht in Afrin. Die Aufsicht über die Regierungsstrukturen wird von der Türkei ausgeübt. Zwei türkische Staatsbürger haben vom Gouverneur (Wali) des türkischen Distrikts Hatay die Aufgabe bekommen, als Gouverneur (Wali) in Afrin zu fungieren und ihm Bericht zu erstatten. Die beiden Walis besuchen Afrin abwechselnd, jeder an einem Tag, und erstatten dann im türkischen Hatay Bericht.“ (188)

Gleichzeitig machen sich vor Ort die islamistisch-reaktionäre Milizen Faylaq al-Rahman, Laish al-Islam, Ahrar al-Sharqija und Ahrar al-Shamal breit.

Die Bodenoffensive wurde durch Kampfeinsätze der Luftwaffe unterstützt: Am 20. Januar wurden ca. 72 Flugzeuge eingesetzt, am 21. Januar 32 Flugzeuge gegen 45 Ziele und am 24. Januar 27 Maschinen gegen 47 Ziele. Zum Einsatz kamen F-16 C/D der Staffeln 132, 152, 161, 181, 182 und 192, F-4E der 111. Staffel eine E-7T der 131. Staffel, mehrere KC-135R Tankflugzeuge der 101. Staffel und Drohnen der Typen Bayrakter und Anka.

Angesichts der türkischen Offensive in Syrien kam es zu einer „Allianz“ zwischen den Kurden und der syrischen Regierung. Angesichts der Unterlegenheit der YPG vereinbarten beide Seiten am 18. Februar 2018, dass die syrische Armee – mit Unterstützung iranischer Einheiten – in Afrîn einmarschieren und die Stadt verteidigen solle. Am 3. März kamen bei einem türkischen Luftangriff auf Kafr Jina ca. 40 syrische Soldaten ums Leben.

Über die Zahl der Opfer gibt es keine genauen Schätzungen, zumal die türkische Seite nicht immer zwischen „getötet“ und „gefangengenommen“ unterscheidet, sondern einfach nur davon spricht, dass soundso viele Gegner „neutralisiert“ („etkisiz hale getirilmek“) wurden. (189) Allein die Zahl der Flüchtlinge in der Region wird auf 300.000 geschätzt, darunter 137.000 aus Afrîn. Viele fanden in Refaat vorübergehend einen Unterschlupf.

Den türkischen Besatzungstruppen geht es aber nicht nur um die Vertreibung der autochtonen kurdischen Bevölkerung, auch ihr kulturelles Erbe soll vernichtet werden. In diesem Sinne setzt die türkische Regierung das Zerstörungswerk des „Islamischen Staates“ fort. So bombardierte die türkische Luftwaffe in Afrîn eine antike Tempelanlage der Hethiter, die frühbyzantinische Ruinenstadt Barad und die Tempelanlage Ain Dara aus dem 13. Jahrhundert. Dazu bemerkte Elke Dangeleit:

„Die türkische Regierung treibt die Zerstörung historischer Kulturgüter, die keinen islamischen Ursprung haben, voran. Kirchen und Zeugnisse mesopotamischer Kultur sind in der Region entweder dem Zerfall oder der Zerstörung ausgeliefert. (…)

Überall dort, wo der türkische Staat fremdes Territorium besetzt – wie zum Beispiel in Nordsyrien, erfolgt im Anschluss die systematische und gewaltsame Zerstörung jenes kulturellen und religiösen Erbes, das nicht in Erdogans Ideologie passt. Historische Stätten und religiöse Denkmäler werden ausgeplündert, dem Erdboden gleichgemacht oder enteignet.“ (190)

Russland hatte – auf kurdischen Wunsch – 100 Militärpolizisten in der Region stationiert. Als die türkischen Truppen angriffen, zogen sich die Russen zurück. Die russische Regierung forderte, dass die Türkei die Stadt Afrîn den syrischen Regierungstruppen überlässt, dies verweigerte bisher die türkische Seite. Der damalige stellvertretende Premierminister Recep Akdag erklärte dazu:

„Es ist völlig unvorstellbar, dass wir Afrin an die Assad-Regierung zurückgeben. Das ist doch keine demokratische Regierung. Wir wollen uns in Afrin nicht langfristig festsetzen. Unser einziges Ziel ist, im Kampf gegen terroristische kurdische Gruppen wie die YPG die Sicherheit der Türkei zu verteidigen und das Gebiet schnellstmöglich dem syrischen Volk zurückzugeben.“ (191)

Zu den jüngsten Operationen der 2. Armee heißt es bei „Wikipedia“:

„Ismail (gemeint ist Generalleutnant Ismail Metin Temel, G. P.) has commanded two offensives, the first offensive was Operation Euphrates Shield, located on the Turkish-Syrian border in which he and Lt. Gen. Zekai Aksakallı successfully defeated 5000-7000+ ISIL fighters from Jaish al-Osra and Wilayet Haleb killing 2,647 and capturing 417 fighters. The second offensive (Operation Olive Branch) came amid growing tensions between the Turkish and American governments over the latter's support of the Syrian Democratic Forces, which are made up primarily of Kurdish fighters of the YPG, which Turkey considers to be a branch of the PKK. In particular, Turkey objected to announced plans by the US to train and equip a 30,000 strong SDF border force, which Turkey claimed posed a direct threat to their security.“ (192)

Es wird vermutet, dass die türkischen Truppen weiter auf Manbidsch vorstoßen sollen. Amerikanische Generäle (Generalmajor James B. Jarrard und Generalleutnant Paul E. Funk II) kündigten daraufhin an, sie würden diese Region mit ihren Truppen und ihren kurdischen Verbündeten auf keinen Fall verlassen; allerdings deutete die Trump-Regierung am 10. März an, dass man eventuell bereit sei, das Gebiet den Türken zu überlassen.

Auch in der Türkei selbst gab es Proteste gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch. Mindestens 786 Personen wurden festgenommen. Die Bundesregierung unterstützte – de facto - den türkischen Einmarsch indem sie ihre profitablen Waffen- und Munitionslieferungen im Wert von 4,4 Millionen Euro in das Krisengebiet Türkei fortsetzte. (193) In der Bundesrepublik kam es zu mehreren deutsch-kurdischen Großdemonstrationen gegen den türkischen Vorstoß. In der Nacht zum 12. März 2018 gab es mehrere Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in der BRD. (194)

Am 6. Mai 2018 kündigte Recep Tayyip Erdoğan auf einem AKP-Sonderparteitag in Istanbul weitere Militäroffensiven in Nordsyrien an: „Die Türkei wird in der neuen Periode (gemeint ist nach der Präsidentenwahl im Juni 2018, G. P.) neue Operationen starten, wie die Operation Euphrat-Schild und die Operation Olivenzweig, um ihre Grenzen vor Terroristen zu schützen.“ (195) Es bleibt abzuwarten, ob die US-Regierung – wieder einmal - die Kurden als „nützliche Idioten“ fallen lässt und stattdessen mit der FSA paktieren wird.

Um ihre Grenzsicherung auszubauen, hat die türkische Regierung mittlerweile eine fast 700 km lange, doppelte „Mauer“ (Betonwände, Video-Überwachung, Schussanlagen) entlang der türkisch-syrischen Grenze errichtet, um das Einsickern von dschihadistischen Terroristen und syrischen Flüchtlingen zu verhindern. Dabei geht die Jandarma brutal gegen Flüchtlinge vor. Auch an den Grenzen zu Irak und Iran sollen die Grenzanlagen in gleicher Weise befestigt werden.

 

E) Das türkisch-deutsche Verhältnis

 

Die türkische Republik ist ein souveräner Staat und letztendlich müssen die Türken auf demokratischem Wege selbst entscheiden, wie schnell und wie gründlich sie ihr Gemeinwesen zerstören und welchen „Preis“ sie dafür bezahlen wollen. Eine andere Frage ist, wie die sich „deutschen“ Türken in der BRD (Alamanci) dazu verhalten und welche Rolle sie dabei einnehmen. Von den ca. 4,5 Millionen Muslimen in der BRD sind zwei Drittel „Deutschtürken“ (= deutsche Staatsbürger türkischer Abstammung, türkische Staatsbürger, die in Deutschland geboren wurden und hier ihren Lebensmittelpunkt haben oder "Gastarbeiter" der Ersten Generation). Um diese zu beeinflussen, verfügt das Regime von Präsident Erdoğan über mehrere einflussreiche Propanda-Institutionen:

- der Moscheeverband Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (DİTİB, dt.: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) mit Sitz in Köln-Ehrenfeld und über 970 Moscheevereine im gesamten Bundesgebiet. Sein Generalsekretär ist der Islamwissenschaftler Bekir Bekir Alboğa.

- die Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) mit ihren 320 Moscheevereinen, die bis 2015 von dem Generalsekretär Mustafa Yeneroğlu geleitet wurde, der mittlerweile für die AKP im türkischen Parlament sitzt und durch seine wiederholten Auftritte in deutschen TV-„Talkshows“ bekannt wurde.

- die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD) wurde 2004 von Herrn Erdoğan gegründet. Sie ist mittlerweile in 16 europäischen Staaten präsent, darunter mit 13 Niederlassungen in der BRD. Über die Lobby-Vereinigung berichtete der „Spiegel“ am 16. September 2011:

„Premier Erdogan versucht seit Jahren, die Auslandstürken für seine politischen Ziele einzuspannen. 2005 eröffnete er in Köln die Zentrale der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), einen AKP-Lobby-Verein. Die UETD wirbt unter Deutsch-Türken um Stimmen für Erdogan, zuletzt vor der türkischen Parlamentswahl im Juni. Sie hat seine umstrittene Rede in Köln 2008 vorbereitet und seinen Wahlkampfauftritt in Düsseldorf im Februar dieses Jahres. Nun jedoch geht sie noch einen Schritt weiter: Aktive und ehemalige UETD-Spitzenfunktionäre waren maßgeblich an der Gründung der BIG-Partei beteiligt. „Es ist Zeit, unsere Kräfte zu bündeln“, sagt der Vorsitzende der Union, Hasan Özdogan. (…)

Nach deutschem Recht ist es ausländischen Regierungen verboten, hierzulande Parteien zu gründen. Özdogan bekleidet kein offizielles Amt innerhalb des Bündnisses. Insider berichten allerdings, dass er es sei, der den Kurs bestimme. Immerhin gibt Özdogan zu, am Aufbau mitgewirkt zu haben.“ (196)

- das so genannte „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG) ist eine Partei, die im März 2010 von UETD-Funktionären gegründet wurde. Parteivorsitzender ist Haluk Yildiz, der zeitweise im Bonner Stadtrat saß, als Generalsekretär amtiert Sabehattin Çakıral. Der Hauptsitz der Partei befindet sich in Bonn. Sie hat schätzungsweise 2.000 Mitglieder. Die Partei erhielt zuletzt bei den Landtagswahlen in NRW am 14. Mai 2017 17.421 Zweitstimmen (= 0,21 Prozent).

Der „Spiegel“ berichtete am 16. September 2011:

„Die Migrantenpartei wurde vor eineinhalb Jahren gegründet, sie hat nur tausend Mitglieder, Meinungsforscher sehen sie weit unterhalb der Fünfprozenthürde. Man könnte sie getrost ignorieren, doch ihr Name erinnert an eine der mächtigsten muslimischen Parteien der Welt: die "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Ist es Zufall, fragen deshalb Beobachter, wenn der AKP-Gründer und Erdogan-Vertraute Yalcintas nun die Deutsch-Türken in Berlin auf einer eigens einberufenen Wahlkampfveranstaltung dazu auffordert, die neue Migrantenpartei zu wählen?“ (197)

- die so genannte „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD) wurde von dem türkischen Unternehmer Remzi Aru 2016 nach der Armenien-Resolution des Bundestages gegründet. Sie hat ungefähr 1.500 Mitglieder. Die Partei trat erstmals bei der Landtagswahl in NRW 2017 an und erzielte dort mit dem Spitzenkandidaten Levent Önder 12.688 Zweitstimmen (= 0,15 Prozent). Die Landesliste der ADD in Nordrhein-Westfalen wurde zur Bundestagswahl am 24. September 2017 zugelassen. Im Wahlkampf plakatierte die Partei Bilder von Erdoğan mit dem Slogan: „Türkei-Freunde – Steht mit ihnen zusammen! Gebt ihnen Eure Stimmen! Wachst mit ihnen!“ Die Migrantenpartei holte bundesweit 41.251 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent).

- Hinzu kommen zahlreiche – mehr oder weniger - prominente Einzelpersonen, wie der frühere Europaabgeordnete Ozan Ceyhun (vormals Bündnis 90/Die Grünen und SPD). Im Jahr 2012 publizierte er das Buch mit dem Titel „Man wird nie Deutscher“. Anläßlich der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni 2015 verbreitete er zwei „Tweets“: „Mit diesen Oppositionsparteien (...) kann man nur Diener und Sklave von Israel, USA und Deutschland werden.“ Und: „Heute ist der Tag, an dem wir den Oppositionsparteien, die mit den Tempelrittern gemeinsame Sache machen, als Nation eine Antwort geben. Heute ist der Tag, an dem für eine ehrenhafte und unabhängige Türkei die AKP zu wählen ist.“ (198)

- Hinzu kommt auch die Dauerberieselung durch die türkischen Fernsehsender.

Bei den Präsidentschaftswahlen am 10. August 2014 erhielt Recep Tayyip Erdoğan 51,8 Prozent der Wählerstimmen, in Deutschland gaben sogar 68,63 Prozent (= 76.817 Wähler) der „Deutschtürken“ ihre Stimme für ihn ab.

Beim Verfassungsreferendum am 16. April 2017 stimmten 51,41 Prozent aller Türken, aber immerhin 63 Prozent der türkischen Arbeitsmigranten in Deutschland für die Einführung einer mafiösen, islamistischen Diktatur. Damit fiel die Zustimmung unter den „Deutschtürken“ noch um über zehn Prozent höher aus als in der Türkei selbst.

Bei der Präsidentenwahl am 24. Juni 2018 stimmten im Verhältnis wieder mehr „Deutschtürken“ als Türken für Herrn Erdoğan. Während insgesamt 52,59 aller Wähler für Erdoğan votierten, waren es unter den „Deutschtürken“ in der BRD ca. 64,78 Prozent (= 1.443.585 Stimmen) bei einer Wahlbeteiligung von ca. 49,74 Prozent. Im Wahlbezirk Essen konnte Erdoğan gar 76,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. (199) Bei den gleichzeitig stattgefundenen Parlamentswahlen erhielt die AKP von den „Deutschtürken“ 55,7 Prozent, während sie in der Türkei nur auf 42,5 Prozent kam.

Das Abstimmungsverhalten der „lieben Verwandten“ in Deutschland dürfte nicht ohne Wirkung bleiben, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei unter Präsident Erdoğan absehbar verschlechtern. So kritisierte Max Kowatsch das Votum der Auslandstürken auf „Telepolis“:

„Sie waren die drei Prozent – die „Königsmacher“ -, die Erdoğan zum Erreichen der absoluten Mehrheit verholfen haben, während sie gleichzeitig von den weitreichenden Konsequenzen dieser Wahl nicht betroffen sein werden. Sie leben in Deutschland oder Österreich und werden nicht in den „Genuss“ des neuen Präsidialsystems kommen, womit aus einem anerkannten Prozedere, der verfassungsmäßigen Mitbestimmung von Staatsbürgern im Ausland, etwas Bedenkliches wird - ein demokratischer Vorgang mit fadem Beigeschmack. Denn den Preis für die neo-osmanischen Träume der „Auslandstürken“ werden die Menschen in der Türkei, die „Inlandstürken“, zahlen.“ (200)

Für die politischen Verhältnisse in der BRD sind diese wiederholten Wahlerfolge des Islamofaschisten Erdoğan in mehrfacher Hinsicht bedenklich und könnten zu einer Verschärfung des „innenpolitischen Klimas“ führen:

1. Auseinandersetzungen Deutsche ohne Migrationshintergrund (almanclar) – „Deutschtürken“ (almanci): Offensichtlich lebt die Mehrheit der drei Millionen Alamanci auf dem Boden Deutschlands, aber nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Daher müssen sich die Mitarbeiter der Bundesorgane für Sicherheit (BOS) fragen, welche Gefahr für den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von den hier lebenden Alamanci ausgeht.

Da eine Heimführung der „Deutschtürken“ aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Gründen auf absehbare Zeit nicht in Frage kommt, bleibt uns dieses hausgemachte Staatsschutzproblem über die kommenden Jahrzehnte garantiert erhalten.

Es wird überlagert durch xenophobe gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zwischen Deutschen und Migranten, die vom niederschwelligen Alltagsrassismus über institutionellen Rassismus bis hin zu Terroranschlägen gegen Moscheen, Flüchtlingsheime und Einzelpersonen reicht, und eine grassierende Islamophobie, bei der nicht zwischen Muslimen, Islamisten und Dschihadisten unterschieden wird. Immerhin rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung werden von den Sozialwissenschadftlern als „anfällig für Rassismus“ eingeschätzt.

Am 10. Juli 2018 erließ der Bundesinnenminister ein Verbot der türkischen Rockergruppe „Osmanen Germania BC“. Diese gehöre zur „Organisierten Kriminalität“: „Von dem Verein geht eine schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit aus“, hieß es in einer BIM-Pressemittteilung. Wer den Rechtsstaat ablehnt, kann von uns keine Nachsicht erwarten,“ erklärte Horst Seehofer (CSU). (201)

2. „Resonanzen“ (deutscher Staatsschutzjargon) zwischen Türken und Kurden: Während es in den letzten Jahrzehnten auffällig friedlich zwischen Türken und Kurden blieb, könnten die türkischen Militäroperationen und die andauernd hoffnungslose Lage der Kurden zu einer horizontalen Eskalation der Konflikte in Nahost führen.

3. Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen bzw. religiösen Gruppierungen und Strömungen innerhalb der „Deutschtürken“.

4. Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Strömungen unter den Erdoğan-Anghängern.

5. Auseinandersetzungen zwischen Dschihadisten einerseits und gemäßigten Muslimen oder Jesiden andererseits. Zahlreiche Dschihadisten in der BRD sind Türken oder türkischer Abstammung: Veysel Argunaga, Bekir Astürk, Sinasi Ates, Erhan Aydeniz, Sinan Şefik Azak, Ali A., Emre A., Haci Ahmet A., Harun A., Ömer A., Samil A., Savas A., Ünver A., ….

Den Politikern der herrschenden Parteien fiel dazu nicht mehr ein als die Forderung, die lieben Ausländer dürften ihre politischen und sozialen Konflikte aus den Herkunftsländern bitteschön nicht in die BRD verlagern.

Das Ganze spielt sich ab vor dem Hintergrund einer langjährigen Ausländerkriminalität, die gekennzeichnet ist durch gewalttätige jugendliche Intensivtäter bis hin zur Organisierten Kriminalität durch türkische oder arabische Großfamilien oder durch die „Mhallamiye“-Kurden aus der Türkei oder dem Libanon. Demgegenüber wurden die Eingreifrechte der Polizei durch die Landespolizeigesetze und die Strafprozessordnung kastriert, und die ebenso lebensfremden wie überkandidelten Richter und Staatsanwälte üben sich fleißig an der Demontage des Rechtsstaates

Bezeichnend hierfür ist auch die mangelnde Bereitschaft des deutschen Staatsapparates, die Mordserie der mindestens fünfzig Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU), von denen mindestens 43 V-Leute des Verfassungsschutzes bzw. des polizeilichen Staatsschutzes waren, aufzuklären, obwohl dies die Bundeskanzlerin selbst großmäulig versprochen hatte. So wurden an den 27 Tatorten kaum täterrelevante Spuren gesichert. Die Verfassungsschutzakten wurden z. T. systematisch vernichtet, z. T. mit einer Sperrfrist von 120 Jahren belegt. Die Unfähigkeit von zwölf parlamentarische Untersuchungsausschüssen des Bundestages bzw. der Landtage, die Hintergründe der Mordserie aufzuklären, zeigt, wie es um die politischen Machtverhältnisse in der BRD tatsächlich bestellt ist. Ein fünfjähriger Justizprozess bestätigte nur die fragwürdige These des Generalbundesanwalts, dass es sich beim NSU lediglich um ein Terror-Trio handelte. Nicht nur in der Türkei ist ein „tiefer Staat“ hinter der hochfrisierten Fassadendemokratie aktiv.

Die jahrzehntelange „Integration“ durch eine Sozialstaatsindustrie aus Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Betreuern und Deutschlehrern mit all ihren wohlklingenden Programmen und Projekten ist sang- und klanglos gescheitert. Selbst bei Kommunalfesten in Stadtvierteln mit einem hohen türkischen oder arabischen Ausländeranteil glänzen die Türken durch Absentismus. Das ganze Integrationsgequatsche der Grünen, Sozialdemokraten und Christdemokraten war nur Augenwischerei, um ihr eigenes Politikversagen zu kaschieren. Zwar gibt es keine turanistisch-gülenistische Verschwörung zur Übernahme des deutschen Nachtwächterstaates, aber so mancher halbstarke, rotzfreche „Jungtürke“ träumt davon, Deutschland von den ungläubigen „Schweinefleischfressern“ zu übernehmen.

Der „Spiegel“-Journalist Hasnain Kazim sieht die Verantwortung für das Integrationsversagen auf beiden Seiten:

„Etwa drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland, die größte Minderheit des Landes. Und doch wissen die Deutschen erschreckend wenig über die Türkei. Ich meine das durchaus selbstkritisch, ich selbst habe mich lange Zeit nicht sonderlich für das Land, seine Bevölkerung und seine Geschichte interessiert. Türkisch ist eine der meistgesprochenen Sprachen in Deutschland, aber außer den Deutschtürken versteht kaum jemand auch nur ein Wort Türkisch. (…)

Richtig ist aber auch: Es gibt viele Türken in zweiter, dritter, vierter Generation, die nur schlecht Deutsch sprechen. Menschen, die seit dreißig und mehr Jahren in Deutschland leben, aber zum Arztbesuch jemanden mitnehmen müssen, der übersetzen kann.“

Von Seiten der türkischen Regierung ist eine Integration der „Deutschtürken“ in die deutsche Gesellschaft nur in soweit erwünscht, wie sie nicht den Interessen der Türkei zuwiderläuft. Bereits am 15. April 2001 erklärte der Gründer von Millî Görüş und ehemalige türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan bei einer Rede in Hagen:

„Die Europäer glauben, dass die Muslime nur zum Geldverdienen nach Europa gekommen sind. Aber Allah hat einen anderen Plan. Wir werden ganz sicher an die Macht kommen, ob dies jedoch mit Blutvergießen oder ohne geschieht, ist eine offene Frage". (202)

Herr Erdoğan selbst sprach sich gegen jede „Assimilation“ aus und empfahl lediglich, die Sprache des Gastlandes zu lernen, um öffentliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und die Politik des Gastlandes im türkischen Sinne zu beeinflussen. Am 17. Mai 2010 erklärte er in der Köln-Arena:

„Sie haben hier einerseits gearbeitet, andererseits aber haben Sie sich bemüht, Ihre Identität, Ihre Kultur, Ihre Traditionen zu bewahren. Ihre Augen und Ihre Ohren waren immer auf die Türkei gerichtet. Die Tatsache, dass Sie seit 47 Jahren Ihre Sprache, Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt haben, vor allem aber, dass Sie sich gegenseitig stets unterstützt haben, diese Tatsache liegt jenseits aller Anerkennung. Ich verstehe die Sensibilität, die sie gegenüber Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen.

Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie sollten sich dessen bewusst sein. Wir müssen jedoch auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Sie können sich im heutigen Deutschland, in Europa von heute, in der heutigen Welt, nicht mehr als „der Andere“, als derjenige, der nur vorübergehend hier ist, betrachten, Sie dürfen sich nicht so betrachten. (…)

Weiter: Jahrelang hat eine Haltung vorgeherrscht, die durch eine Distanz gegenüber der Politik in diesem Lande, gegenüber der Außenpolitik, der Innenpolitik, der Sozialpolitik charakterisiert war. Doch sollte die türkische Gemeinschaft mit ihren drei Millionen Menschen in der Lage sein, in der deutschen politischen Landschaft einen Einfluss auszuüben, Wirkungen zu erzielen. (…)

Manche Gemeinschaften sind in der Lage, auch wenn sie nur aus einer Handvoll Menschen bestehen, basierend auf Ihrem intensiv betriebenen Lobbyismus, die Politik eines jeden Landes, in dem sie sich befinden, zu beeinflussen. Sie können Druck ausüben, um Beschlüsse der Parlamente in den jeweiligen Ländern zu erwirken. Warum sollten wir nicht Lobbyismus betreiben, um unsere Interessen zu schützen?“ (203)

Diese türkischen Machtansprüche blieben nicht ohne Widerhall: Der großspurige AFD-Kovorsitzende Eberhardt Alexander Gauland forderte gar, alle Türken, die für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt hätten, müssten Deutschland verlassen: „Ich glaube eben nicht, dass der Deutschtürke in diesem Land richtig aufgehoben ist. (…) Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die Wege sich wieder trennen würden - dass der Türke seine Loyalität zwischen Istanbul und Ankara auslebt und wir unsere deutsche Identität hier pflegen. (…) Weil das Votum zeigt, dass sie in diesem Land nicht angekommen sind und auch nicht ihre Heimat haben.“ (204) Diese dümmliche Forderung ist schon deshalb nicht praktikabel, weil es in der Türkei - wie in Deutschland - ein Wahlgeheimnis gibt. So zielt diese AFD-Forderung letztlich darauf ab, alle „Deutschtürken“ aus Deutschland herauszuschmeißen, was wiederum schon daran scheitern würde, da ein Teil der „Deutschtürken“ die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und daher – laut Grundgesetz – nicht ausgewiesesn werden können.

Es bleibt abzuwarten, wie sich das „innenpolitische Klima“ angesichts der abenteuerlichen Wahlerfolge der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, der Post- und der Protofaschisten in Deutschland und dem europäischen Ausland entwickeln wird.

Eine weitere Frage ist, wie sich die Deutschen (almanlar) zur Entwicklung in der Türkei verhalten. Zeitweise brach die Zahl der Reisen deutscher Touristen nach Istanbul und Antalya durch die Terroranschläge des „Islamischen Staates“, den Putschversuch und die folgende Repressionswelle um über 50 Prozent ein. Die Zahl der Touristen fiel von jährlich 5,6 Millionen auf 2,5 Millionen im Jahr 2016. (205) Angesichts der politischen Entwicklungen in der Türkei ist diese hohe Zahl an Türkeireisenden erstaunlich:

1. Dr. h. c. Recep Tayyip Erdoğan ist dabei, einen autoritären Staat aufzubauen.

2. Die türkische Regierung führt im eigenen Land einen Anti-Terror-Krieg gegen die „IS“-Islamisten und andere Terrorgruppierungen, obwohl sie deren Treiben zumindest früher toleriert hat.

3. Erdoğan führt erneut einen verbrecherischen Bürgerkrieg in den Kurdengebieten.

4. Die Türkei hält seit 1974 Nordzypern besetzt.

5. Erdoğan hat im Nordirak völkerrechtswidrig militärisch interveniert.

6. Erdoğan hat mehrere Militärinterventionen in Nordsyrien durchgeführt, dabei wurden wiederholt Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung verübt.

Jeder dieser einzelnen Punkte wäre ein hinreichender Grund nicht in die Türkei zu reisen, dies gilt erst recht für die Summe alle Punkte. Trotz dieser markanten Hinderungsgründe reisen die deutschen Idioten weiterhin „all inclusive“ an die türkische Riviera, um am Sonnenstrand zu faulenzen, sich in den Bettenburgen bedienen zu lassen und in den Basaren billige Produktfälschungen („Made in China“ oder „Made in Turkey“) oder überteuerte Ledertextilien andrehen zu lassen. Mehr moralische Verkommenheit geht nicht! Man muss abwarten, was hier von den ebenso saturierten wie dekadenten Deutschen in Zukunft noch zu erwarten ist.

Mittlerweile beginnt sich das Tourismusgeschäft mit der Türkei seit Jahresbeginn durch den günstigen Wechselkurs wieder zu „beleben“. Reiseveranstalter „Touristik Union International AG“ (TUI) in Berlin hat seine Flugkapazitäten 2018 wegen der großen Nachfrage um 120.000 Plätze aufgestockt. Dazu kommentiere Dinah Deckstein im „Spiegel“ am 30. Juni 2018 (Seite 65):

„Es ist eine Mischung aus Trotz, Fatalismus und Schnäppchenmentalität, die den Boom befördert – und eine Art stiller Protest gegen die Unfähigkeit der Behörden, den Urlaubern einheitliche und nachvollziehbare Handlungsanweisungen mit auf den Weg zu geben.“

Bisher wurden nur einmal deutsche Touristen zum Opfer eines Terroranschlags in der Türkei: Am 12. Januar 2016 sprengte sich der „IS“-Anhänger Nabil Fadli auf dem Sultanahmet-Platz an der Blauen Moschee in Istanbul in die Luft. Vierzehn Menschen starben, darunter zwölf Touristen aus Deutschland: u. a. Rüdiger Becker, Rüdiger Karl Faber, Karin Erika Franke-Dütz, Adolf Jürgen Glorius, Steffen Höppner, Rudolf Krollmann, Gernot Mildner. Allerdings wurden wiederholt Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten aus der Bundesrepublik in der Türkei inhaftiert. Auch mehrere Touristen landeten schon im Knast, z. B. David B.. Zeitweise entstand der Eindruck, dass die türkische Regierung die deutschen Staatsbürger (Peter Steudtner, Meşale Tolu Çorlu, Deniz Yücel) in Geiselhaft genommen hatte, um von der Bundesregierung die Genehmigung für Waffenexporte zu erzwingen. (206)

Die deutsch-türkische Journalistin Hülya Özkan führte hierzu in ihrem Buch „In Erdoğans Visier“ (Seite: 75f) folgendes aus:

„Andere sahen in der Verhaftung des Journalisten (gemeint ist Deniz Yücel, G. P.) eine Provokation von Erdoğan, er schüre bewusst den Konflikt mit der Bundesregierung, um die nationalistischen Gefühle in der Türkei zu befeuern. Er wähne sich sogar unangreifbar, weil die EU und Deutschland auf ihn angewiesen seien. Das war unstrittig und setzte das Verhältnis zwischen der Türkei und der Bundesrepublik einer fortwährenden Zerreißprobe aus. Die Bundesregierung wollte den Bündnispartner nicht brüskieren. Doch zugleich musste sie registrieren, wie in der eigenen Öffentlichkeit der Zorn über einen Präsidenten wuchs, der Deutschland als Bühne für seine politische Agenda nutzte. Und wie immer in solchen Situationen zog Erdoğan die Eskalationsschraube noch weiter an, schickte in dieser angespannten Lage seine Minister auf Werbetour für die Verfassungsreform nach Deutschland. (…)

„Merkel und Gabriel lassen sich von Erdoğan mittlerweile täglich am Nasenring durch die Manege führen,“ sagte Grünen-Politiker Cem Özdemir. Was mit der Erpressbarkeit durch den Flüchtlingsdeal begonnen habe, sei zu einer Spirale der Erniedrigungen geworden. Kaum hatte er dies ausgesprochen, folgte der nächste verbale Schlag. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan warf Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor, später wetterte er sogar direkt gegen die Kanzlerin: „Merkel, nun benutzt du Nazi-Methoden.“

Wie sehr die deutsche Bevölkerung über die Politik der türkischen Regierung verbittert ist, zeigte sich 2018 symptomatisch an den wochenlangen Diskussionen über zwei Fußballspieler türkischer Abstammung und Erdoğan-Sympathisanten in der deutschen Nationalelf.

Die deutsche Rüstungsindustrie ficht diese Konfliktdynamik nicht an. Moralisch und politisch verantwortlich für geplante Waffengeschäfte ist u. a. der Vorstand der Rheinmetall AG um den Vorsitzenden Armin Papperger. Dazu erklärte der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir: „Dem Geiselnehmer für die Freilassung der Geisel zur Belohnung eine Panzerfabrik zu bauen, wäre eine komplett absurde Logik.“ (207)

Angesichts der absehbaren Entwicklungen in der Türkei stellt sich die Frage, ob die Feststellung von „Atatürk“, „ne mutlu Türküm diyene“, unter Erdoğan weiterhin gültig sein wird. Demokratische Zweifel sind angebracht.

Quellen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Recep_Tayyip_Erdoğan#Zweifel_am_akademischen_Grad

(2) www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf

(3) www.heise.de/tp/features/Die-Tuerkei-ist-unter-einer-Wolke-aus-Angst-4079300.html

(4) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-bekommt-nach-
wahlsieg-noch-mehr-macht-a-1214728.html

(5) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-das-historische-Gedaechtnis-von-Minderheiten-
wird-ausradiert-4043774.html?seite=all

(6) www.handelsblatt.com/archiv/wahre-absichten-verschleiert-unklare-ziele-recep-
tayyip-erdogan/2460700.html?ticket=ST-3189886-3wbqjqnGEQ6LInamNcZO-ap3

(7) https://myzitate.de/orhan-pamuk/

(8) www.bayernkurier.de/ausland/24502-auf-dem-weg-in-die-islamokratie/

(9) www1.wdr.de/fernsehen/aktuelle-stunde/fuenf-regeln-erdogan-tuerkei-100.html

(10) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Wahlmanipulation-ist-jetzt-legal-3996275.htm

(11) www.augsburger-allgemeine.de/politik/Die-Tuerken-in-Deutschland-sind-
Erdogans-Trumpf-id51310456.html

(12) https://anfdeutsch.com/aktuelles/erdogan-befiehlt-nehmt-die-hdp-ins-visier-5024

(13) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Im-festen-Griff-des-
Praesidenten-4107358.html?seite=all

(14) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nach-der-wahl-erdogans-macht-
erdogans-dilemma-a-1215650.html

(15) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-wahl-wahllokale-in-deutschland-geoeffnet-
das-muessen-sie-wissen-a-1211658.html

(16) https://de.wikipedia.org/wiki/Fethullah_Gülen#cite_note-PolAllahs-37

(17) www.faz.net/aktuell/politik/aussteiger-berichten-ueber-guelen-bewegung-14408396.html

(18) www.fr.de/politik/guelen-guelen-bewegung-gibt-sich-selbstkritisch-a-1407468

(19) http://sdub.de/stiftung/#als_internationales_netzwerk

(20) www.faz.net/aktuell/politik/aussteiger-berichten-ueber-guelen-bewegung-14408396.html

(21) www.faz.net/aktuell/politik/aussteiger-berichten-ueber-guelen-
bewegung-14408396.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0

(22) www.ezw-berlin.de/html/15_8153.php

(23) www.spiegel.de/politik/ausland/malta-files-erdogans-schwiegersohn-und-die-
millionen-aus-dubai-a-1148714.html

(24) www.tagesspiegel.de/politik/oelhandel-des-is-was-ist-dran-an-russlands-vorwuerfen-gegen-die-tuerkei/12685944.html

(25) www.bbc.com/news/world-middle-east-34982951

(26) https://turkishpress.de/tr/node/1065

(27) www.spiegel.de/spiegel/print/d-140508776.html

(28) www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesregierung-wirft-tuerkei-terror-
unterstuetzung-vor-a-1107915.html

(29) www.heise.de/tp/features/Tuerkische-Justiz-schont-IS-Kaempfer-3789368.html?
seite=all

(30) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-aussenminister-cavusoglu-beklagt-
dschihadisten-ansturm-a-1029879.html

(31) https://de.sputniknews.com/politik/20171014317860461-syrien-tuerkei-exklusiv/

(32) https://wwi.lib.byu.edu/index.php/Treaty_of_Lausanne

(33) www.welt.de/politik/ausland/article159401434/Erdogan-will-an-
Groesse-des-Osmanischen-Reiches-anknuepfen.html

(34) https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/69561-make-turkey-great-again-
erdogan-neue-operationen-syrien/

(35) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-ahmet-davutoglu-folgt-
erdogan-als-premierminister-a-987417.html

(36) www.spiegel.de/spiegel/print/d-13489552.html

(37) www.welt.de/politik/ausland/article170709016/Eklat-bei-Nato-Manoever-Erdogan-
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(38) www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A06_srt.pdf

(39) www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S05_bzs.pdf#page=14

(40) www.heise.de/tp/features/Wer-ist-hier-der-eigentliche-Terrorist-4090479.html?seite=all

(41) www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/tuerkei-recep-tayyip-erdogans-
gefaehrlicher-wirtschaftskurs-a-1213365.html

(42) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nach-der-wahl-erdogans-macht-
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(43) www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/recep-tayyip-erdogan-droht-notenbank-
in-der-tuerkei-lira-faellt-auf-rekordtief-a-1207786.html

(44) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-plant-eigenen-
panama-kanal-am-bosporus-a-1213325.html

(45) www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/tuerkische-lira-faellt-wegen-erdogans-
wachsender-kontrolle-auf-rekordtief-a-1218101.html

(46) www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf

(47) https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Generalsekretäre_des_Millî_Güvenlik_Kurulu

(48) https://de.wikipedia.org/wiki/Millî_Güvenlik_Kurulu

(49) www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf

(50) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Streitkräfte

(51) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Marine

(52) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Streitkräfte

(53) www.oyak.com.tr/TR/anasayfa.html

(54) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(55) https://de.wikipedia.org/wiki/Balyoz

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tuerkisches-militaer-kapituliert-vor-erdogan-a-777462.html

(57) www.spiegel.de/spiegel/print/d-77108510.html

(58) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-die-rueckkehr-der-generaele-a-
480053.html

(59) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(60) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(61) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(62) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(63) https://de.wikipedia.org/wiki/Hulusi_Akar

(64) www.evrensel.net/haber/285264/darbe-girisimine-iliskin-34-general-gozaltina-alindi

(65) www.hurriyet.com.tr/gundem/yurt-genelinde-1563-gozalti-40148524

(66) www.dailysabah.com/deutsch/tuerkei/2016/08/03/parlament-bomberpilot-
erhielt-befehle-von-general-der-den-generalstabchef-drang-mit-guelen-zu-sprechen

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(69) https://de.sputniknews.com/politik/20170716316612063-erdogan-
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_n_11173982.html

(71) https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

(72) www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A06_srt.pdf

(73) www.huffingtonpost.de/2016/08/04/cia-tuerkei_n_11316266.html

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(75) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-hebt-
ausnahmezustand-zum-18-juli-auf-a-1218385.html

(76) www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf

(77) www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tuerkeisicherheit/
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(78) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-erdogan-entlaesst-18-500-
staatsbedienstete-a-1217268.html

(79) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-erdogan-erwaegt-
aufhebung-des-ausnahmezustands-nach-der-wahl-a-1211836.html

(80) www.sueddeutsche.de/politik/tuerkische-nato-soldaten-wenn-du-westliche-
werte-hast-wirst-du-zur-zielscheibe-1.3410564

(81) www.n-tv.de/politik/Selbst-Autokennzeichen-machen-verdaechtig-article18600236.html

(82) www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S05_bzs.pdf#page=14

(83) www.haberler.com/izmir-de-280-sanikli-feto-davasinda-104-10872218-haberi/

(84) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-mehr-als-100-angeklagte-wegen-
putschversuchs-verurteilt-a-1208827.html

(85) www.zeit.de/news/2018-05/11/tuerkei-tuerkei-nimmt-150-soldaten-wegen-
angeblicher-verbindungen-zu-putschversuch-fest-11160602

(86) www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nach-erdogans-
wahlsieg-wurden-sicherheitskraefte-festgenommen-a-1215075.html

(87) http://213.14.3.44/20180708/20180708-1.pdf

(88) www.sueddeutsche.de/politik/tuerkische-nato-soldaten-wenn-du-westliche-
werte-hast-wirst-du-zur-zielscheibe-1.3410564

(89) www.fr.de/politik/tuerkei-kampf-um-die-verlorene-ehre-a-1378542

(90) www.spiegel.de/spiegel/print/d-149011661.html

(91) https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Nikolajewitsch_Tuchatschewski

(92) www.handelsblatt.com/politik/international/amnesty-kritisiert-tuerkei-
glaubwuerdige-hinweise-auf-faelle-von-folter/13920058.html?ticket=
ST-1584833-kim1zyf1Zbn3rbCUAQyH-ap2

(93) www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xiii-sie-werden-
sterben-wie-kanalratten-1.3102899

(94) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Weitere-Schritte-zum-totalitaeren-
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(95) https://de.wikipedia.org/wiki/Recep_Tayyip_Erdoğan

(96) www.sueddeutsche.de/politik/ueberblick-die-politischen-gefangenen-
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(97) www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tuerkeisicherheit/
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(98) www.spiegel.de/spiegel/print/d-149011661.html

(99) www.reporter-ohne-grenzen.de/tuerkei/

(100) www.welt.de/politik/deutschland/article178083454/Seit-dem-
Putschversuch-300-tuerkische-Diplomaten-suchen-Schutz-in-Deutschland.html

(101) www.aachener-zeitung.de/news/politik/geilenkirchen-tuerkischer-nato
-soldat-beantragt-asyl-1.1561430

(102) www.sueddeutsche.de/politik/asyl-tuerkische-soldaten-erhalten-asyl
-in-deutschland-1.3496762

(103) www.welt.de/politik/ausland/article170709016/Eklat-bei-Nato-Manoever-
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(104) www.fr.de/politik/guelen-guelen-bewegung-gibt-sich-selbstkritisch-a-1407468

(105) www.zeit.de/2017/30/guelen-bewegung-schulen-deutschland/komplettansicht

(106) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Weitere-Schritte-
zum-totalitaeren-Staat-4104673.html?seite=all

(107) https://southfront.org/military-analysis-turkish-armed-forces/

(108) https://de.wikipedia.org/wiki/1._Armee_(Türkei)) (Köseköy bei İzmit

(109) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Besatzungstruppe_in_Zypern

(110) https://en.wikipedia.org/wiki/Turkish_Land_Forces

(111) https://en.wikipedia.org/wiki/Turkish_Land_Forces

(112) www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tuerkeisicherheit/
201962#content_0

(113) https://deutsch.rt.com/inland/65129-rechtlich-unbedenklich-
rheinmetall-verkauft-weiter-panzer-in-tuerkei/

(114) www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/rheinmetall-franz-josef-
jung-ist-neuer-aufsichtsrat-a-1146918.html

(115) www.spiegel.de/politik/deutschland/wirbel-um-
waffenlobbyist-niebel
-debatte-um-karenzzeit-regelung-a-978776.html

(116) https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_equipment_of_the_Turkish_Land_Forces#
Rockets_&_Artillery

(117) https://en.wikipedia.org/wiki/Turkish_Air_Force#Formation_and_structure

(118) https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/69561-make-turkey-great-
again-erdogan-neue-operationen-syrien/

(119) http://cgsc.cdmhost.com/cdm/pageflip/collection/p4013coll9/id/278/
type/compoundobject/show/275/cpdtype/monograph/pftype/pdf

(120) https://books.google.de/books?id=U0JJ5fbLVU4C&printsec=frontcover&
dq=inauthor:%22David+Galula%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjG1Kf8677
bAhXFFSwKHVAAAVMQ6AEIMTAB#v=onepage&q&f=false

(121) https://de.wikipedia.org/wiki/Zekai_Aksakallı

(122) https://en.wikipedia.org/wiki/Special_Forces_Command_(Turkey

(123) https://en.wikipedia.org/wiki/Turkish_Naval_Forces

(124) https://de.wikipedia.org/wiki/JİTEM

(125) https://turkishnavy.net/2012/10/21/turkish-national-intelligence-
organisation-asks-for-a-sigint-ship/

(126) www.abendblatt.de/hamburg/article209038517/Das-System-
hinter-dem-tuerkischen-Spion.html

(127) www.huffingtonpost.com/entry/turkeys-influence-network-
in-europe-is-leading-to_us_593571dae4b062a6ac0ad1c9

(128) www.bild.de/politik/inland/bnd/merkel-wurde-spaet-informiert-51083760.bild.html

(129) www.welt.de/politik/deutschland/article160229535/Tuerkische-
Imame-halten-Spitzel-Enthuellung-fuer-Unterstellung.html

(130) www.generalbundesanwalt.de/prnt/showpress.php?newsid=739

(131) www.heise.de/tp/features/Bundesregierung-Visa-fuer-Ditib-
Imame-um-Erdogan-nicht-zu-veraergern-4034912.html?seite=all

(132) www.fr.de/rhein-main/alle-gemeinden/wiesbaden/migrations
beauftragte-der-polizei-die-polizistin-mit-den-tuerkischen-wurzeln-a-465845

(133) www.welt.de/politik/deutschland/article167166583/Deutsche-Polizistin
-als-tuerkische-Agentin-verdaechtigt.html

(134) www.welt.de/politik/deutschland/article167166583/Deutsche-Polizistin
-als-tuerkische-Agentin-verdaechtigt.html

(135) www.welt.de/politik/deutschland/article166732068/Tuerkei-
will-gezielt-Spitzel-im-Verfassungsschutz-platzieren.html

(136) www.generalbundesanwalt.de/prnt/showpress.php?newsid=546

(137) https://turkishpress.de/news/panorama/17-12-2016/erneute-
festnahme-wegen-verdachts-der-spionage-politisch-motiviert

(138) www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/erdogan-gegner-das-
tuerkische-spitzelsystem-zerschlagen-a-1429044)

(139) https://anfenglish.com/news/mIt-prepared-death-lists-against-
the-kurds-in-the-hague-20931

(140) www.welt.de/sport/article174757747/Deniz-Naki-Fussballer-im-
Hungerstreik-Erdogan-ist-ein-Voelkerrechtsbrecher.html

(141) www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerkei-wahl-recep-tayyip-
erdogan-wirbt-in-deutscher-fluechtlingsunterkunft-a-1214429.html

(142) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/057/1805742.pdf

(143) www.bild.de/politik/ausland/recep-tayyip-erdogan/
tuerkei-nazivorwuerfe-53105292.bild.html

(144) www.hurriyetdailynews.com/turk-greek-ties-strained-by-arson-row-10324

(145) www.reuters.com/article/us-greece-germany-spying/greek-police
-arrest-german-on-suspicion-of-spying-idUSBRE97208820130803

(146) www.reuters.com/article/us-greece-germany-spying/greek-police
-arrest-german-on-suspicion-of-spying-idUSBRE97208820130803

(147) www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-
Welt/Tuerkische-Regierung-droht-mit-Entfuehrungen-geflohener-Offiziere

(148) www.griechenland.net/nachrichten/politik/20742-ankara-stellt-
lausanne-vertrag-in-frage-–-athen-in-aufruhr.htm

(149) www.weser-kurier.de/sport/fussball_artikel,-griechische-kuestenwache-schiesst
-auf-tuerkisches-frachtschiff-_arid,1620755.html

(150) www.waz-online.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Streit-
um-Asyl-fuer-angeblichen-Putsch-Soldaten

(151) www.trt.net.tr/deutsch/turkei/2018/01/18/turkische-und-griechische-boote
-kollidieren-890972

(152) https://de.sputniknews.com/panorama/20180128319274032-
tuerkei-griechenland-schiffe-inseln-umstritten-aegaeis/

(153) www.griechenland.net/nachrichten/politik/23100-weiterer-
gefährlicher-zwischenfall-in-der-ägäis

(154) www.n-tv.de/politik/Tuerkei-riskiert-Eskalation-im-Mittelmeer-article20283972.html

(155) www.n-tv.de/politik/Tuerkei-riskiert-Eskalation-im-Mittelmeer-article20283972.html

(156) www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Griechischen
-Soldaten-drohen-fuenf-Jahre-Haft

(157) www.handelsblatt.com/politik/international/grenzkonflikt
-in-der-aegaeis-tuerkische-kuestenwache-fliegt-ueber-griechische-insel-
und-provoziert-militaer/21158186.html?ticket=ST-2223406-7ggiwVT
44ArsnUVbSsLF-ap2

(158) www.dw.com/de/türkische-hackerangriffe-auf-griechenland/a-43649759

(159) www.keeptalkinggreece.com/2018/05/04/cargo-karmate-gunboat
-armatolos-greece-turkey-lesvos/

(160) www.lto.de/recht/nachrichten/n/militaer-tuerkei-putsch-asyl-griechenland/

(161) www.taz.de/!5170870/

(162) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/086/1808613.pdf

(163) www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/
article155992345/Erdogan-fuer-Bluttests-an-tuerkischstaemmigen-Bundestagsabgeordneten.html

(164) www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/tuerkei-recep-tayyip-
erdogan-armenien-resolution-morddrohungen

(165) www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article155992345/
Erdogan-fuer-Bluttests-an-tuerkischstaemmigen-Bundestagsabgeordneten.html

(166) www.welt.de/politik/ausland/article155959219/Erdogan-schliesst-
Sanktionen-gegen-Deutschland-nicht-aus.html

(167) www.ovb-online.de/ueber-uns/impressum/

(168) www.spiegel.de/forum/politik/s-400-abwehrraketen-nato-
fuerchtet-moskaus-auge-thread-750737-1.html

(169) www.globalsecurity.org/wmd/library/news/israel/
israel-180528-sputnik02.htm?_m=3n%2e002a%2e2303%2eqf0ao0cn3q%2e24by

(170) www.br.de/nachrichten/tuerkei-macht-nato-zu-schaffen-100.html

(171) www.fr.de/politik/tuerkei-kampf-um-die-verlorene-ehre-a-1378542,
0#artpager-1378542-1

(172) https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Anschlägen_der_Arbeiterpartei_Kurdistans

(173) https://de.wikipedia.org/wiki/Konflikt_zwischen_der_Republik_Türkei_und_der_PKK

(174) www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tuerkeisicherheit/201962#content_0

(175) www.sueddeutsche.de/politik/fremdenfeindlichkeit-moscheen-in-
deutschland-werden-haeufiger-ziel-von-anschlaegen-1.3181276

(176) www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-feuerbach-kurdengruppe
-bekennt-sich-zu-anschlag.18562920-df77-441e-a911-73c08700a04f.html

(177) www.fr.de/politik/kurdengebiete-tuerkei-bombardiert-ziele-im-irak-a-904885

(178) www.spiegel.de/politik/ausland/mossul-tuerkei-kaempft-
trotz-verbot-gegen-dschihadisten-im-irak-a-1117934.html

(179) www.aa.com.tr/en/turkey/turkish-drones-neutralize-3-pkk-terrorists-in-iraq/1099225

(180) https://anfdeutsch.com/hintergrund/die-tuerkischen-plaene-fuer-
suedkurdistan-teil-2-4181

(181) www.spiegel.de/politik/ausland/irak-sechs-tote-bei-luftangriff-der-
tuerkei-auf-pkk-ziele-a-1211475.html

(182) www.welt.de/politik/ausland/article126288597/Wenn-die-Regierung-
ueber-Recht-und-Unrecht-entscheidet.html

(183) www.washingtonpost.com/world/us-backed-kurdish-forces-answer-
turkish-demand-to-pullback-from-euphrates/2016/08/25/8b05a212-6a9a-
11e6-99bf-f0cf3a6449a6_story.html?noredirect=on&utm_term=.1799c0fc344a

(184) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Militäroffensive_in_Nordsyrien_2016/17

(185) www.state.gov/r/pa/prs/ps/2018/06/282929.htm

(186) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Militäroffensive_im_Gouvernement_Idlib

(187) https://turkishpress.de/news/panorama/01-03-2018/tuerkische-
armee-setzt-nun-special-forces-haeuserkampf-ein

(188) www.heise.de/tp/features/Modell-Afrin-Menschenrechtsverletzungen-
und-Kaempfe-zwischen-Milizen-4107215.html?seite=all

(189) www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-verheimlicht-gefangenenzahl
-im-syrien-konflikt-15439350.html

(190) www.heise.de/tp/features/Tuerkei-das-historische-Gedaechtnis-von-
Minderheiten-wird-ausradiert-4043774.html?seite=all

(191) www.welt.de/politik/ausland/article176392784/Vize-Premier-Recep-
Akdag-Tuerkei-hat-verdient-EU-frueher-beizutreten.html

(192) https://en.wikipedia.org/wiki/İsmail_Metin_Temel

(193) www.taz.de/!5491930/

(194) https://de.wikipedia.org/wiki/Türkische_Militäroffensive_auf_Afrin

(195) https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/69561-make-turkey-great-
again-erdogan-neue-operationen-syrien/

(196) www.spiegel.de/politik/deutschland/migrantenpartei-big-
erdogans-berliner-lobby-truppe-a-786207.html

(197) www.spiegel.de/politik/deutschland/migrantenpartei-big-
erdogans-berliner-lobby-truppe-a-786207.html

(198) https://de.wikipedia.org/wiki/Ozan_Ceyhun

(199) www.merkur.de/politik/tuerkei-wahl-2018-news-erdogan-ergebnisse-manipulation-deutschland-zr-9977359.html

(200) www.heise.de/tp/features/Die-fehlenden-drei-Prozent-4094506.html

(201) www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/
DE/2018/07/verbot-osmanen.html

(202) https://de.wikiquote.org/wiki/Diskussion:Necmettin_Erbakan

(203) www.sueddeutsche.de/politik/erdogan-rede-in-koeln-im-wortlaut
-assimilation-ist-ein-verbrechen-gegen-die-menschlichkeit-1.293718

(204) www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-alexander-gauland-
empfiehlt-deutsch-tuerken-die-ausreise-a-1150047.html

(205) www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/buchungen
-verdoppelt-die-gruende-fuer-das-tourismus-comeback-der-
tuerkei/21021766.html?ticket=ST-2223592-ZjUGfwCddjWBcV7rbz1e-ap2

(206) www.tagesschau.de/inland/yuecel-ruestungsexporte-tuerkei-101.html

(207) www.taz.de/!5475190/