Militärforschung
  Bluttriefende Karikaturen
 

Bluttriefende Karikaturen

Gerhard Piper

19. Oktober 2020

Am 30. September 2005 erschienen in der Tageszeitung „Morgenavisen Jyllands-Posten“ (JP) mit Sitz in Viby (Dänemark) zwölf Zeichnungen des Karikaturisten Kurt Westergaard. Die Karikaturen zeigten – klischeehaft – arabische Gestalten, die anmuten wie Figuren aus dem Märchen „Ali Baba und die vierzig Räuber“ (arabisch: Ali Baba wal arba'een harami). Dieses wurde irgendwann der ursprünglich persischen Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“ (pers.: hazār-u yak šab) hinzugefügt und wurde im 19. Jahrhundert auch in Europa bekannt. Fatal war, dass die Zeitungsseite den Titel „Das Gesicht Mohammeds“ trug.

Jetzt ist „Mohammed“ in arabischen Ländern ein weit verbreiteter, männlicher Vorname und folglich heißt auch so mancher Terrorist so (Mohammed Ali Abdellaoui. Mohammed Ghassan Ali Abu Dhess, Yasser Mohammed Ismail Abu Shaweesh, Mohammed Mahdi Akef, Mohammed al-Masaari, etc.). Allerdings war klar, dass mit „Mohammed“ nicht irgendein x-beliebiger Araber gemeint war, sondern eben der Prophet Abū l-Qāsim Muhammad ibn ʿAbdallāh ibn ʿAbd al-Muttalib ibn Hāschim ibn ʿAbd Manāf al-Quraschī (Kurzname: Mohammed) gezielt verunglimpft werden sollte. Dieser diskriminatorische Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass nicht eine einzelne Karikatur publiziert wurde, sondern gleich eine ganze Zeitungsseite mit verschiedenen Comic-Porträts, die den „Mohammed“ mal als Witzfigur, mal als Verbrecher oder Terroristen darstellten. So zeigte ihn ein berühmt gewordenes Bild mit einer „Turban-Bombe“. Darüber hinaus widersprachen sie dem allgemeinen „Bilder-Verbot“ der islamischen Glaubenslehre, das allerdings über die Jahrhunderte hinweg nicht immer eingehalten wurde. So gab es ab dem 13. Jahrhundert wiederholt Mohammed-Darstellungen in Persien und dem osmanischen Reich. (1)

Die „modernen“ Darstellungen Westergaards waren nicht nur blasphemisch, sondern zugleich unsinnig, weil der Prophet im siebten Jahrhundert (ca. 570 bis 632) lebte, das Schwarzpulver aber erst im 11. Jahrhundert von den Chinesen erfunden und erst ab dem 13. Jahrhundert als Sprengstoff eingesetzt wurde. (2)

Zum Politikum wurden die Zeichnungen, als der Imam Ahmad Abu Laban sie in der arabischen Welt international bekannt machte. Abu Laban wurde 1946 In Jaffa (Palästina) geboren. Er war von Beruf Maschinenbauingenieur. In Nigeria ging er 1982-84 bei verschiedenen islamischen Gelehrten in die Schule, ohne jemals ein islamisches Theologiestudium formal abgeschlossen zu haben. Im Jahr 1974 heiratete er seine Cousine Iman und hatte mit ihr 7 Kinder. Im Jahr 1984 übersiedelte er nach Dänemark. Hier wurde er Iman des Zentrums für Integration mit der Tauba-Moske in Kopenhagen (Dortheavej 45). Die Moschee gehört zur Islamisk Trossamfund (dt.: Islamische Glaubensgemeinschaft). Für ihn war Osama Bin Laden ein „Freiheitskämpfer“, außerdem stand er in Verbindung mit der Moslembruderschaft.

Ahmad Abu Laban sandte im Dezember 20065 eine Delegation in islamische Länder, die eine Dokumentenmappe „Dossier about championing the prophet Muhammad"“ (43 Seiten) mit Kopien der Karikaturen mit sich führte und verbreitete. So entfachte man einen internationalen Sturm der Entrüstung. (3) Außerdem ließ er dort – zusammen mit dem Iman Ahmed Akkari (Aarhus) – drei Fotos verbreiten, die in der dänischen Zeitung gar nicht erschienen waren. Eine Aufnahme zeigte einen bärtigen Mann mit angesteckten Schweineohren und aufgesetzter Schweinenase. Dieses Foto des „AP“-Fotographen Bob Edme (4) zeigte natürlich nicht den Propheten Mohammed, sondern den Franzosen Jacques Marrot als Teilnehmer eines – durchaus fragwürdigen – „Schweine-Quiek-Wettbewerbs“ eines Agrarfestes in Tries-sur-Baise (Frankreich) am 15. August 2005. Anschließend musste die EU erklären, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto nicht um den damaligen europäischen Verkehrskommissar Jacques Marrot handelte, sondern um den gleichnamigen Hobbykomiker. (5)

Jedenfalls gelang es Ahmad al-Laben, mittels des Dossiers den „Volkszorn“ in mehreren muslimischen Staaten (Türkei, Syrien, Libanon und Ägypten) anzuheizen, der zu einem Wirtschaftsboykott gegen dänische Waren führte. Mehrere dänische Botschaften wurden angegriffen. Insbesondere in Nigeria, Pakistan, Malaysia und Indonesien kam es zu Massendemonstrationen mit über 100 Toten und zahlreichen Verletzten.

Während Abu Laban in dänischen Medien als Vertreter dänischer (Wirtschafts-)Interessen auftrat, agitierte er in arabischen Medien gegen die Dänen. So erklärte er gegenüber der dänischen Tageszeitung „Berlingske Tidende“ (Kopenhagen): „Wir sind gegen ökonomischen Boykott und beklagen aufrichtig, dass es mit dieser Sache so weit gekommen ist.“. Demgegenüber begrüßte er gegenüber dem arabischen Fernsehsender „Al Jazeera“: „Wenn die muslimischen Länder einen Boykott beschließen und wenn Muslime fühlen, dass es ihre Pflicht ist, den Propheten zu verteidigen, dann ist das ein Anlass zur Freude“. Daraufhin warf ihm „Danmarks Radio“ vor, er spreche „mit gespaltener Zunge“. Ahmad Abu Laban seinerseits titulierte seine Kritiker in der so genannten „Mohammed-Krise“ als „Ratten“. Die dänische Regierung verzichtete damals darauf, Ahmad Abu Laban zu verhaften, um den Konflikt nicht noch weiter anzuheizen. Ahmad Ben Laban starb am 1. Februar 2007 in Kopenhagen an Lungenkrebs.

Ahmed Akkari beteuerte im Juli 2013, dass er sein Verhalten während der „Mohammed-Krise“ (dänisch: Muhammedkrisen) bereue. „Ich habe ein schlechtes Gewissen über das, was ich mit angezettelt habe. Ich entschuldige mich für meine Rolle, als Dänemark auf die Hass-Karte gesetzt wurde.“ Bei dem Karikaturisten Kurt Westergaard entschuldigte er sich zudem persönlich. (6) Infolge seiner offiziellen Abkehr vom radikalen Islam wurde Akkari selbst zum Ziel von Morddrohungen. (7)

Die Auseinandersetzungen um die „Mohammed-Karikaturen“ führten wiederholt zu Terroranschlägen:

Der indische Politiker und Minister für die muslimische Minderheit im Bundesstaat Uttar Pradesh Haji Yakub Qureshi von der Bahujan Samaj Part (BSP) setzte am 17. Februar 2006 im Anschluss an das islamische Freitagsgebet in Meerut ein Kopfgeld von knapp 10 Millionen Euro für die Enthauptung des dänischen Zeichners aus. Nach konkreten Mordplänen gegen ihn standen der Zeichner und seine Frau seit Ende 2007 unter massivem Polizeischutz durch den Politiets Efterretningstjeneste (PET); sie mussten immer wieder umziehen und an geheimen Orten leben.

Am 1. Januar 2010 drang ein somalischer Asylbewerber mit Messer und Axt in das Haus des Zeichners ein, wo sich Westergaard mit seiner fünfjährigen Enkelin befand. Westergaard gelang es rechtzeitig in das zum Schutzraum umgebaute Bad zu flüchten, zu dem sich der Attentäter keinen Zutritt verschaffen konnte. Der Angreifer bedrohte auch die nur zwei Minuten nach Auslösung des Alarms eintreffenden Polizisten, wurde von ihnen angeschossen und überwältigt. Nach Angaben des dänischen Geheimdienstes PET hatte der Mann enge Verbindungen zu führenden Mitgliedern al-Qaidas in Ostafrika. Am 22. Juni 2011 wurde der Attentäter vom Vestre Landsret (Oberster Gerichtshof für das westliche Dänemark) zu einer Haftstrafe von 10 Jahren mit anschließender Ausweisung verurteilt.

Am 2. November 2011 wurde auf die neuen Redaktionsräume des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ am Boulevard Davout in Paris ein Brandanschlag verübt, nachdem diese auf dem Titelblatt ihrer aktuellen Ausgabe eine Karikatur Mohammeds veröffentlicht hatte. Zwar wurde bei dem Anschlag niemand verletzt, doch der durch Brand und Löscharbeiten entstandene Schaden war beträchtlich: Büroräume auf zwei Stockwerken, sämtliches Equipment, das Layout- und das Computer-System wurden komplett zerstört. Die Zeitschrift ließ sich dadurch nicht einschüchtern: Am 19. September 2012 veröffentlichte sie weitere Mohammed-Karikaturen.

Am 7. Januar 2015 verübten zwei Brüder einen Feuerüberfall auf „Charlie Hebdo“ in Paris. Der Terroranschlag forderte insgesamt 17 Tote, darunter der Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier, die Zeichner Jean Cabut, Bernard Verlhac, Philippe Honoré und Georges Wolinski, der Journalist Bernard Maris, die Kolumnistin Elsa Cayat, der Lektor Mustapha Ourrad sowie zwei Polizisten. Mindestens zwanzig Personen wurden z. T. schwer verletzt. Auch der jüdische Supermarkt „Hyper Casher“ in Vincennes wurde attackiert. Die beiden Attentäter, Chérif und Saïd Kouachi, wurden am 9. Januar 2015 auf der Flucht in Dammartin-en-Goële durch Einsatzkräfte der Groupe d'intervention de la Gendarmerie nationale (GIGN) erschossen. Um die Terrorgefahr einzudämmen, initiierten die französischen Sicherheitsorgane anschließend die Opération SENTINELLE.

Am 2. September 2020 begann der Mammut-Prozess gegen vierzehn Hintermänner bzw. Randfiguren des Anschlags von 2015 vor dem Tribunal de Paris. Angeklagt wurden u. a. Abdelaziz Abbad, Nezar Mickaël Pastor Alwatik, Michel Catino, Mohamed Fares, Metin Karasular, Samir oder Saïd Makhlouf, Miguel Martinez, Ali Riza Polat, Willy Prevost, Amir Ramdani, Christophe Raumel) Gegen drei weiterer Angeklagte wird in Abwesenheit verhandelt, davon sind zwei Personen (Mohamed und Mehdi Belhoucine) vermutlich bereits in Syrien/Irak umgekommen, hinzukommt Hayat Boumedienne, die sich in Syrien aufhalten soll. Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ nutzte den Prozessbeginn, um in einer Sonderausgabe erneut Mohammed-Karikaturen zu publizieren. (8)

Am 25. September 2020 kam es vor dem Bürogebäude von „Charlie Hebdo“ in Paris zu einem Angriff, bei dem zwei Journalisten der TV-Produktionsfirma „Premières lignes“ mit einem Fleischermesser verletzt wurden. Drei Attentäter wurden festgenommen, darunter der Pakistani „Hassan A.“ alias Zaheer Hassan Mehmood. (9)

Am 16. Oktober 2020 verübte ein 18-jährige Russe tschetschenischer Abstammung einen tödlichen Messerangriff auf den Geschichtslehrer Samuel Paty am Collège du Bois d'Aulne in Conflans Sainte-Honorie (Frankreich). Der Lehrer hatte Anfang Oktober im Rahmen des Unterrichts das Thema „Meinungsfreiheit“ aufgegriffen. Anlass war die erneute Veröffentlichung von „Mohammed-Karikaturen“ seitens des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, als der Prozess wegen des damaligen Attentats begann. Der Vater einer Schülerin, die am Unterricht gar nicht teilnahm, veröffentlichte im Internet zwei Videos, in denen er gegen den Lehrer hetzte und seine sofortige Entlassung forderte. Dabei wurde er von dem Islamisten Abdelhakim Sefrioui unterstützt. (10)

Bei dem Attentäter handelte es sich um „@Tchetchene_270“ alias Abdoullakh Abouyedovich Anzorov aus Évreux-Madeleíne. Er wurde anschließend auf der Flucht von Polizeibeamten in Éragny erschossen. Anzorov wurde in Moskau geboren und kam ca. 2008 nach Frankreich, die Familie stammt aus Shalazhi (Tschetschenien). Anzovorovs Halbschwester hatte sich 2014 dem „Islamischen Staat“ in Syrien angeschlossen.

 

Quellen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Bilderverbot_im_Islam#Islamische_
Bilder_Mohammeds

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzpulver

(3) http://monkeydyne.com/photos/?d=akkari_dossier

(4) https://bibelen.blogspot.com/2006/02/pig-or-prophet.html

(5) https://amp.welt.de/print-wams/article138650/Faelschung-eines-
Imams-heizt-Streit-an.html

(6) www.fr.de/politik/gelaeuterte-hassprediger-11084740.html

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Ahmed_Akkari

(8) www.franceinter.fr/justice/un-accuse-je-pense-que-les-
victimes-doivent-souffrir-bien-plus

(9) www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/er-habe-
die-mohammed-karikaturen-nicht-ertragen-verdaechtiger-
gesteht-messerattacke-in-paris/26219180.html

(10) www.heise.de/tp/features/Hasswelle-Die-Agitation-gegen-
einen-Vertreter-der-Meinungsfreiheit-4931397.html